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JAMES WALKER, D.D., LL.D.,
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FORMER PRBSIDBrrr OF HARVARD COLLEGB;
** Preference being given to works in the
Intellectual and Moral ScienccR."
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ZEITSCHRIFT
des • •
Vereins für Volkskunde.
Netu Folge der Zeitschnß für Völ kef^syckolo gie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl Weinhold.
Erster Jahrgang. W^ 'Fe \-<??RWMBi^ 1891. Heft 1
Hierzu Tafel I.
BERLIN.
Verlag von A. As her & Co.
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Inhalt
Seite
Zur Einleitung. Von Karl Weinhold 1
An den Leser. Von Prof. Steinthal . 10
Volkstümliche Sehlaglichter. Von Wilhelm Schwartz 17
Zur Volkskunde Islands. Von Konrad Maurer 36
Ein anscheinend deutsches Märchen von der Nachtigall und der Blind-
schleiche und sein französisches Original. Von Reinhold Köhler 53
Die Ausnahmslosigkeit sämtlicher Sprachueuerungen. Von Richard
Löwe 56
Wind, Wetter, Regen, Schnee und Sonnenschein in Vorstellung und
Rede des Tiroler Volkes. Von Maria Rehsener 67
Jamund bei Cöslin. Von Ulrich Jahn und Alexander Meyer Cohn.
(Mit Tafel I) 77
Kleine Mitteilungen:
Zum Steinkultus in Syrien. S. 101. — Ein isländischer Blutsegen. S. 102. — Todes-
nachricht S. 103.
Bücheranzeigen:
Ludwig von Hörmann, Haussprüche aus den Alpen. S. 103. — R. H. Greinz
und D. A. Kapferer, Tiroler Schnadahüpfeln. S. 105. — Bruno Bucher, Die alten
Zunft- und Verkehrs -Ordnungen der Stadt Krakau. S. 106. — Kristoffer Nyrop,
Navnets Magt: en folkepsykologisk Studie. S. 109. -- Huld, Safn alpj^dlegra Islenzkra
fraeda. ütgefendur: Hannes Jiorsteinsson, J6n Jiorkelsson, Ölafur Davidsson, Pälmi P^lsson,
Valdimar Äsmundsson. S. 112. — Dania, Tidskrift for folkemdl og folkeminder udgivet
for universitets-jubilaeets danske samfond af Otto Jespersen og Kristoffer Nyrop.
Bind I, haßfte 1. 8. 112.
Bibliographie. S. 113.
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblättern mit Kand gebeten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
K. Weinhold, Berlin W., Hohenzollernstr. 10, zu richten.
Bücher für Besprechung in der Zeitschrift wolle man an die Verlags-
buchhandlung A. Asher & Co., W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der Schriftführer Dr. U. Jahn,
Berlin NW.; Perlebergerstr. 32, entgegen.
Schatzmeister des Vereins ist Banquier Alexander Meyer Cohn,
Berlin W., Unter den Linden 11.
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Zur Einleitung.
Von Karl Weinhold.
Der Verein, dessen Organ die vorliegende Zeitschrift geworden ist,
verfolgt den wissenBchaftlichen Ausbau der Volkskunde als seine Aufgabe.
Er will einen Mittelpunkt der deutschen Forscher und Sammler für das
Volksleben und dessen Geschichte bilden und in wetteifernder Arbeit mit
den gleichen Bestrebungen in den anderen Ländern die Erkenntnis der
Vorgänge in dem Seelenleben der Völker und das Wissen von den äusseren
und inneren Zuständen fördern, welche im Laufe der Zeiten entstanden sind.
Für die Kunde von den volkstümlichen Überlieferungen in Si^en,
Märchen, Liedern, Sitten u. s. w. hatte der Engländer Thoms im Athenäum
vom 22. August 1846 das Wort folklore vorgeschlagen, das von seinen
Landsleuten bald angenommen ward. Es ist heute ein Weltwort geworden,
indem es auch in den anderen germanischen, in den romanischen und
slavischen Ländern Annahme gefunden hat. Folkloristen nennen sich jetzt
viele Sammler von Volksüberlieferungen in Europa imd Amerika mit
Vorliebe.
Ich habe in einem kleinen Aufsatze, überschrieben: „Was soll die
Volkskunde leisten?" (im 20. Band der Zeitschrift für Völkerpsychologie
und Sprachwissenschaft, S. 1-5) gegen jenes Wort Verwahrung eingelegt,
sofern man es auch in Deutschland verwendet, und habe nach dem Vor-
gange auch andrer Männer Volkskunde als weit bezeichnender empfohlen,
ganz abgesehen davon, dass dieses ein deutsches Wort ist. „Volkskunde"
hat Rein hold Köhler in seinem Artikel Folklore (im Supplementbande
zu Brockhaus Conversations - Lexikon von 1887) geschrieben, „bedeutet
die Kunde vom Volk oder über das Volk; sie umfasst also auch die Kunde
des Folk-lore, aber sie ist nicht selbst Folk-lore". Mit vollem Recht hat
R. Köhler hervorgehoben, dass Folklore nur eine Abteilung der Volks-
kunde ist, und dass diese einen viel weiteren Umfang hat als jene. Dieser
sachliche Grund möge die deutschen Liebhaber des Fremdwortes folklore
von dem unnützen und geschmacklosen Gebrauche desselben abbringen.
Übertreffen wird die Geschmacklosigkeit freilich noch durch den Gebrauch
der komischen Bildung Folklorist.
Die Volkskunde ist zur Zeit noch im Werden. Nur durch exacte
ZeitxcbriH d. Vereius f. Volkskunde. 1891. 1
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2 Weinhold:
Forschung und richtige Methode kann sie zur Wissenschaft sich erheben,
und der Gefahr des Dilettantismus entgehen, in welche sie durch die
Polkloristen leicht hineingezogen wird. Es kommt zuerst darauf an, um-
fassende Sammlungen anzulegen: alles und jedes Material, so genau wie
der Naturforscher das seine, aufzusuchen, möglichst rein zu gewinnen und
treu aufzuzeichnen, in Wort und in Bild, wo beides möglich ist. Die
Gegenwart zerstört systematisch, was aus der Vorzeit sich noch erhalten
hat. Es ist die höchste Zeit zu sammeln!
Nach der Sammlung kommt es darauf an, zu untersuchen, ob das
Gewonnene sich geschichtlich verfolgen lässt, wie es in früheren Zeiten
gewesen ist, wo sein Ursprung liegt, und welches die Gründe seines Ur-
sprungs waren.
Damit ist aber die Arbeit noch nicht völlig abgeschlossen. Eine
zweite Aufgabe ist, nachzuforschen, ob sich die gleiche Erscheinung auch
bei anderen Völkern findet und welche Unterschiede sich bei der Ver-
gleichung ergeben. Auf diesem Wege wird man zuletzt die allgemeine
menschliche Formel aus der nationalen gewinnen. Nehmen wir als Beispiel
für das Verfahren die weitverbreitete Volkssage von der verzauberten
Jungfrau, die einem Jüngling auf alten Burgstätten erscheint und durch
ihn erlöst sein will. Diese Sage kommt an unzähligen Orten Deutschlands
vor. Bei einer wissenschaftlichen Bearbeitung ist sie zunächst genau nach
ihren mancherlei Spielarten mit bestimmter Bezeichnung der Orte, an
denen dieselben erzählt werden, zu verzeichnen. Es sind dann die Haupt-
züge und die Nebenzüge zu sondern und auf ihre Natur und ihr Alter zu
prüfen. Dabei wird sich z. B. ergeben, dass der gewöhnliche Schluss,
wonach die aus Feigheit des Jünglings nicht erlöste Jungfrau als den
Helden ihrer künftigen Erlösung von dem Zauber einen Knaben bezeichnet,
welcher in einer Wiege liegen wird, die aus dem Holz eines jetzt noch
als Gerte stehnden Baumes gezimmert werden soll, mit der deutschen
Sage ursprünglich gar nichts zu thun hatte, sondern dass dieser Schluss
der Adam- und Kreuzholzlegende entlehnt ist.
Bei der Prüfung auf das Alter wird zu fragen sein, ob unsere Helden-
sage oder die deutschen Götter-Mythen eine verwandte Überlieferung ent-
halten und ob mit deren Hilfe die älteste Gestalt der Volkssage gewonnen
werden kann. Auf diesem Wege lässt sich hofiFen, die älteste deutsche
(süd- oder wenn man will westgermanische) Gestalt der Sage zu finden.
Von hier aus liegt dann die Möglichkeit nahe, durch Vergleichung des
nordgermanischen Sagenmaterials die urgermanische Gestalt heraus zu
arbeiten.
Das beste ist dann die Formen zu erkunden, worin die Sftge, die sich
in unserem Fall als alter germanischer Mythus ergeben haben wird, welcher
früh in heroische Sage umgesetzt worden ist, etwa bei verwandten Völkern
erscheint, und aus welchem Urgründe, d. h. aus welchen die Volksseele
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Zar Einleitung. 3
tief erregenden Natnrvorgängen oder ethischen Bewegungen der Mythus
erzeugt worden ist.
Bei diesen Untersuchungen wird die Sagengeschichte im weitesten
Sinne genommen, so wie die Geschichte der epischen Poesie eben so wohl
zu Hilfe gerufen als möglicherweise bereichert werden. Mit vollem
Recht hat Jacob Grimm einmal ausgesprochen (Kl. Schriften VÜI, 560),
dass eine Geschichte der epischen Poesie und der Fabpl erst durch das
Studium der mündlichen Volksüberlieferungen möglich wird.
Kecht eigentlich auf dem Boden der Dichtungsgeschichte werden sich
die Untersuchungen über die Volksmärchen bewegen. Für diese ist durch
wissenschaftliche Forschung, besonders durch Th. Benfeys Einleitung
zur Übersetzung des Pantschatantra erwiesen worden, dass sie zum grösseren
Teil einem über Asien und von hier über Europa verbreiteten Dichtungs-
oder Erzählungsschatze angehören, der aus den verschiedensten Ursprüngen
zusammengeschichtet ist.
Für die deutschen Kinder- und Hausmärchen hatte schon Wilhelm
Grimm in den Anmerkungen zu der grossen Ausgabe die weiten Ver-
wandtschaften, in denen ein jedes dieser Märchen darinsteht, aufgewiesen.
Durch die neueren Funde werden sie noch weiter ausgeführt werden können.
Der Ursprung der meisten Märchen im fernsten Osten, die sehr weiten
Wanderungen und deshalb sehr verschiedenen Beimischungen, werden ab-
mahnen, sie samt und sonders in germanische Mythen umzusetzen. Aber
immer wird geboten sein, die Aufzeichnung getreu nach dem Volksmunde
zu machen und Denk- und Ausdruckweise des Erzählers treu wiederzugeben,
sobald man denselben als reine Quelle erkannt hat, wozu natürlich einige
Kritik und Übung gehört.
Diese Beispiele sind aus dem geistigen Teile des Volkslebens ge-
nommen. Ein gleiches Verfahren mit nüchterner Feststellung des that-
sächlichen und mit kritisch-historischer Prüfung der Thatsachen muss bei
allem übrigen Material eingeschlagen werden; so bei den Sitten und Ge-
bräuchen, bei den Trachten, bei dem Hausbau und der Hofanlage, kurz
bei allem, was zu der Volkskunde gehört.
Was aber ist das? welche Teile bilden das Ganze? — Ich versuche
ein Schema zu entwerfen.
Einleitung: Die physische Erscheinung des Volkes.
a) Der Knochenbau samt Schädelbildung.
b) Muskelausbildung bei Mann und Weib.
c) Gesichtszüge (dabei Farbe der Augen mid Haare).
d) Die Abweichungen innerhalb des Volkes von der gefundenen Grund-
erscheinung müssen eingehend untersucht werden.
1*
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4 Weinhold:
I. Äussere Zustände«
1. Die Volksuahrung, einst und jetzt. Bereitung derselben.
2. Die Tracht. Die Geschichte derselben ist aus alten schriftlichen
Angaben, bildlichen Darstellungen und erhaltenen Kleidungsstücken nach
allen Teilen, einschliesslich der Haartracht und des Schmuckes zu ent-
werfen.
Es sind dabei die Unterscheidungen der Geschlechter, der Lebens-
alter, der Stände durch die verschiedenen Zeiten bis zur Gegenwart zu
verfolgen; ebenso ist die Tracht bei den Hauptereignissen des Lebens
(Taufe der Neugebomen oder Namengebung, Vermählung, Kirchgang und
Abendmahlsfeier, Tod und Begräbnis) zu berücksichtigen.
Für die Männer sind auch Wehr und Waffe (Schutz- und AngriflFs-
ausrüstung) hierher gehörig.
3. Die Wohnung. Geschichte des Hauses und Hofes von den ältesten
erreichbaren Zeiten an, mit genauer Berücksichtigung der Plurteilung
und Dorfanlage. Stamm, Volk und Land bedingen die hervortretenden
Unterschiede in Hausbau, Hofanlage und Plurteilung.
Die Ausstattung des Hauses mit allerlei Gerät, welches das Bedürfnis
wie der erwachende Sinn für Bequemlichkeit und Schönheit allmählich
fordern, gehört unter dieses Kapitel.
II. Innere Zustande.
1. Lebenssitte.
a) In Haus und Sippe.
Was sich zum Teil schon in vorhistorischer Zeit auf Grund des religiösen
Glaubens, der allgemein sittlichen Forderungen, des Familienrechts, der
Bedürfnisse des öflFentliclien Lebens im Lauf der Jahrhunderte als be-
stimmende Satzung ausgebildet hatte, fällt in diesen Abschnitt. Wir be-
gleiten den einzelnen Menschen von seiner Geburt (Erlaubnis zum Leben,
Namengebung, Wasserweihe, christliche Taufe) durch die Kindheit und
erste Jugend (Leibesübungen, Einführung in die Wirtschaft, geistige Bildung)
bis dorthin, wo der Mann in Heer und Volk aufgenommen wird, das
Mädchen durch die Vermählung in eine andere Familie übertritt. Das
häusliche Leben ist in dem Verhältnis der verschiedenen Sippegenossen
zu einander, in den Berührungen mit anderen Familien, mit Fremden
(Gastrecht, Gesellschaftsleben) fest geregelt, und hat mit den Zeiten
wechselnde Gebräuche.
Die Erschütterung des Lebens der Einzelnen durch Krankheit und
Alter, die Auflösung durch den Tod hat in allen Völkern der Sitten viel
erzeugt, von denen gar manches sich bis auf unsere Zeiten erhalten hat.
b) Ausser dem Hause.
Ich stelle hierher die Sitten, welche sich an die wirtschaftlichen Ent-
wicklungsstufen der Völker heften.
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Zur Einleitung. 5
a) J&ger- und Fischerleben.
Waidmännische Altertümer. Alte Jagdgebräuche, Jägeraberglaube,
Waidsprüche.
Gebräuche beim Fischfange auf dem Meere, in Seen und Teichen, in
Flüssen und Bächen.
ß) Hirtenleben.
Die Gebräuche der Hirten im Gebirge und in der Ebene durch den
Jahreslauf.
y) Bauernleben.
Die Gebräuche und Meinungen bei dem Nahen des Frühjahrs, bei
Feldbestellung, Saat, Heranwachsen der Früchte, bei und nach der Ernte.
Aus den für Waidwerk, Viehzucht und Ackerbau wichtigen Tagen und
Zeiten hat sich von alter Zeit her der Bauernkalender zum guten Teil
gebildet. Derselbe enthält auch Reste des gottesdienstlichen Festkalenders
des Altertums, denn die altheiligen Zeiten jedes Volkes fallen mit dem
Natorleben zusammen. Auch das Wissen von den Gestirnen, so wie von
den für die Wetteränderung wichtigen Zeitön lässt sich daraus erkennen.
J) Handwerkerleben.
Bräuche der verschiedenen Handwerke.
Handwerksburschenleben mit unterscheidender Tracht, Formeln,
Bräuchen und Aberglauben.
Indem aus arbeitsscheuen Handwerksburschen gewöhnlich Landstreicher
werden, kann das Leben der fahrenden Leute alter und junger Zeit,
und was das Volk von ihnen glaubt und sagt, hier angeschlossen werden.
2. Recht.
Wie bedeutend die RechtsbegrifiFe, ihre Ausbildung und Formulierung
sowie die Gebräuche bei der Rechtspflege und den Rechtsgeschäften für
die Erkenntnis des Denkens und der Moral eines Volkes sind, bedarf
keiner Ausführung.
Hier verweisen wir nur darauf, wie in den Sitten des Hauses vieles
mit dem Familienrecht in engster Beziehung steht. Wir erinnern femer
an die Rechtsgewohnheiten bei Kauf uud Verkauf, bei Abschluss von Ver-
trägen, Entrichtung von Abgaben, Ankündigung von Gemeindeversamm-
lungen, Begehung der Grenzen u. s. w. Das moderne Recht^hat die alten
Rechtsformen und Gewohnheiten gebrochen, weil sie einem anderen Recht
entsprungen waren. Mit ihrer Abschaffung sind sie meist aus dem Ge-
dächtnis des Volkes verschwunden und können nur aus älteren schriftlichen
Quellen geschöpft werden.
Das dogmatische Recht nimmt die Volkskunde natürlich^ nicht in
Anspruch, sondern beschränkt sich auf das was Jacob Grimm als Rechts-
altertümer bezeichnet und gelehrt hat.
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6 Weinhold:
Von grossem Interesse ist femer für uns eine Vergleichung der Rechts-
ideen und Rechtsgebräuche der verschiedenen Völker.
3. Religion.
Die natürliche Religion der Völker mit ihrem Schatze an Sagen und
Liedern, die Mythologie, ist eine der ältesten und wundersamsten
Schöpfungen der Volksseele. Mythologische Untersuchungen wird unsere
Zeitschrift daher nicht entbehren können, wenn sich für dieselben auch
andere wissenschaftliche Organe den Forschem darbieten. Gem werden
wir den Vorstellungen, Meinungen und Gebräuchen übersinnlich-mystischer
Natur unsere Spalten öf&ien. Die Sagen, Märchen, Legenden, die Segen-
und Zauberformeln, allerlei geheimnisvolle Gebräuche verdienen als Material
für wissenschaftliche Untersuchung sorgsame Sammlung.
Ausser der Sammlung wollen wir aber auch die wissenschaftliche
Läuterung, den kritischen Scheidungsprozess mit diesem Material vornehmen,
das wie die Nagelflueh in langer Zeit aus den verschiedensten Bestandteilen
zusammengebacken ist.
Mit der Mythologie hängen eine Menge bildlicher Ausdrücke zu-
sammen, die seit ältesten Zeiten bis heute noch in dem Volke dort leben,
wo sein echtes Denken und Vorstellen noch nicht von falscher Kultur
oder von der Sozialdemokratie vernichtet ist. Sie sind aus den gewaltigen
Eindrücken entsprungen, welche die Natur auf den einfachen Menschen
des Gebirges und der Ebene überall übt, wo kein grossstädtisches Treiben
und Sein ihn von Himmel und Erde abschneidet. Aus jenen Eindrücken
sind die ältesten Gottheitsbildungen hervorgegangen. Die Anfänge hierzu
sind aber noch jetzt in der Rede und Sprache vieler Gegenden zu er-
kennen, unschätzbar für den Volkspsychologen wie für den Mythologen.
Das Mythologische dauert aber nicht bloss hierin fort, sondem auch
in einem niederen Vorstellungs- und Glaubenskreise, der weder christlich
noch heidnisch ist, sondern eine Wucherbildung. Im germanischen Heiden-
tum gab es einen Aberglauben und ein Zauberwesen, abgesondert
und feindlich gegen die eigentliche Volksreligion und den anerkannten
Gottesdienst. So ist es überall gewesen und so ist es noch heute. Aber-
glaube ist an keine Nation und keine bestimmte Religion gebunden, sondem
ein allgemein Menschliches.
Mit dem Aberglauben hängt die Volksmedizin zusammen, d. i. jene
über alle Völker gleich dem Aberglauben verbreitete Heilkimde, die auf
die verschiedensten Quellen: Religion, Zauberei und frühere Perioden der
Medizin zurückgeht.
Hingedeutet sei endlich auf jene von den christlichen Völkern ge-
schaflPenen ausserbiblischen Gestalten, frommen Gebräuche und Geschichten,
die man als christliche Mythologie zusammenfassen kann^ und die
nach ihrem Ursprung der Forschung viel Aufgaben stellen. Auch hier
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Zur Einleitung. 7
wie überhaupt auf dem gesamten Boden der religiösen Yolksüberlieferung
und der Mythologie kann nur die grösste Besonnenheit und die feinste
Scheidung der Elemente zu haltbaren Ergebnissen führen.
4. Die Sprache.
Die Grammatik im Ganzen überlassen wir der Sprachwissenschaft.
Wohl aber werden Beobachtungen über Laut-, Wort- und Satzbildungen,
die auf gewissen psychischen Vorgängen beruhen, ims willkommen sein.
Auch dialektliche Studien, die auf die Geschichte der Volksstämme
und der Landschaften und das Leben des Volkes sich stützen, werden wir
zu fördern suchen.
Besonders wird die Wortkunde unter gewissen Gesichtspunkten für
uns Bedeutung haben.
Der Wortschatz eines Volkes oder eines Stammes in den verschiedenen
Perioden seiner Geschichte, der Wortvorrat der verschiedenen Bildungs-
schichten ist ein Messer ihres geistigen Besitzes. Derselbe lässt sich für
die älteren Zeiten nur aus den schriftlichen Denkmälern feststellen; in
der Gegenwart dagegen aus der lebendigen Rede. Diese und jene Volks-
stämme, diese und jene Schichten der Bevölkerung haben eine abgegrenzte
Menge an Worten, Ausdrücken, Redensarten. Je geringer der Bildungs-
stand 'einer Person, mit je weniger Worten kommt sie beim Sprechen aus.
Es giebt ganze Reihen von Wörtern und Formen der hochdeutschen ge-
wöhnlichen Verkehrs- und Schriftsprache, welche bestimmte deutsche
Mundarten ganz vermeiden oder sehr selten anwenden, negative Idiotismen
wie sie Joseph Haltrich genannt hat, der dieselben für die sieben-
bfirgisch-sächsische Volkssprache bearbeitet hat (Hermannstadt, 1866).
Den Kennern unserer mittelhochdeutschen Poesie sind die Ver-
änderungen im Wortgebrauch bekannt, welche gegen Ende des zwölften
Jahrhunderts der sogenannte höfische Geschmack bewirkt hat. Der Wechsel
der Mode, der mit den Strömungen der Kultur zusammenhängt, hat auch
das Leben der Worte bestimmt, hat alte getötet, neue gezeugt, hat alten
neue Bedeutungen verliehen. Oft genügte der äussere Anklang an ein
verfehmtes Wort, um ein ganz unschuldiges zu beseitigen. Dazu kam die
religiöse oder auch bloss abergläubische Scheu bestimmte Wesen und
Dinge, denen man grosse Macht zuschrieb, mit ihrem richtigen Namen zu
nennen: das Namen-Tabu, das bei den sogenannten Wilden noch greifbar
lebt, aber auch bei den Kulturvölkern besteht. Christ offer Nyrop hat
in seinem Buche Navnets magt, en folkepsykologisk studio (Köbenhavn,
1887) davon lehrreich gehandelt.
Wer dem Leben der Volksseele im Sprachlichen nachspürt, wird nicht
bloss den umfang des Wortschatzes, sondern auch die Geschichte des
einzelnen Wortes insofern studieren, als er es nicht bloss als einen, gesetz-
lichen Veränderungen unterworfenen, Lautkörper betrachtet, sondern als
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8 Weinhold:
Ausdruck eines Gedankens, als ein Seelenkind, das durch das Leben er-
zogen, gebildet und verbildet worden ist. In der Bedeutnngsentwicklung
eines Wortes spiegelt sich ein durch äussere Einflüsse geleiteter geistiger
Werdegang. Das führt zu höchst anziehenden Beobachtungen. Was auf
diesem Wege für die Yolkskunde zu gewinnen ist, kann die eindringende
Behandlung vieler Worte in dem Grimmschen Deutschen Wörterbuche,
namentlich im FV. und V. Bande durch Rudolf Hildebrand, zeigen.
Hinzu treten die Redensarten, die Schelten und Flüche, die
bildlichen Ausdrücke endlich über wiederkehrende Erscheinungen der
Natur und des Menschenlebens, die oft von überraschender Kraft und
Schönheit sind und in der Volkssprache als uralte Zeugen der altgermanischen
poetischen Rede sich noch aufspüren lassen.
In das sprachliche Kapitel der Volkskunde gehören auch die Namen;
nicht bloss die, welche lebende Wesen, Menschen wie Tiere, von der
Menge ausheben, sondern auch die, wekhe leblose Dinge mit einem persön-
lichen Leben kraft poetischer Auffassung begaben.
Bei den menschlichen Persouennamen kann sich die Volkskunde daran
genügen lassen, dass die Vorstellungen imtersucht werden, welche in der
alten namenbildenden Zeit dadurch zum Ausdruck kamen. Für die späteren
Perioden dürfte es hinreichen, die Verbreitung der Namen zu erforschen,
d. h. welche Pevsonen(Vor)namen in gewissen Zeiten, Ländern, Orten, -auch
bei gewissen Ständen besonders beliebt waren. Nach der Reformation
traten in Deutschland konfessionelle Unterschiede in den Vornamen hervor.
Interessant ist auch die Geschichte der Judennamen in Deutschland und
wahrscheinlich auch in anderen Ländern.
Eine besondere Abteilung bildet die Entstehung und Verbreitung der
Familiennamen, die mit ständischen, gewerblichen und Stammes -Ver-
hältnissen und weiterhin mit vielfach verschlungenen Zuständen zusammen-
hängen, deren Untersuchung interessant und lehrreich ist.
Bei den Tiernamen fassen wir ins Auge: 1. die umschreibenden Namen
für wilde Tiere, die sich gewöhnlich ak euphemistische Benennungen, die
mit dem Tabu zusammenhängen, ergeben: so wenn der Fuchs Langschwanz,
der Wolf Hölzing, das Wiesel Fräulein heissen. 2. Die auszeichnenden
persönlichen Namen, welche den Haus- und Hoftieren gegeben werden,
namentlich den Hunden, Rossen, Rindern und zahmen Vögeln.
Von leblosen Gegenständen treten mit Namen vor allen heraus: Berge,
Hügel, Felsen, Höhlen, Wälder, Wiesen, Felder, alte Wege und Plätze,
Quellen, Bäche, Flüsse, Seen. Den Forscher werden auch hier Bedeutung
und Gründe dieser Namensgebung beschäftigen, die oft sehr alter Zeit
zufällt und zuweilen von einem Volke auf das andere vererbt ist.
In den Pflanzennamen sind oft sehr alte Beziehungen auf die Götter-
und die Tierwelt enthalten. Sie verdienen, soweit sie echt volkstümlich
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Zur Einleitmig. ' 9
und alt sind, eine sorgfältige Sammlung, in treuer Aufzeichnung und mit
genauer Angabe der Standorte der Namen.
Endlich gedenken wir der Namen, die leblosen Dingen gegeben wurden,
welche zum Menschen im Verhältnis von Freunden in der Not stehen.
Sehwert und Spiess wurden als Kampfgenossen durch Namengebung geehrt.
5. Poesie.
Wir können uns hier kurz fassen, da es sich um bekannte^^Gattungen
dichterischer Erzeugnisse handelt: um das lyrische und das epische Volks-
lied, das volkstümliche meist geistliche Schauspiel, den Spruch und das
Sprichwort, das Rätsel, die geschichtliche Sage, das Märchen und den
Schwank.
Viele Sammlungen sind diesen Überlieferungen bereits gewidmet.
Das Kinderlied und das Kinderspiel (soweit es nicht neue kinder-
gartnerische Früchte sind) fallen auch hierher. Beide werden nicht bloss
von der Melodie (Weise) begleitet, gleich dem weltlichen und geistlichen
Liede und der Ballade, sondern auch durch r jthmische Bewegungen getragen.
Die uralte Vereinigung von Wort, Weise und rythmischer Körper-
bewegung in diesen Kinderliedern machen sie interessant; zuweilen auch
der Inhalt. Manche von ihnen deuten auf sehr alten Ursprung. Zugleich
zeigen sie, dass auch
6. Musik und Tanz in der Volkskunde einen Platz fordern.
Wie bei der Poesie, wird das Verhältnis des Volkstümlichenjzu dem
rein Kunstmässigen dabei erwogen werden . müssen.
7. In Poesie, Musik und Tanz äussert sich der Geschmack des Volkes;
aber auch im Formen- und Farbensinn. Die künstlerische und technische
Anlage muss beobachtet werden. Man wird eine Ästhetik bestimmter
Stämme oder Völker entwerfen. und dieselbe auch geschichtlich ausführen
können.
unsere Zeitschrift will der Volkskunde in den hier umrissenen Grenzen
dienen. Sie wird ebensowohl StoflF sammeln als Verarbeitungen des Stoffes
bringen.
Der StoflF kann aus der lebendigen mündlichen Überlieferung geschöpft
sein; er kann aber auch schriftlichen älteren und neueren Quellen ent-
nommen werden. Wir wollen ungedruckte ältere Aufzeichnungen bringen
und mitunter auch aus alten gedruckten Büchern besonders wichtiges
ausheben.
Unser Verein hat seinen Sitz in Berlin imd wird daher vor allem die
deutsche Volkskunde zu fördern streben; deutsch im Arndtschen Sinne:
so weit die deutsche Zunge reicht.
Aber wir wollen uns nicht auf das deutsche Sprach- und Volksgebiet
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10 Steinthal:
beschranken. Wir wünschen dringend, dass die Volksforscher in den
Niederlanden, in den skandinavischen Ländern, in England und Amerika
sich uns anschliessen und brüderlich in unsere Reihen treten. Schon die
ersten Hefte werden beweisen, dass unser Wunsch sich erfüllt.
Für die vergleichende Volkskunde ist femer von grosser Bedeutung
das Zusammengehen mit der Volksforschung in den slavischen und roma-
nischen Ländern, femer in Ungarn und Pinnland, ja überall, wo Sinn für
diese Studien sich regt, deren Material über die bewohnte Erde ver-
breitet ist.
Möge diese Zeitschrift ein Mittelpunkt für die gesamte Volkskunde
werden!
Unbefangenheit in allen nationalen Fragen ist unser Grundsatz.
An den Leser.
Von Prof. Steinthal.
Die von Prof. Lazarus und mir herausgegebene Zeitschrift für Völker-
psychologie und Sprachwissenschaft liegt in 20 Bänden vor. Seit dem
Erscheinen des ersten Heftes derselben ist so ziemlich ein Menschenalter
verflossen, und von denjenigen Männern, welche jenes wohlwollend
begrüssten, werden viele dahingeschieden sein und die gegenwärtigen
Seiten nicht mehr lesen. Was jene Bände geleistet haben mögen, will ich
nicht fragen; aber ich bin der festen Überzeugung: ehrliche Arbeit bleibt
nicht ohne Erfolg.
Von jetzt ab wird imsere Zeitschrift unter anderem Namen, sozusagen:
unter neuer Fla^e fahren; ihre Ladung wird den veränderten Verhält-
nissen entsprechend teilweise eine andere sein; aber ihr Ziel, ihr wissen-
schaftliches Streben wird dasselbe bleiben : die gründliche Erforschung des
Volksbewusstseins, des geistigen Völkerlebens.
Uns dieses Ziel wieder einmal vorzuhalten, könnte wohl jederzeit
erwünscht, erforderlich sein^ umsomehr beim Antritt der neuen Fahrt
Selbst eine teilweise Wiederholung dessen, was wir beim ersten Erscheinen
dieser Blätter (Bd. L S. 1— 73; vergl. auch Bd. XVII. S. 233- 264) gesagt
haben, dürfte den gegenwärtigen Lesern nicht unwillkommen sein.
Es war ein neuer Terminus: Völkerpsychologie, und er hat viele
Gegner gehabt. Die Psychologie überhaupt, als Wissenschaft vom
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An den Leser. 11
Mechanismus des Bewusstseins, war in unserem Jahrhundert nicht beliebt:
den Romantikem und Mystikern war sie abstossend; den Materialisten war
sie ein metaphysisches Überlebsel; selbst den Freunden der Psychologie
aber schien die Völkerpsychologie der falschen Vorstellung einer Volks-
seele Vorschub zu leisten; und endlich hatte sie gar zu innige Freunde,
welche sie darum für überflQssig erklärten, weil sie langst vorhanden sei
und ihren Fortgang schon nehmen werde. Sie alle — ob sie uns gelesen
und imsere Äusserungen geprüft haben? Gleichviel. Am ungeberdi^ten
hatten sich die letztgenannten Freunde gezeigt (Haupt, Scherer u. a.).
Ich bemerke hier nur kurz: die Geschichtsforschung erweckt das
Bedürfiiis nach der Historik, die Interpretation und Kritik nach der Her-
meneutik und der Theorie der Kritik, und niemals kann das eine das
andere ersetzen. Durch das Studium eines Lehrbuches der Historik oder
der Hermeneutik ist freilich noch niemand ein grosser Historiker oder
Philologe geworden; aber jenes Studium bleibt darum doch, neben der
Betrachtung vortrefflicher Musterleistungen der Meister, dem Anfänger sehr
nützlich, ja unentbehrlich. — Aber auch wenn das nicht wäre : so ist doch,
sollte ich meinen, eine Beobachtung der Maximen^ welche unsere grossen
Historiker und Philologen geleitet haben, und, noch tiefer gehend, eine
Erforschung der Gesetze alles geistigen Geschehens, auf welche jene
Maximen sich gründen, eine für sich bestehende und höchst anziehende
Disziplin.
Mit dem Namen Völkerpsychologie wollten wir nicht den Ruhm einer
Erfindung oder auch nur einer Entdeckung erwerben, sondern nur auf
ein erst wenig und planlos bebautes Gebiet hinweisen, das uns von weitem
Umfange und, weil höchst fruchtbar^ zur Kolonisation dringend empfehlens-
wert schien. Wir haben die Hinweisungen bei W. von Humboldt, beim
Geographen Carl Ritter u. s. w. emsig aufgesucht, und zu den damals
aufgeführten Namen hätten wir heute nicht wenige neue hinzuzufügen; wir
waren bemüht, zu zeigen, dass wir nichts Neues, nichts Unerhörtes wollten.
Um in die Völkerpsychologie einzuführen, nahmen wir drei Ausgangs-
punkte ein.
Zuerst die Psychologie im üblichen Sinne. Vor einem Menschen-
alter und darüber zurück konnte man meinen, die Psychologie sei eine
philosophische Disziplin^ und folglich gebe es soviel Psychologien als philo-
sophische Systeme, und so gebe es denn auch eine Herb art sehe wie eine
Hegeische u. s. w. Ich setze voraus^ dass heute kein Leser mehr in
diesem Irrtum befangen ist. Die Psychologie ist eine empirische Disziplin,
nach Charakter und Prinzip so empirisch wie Physik und Physiologie.
Dies prinzipiell festgestellt zu haben, ist das unvergängliche Verdienst
Herbarts, das dadurch nicht verkümmert wird, dass er selbst seine
Psychologie auf Metaphysik gegründet glaubte, und selbst sein missglückter
Versuch, für die Bearbeitung derselben auch die Arithmetik zu Hilfe zu
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12 Steinthal:
nehxuen, mag in Vergessenheit sinken oder auch jemanden zu einem neuen
Versuch reizen — immerhin lag doch diesen Berechnungen Herbarts
der fruchtbare Gedanke einer psychischen Mechanik zu Grunde. Es
war eine unübertroffene Kühnheit, wenn Herbart aussprach, die Vor-
stellungen bewegen sich in unserem Bewusstsein genau so gesetzmässig
wie die Gestirne; er sprach es aus in einer Zeit, wo man sich in dem
Taumel einer absoluten geistigen Freiheit oder einer absoluten Sündhaftig-
keit oder eines, gleichgültig durch was, unabänderlich prädeterminierten
Charakters jedes einzelnen Menschen herumtrieb. Mit diesem Grundsatz
aber, das Bewusstsein bilde einen Mechanismus, verschieden zwar vom
physikalischen, jedoch durch feste Bewegungs- Gesetze geregelt, war die
Psychologie geboren.
Derselbe Herbart aber sprach auch aus: „Die Psychologie bleibt
immer einseitig, solange sie den Menschen als alleinstehend betrachtet. **
Nur in der Gesellschaft und durch dieselbe ist der Mensch ein
geistiges Wesen und erhebt er sich über das Exemplar einer natürlichen
Art von animalischen Organismen zur individuellen Persönlichkeit. Der
Geist aber ist in Wahrheit, bevor er individuell und persönlich wird, ein
allgemeiner Geist, ein Geist der Gesamtheiten, ein objektiver Geist, und
der ist es, welcher das Objekt der Völkerpsychologie bildet. Nicht als
ob nut die Volksgeister solche Gesamtheitsgeister bildeten — es giebt
allerdings auch religiöse Gemeinde - Geister, Standes -Geister, wissenschaft-
liche und künstlerische Schul-Geister und wohl noch andere; diese alle
aber werden doch von der National -Einheit umschlossen und getragen und
stehen mit ihr in Wechselwirkung.
Wenn man mich nun fragi;: was haben denn also eure 20 Bände
geschaffen? wie, wodurch haben sie das allgemeine Wissen spezifisch
gefördert, bereichert? so meine ich (obwohl ich dies dem gerechten Richter-
spruche der Zukunft überlasse) antworten zu dürfen: ohne in den Irrtum
einer mystisch substantiellen Volksseele zu verfallen (und wie gern und
vornehm spielen gerade die Gegner der Völkerpsychologie mit der Volks-
Seele und dem National -Geiste! Haupt nicht ausgenommen), ist der
klare Begriff eines „objektiven Geistes** geschaffen und analysiert, ist über
dem Natur-Reich, obwohl auf ihm beruhend (zur Freude Piatons, meine
ich, und wohl auch Kants), ein „intelligibles Reich" oder ein „Reich von
Intelligibilien" entdeckt.
Der zweite Weg zur Völkerpsychologie geht von der Ethnologie aus.
Dieser Weg ist der sichtbarste, geebnetste, am meisten betretene. In
dieser Hinsicht wäre die Völkerpsychologie kurzweg als psychische
Ethnologie zu bestimmen, womit ja nur eine Übersetzung gegeben wäre;
und wie schon bisher ein grosser Raum der alten 20 Bände gerade dem
geistigen Leben aller Völker der Erde gewidmet war, so werden, hoffen
wir, die nun folgenden Bände als Organ des Vereins für Volkskunde dieses
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An den Leser. 13
Gebiet mit besonderem Fleisse und Erfolge anbauen. Eine nähere Be-
grenzung derselben wird bald folgen.
I^Ich mu88 zunächst das dritte Thor zur Völkerpsychologie offnen: es
bildet den Eingang von Seiten der Geschichte, d. h. der fortschreitenden
Entwicklung des menschlichen Geistes.
In dem alten Namen historia naturalis bedeutet das dem Griechischen
entlehnte historia nichts weiter als unser deutsches Kunde. Der konkreten,
descriptiven Natur-Kunde stand zur Seite oder lag zu Grunde die abstrakte,
rationale Physik (mit Chemie) und Physiologie. In neuester Zeit ist,
wenigstens im Prinzip, wenn auch noch wenig ausgeführt (durch Darwin
und seine Schüler), der Gedanke einer Geschichte der Natur, d. h, der
Erde in ihrer allmählichen Gestaltung und der auf ihr lebenden vegetativen
und ^animalischen Organismen nach ihren immer höher entwickelten Arten
vom ursprünglichsten Lebewesen bis zum Menschen als der höchst stehenden
Tier- Art geschaffen und populär geworden. — Wir können uns einer
solchen Erweiterung oder Erhöhung der Natur-Kunde zur wirklichen
Natur -Geschichte nur freuen, wenn auch thatsächlich die Erfolge der
letzteren noch unvollständig und meist unsicher sind. Allemal aber wird
sich doch die Geschichte des Geistes von der Geschichte der Natur ebenso
unterscheiden, wie sich überhaupt Geist von Natur unterscheidet. Wenn
wir nicht imstande sind, diese beiden so zu definieren, wie die Gesetze
der Logik es erfordern, so rührt es eben daher, dass sie gar nichts
gemeinsam haben. Darum ist zwar einerseits die Unterscheidung beider
so unmittelbar gegeben, dass niemals auch nur der geringste Zweifel
darüber entstehen kann, ob irgend eine Erscheinung eine physische ist
und eine physikalische Erklärung fordert, oder ob sie eine psychische ist
und auf psychologische Gesetze zurückgeführt werden muss; andererseits
aber, da beide nichts mit einander gemeinsam haben, können wir sie niur
als zwei letzte Begriffe schlechthin aufstellen, ohne ein beide umfassendes
Genus mit spezifischen Differenzen zu bilden, wie es die Definition
erforderte. Für uns ist es genug, zu sagen: Geist Bewusstsein; aber
wir können eben auch nicht sagen, was Bewusstsein ist, und wir haben
nur etwa im tiefen Schlaf ein Analogon des Bewusstlosen, also der Natur.
Der wesentliche Unterschied zwischen der Entwicklung der Natur
und dem Fortschreiten des Geistes erfolgt aus dem immateriellen Wesen
der Vorstellungen oder des Bewusstseins, welche weder sinnliche Qua-
litäten haben, noch auch wie Naturkräfte wirken. Dies zeigt sich in drei
Punkten:
1. Die Natur entwickelte sich, indem aus der einen Art eine andere
höhere Art entstand; der Geist macht seine Fortschritte, während der
Mensch immer derselben Art bleibt.
2. Die organische Vererbung vollzieht sich von einem Individuum
auf ein anderes, aus ersterem leiblich ausgelöstes, Individuum; die geistige
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14 Steinthal:
Vererbung geht von Generation auf Generation, weil eine menschliche
Gesamtheit (Volk, Gemeinde) eine konkrete Einheit bildet, während die
Art nur ein abstraktes Kollektivnrn bildet.
3. Die Pflanzen- und Tier -Arten entwickeln sich, indem sie sich der
Umgebung, in welche sie geraten, anpassen; der Mensch dagegen eignet
sich die Umgebung an.
Damit soll der in neuester Zeit so eifrig betriebenen, von Pechner
(wenn auch aus falscher Metaphysik, doch mit vollem Recht und vielem
Glück nach dem Vorgange der Physiologen, insbesondere der Gebrüder
Weber) begründeten Psycho-Physik (warum nicht Physio-Psychik?)
nichts von ihrem Wert und ihrem festen Boden abgesprochen werden.
Denn wenn auch Geist und Natur gar nichts mit einander gemeinsam
haben, und auch der BegriflF der Kausalität auf das Verhältnis der beiden
zu einander durchaus uuanwendbar ist; wenn auch der Geist weder
Materielles schaffen, noch auch unmittelbar bewegen kann (denn das hiesse:
hexen), und andererseits die Materie weder Gefühl, noch Empfindung
erzeugen kann: so besteht doch zwischen dem Materiellen und dem Psy-
chischen ein Zusammenhang, eine Korrespondenz nach festen Proportionen,
die sich in bestimmten Massen und Gesetzen erfassen lässt. In dieser
Hinsicht mag es auch in Zukunft einmal eine Gehirn -Physiologie von
psychologischer Bedeutung geben, wie es eine Physiologie der Sinues-
thätigkeit schon giebt. Jede Empfindung ist ein seelisches Erzeugnis nach
Massgabe der physiologischen Thätigkeit des Sinnes -Organs. So ist z. B.
Kurzsichtigkeit eine geistige Schwäche in Zusammenhang mit der Gestaltung
des Seh -Organs, und ebenso Aphasie mit Störungen des Gehirns. Mehr
aber als Physiologie der Sinne ist einstweilen die Psychophysik nicht und
kann sie nie werden.
Doch dies nur nebenbei zur Feststellung der vollständigen Verschieden-
heit der Entwicklung oder Geschichte des Geistes von der Natur- Geschichte
in neuerem Sinne. Es giebt allerdings, wie für den Einzelnen, so auch
für die Völker eine Physio-Psychik (wie Einfluss des Landes nach Klima,
Lage, Bodenbeschaffenheit auf den Volksgeist); aber wie es rein psycho-
logische Gesetze für die Entwicklung des Einzelnen giebt, eine Mechanik
des Bewusstseins an sich: so giebt es auch Gesetze für die geistige Ent-
wicklung der Völker, und diese Gesetze stellt die Völkerpsychologie dar.
Diese ist also die eigentliche Historik, und deren Aufgabe ist es, der
erzählenden und darstellenden Geschichte in ähnlicher Weise die rationale
Grundlage darzubieten, wie die Physik und Physiologie dieselbe für die
Naturgeschichte bildet.
Nun hat sich aber in neuester Zeit in der Soziologie ein viertes
Thor der Völkerpsychologie eröf&iet Diese jüngste aller Disziplinen hat
sich in Darwins Gefolge gebildet Bekanntlich war der Gründer der
Descendenz- Theorie nicht zuerst durch Beobachtung der Natur auf die
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An den Leser. 15
Idee Yom Kampf ums Dasein geführt; sondern er hat dieselbe durch einen
Blick auf den menschlichen Verkehr gewonnen. So war es ein sehr
begreiflicher Rückschlag, dass die Grundsätze, welche auf die Natur-
Entwicklimg angewandt waren, weiter auch das gesellige Leben der
Menschen erleuchten sollten. Paul von Lilien feld (Gedanken über die
Sozialwissenschaft der Zukunft) macht seinen Vorgängern den Vorwurf,
dass sie, wie das Tier, so auch den Menschen immer nur als Einzelnen
betrachten, niemals aber die menschliche Gesellschaft als „reale Einheit^,
,yrealen Organismus^ erfassen, innerhalb dessen der Einzelne die Rolle
einer Zelle spielt. Der Standpunkt, den er dabei inne hält, soll der der
Psychophysik sein, und so hat der dritte Band seines genannten Werkes
den besonderen Titel: „Soziale Psychophysik". So wäre eigentlich Sozio-
logie, da sie ganz und gar psychologisch sein muss, und andererseits Völker-
psychologie, da sie die Erforschung der psychischen Vorgänge in der
menschlichen Gesellschaft zur Aufgabe hat, insofern durchaus identisch.
Der Unterschied liegt bloss darin, dass die Soziologie sich nur mit den
praktischen Verhältnissen der Gesellschaft befasst, also mit der Rechts-
Ordnung und der staatsbürgerlichen Verfassung, wie auch mit den national-
ökonomischen Beziehungen, dagegen das contemplative Leben nicht berührt.
So würde die Soziologie eben die eine Hälfte der Völkerpsychologie bilden ;
ihr Objekt wäre die Civilisation der Völker in Gegensatz zu deren Kultur
(wenn man Civilisation und Kultur mit W. von Humboldt so unter-
scheidet). Nachdem man also die Natur -Reiche in ihrer gesamten Ent-
wicklung hindurch verfolgt hat, gelangt man schliesslich auf das Getriebe
der menschlichen Gesellschaft. In dem Leben der Tiere fehlt das psy-
chische Moment und die Geselligkeit nicht durchaus, macht sich aber nur
stellenweise geltend; im Leben der Menschen ist beides aufs Entschiedenste
massgebend. Also kurz, was wir Völkerpsychologie nannten, heisst nach
der Richtung derselben auf die Praxis der Völker dem Darwinisten Sozio-
logie.
Was liegt am Namen? Insofern er bloss Laut ist, gar nichts; wenn
er bloss ein aufgeklebter Zettel einer Schachtel wäre, dürfte er klingen
wie er mag. Wir sind aber gewöhnt, bei jedem Wort (und der Name
einer Disziplin ist ein inhaltsschweres Wort) etwas zu denken. Lilien-
feld aber irrt, wenn er meint, Psychophysik sei „eine auf naturwissen-
schaftlicher Methode begründete Psychologie**. Ohne Stolz und ohne
Demut muss ich mich frei von dem Aberglauben der allein Erkennt-
nis schaffenden naturwissenschaftlichen Methode erklären. Ich
habe oben von der Berechtigung der Psychophysik gesprochen. Lilien -
feld glaubt exakt zu verfahren, während seine ganze Konstruktion der
Soziologie nur auf Analogie^n beruht. Der soziale Organismus besitzt
nur Nervenzellen und nur Nervengewebe, sagt Lilienfeld; die soziale
Zelle aber sei die Person. Besteht hier wirklich Einheit des Wesens
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16 Steinthal: An den Leser.
zwischen der Funktion der Nervenzelle und der Person? Die Sozial-
Wissenschaft wird von Lilienfeld bald „als Zweig der Naturkunde",
bald als „Hilfswissenschaft" derselben gepriesen. — Ausser den Nerven-
zellen gebe es auch eine Intercellular- (Zwischenzellen-) Substanz. Diese
werde in der Gesellschaft dargestellt durch Sprache, Geld, Kunstwerke u. s. ^w.
Ist dies mehr als Analogie? Wird hierbei der soziale Organismus wirklich
als ein „realer" aufgefasst oder bloss in Analogie zu einem solchen? Ich
meine, so lange man nicht begreift, dass der Geist etwas Wirkliches, ob-
wohl nichts Körperliches, ist, so lange kann man auch nicht begreifen,
wie der soziale Organismus, obwohl geistig, doch durchaus eine Bealitat
haben kann. Analogien zwischen Geist und Körper werden sich in Fülle
darbieten; aber sie beweisen nicht Gleichheit und Selbigkeit des Wesens
beider. „Die Begriffe Freiheit, Moral, Recht, Religion u. s. w. erhalten
durch solche Analogien keinen realen Boden."
Dagegen will ich schon hier auf eine Arbeit verweisen, die später
genauer besprochen werden soll, von G. Simmel: „Über soziale Differen-
zierung. Soziologische und psychologische Untersuchungen" (Staats- und
sozialwissenschaftliche Forschungen. Herausgegeben von G. Schmoller.
Bd. X. Heft 1). Verf. bezeichnet in der Einleitung den psychologischen
Charakter der Soziologie sehr scharf (wenn er auch den Terminus „objek-
tiver Geist" meidet), und betrachtet von disem Standpunkt aus die
Kollektiv-Verantwortlichkeit nach ihrer verschiedenen Bedeutung in den
verschiedenen Zeiten, dann weiter, hieran anschliessend, das wandelbare
Verhältnis der Individualität zur Gruppe, innerhalb deren sie steht; end-
lich das Prinzip der Kraftersparnis als ebenso wichtig für das psychische
und speziell das sosiale Leben, wie für die Entwicklung der Natur-
Organismen. In diesen Darlegungen wird überall nicht mit Analogien
getändelt, sondern man fühlt sich wirklich auf dem festen Boden einer
exakten Betrachtung psychischer Verhältnisse und Erscheinungen.
So habe ich nur noch für die weitere Ausführung des Gesagten teils
auf unseren Aufsatz im ersten Hefte des ersten Bandes dieser Zeitschrift,
wozu noch Bd. XVH. 233—264 und XVHI. 311—324 zu vergleichen sind,
teils auf die gedrängtere Übersicht unseres verehrten Herrn Weinhold
im ersten Hefte des zwanzigsten Bandes, endlich auf das demnächst als
viertes Heft desselben Bandes erscheinende General -Register für alle
zwanzig Bände zu verweisen.
Schliessen aber will ich mit der Bemerkung, dass die wissenschaftliche
Volkskunde, wie eng oder weit man deren Gebiet abstecken mag, immer
eine psychologische Disziplin sein wird. Aller Geist, auch der hervor-
ragendsten Individuen (wie Luthers, Lessings), liegt im Volke; der
National -Geist ist entweder Ausgangs- oder Endpunkt oder beides für.
jeden individuellen Geist. Daher bezeichnet Völkerpsychologie oder
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Schwartz: Volkstümliche Schlaglichter. 17
wissenschaftliche Volkskunde nicht einen bestimmten Ausschnitt der
geistigen Betätigung, sondern nur eine besondere Weise der Betrachtung.
Ist diese mehr synthetisch, so nennen wir sie völkerpsychologisch; ist sie
mehr analytisch, so rechnen wir sie zur Volkskunde und zur Geschichte.
VoUtstümliclie Schlaglichter.
Von Wflhelm Schwartz.
Wenn Sammlungen von Sagen und Aberglauben den Kultur- und
namentlich den wissenschaftlichen Kreisen das Verständnis des Volks-
glaubens vermitteln, so gehören dazu als Ergänzung eines richtigen Bildes
von dem ganzen Denken und Empfinden der „volkstümlichen" Kreise in
jenen, wie in den übrigen mannichfachen Lebensverhältnissen, gleichsam
Gallerien von kleineren Genrebildern, in denen sich auch in jenen Schichten
das allgemein Menschliche, wenngleich in primitiveren, beschränkteren und
oft roheren Lebensformen, abspiegelt*).
Derartiges erscheint zumal für eine wissenschaftliche Volkskunde
heutzutage um so notwendiger, je mehr das ganze europäische Kulturleben
sich immer ideeller wie rationeller entwickelt, und Litteratur, Wissen-
schaft und Kunst die Kluft erweitert haben, welche überall schon da ent-
steht, wo, neben einem natürlichen, den mehr ländlichen Kreisen anheim-
fallenden Volkstum, sich ein reicheres Kulturleben an einzelnen Central-
stellen in besonderen Lebensgestaltungen zu entfalten beginnt.
Zwar ist mit der politischen Entwicklung Europas seit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts in der Wissenschaft prinzipiell die Verachtung
geschwunden, mit der damals die gebildete Welt in dem idealen Auf-
schwung, welchen sie selber zu nehmen anfing, auf die Sprache und das
ganze Leben und Treiben der unteren Stände hinabzusehen sich gewöhnt
hatte. Aber das Verständnis desselben wird noch vielfach behindert durch
den täglich sich im Gefühl jedes Einzelnen bewusster oder unbewusster er-
neuenden Gegensatz zwischen einem nach idealer Schönheit ringenden Kultur-
1) Gelegentlich hab^ ich schon auf derartiges hingewiesen in Artikeln wie «Von eJB^-
zelnen Ueberresten des alten Naturzustandes in der heutigen Lebensweise der Deutschen",
„Homer und der alte Fritz im Volksmund'', ^Mark^af Hans im Könifrl. Museum zu Berlin**,
die in den „Prähistorischen Studien**, S. 112 ff., 141 f , 502 f. wiederabgedruckt sind. Vergl.
daselbst die kr oihistoiisch- pädagogischen Miscellen, & 879 f. und 207 Anh.
Zeitschrift d. Vereins f. VoUukunde. 1891. 2
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Xg Schwartz:
leben, dem er seiner Bildung nach selbst angehört, und den beschränkten
oder formlosen, ja oft in roher Natürlichkeit ihn zunächst oft unangenehm
berührenden Lebensformen der seitab lebenden Massen. Und dennoch
liegt in dem richtigen Erfassen des Kerns jener der Schwerpunkt der
Sache und überhaupt die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Behandlung
des Volkstums.
Denn das Volkstum ist nicht bloss ein lebendiges, stets sich erneuendes
Reservoir der Lebenskraft einer jeden Nation, sondern auch das Prototyp
und die Grundlage ihres ganzen Denkens und Empfindens, wie es auf den
Höhen der Kultur und der Bildung zum vollen Ausdruck gelangt und der
Nation ihren weltgeschichtlichen Charakter verleiht. Und wenn hiemach
die Volkskunde schon zu einem Objekt der historischen Wissen-
schaft wird, so weitet sich, als selbständige Wissenschaft gefasst, die
vergleichende Volkskunde zu einer Völkerpsychologie, welche im
Leben der Völker das allgemein Menschliche in seinen mannichfachen
Gebilden und Phasen verfolgt, in denen es historisch in die Erscheinung
getreten ist oder noch lebendig sich gelegentlich im einzelnen vor unseren
Augen bekundet.
Die Vergleichung der verschiedenen Volkstypen eröffnet aber nicht
bloss weitere Perspektiven, sondern bringt auch meist erst die einzelnen
Pakta in ihre richtige Stellung und lehrt ihren natürlichen Ursprung,
sowie ihre Weiterentwicklung richtig fassen.
Die Blutrache erscheint z. B. bei einem Volke vom Standpunkt der
heutigen Gerechtigkeitspflege civilisierter Völker aus zunächst als eine rohe
und grause Sitte. Die vergleichende, in die Anthropologie auslaufende
Volkskunde knüpft aber bei Betrachtung derselben an Analogien, besonders
innerhalb der ersten Gestaltungen menschlichen Lebens in Familie, Ver-
wandschaft und Stamm an und lehrt uns, dass für diese Zeit die Blutrache
ein Fortschritt und der erste Schritt auf dem Gebiet einer natürlich sich
entwickelnden Gerechtigkeitspflege war, indem nach ihr ein Totschlag
nicht mehr straflos blieb, sondern die Familie, bezw. der Stamm, den Mord
eines der Ihrigen zu rächen als eine natürliche Aufgabe oder Pflicht ansah.
Wenn dann weitere Phasen zeigen, wie in fortschreitender Entwicklimg
des Lebens zu mehr staatlichen Zuständen mit der Zeit der Träger der
Rache, bezw. die Form der Verfolgung, wechselte und sich dabei allmählich
im Anschluss an ethisch- religiöse Empfindungen das Gefühl einer sühnen-
den Gerechtigkeit in der Welt in den Gemütern anbaute, und aus dem
rohen Wiedervergeltungsakt so ein „gerichtliches" Verfahren wurde, so
stellt die Anthropologie damit fest, wie aus einem rein naturalistischen
Zustande durch eine Kette von Entwicklungsstufen sich allmählich ideellere
Formen und Grundsätze gebildet haben.
Dass aber jener das Ursprüngliche gewesen, findet seine Bestätigung
darin, dass selbst unter civilisierten Verhältnissen noch immer gelegent-
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Volkstümliche Schlaglichter. 19
lieh die Leidenschaft der Menschen in einzelnen Fällen einen Anlauf
genommen hat oder noch immer nimmt, persönlich dem Rachegefühl nach-
zugehen. Es erneuen sich eben mit jedem Geschlecht die natürlichen
Triebe und werden nur durch das öffentliche Leben, bezw. die Erziehung,
in gewisse Formen und Schranken zurückgedrängt.
Aus diesem Umstand aber erwächst dem Völkerpsychologen bei seinen
Forschungen die Aufgabe, zu den einzelnen Erscheinungen dieses oder
jenes Volkstums überall Analogien in den ihn umgebenden Kreisen zu
suchen, um den allgemein menschlichen Charakter, der sich in jenen aus-
prägt, richtig zu verstehen und zu verwerten.
Um noch ein analoges Beispiel des geschilderten Entwicklungsprozesses
anzuführen, so treten ähnliche Phasen un3 Beziehungen wie bei der Blut-
rache in der Entwicklung des Verhältnisses der Geschlechter zu einander,
im Zusammenleben beider und in einer daran sich schliessenden Familien-
grappe, als der ersten dauernden Gemeinschaft von Menschen im gemein-
samen Kampf um das Dasein hervor. Aus dem Natürlichen entwickelt
sich auch hier erst mit der Zeit das Ideelle, der Begriff der Ehe als eines
geistigen, Individuen verschiedenen Geschlechts für das lieben vereinenden
Bandes. Wenn die Sinnenwelt es knüpft, so bauten die Bedürfnisse des
Lebens allmählich das Verhältnis aus. Die tägliche Sorge für die Ernährung
und für die EJeidung, deren Materialien der Mann herbeischafft, schufen
die Stellung der Hausfrau, ebenso wie die Erziehung oder, genauer
gesprochen, die allmähliche Verwendung der heranwachsenden Mitglieder
der Familie im Dienst derselben die Herrschaft der Mutter weitete.
Yirchow hat vollständig recht, wenn er von diesem Standpunkt ausführt,
dass erst beim Sässigwerden der Menschen „am Kochherd'' die Kultur-
aufgabe des Weibes für jene Zeiten zum vollen Ausdruck kam.
Unseren ideeller gestimmten Zeiten klingen freilich solche Betrach-
tungen zunächst fast unwürdig. Die erwähnten Verhältnisse haben aber,
wenn sie gleich heutzutage nach den jetzigen Kulturzuständen mehr zurück-
treten, nicht bloss immer noch ihre Analogien, sondern sogar noch immer
eine gewisse reale Bedeutung, und in der Erkenntnis dieses Umstandes
liegt der Beweis der Richtigkeit der angedeuteten anthropologischen Ent-
wicklungstheorie, wie schon von Haus aus die Vergleichung mit der Gegen-
Mrt im Einzelneu das Verständnis für die Verhältnisse überhaupt erschliesst.
Wie die Jägervölker am Weibe vor allem schätzen, wenn sie gut die
Pelle zusammennähen und für die Kleidung sorgen kann, auch noch
Homer für die Griechen es vor allem am Weibe preist, wenn sie des
Webens wohl kundig ist, und wie bei den Ariern dann allgemein besonders
^ Herde sich die Tüchtigkeit der Frau weiter bewährt, ist es nicht nur
IQ den Arboiterkreisen bei uns auch noch heutzutage ein Hauptmoment
^ der Ehe, — über dessen Mangel nicht die schönsten lledensarten hinfort-
iielfen, — ob die Frau den Mann imd die Kinder ordentlich „benäht",
2*
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20 Schwartz :
wie es heisst, d. h. ganz in der Kleidung erhält, und ob zur rechten Zeit
der Kochtopf voll ist, sondern auch in den höheren Schichten vibriert
dasselbe Moment, nur in anderen Formen, noch immer hindurch! Wenn
hier der Mann der Familie durch sein Thun im grossen Ganzen den
Stempel aufdruckt, so beruht die Kontinuität und gleichsam Dauerhaftig-
keit derselben doch mehr auf den täglichen Lebensgewohnheiten, welche
die Frau ihr und dem Nachwuchs gegeben.
Den natürlichen Faden der Entwicklung aber stets festzuhalten,
ja ihn überhaupt der Wissenschaft zu vermitteln, ist gerade eine Haupt-
aufgabe der Volkskunde. Nicht bloss Tacitus ging fehl, als er den alten
Deutschen unterschob, sie hätten keine Tempel, weil sie glaubten, das
Göttliche nicht in Wände einschränken zu dürfen, sondern es ist derartiges
eine allgemeine Stubengelehrtenkrankheit, die überall da hindurchbricht,
wo die Wissenschaft und Litteratur nicht in Fühlung mit dem Leben
bleibt. Will man doch z. B. selbst noch aus Homer und dem griechischen
Altertum, wo der natürliche Hintergrund doch noch überall sichtbarlich
hindurchblickt, ihn möglichst ausmerzen, wenn er einmal schärfer unserem
modernen Gefühl oder Geschmack widerspricht*).
Deshalb erschien es mir nicht ungeeignet, zur Vorbereitung einer
Charakteristik des Volkstümlichen in diesem Sinne, dasselbe einmal in
seiner Eigentümlichkeit auf verschiedenen Gebieten, wie es überall noch,
namentlich auf dem flachen Lande und in den kleinen Städten, gelegent-
lich in einzelnen Zügen charakteristisch hervortritt, gleichsam an prak-
tischen Beispielen zu verfolgen. An die Spitze möchte ich eine Samm-
lung charakteristischer Volksmiscellen stellen, wie sie mir bei dem
Verkehr mit dem Volke einst auf langiährigen Wanderungen in
der Mark und dann überhaupt in Norddeutschland behufs Sammeln
von Sagen und dergleichen"), gelegentlich entgegengetreten sind, und in
denen das allgemein Menschliche zu einem für den Volkstypus bezeich-
nenden Ausdruck gelangt und zu denen auf den Höhen des Lebens in der
1) Wenn z. B. Antigone beim Sophokles in ihrer Erregtheit vom „natürlichen*" Stand-
punkt aus auseinandersetzt, dass der Bruder ihr höher stände als ein Gatte oder ein
eigenes Kind, denn beide könnte sie wieder bekommen, aber nachdem Vater und Mutter
tot, einen Bruder nicht. Oder Jokaste dem Oedipus seine Sorgen ausreden will mit
der Bemerkung, „dass viele Menschen auch in Tr&uroen schon sich vermählt sahen ihren
Müttern". Man muss solche Stellen nicht von unserem Gefühl, sondern von der Anschauung
des betreffenden Volkes aus auffassen, ebensowenig wie man in Homers Ilias die Verse
ausmerzen darf, in denen der Dichter den Odjsseus dem Thersites, um den widrigen
Schw&tzer zur Ruhe zu bringen, eins mit dem Scepter überziehen l&sst, indem man es für
„feiner'' erachtet, wenn er ihm nur Schläge androht
2) Vergl. A. Kuhn und W. Schwartz, Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche
aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover,
Oldenburg, Westfalen. Aus dem Munde des Volks gesanunelt. Berlin 1849. DesgL die
Märkischen Sagen vom Jahre 1843,, bezw. die Volksausgabe, Berlin bei Hertz, vom
Jahre 1886.
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Yolkstümliche Schlaglichter. 21
Form entsprechende Analogien sich finden, welche nur den kleinen Inter-
essen entrückt und, von geistigeren Strömungen getragen, eine idealere
Gestaltung zeigen.
Denn, wie ich auf mythologischem Gebiet auf die „volkstümlichen
Naturanschauungen*^ als die ^Grundlagen der entwickelten Göttersagen**
hingewiesen habe^ so spiegeln ähnlich sich auch im übrigen Volksleben
alle Richtungen des allgemein Menschlichen ab. Und wenn sie unter dem
Druck des alltäglichen Lebens sich nicht voller und breiter entwickeln
und ihnen ein beschränkter Horizont, sowie enge Verhältnisse den Stempel
aufdrücken, so fehlt es ihnen doch nicht gelegentlich an Innigkeit und
Tiefe des Empfindens, sowie an Schärfe der Auffassung und reicher Lebens-
erfahrung, was nur eben bei der natürlichen Naivetät oder gar Derbheit
in der Form, in der sie gebildeterem Leben gegenüber erscheinen, oft nicht
voll erkannt wird.
Wenn der I. Abschnitt „Volksgeschichten und kulturhistorische
Parallelen in ihren Analogien und Kontrasten** bietet, so denke ich in
einem 11. „Von der volkstümlichen Naturkenntnis", in einem III. dann
von der „Farbenkenntnis des Volks** zu handeln, während ein IV. „Die
Weltgeschichte im Spiegel des Volkstums** schildern soll. Es sind dies
Gesichtspunkte, wie sie sich mir bei den betreffenden Studien im Volke
selbst bedeutsam aufgedrängt haben.
I. Volksgeschiehten und kulturhistorisehe Parallelen.
Zunächst also ein paar einfache kulturhistorische Parallelen, in denen
sich die Höhen und Tiefen des Lebens in denFormen begegnen und
nur in den Motiven auseinandergehen.
„Sokrates und der Ruppiner Tagelöhner.** Plato schildert uns
in erhebender Weise in seinem Phaedon, wie Sokrates sich auf seine
Sterbestunde vorbereitet. „Es ist der Philosoph, der von der Welt scheidet
in dem Gefühl, zu höheren Sphären einzugehen.** Gelegentlich flicht Plato
nun einige Züge ein, die Sokrates uns wieder „menschlich** näher bringen,
damit aber um so bedeutsamer indirekt die „ideelle Höhe**, zu der er sich
emporgerungen, hervortreten lassen. So lässt er ihn, ehe er den Gift-
becher trinkt, sagen, „er wolle ein Bad nehmen, damit er nicht
nachher den Leichenfrauen viel Arbeit mache***).
Dazu stellt sich eine Ruppiner Geschichte von der Sterbestunde eines
Tagelöhners, die in ihrer naiven Form mir als eine Art Humoreske
erzählt wurde, aber, abgesehen von dem verschiedenen Hintergrund und
den verschiedenen Motiven, denselben Charakter hat. — Der Mann merkte.
1) Joxtl yag dii ßilitor elvaty Xovadfueror nutv to tpaQfjLaxov ttaX /u^ nQayfiaia
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22 Schwartz:
dass dio Todesstunde nahe. Nach einem langen Leben voller Arbeit und
Sorgen sah er ruhig dem allgemeinen Mensehenlos entgegen. Er hatte
in seinem Gefühl gleichsam „ausgelebt*^! Nachdem er sich und alles
bestellt, sagte er zu seiner Frau: „Mutter, jetzt geht es bald zu Ende.
Nun könntest Du den Barbier holen, damit er mich noch einmal
rasiert. Sieh, jetzt kostet es einen Sechser, und wenn er es nachher
(bei der Leichenwäsche) thun soll, kostet es 2gr.!"
Die Sache kommt in beiden Fällen fast auf dasselbe hinaus. Aber
den Tagelöhner, welcher zeitlebens jeden Groschen umgekehrt hatte, ehe
er ihn ausgab, bestimmte dem entsprechend nur dabei die Rücksicht auf
die sonst erwachsenden Mehrausgaben, während Sokrates ein ethisches
Gefühl, die Humanität gegen die armen Wäscherinnen, auf einen ähn-
lichen Gedanken brachte.
„Ich weiss nicht, wie ich es ihm beibringen soll.'' Die Witwe
eines Tagelöhners in demselben Ort hatte früher bei einer verwitweten Majorin
ebendaselbst gedient, und diese bewahrte der früheren treuen Dienerin
stete Teilnahme. Oft traf sie selbige auf dem Kirchhof, wenn sie das
Grab ihres Gatten dort besuchte, und sprach mit ihr dann dies oder jenes
Wort, bei welcher Gelegenheit sie erfuhr, dass die Tagelöhnerwitwe stets
am Grabe ihres Mannes in treuem Rapport mit dem Toten blieb, ihm
alles berichtete, was zu Hause passierte, wie es mit dem kleinen Anwesen,
das sie gehabt, gehe, ob das Schwein gedeihe u. dergl. m.
So ging es ein Paar Jahre.
Da traf sie einmal die Frau ganz beklommen am Grabe ihres Mannes,
mit Thränen in den Augen, stehend. Als sie selbige fragte, was sie denn
habe, antwortete jene: „Ja, ich weiss garnicht, wie ich es ihm (dem Toten)
beibringen soll. Ich will wieder heiraten,*' und dabei stockte sie. Nun,
sagte die Dame, das ist doch nachgerade auch nicht schlimm, er ist ja
schon lange tot. „Das wäre auch richtig,'^ meinte jene, „sie schäme sich
nur zu sehr, ihm zu sagen, dass sie schon in anderen Umständen sei," und
dabei brach ein Thränenstrom hervor.
Die kleinen Verhältnisse decken hier mit dem Schleier des Humors
den alten Volksglauben, der meinte, im Rapport mit den Geistern der Ver-
storbenen bleiben zu können, und das Grab als den natürlichen Vermittlungs-
punkt dafür fasste. In der Sache ist es aber dasselbe, als wenn Atossa
beim Aeschylos am Grabe des Darius ihm das Leid klagt, das ihr heiss-
sporniger Sohn über Persiens Volk gebracht. Die eine Scene bewegt sich
nur eben in beschränktem Lebenskreise und weckt so heutzutage, wo auch
der Glaube selbst geschwunden, fast mehr Humor, — voller Ernst war es
der Tagelöhnerfrau aber auch, — während Atossas Auftreten auf der Höhe
eines nationalen Lebens in dem welterschütterndeu Ringen der Griechen
und Perser, zumal der Glaube damals noch das Beschwören des Schatten
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Yolkstfimliche Schlaglichter. 23
des Darius und sein Erscheinenlassen dem Dichter gestattete, im vollsten
Pathos der Weltgeschichte wirkt.
Wenn aber gleich heutzutage das Beschwören der Toten ein abgethaner
Glaubenssatz ist, so wirkt ihr angebliches Erscheinen im Traume doch
noch immer wie in der Urzeit gelegentlich auf die Überlebenden ein;
Visionen, wie sie nie ganz aufhören werden.
Ich habe in den kulturhistorischen Studien aus Plinsberg vom
Jahre 1877*) schon eine in dieser Beziehung charakteristische Geschichte
mitgeteilt.
Eine Frau, deren Mann gestorben, kommt nach einigen Tagen zum
Prediger und klagt ihm ihr Leid. Sie wolle nur gestehen, sagt sie, sie
hätte ihren Mann in einem zerrissenen Hemde begraben, nun liesse es ihr
keine Ruhe, die Nachbarn hätten es ihr gleich gesagt. Alle Nacht käme
ihr Mann (im Traume) und klage ihr, er werde mit seinem zerrissenen
Hemde nicht in den Himmel kommen. Ob es nicht möglich sei, ihn
noch einmal auszugraben, und das zerrissene Hemde durch ein ganzes zu
ersetzen.
Der Volkshumor deckt auch hier das Bild, indem er den Geistlichen,
nachdem er durch Fragen herausbekommen, das Loch sei hinten im Hemde
gewesen, die Frau tröstet, indem er sagt, dann könne sie ruhig sein, ihr
Mann sei stets im Leben ein solcher Schlauberger gewesen, der werde
sich auch schliesslich bei Petrus so an der Wand entlang drücken, dass
jener das Loch nicht bemerke u. s. w. Aber abgesehen von dem humo-
ristischen Motive und dem dadurch bedingten Charakter stellt sich die
Geschichte als gleichartig zu den Scenen bei Homer, wenn des Patroklos
Geist dem Achill im Traume erscheint und um baldige Bestattung bittet
oder bei der Beschwörung der Toten von Seiten des Odysseus des Elpenor
Schatten jenen ebendaran mahnt, weil er sonst nicht in das Reich der
Seelen Eingang fände. Die letztere Geschichte bildet sogar im Charakter
eine Art Übergang zwischen den beiden anderen. Das Erscheinen des
Patroklos tritt mit vollem heldenmässigen Pathos ein, während des Elpenors
Tod, wie der unerfahrene Mensch trunken sich auf das platte Dach legt,
um auszuschlafen und, als er erwacht, noch halb im Schlaf, herunterstürzt,
in ihrer ganzen Ausführung auch schon mehr nach einem etwas rohen
Volkshumor schmeckt.
Auf fast allen Lebensgebieten treten solche Parallelen bezw. Kontraste,
wie die gezeichneten, hervor, selbst auf politischem, nur dass der ver-
schiedene Horizont hier doppelt stark im Kontrast der Form sich geltend
macht, je nachdem der Repräsentant der Kultur mit weitem Blick oder
der Vertreter des Volkstums von seinem beschränkteren Standpunkt aus
1) Pr&historisch-anthropologische Stadien. Berlin 1884. S. 373 ff.
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24 Schwartet
die Dinge beurteilt. So erlebte ich einmal ein charakteristisches Beispiel
in der Parallele, bezw. Differenz der Ansicht des bekannten Professors und
„Abgeordneten Stahl und der eines westfälischen Bauern** über
die Güte des konstitutionellen Systems.
Stahl äusserte nämlich u. A., dasselbe hätte die gute Seite, dass es
gleichsam ein Ventil sei, in dem sich alle Unzufriedenheit imYolke Luft
machen könne, und so die kranken Stellen im Volksleben zu Tage träten.
Ähnlich fasste es ein westfälischer Bauer auf, der mich im Winter 1848/49 be-
suchte. Als richtiger Westfale hatte er natürlich einen Prozess, wie auch
schon der erste Westfälinger nahe daran war, einen solchen mit Christus
anzufangen, als dieser ihn auf Wunsch St. Peters geschaffen hatte, wie sie
durch Westfalen kamen und das Land noch menschenleer und nur wilde
Schweine in den Eichenwäldern fanden '), und Petrus Christus gebeten
haben soll, das Land auch mit Menschen zu bevölkern. Da der Prozess
meines Westfalen schon in der letzten Instanz beim Kammergericht
schwebte, kam unser Kolon, er gehörte noch zu den alten bei Herford,
die ihr Geschlecht mit Wittekind in Berührung bringen, nach Berlin und
wollte durch mich einen tüchtigen Rechtsanwalt haben. „Ich brauche so
einen recht „niederträchtigen" (gewitzten), sagte er, „Wal deck oder
Stieb er, denn die Sache ist schwierig *). Natürlich konnte ich ihm weder
den einen noch den anderen schaffen. Bei dieser Gelegenheit meinte er
nun u. A.: „Ach mit der Nationalversammlung, die der König berufen
hat, das ist dummes Zeug. Da erfährt er doch nicht, wie es im Lande
aussieht. Wenn er meinem Rat folgte, dann müsste an einem be-
stimmten Tage überall mit Glockengeläut die ganze Gemeinde
zusammenberufen werden. Und dann müsste jeder ungestraft
sagen können, was ihm auf dem Herzen läge. Und das müssten
dann kluge Männer zu Papier bringen, dann würde der König
schon sehen, wie es im Lande aussieht und wie zu helfen".
Stahl sprach von der Höhe politischen Lebens, der Sohn der roten
Erde von dem beschränkten Standpunkt seines Kirchspiels aus. Die Idee
war sonst ziemlich dieselbe, nur kleiidete sie jeder von beiden nach seinem
Standpunkt in verschiedene Formen. —
Es mögen nun ein paar Geschichten folgen, in denen sich entweder
1) Dem Petrus soUen n&mlich die berühmten westfälischen Schweineschinken schon
im Geiste vorgeschwebt haben, die es dort geben wurde, wenn Menschen da wären, die
Schweine zu zücbten. Wie nun der Herr dem Petrus schliesslich zu Gefallen einen gerade
am Wege liegenden Schweinekot mit dem Pusse und den Worten anstiess „Werde ein
Mensch**, da, heisst es, hob sich plötzlich ein trotziger, starker Mann von der Erde und
fuhr den lieben Herrn mit den Worten an: „Wat stött he mi"! Wedingen und Hart-
mann, Der Sagenschatz Westfalens. Minden 1884, S. 6.
2) Waldeck, bekannthch ein geborener Münsteraner, war in Westfalen sehr populär
im Bauernstande durch seine Reden auf dem Feste in Soest 1843 und seine Schrift über
das bäuerliche Erbfolgerecht in Westfalen vom Jahre 1844.
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Volkstümliche Schlaglichter. 25
eine tiefere, den ganzen Menschen erfüllende Empfindung oder die
Selbständigkeit des Charakters, sowie ein treffendes Urteil
selbst über den grossen Lauf der Welt in Bildern oder wenigstens
konkreten Formen ausspricht. Denn in abstrakten Gedanken derartiges
zu äussern liegt dem Volke, namentlich der ländlichen Bevölkerung, im
ganzen fem, wie ja auch bekanntlich schon die einfachste Lebenserfahrung
in diesen Kreisen gern sich in der Form des Sprichworts zum Ausdruck bringt.
„Die Heimat meiden ist schwer^. Kuhn und ich haben s. Z.
auf unseren Wanderungen in Norddeutschland manchen hübschen Zug von
treuer Heimatsliebe beim Landvolke auf die verschiedenste Weise zum
Ausdruck kommen sehen, in eigentümlicher Form trat es vor allem aber
einmal bei einem Mädchen aus Winsen an der Aller hervor, mit der wir
eine ganze Strecke zusammengingen, und die uns manche hübsche Sage
aus der Gegend erzählte. Zuletzt kam sie auch auf die Auswanderer zu
sprechen, die damals gerade ziemlich stark aus dem benachbarten Bremen
nach Amerika zogen. „Wenn die aufs Schiff steigen, sagte sie, ständen
die Verwandten jammernd herum und es wäre kein Weinen mehr, sondern
ein Gebrüll; dann gingen alle Glocken von den Thürmen Bremens so recht
feierlich, denn es wäre doch ein gar schwerer Gang, den sie thäten, so
aus „dütschen Landen" zu scheiden^)".
Die Heimatsliebe umfasst beim Landvolk nicht aber nur das Gefühl des
Verwachsenseins mit der Gegend, in welcher der Mensch gross geworden,
sondern reflektiert ebenso auf Dialekt, Tracht, sowie die ganze Lebens-
weise bis auf die primitivsten Verhältnisse hinab. Der natürliche Mensch
hängt eben unbewusst innerlicher mit alledem zusammen, als er es selbst
ahnt, und nur besondere Umstände bringen es zum gelegentlichen Ausdruck.
„Hier (in Berlin) bekommt man auch gar nichts zusehen", sagte jüngst
zu meiner Tochter unser sonst ganz kluges Dienstmädchen in einer ge-
wissen elegischen Stimmung, indem die Weltstadt vor ihren Augen ver-
sank und die (ostpreussische) Heimat in allem Glanz auftauchte, „Man
sieht hier nichts, man hört hier nichts. Man weiss nicht, ob das Korn
gesäet ist, oder ob es reif ist; ob die Kartoffeln gesteckt oder schon „ge-
buddelt" werden. Drei Jahr bin ich nun schon hier und, Fräulein, auf-
1) Vergl. unsere Norddeutschen Sagen. Berlin 1849. Wenn die geschilderte Scenerie
zunächst etwas fremdartiges hat and man sich erst voll in dieselbe gleichsam hineinleben
muss, um die Tiefe des Empfindens zu ermessen, welche sich in derselben ausspricht, so ist für
den modernen Geschmack das Wort „Gebrüll" namentlich leicht anstössig. Und doch ist es
gerade der korrekte, natürliche Ausdruck für das, was gemeint ist, und die Ersetzung durch
einen anderen würde die Sache abschwächen. Gerade so braucht auch Sophokles an ver-
schiedenen Stellen den entsprech*?nden Ausdruck ßqvxna^at für den tiefsten Schmerz, der
nur ab und zu durch ein Aufstöhnen sich bekundet; z. B. sagt er vom Ajax, indem er
geradezu an den rauhen, dumpfen Ton erinnert, wie man ihn namentlich vom Stiere hört :
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26 Schwartz:
richtig gestanden, kein Schwein habe ich noch nicht gesehen*'. Die
Stimmung ist psychologisch erklärlich. In der mehr oder minderen Mono-
tonie des Küchenlebens taucht die Erinnerung an den lebendigen Wechsel,
den ihr einst die unmittelbare Beziehung zur Natur tagtäglich gegeben
hatte, wie ein verlorenes Paradies vor ihren geistigen Augen auf.
Land und Stadt unterscheiden sich eben fast in allen Beziehungen.
So erzeugt auch das Bewusstsein, auf eigenem Boden zu sitzen, und die
hauptsächlichsten Lebensbedürfnisse in Nahrung und zum Teil auch in
Kleidung sich allein beschaffen zu können, schon eine gewisse Selbst-
ständigkeit in allen Schichten der ländlichen Bevölkerung, und die Er-
fahrung, dass der staatliche Schutz, der Natur der Verhältnisse nach, meist lange
nachher, als man ihn brauchte, nachgehinkt kommt oder oft ganz ausbleibt
nährt eine dem Menschen so schon angeborene Neigung zur Selbsthülfe.
Es liegt in diesen Eigenschaften die natürliche Kraft des Bauernstandes, aber
auch, dass er jedem staatlichen Zwange gegenüber, zumal wenn dieser
seine Gewohnheiten antastet, leicht obstinat bis zur äussersten Rücksichts-
losigkeit wird^). Als ein kleines typisches Genrebild, dass die Grund-
stimmung auf dem Lande von Haus aus so in einem gewissen Gegensatze
zu dem Kulturleben schon mit seinen einfachsten bureaukratisch-statistischen
Formen steht, möge folgende kleine Geschichte aus dem Jahre 1879 zeigen,
in der ein Mädchen den Mittelpunkt bildet.
„Resolute Ansichten". Unter dieser Überschrift berichtete die
„Post" im Jahre 1879, Nr. 290, folgendes: „Unlängst erschien auf dem
Bureau des Gemeindevorstehers zu Geestendorf eine dort als Dienstmagd
gedingte fixe junge Dirne aus Franzenberg bei Kuxhafen, um sich zur
Ortskontrolle anzumelden. Hier entspann sich nun zwischen der Fragerin
und dem Beamten folgender heitere Dialog: „Wie alt sind Sie?" — „Dat
weet ick nich so genau; wie Franzenberger, dat weet Se ja, fiert nie' en
Geburtstag." — „Ich muss es aber wissen". — „Nu, et schall wull so an
de fiefundtwintig Jahr sind". — „Welcher Religion gehören Sie denn
eigentlich an?" — „Ick bün so recht dütsch wie wie alltosam in
Franzenberg; wie glöwt nich an den Papst, man blot an den
leiwen Herrgott und den ollen Bismarck, — denn annern Krams
kennt wie nich. H'Adjüs ok!" Sprachs und empfalil sich, ohne weiter
eine Miene zu verziehen.*^
Aber nicht blos im eigenen Wesen, sondern auch in der Gestaltung
und Beherrschung der Lebensverhältnisse, in denen es sich bewegt, ent-
wickelt das Volkstum, namentlich auf dem flachen Lande, sich zur vollsten
1) Tragisch schildert den ganzen Kontrast für österreichisches Bauemieben Ros egg er,
Jacob der letzte. Hartleben, Wien-Pesth-Leipzig 1889.
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Volkatüroliche Schlaglichter. 27
Kraft und Sicherheit, so dass ein in Kulturverhältnissen gross gewordener
Mensch trotz aller theoretischen Bildung in entsprechenden Kreisen schwer
mit ihm wetteifern kann, wie er auch in Arbeitskraft und Ausdauer ihm
meist nicht gleichkommt. Daneben schärft aber auch die Erfahrung eines
langen Lebens vielfach den Blick dem Bauer in eigentümlicher Weise zu
treffender Beurteilung selbst grösserer Verhältnisse. Ein 'einfacher Mensch,
der in kleinen Verhältnissen sicher geworden und sinniger Art ist, sieht
oft selbst die Weltereignisse mit einer gewissen Objektivität an und stellt
ihnen in allgemeinen Zügen eine nicht unrichtige Diagnose. Die Form
entspricht freilich immer den begrenzteren Anschauungen und Verhält-
nissen, in denen er sich bewegt. Ein paar charakteristische Geschichten
fallen mir in dieser Hinsicht ein.
„Die Nummer ist Ihre Sache**. — Es ist ein Unterschied zwischen
Religion und Theologie. Das vergessen oft manche Geistliche. Daran
erinnerte aber in drastisch-trefTender Weise ein havelländischer Bauer bei
einer Kirchenvisitation.
Als nämlich die Kirchenvisitationen in den vierziger und fünfziger
Jahren in Preussen aufkamen, verhielten sich die Bauern der Mark zunächst
etwas reserviert dagegen, namentlich inwiefern auch Besprechungen mit
der Gemeinde stattfinden sollten, um den Bestand an Christentum in der-
selben zu konstatieren. Da fragte nun einmal, heisst es, im Havellande
bei solcher Visitation in einem Bauerndorfe der General - Superintendent
oder der ihn vertretende Geistliche im Gespräch einen Bauern, ob er das
fünfte Gebot kenne. Ja, sagte der Bauer, Herr General - Superintendent,
die Gebote kenne ich von Jugend auf, die Nummer aber, das ist Ihre
Sache.
„Die Welt kann sich nicht selbst regieren**. Im Jahre 1848
wohnte ich in der Stralauerstrasse, wo mein Vater dem Grossen Friedrichs-
Waisenhause vorstand. Die Verhältnisse Hessen es mir als Pflicht er-
scheinen, auch bei der Bürgerwehr mit einzutreten. So stand ich '] denn
auch einmal Ende März Nachts vor dem Kadettenhause in der Friedrich-
^trasse Schildwache. Damals beherrschte die Politik alle Unterhaltung,
und als der Nachtwächter sich zu mir gesellte, war auch bald ein ent-
sprechendes Gespräch im Gang, zumal es mich auch gerade in jener Zeit
besonders interessierte, die Stimmungen im Volke in allen Kreisen kennen
zu lernen. Der Mann war früher Soldat gewesen und hatte seine eigenen
Gedanken. Dass die Regierung am 18. die Waffen gestreckt, wollte ihm
gar nicht in den Kopf. „Die Leute meinen**, sagte er, „die Welt werde
sich selbst fortan regieren. Ich sage Ihnen, das geht nicht. Unser einer,
der so sieht, wie „sie** des Nachts aus den Bierstuben konmien und die
Strassen so entlang taumeln, der sagt: Die können sich nicht selbst
regieren. Wenn der König nicht mehr regieren will, dann
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28 Schwartz:
werden es Andere besorgen, aber regiert wird immer werden.
Das sage ich Ihnen!''
Die Anschauung des Mannes entsprach seinen täglichen Lebens-
erfahrungen. War sie gleich einseitig nur „nächtlich" und bekam dadurch
ebenso wie die Form einen humoristischen Anstrich, so traf sie doch in ihrer
Weise prägnant den Nagel auf den Kopf und zog inmitten des allgemeinen
Wirrwarrs in selbstständigem Denken ein treffendes Facit aus den Ver-
hältnissen für die Zukunft.
Ähnliche selbständig charakteristische Äeusserungen habe ich in jenen
Zeiten aus der ungetrübten, praktischen Anschauung des Volkstums öfter
gehört. So sagte mir einmal ein alter Fuhrherr, mit dem ich (im Anfang
der sechziger Jahre) von Eberswalde aus öfter in die Grimnitz-Forst nach
Hünengräbern fuhr, und der mir manche hübsche Sage erzählte, als auf
das Jahr 1848 die Rede kam: „Ja, Herr Professor, dass die Welt verdreht
wurde, das habe ich schon lange vor 48 gewusst. Das war, als sie an-
fingen Pferdefleisch zu essen. J)a sagte ich zu meiner Frau : Mutter, pass
auf, die Menschen werden verdreht; sie essen schon Pferdefleisch! Und
48 war es richtig, da brach es aus!** Dem Manne, der sein Lebenlang mit
Pferden zu thun gehabt und die seinigen gehegt und gepflegt hatte,
erschien der Gedanke, sie schliesslich zu schlachten und zu essen, als eine
an Tollheit streifende Neuerung. —
Jeder aus dem Volke, der seinen eigenen Gedanken nachgeht, urteilt
eben nach dem kleinen Kreise, in dem er sich bewegt, und nach den
Interessen, welche den Mittelpunkt seines Denkens ausmachen. Aus ihnen
entnimmt er das Mass für die Dinge, so dass wenn der Kontrast mit den
Verhältnissen zu gross ist, die Form des Urteils eben leicht in das
Komische umschlägt. Wie man 1848 von einem oberschlesischen bäuer-
lichen Abgeordneten erzählte, dem zufällig während seiner Abwesenheit
eine Kuh abgepfandet war, or habe eine Donnerepistel von Berlin in die
Heimat gesandt, des Inhalts, „ein Abgeordneter sei nach der Verfassung
unverletzlich, also auch sein Vieh", so schrumpften auch bei einer Witwe,
die ich in jenen Tagen sprach, die grossen, nationalen Hoffnungen zu dem
Wunsche zusammen, dass, „wenn Alles besser würde, ihr Sohn auch
hoffentlich bald einen anderen Vormund erhalten würde, denn der
bisherige tauge nichts!"
Das sind nicht blos einzelne humoristische, sondern, wie schon an-
gedeutet, typische Beispiele volkstümlichen Denkens. Daneben schlummern
aber nationale und religiöse Empfindungen, letztere oft noch in der
Form des Aberglaubens in der Seele auch der unteren Schichten in Stadt
und Land, und sie bedürfen oft nur eines Anstosses, um zu hellen Flanmien
aufzuschlagen: ob im Sinne zu lobender Begeisterung oder in wildem,
verheerendem Fanatismus, hängt von den Verhältnissen ab; es kommt zu-
nächst nur darauf an, das Faktum zu konstatieren, dass solche elementaren
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Volkstümliche Schlaglichter. 29
Mächte da sind, die jeden Augenblick geweckt werden können, sobald die
regierenden Kreise derartiges unberücksichtigt lassen oder, wenn es zum
Handeln kommt, das Heft aus der Hand verlieren. Jede Ueberlegung
schwindet, und nur von seinen Gefühlen und Leidenschaften lässt sich dann
das Volk leiten und ist bereit, das Tollste zu glauben und seine Gedanken
sofort in entsprechendes Handeln umzusetzen.
Ich brauche nicht an die alten Zeiten zu erinnern, wo Epidemieeu
ganz gewöhnlich den Glauben von Vergiftung der Brunnen u. dergl. ver-
anlassten. Das Jahr 1848 bietet uns auch neben vielen anderen Beispielen
ein höchst charakteristisches von einer wild aufflackernden Volksstimmung
in jener Nacht des März, wo man in Berlin den Prinzen von Preussen
plötzlich mit 80000 Russen vor dem Frankfurter Thore stehend glaubte,
um der Freiheit wieder ein Ende zu machen, und man schon anfing, die
Dächer abzudecken und Ziegel und Steine auf denselben anzuhäufen, um
die Russen bei ihrem Einzug mit Steinwürfen aus der Höhe zu empfangen.
Mögen einzelne Personen dabei ihre Hand im Spiele gehabt haben; um
die Möglichkeit des Prozesses, der sich abspielte, zu begreifen, muss man
auf die allgemeine Stimmung zurückgehen. Sie war eine in ihren Tiefen
aufgewühlte und fieberhafte. Das Volk wusste von den Vorgängen im
königlichen Schlosse nur so viel, dass der Prinz von Preussen anderer
Meinung gewesen als sein königlicher Bruder. Wenn er fortgegangen, lag
es dem Sinn der Leute nahe, dass er Hülfe holen, mit einem Heer vor
den Thoren Berlins plötzlich wieder erscheinen würde. In fieberhafter
Angst dachte man an den Kaiser Nicolaus und seine Russen, und was man
fürchtete, glaubte man im Schrecken der Nacht auch schon vor sich gehen
zu sehen. Ob es überhaupt so rasch möglich, daran dachte man nicht
oder wagte es der aufgeregten Menge gegenüber nicht zu äussern. Die
ganze Bevölkerung, Männer, Weiber und Kinder, erfasste ein toller
Taumel, als gelte es, nach dem vorangegangenen, den letzten Kampf für
die Freiheit zu wagen oder sich unter den Trümmern Berlins zu begraben.
Die Leidenschaften des Volkes waren eben bis zum Wahnsinn erhitzt,
und nichts war da, was sie zügelte. —
Sind gleich solche grossartigen Verirrungen, wie die zuletzt geschilderte,
selten und nur eben möglich, wenn alle Schranken gefallen und die Volks-
seele mit elementarer Gewalt sich Bahn bricht, so wird dieselbe doch
überhaupt stets leicht bewegt und ist meist immer geneigt, von diesem oder
jenem Gerücht, das einen Widerhall in ihrem Innern findet, sich fortreissen
zu lassen. Die unteren Stände sind um so mehr dazu geneigt, als ihnen
meist ruhigere Ueberlegung und Einsicht bei allen, ihrem täglichen Leben
femer liegenden Dingen mangelt, und ein ihnen eigentümliches Miss-
trauen sie veranlasst, Allea. sofort nach der bösen Seite aufzufassen und
ins Abenteuerlichste umzugestalten. Wie ihnen das Ideale im allgemeinen
meist femer liegt, sind sie überall leicht bereit, sobald ihnen etwas Fremd-
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30 Schwartz:
artiges aufstösst, etwas Schlimmes dabei vorauszusetzen und Tücke und
Bosheit der Menschen darin zu suchen. Das Leben erscheint ihnen eben
mehr in einem bösen als in einem guten Lichte. Wie oft habe ich nicht
gehört, wenn auf den Glauben der Leute so die Rede kam und die Frage
aufgeworfen wurde, ob es einen Teufel gäbe, dass dies gerade in folgender
Form verneint wurde: „Ne! ein Mensch ist dem andern sein Teufel".
Ein groteskes Beispiel, wie so ganze Landstriche von dem wunder-
lichsten Misstrauen plötzlich bei ganz unschuldigen Veranlassungen er-
griflFen werden können, veranlasste auch im Jahre 1875 die Berliner Anthro-
pologische Gesellschaft, als sie eine Aufnahme der Kinder in den Schulen
nach Rücksicht auf Hautfarbe, Haare und Augen bei der Regierung durch-
setzte. Ich habe die Sache s. Z. in der Berl. Zeitschrift f. Ethnologie VH.,
S. 391 flF. (wiederabgedruckt in den Prähistorischen Studien 1884, S. 306 flf.)
des Ausführlicheren behandelt. Das Ding erschien dem Volke ebenso fremd-
artig als bedenklich, so dass die Weigerung, die Kinder im obigen Sinne
untersuchen zu lassen, in verschiedenen Gegenden zu tumultuarischen
Scenen führte. Der König (oder Bismarck), hiess es u. a., habe an den
Kaiser von Russland oder gar an den Sultan 10(X)0 oder 40 (XX) blau-
äugige und blondharige, bezw. braunäugige und schwarzhaarige Kinder, im
Kartenspiel verspielt, und die sollten nun ermittelt und aufgegriffen werden.
Die Lehrer begünstigten den Raub, denn sie erhielten für jedes Kind
5 Thaler Prämie').
Es sind natürlich nur besondere Veranlassungen, wenn in so toller
Weise die Volksstimmung sich bekundet, aber schon das Bedürfnis nach
Unterhaltung und die dem Menschen angeborene Sucht nach Neuem hält
überall in Stadt und Land stetig einen gewissen sog. Klatsch aufrecht.
Knüpft er sich meist zunächst in kleinerem Kreise an die Familien-
verhältnisse der anderen Menschen, so gewinnt er sofort weitere Dimensionen^
wenn er Dinge von allgemeinerem Interesse erfasst, und aus dem Klatsch
1) Noch in den letzten Tagen berichtete die Nordd. AUg. Zeitung, 1890, Nr. 433, aus
Bosnien in dieser Hinsicht folgende lustige Geschichte. Nach dem .,N. Pest. Joum." meldeten
sich bei der Bezirksbehörde von Bjelina seit einigen Wochen wiederholt Bosniaken, welche
sich für Baron Rothschild köpfen lassen wollten. „In der Landbevölkerung kursiert
nämlich allen Ernstes", heisst es, „das Gerächt, dass Baron Rothschild zum Tode verurteilt
worden sei und einen Ersatzmann suche, der sich gegen eine Entlohnung von einer MilHon
Gulden für ihn köpfen lassen wolle. Es haben sich unter den Bosniaken förmliche Konsortien
gebildet, welche die Million gewinnen wollen, der Art, dass sie das Loos entscheiden lassen
wollen, wer sich als Ersatzmann für Rothschild stellen solle. Die Übrigen wollen dann
die Million unter sich teilen. Vergebens versichern die Beamten den Bauern, dass sie
einem Spassvogel reingefallen seien. Die Bauern glauben noch immer an die Sache, und
es melden sich noch immer Ersatzmänner/ Das eriünert. mich an ein Gerücht, welches
Ende der vierziger oder Anfang der fünfziger Jahre durch Berlin ging: im Hotel de Rome
unter den Linden sei eine Gräfin „mit einem Totenkopf ** abgestiegen, die einen Mann
zu ihrer Million suche.
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Yolkstümliche Schlaglichter. 31
entstehen Gerüchte, welche dann leicht eine ganze Bevölkerung in allerhand
Phantasiegebilde verstricken.
Wie so Gerüchte gerade in den untersten Regionen aus Stimmungen und
daran sich knüpfenden Kombinationen entstehen und allmählich in immer
höhere Kreise steigen, und eine ganze Bevölkerung einer Stadt schliess-
lich aufregen können, habe ich einmal Gelegenheit gehabt, in Neu-Ruppin
recht anschaulich an einem kleinen Beispiele zu beobachten. Im Jahre 1866
gingen durch die märkischen Landstädte allerhand Gerüchte, dass die
katholischen Geistlichen in dieser oder jener Nachbarstadt Partei ergriffen
für Österreich und in diesem Sinne beim Gottesdienst beteten. Einer
hätte sogar, hiess es in Neu-Ruppin, einen Topf (!) dabei hingeworfen, so
dass- er in Scherben gegangen, und den Fluch ausgesprochen, so müsse
auch Preussen zerfallen!! — Unter dem Reflex dieser Stimmung wurde
die katholische Generalin von R., die schon Jahre lang dort lebte, Gegen-
stand des Argwohns. Er knüpfte sich an die starke Korrespondenz, die
sie namentlich auch mit ihrem Sohne führte, der bei der Armee in
Böhmen stand. Eines Tages sagte mir ein angesehener Ruppiner Bürger,
was doch für Unsinn erzählt würde. Sein Mädchen habe seiner Frau er-
zählt, die alte Generalin R. habe so viele Briefe empfangen und abgeschickt,
fast täglich und meist an ihren Sohn, den Hauptmann. Endlich sei man
dahinter gekommen, dass sie den Österreichern den ganzen preussischen
Kriegsplan verraten hätten. Wie der Bediente des Hauptmanns aber einmal
wieder einen Brief des Inhalts hätte forttragen sollen, hätte er es nicht
länger mit ansehen können, sondern den Brief dem Prinzen Karl gebracht.
Da sei Alles herausgekommen und der Hauptmann sei nach Glatz ab-
geführt worden. — Die Phantasie hatte den Argwohn mit allerhand That-
sachen in Verbindung gebracht und Schritt für Schritt weiter ausgesponnen,
und es fehlte nur noch zum volkstümlichen Schluss, dass auch angegeben
worden wäre, wie viel die Betreffenden dafür erhalten hätten. Denn wie
die eigenen Interessen meist das Volk beherrschen, glaubt es auch meist
nicht an ideale Hingebung, sondern ist auch stets bereit, bei Anderen nur
materielle Interessen vorauszusetzen.
Soweit kam es freilich noch nicht, aber die Sache zog immer weitere
Kreise. Einige Tage später meinte der oben erwähnte Herr, der es zuerst
für Unsinn erklärt hatte, auch schon, ea müsste doch etwas daran sein,
denn Alle sprächen davon. Von den untersten Schichten war es durch
die Dienstboten allmählich in die höheren gedrungen, so dass es schliesslich
durch alle Stände ging. Ja, es steigerte sich zur allgemeinen Erregung,
so dass der katholische Pfarrer zu mir kam, um Rat zu pflegen, ob nicht
in der Sache etwas geschehen könne.
Zufällig war gerade in einer befreundeten Offizierfamilie ein Brief
ans Brunn eingetroffen, in welchem erwähnt wurde, dass der Hauptmann
von R. mit seiner Kompagnie so eben mit klingendem Spiql vorbeizöge.
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32 Schwartz:
Durch den Abdruck der betreffenden Notiz in dem ^Ruppiner Tageblatt"
als einer die Einwohner voraussichtlich interessierenden Nachricht vom
Kriegsschauplatz in betreff ihrer Garnison, liess sich die Sache tot machen,
deren Weiterentwickelung die bösesten Polgen hätte haben können. —
In ähnlicher Weise entstehen leicht Gerüchte in kleinen und grossen
Städten, indem bei lebhafter Erregung die Phantasie eines jeden, der die
Sache weitererzählt, sie noch immer energischer und womöglich grausiger
ausmalt. Gefühl und Phantasie beherrschen eben vollständig in solchen
Augenblicken die volkstümlichen Kreise, nach der guten wie nach der
bösen Seite hin, und es hängt oft vom Zufall ab, ob einer als Heros für
den Augenblick erscheint oder gelyncht wird.
Davon ein kleines Beispiel. Ein Kind lief auf der Strasse einem
Manne zwischen die Püsse und fiel gegen einen Stein. Wie er es aufhob,
blutete es. Eine Frau, die nur das letzte Moment sah, fing an, auf die
Bohheit des Mannes zu schelten, der das Kind umgestossen. Zum Unglück
hatte er einen grossen Hund bei sich, und es dauerte nicht lange, so hatte
sich ein Haufe Menschen versammelt, in dessen Peripherie man zu erzählen
anfing, ein Mann habe einen Hund auf ein Kind gehetzt, „dass nur das
Blut so herunter liefe", so dass es nur vom Zufall abhing, ob nicht der
Unschuldige einem Ausbruch der Volkswut preisgegeben wurde. Der-
artiges kann man oft erleben, und wenn es schon jeden vor voreiligem
Urteil warnt, ist es besonders für Juristen bedeutsam, in solchem Fall die
Zeugen zu wägen.
Im gleichmässig fortfliessenden Leben regelt allerdings Gebrauch und
Sitte das Verhalten der Menschen zu einander auch in volkstümlichen
Kreisen, ähnlich wie es in Kulturverhältnissen der Fall ist, nur dass dort,
z. B. bei Heiraten die materiellen, praktischen Rücksichten die Formen
geschaffen haben imd allen Abweichungen von einem individuellen, mehr
ideelleren Standpunkt aus meist um so schrofferen Widerstand entgegensetzen,
als den Kreisen im allgemeinen Motive der letzten Art femer liegen.
Daneben entwickelt sich aber in einzelnen Fällen das Gemüt und alle
menschlichen Empfindungen und Tugenden in eigener und oft in der
zartesten Weise. Gerade bei dem langjährigen S^ensammeln habe ich
Gelegenheit gehabt, zu beobachten, welche Poesie neben aller Derbheit
und Rohheit in der Volksseele schlummert imd gelegentlich bei Einzelnen
zum Ausdruck kommt. Nur fehlt eben meist eine gleichartige Durch-
bildung der Gesinnung, es ist alles mehr naturwüchsig, unmittelbar und
ein Kind des Augenblicks, und so ist das Leben oft voller Kontraste.
Dass der Bauer seine Frau einmal schlägt, wie Siegfried die Chriemhilde,
thut der Liebe meistens noch keinen Eintrag. Es sind eben andere
Lebensformen als die, welche die Kultur gezeitigt. Aber in sich hat es
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Yolkstämliche Schlaglichter. 33
auch wieder seine Grenze. Wenn das Leben über ein einmaliges Vor-
kommen der Sache in aller Stille gleichsam zur Tagesordnung übergeht,
80 würde es auch in jenen Kreisen, falls es vor Zeugen oder gar öfter
geschähe, als ein Zeichen von Rohheit selbst durch die öflFentliche Meinung
gemissbilligt werden.
Das Volkstum hat ebenso seine eigenen Begriffe von Anstand und
von dem was sich schickt. Zwei charakteristische Beispiele davon
mögen hier ihre Stelle finden.
Mein Vater starb auf dem Lande, im Forsthaus Dreilinden, welches daniials
einer seiner Freunde, der Schiffahrtsinspektor Ben seh, später der Prinz
Friedrich Karl besass. Meine Mutter gab einem alten Tagelöhner, der
dort arbeitete, verschiedene Kleidungsstücke des Verstorbenen. Als richtiger
Bauer, der so leicht nichts verschenkt, dachte jener zuerst, er solle sie
kaufen! Als ihm klar gemacht wurde, sie würden ihm geschenkt, er solle
sie nur nehmen, packte er schliesslich alles zusammen und sagte: „Na
dann danke ich schön fürs Erste". Wir lachten im Stillen über die
Schlussworte, aber wir erfuhren bald, was dahinter steckte. Nächsten
Sonntag erschien der Mann nämlich in seinem Sonntagsrock mit einem
Topf in der Hand. Auf die Frage, was er wolle, meinte er, die schönen
KJeider könne er doch so nicht annehmen. Er hätte gerade Honig ge-
emtet und brächte einen Topf davon. Es wäre zwar wenig, aber er bäte
recht sehr, es ihm nicht abzuschlagen.
Das war der gesunde Stolz des Arbeiters, der sich bewusst war, wie
nur die Arbeit ihren Lohn verdiene und in dem Gefühl, so immer an-
ständig durch die Welt gekommen zu sein, nichts, namentlich von Fremden,
geschenkt nehmen wollte.
Von einem fast zarten Taktgefühl zeugt eine andere Geschichte, die
ich mit erlebt habe. Ein alter Heizer in einem grossem Etablissement
sollte mit seiner Frau als Anerkennung langjähriger Dienste die bequeme
und einträgliche Stelle eines Hausmanns erhalten. Zum Erstaunen seines
Chefs lehnte er ab, indem er meinte, er und seine Frau wären dazu zu
alt und blieb hartnäckig dabei. Später kam durch Zufall der eigentliche
Grund heraus. Es war das Reinigen der Bureauzimmer mit der Stelle
verbunden, und da hatte er dieselbe nicht angenommen, weil er, so tüchtig
seine Frau sonst war, ihr nach anderen Vorkommnissen nicht zutraute, sie
sicher über fremde Sachen schicken zu können. Der Mann hatte es nicht
bloss seine Frau nicht entgelten lassen, dass er ihrethalben der vorteil-
haften Stelle entsagen musste, er hatte es auch für anständig gehalten,
lieber selbst als eigensinnig zu gelten, als durch Angabe des wahren Grundes
die Ehre seiner Frau preiszugeben. Der Mann machte sonst den Eindruck
eines Toffels, in dem Punkte aber war er ein Ehrenmann.
Neben solchen Zügen einer gehobenen ethischen Gesinnung treten
dann wieder andere, in denen die materiellen Verhältnisse eine Denkungs-
^eitschrift d. Vereins f. Volkskunde. 1891. 3
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34 Schwartz:
art zeitigen, welche in schroffem Kontrast mit dem in Kulturkreisen
herrschenden Empfinden steht. Es giebt so leicht Momente, in denen
das Leben eines Tieres höher als das eines Menschen zu stehen scheint.
In dem erwähnten Forsthaus „Dreilinden" hatte sich einmal eine Kuh
aus dem Stalle losgerissen, war wild auf dem Hofe herumgesprungen und
zuletzt in die daselbst befindliche Pfütze gefallen. Die alte Pörsterin,
welche allein zu Hause war, hatte versucht, sie heraus zu holen, war aber
beinahe selbst dabei zu Schaden gekommen. Ich kam aus der Forst und
hatte schon davon im allgemeinen gehört, als mir der Knecht begegnete,
der mir nun noch einmal ausführlich erzählte, wie die Kuh in den Sumpf
geraten und die Försterin beinahe ihr nachgestürzt sei. Als ich meinte:
„Nun, sie ist doch aber schliesslich glücklich davon gekommen", sagte er:
„Ja, sie ist schon wieder im Stall an der Kette!" — Ihm war die Kuh
eben Hauptperson bei der Sache, denn die kostete ja viel, viel Geld, die
Försterin aber — nicht, die war anderweitig zu ersetzen. — Derartiges
erklärt sich eben daraus, dass für den Landmann der Viehstand eine
Existenzfrage ist, vor der alles Andere zunächst verschwindet. Der Natur-
mensch entwickelt sich eben zunächst nach den Verhältnissen und Inter-
essen, in denen er sich bewegt, imd erst Kultur und Erziehung heben ihn
auf einen höheren Standpunkt.
Der unmittelbare Verkehr mit der Tierwelt, namentlich dem ge-
züchteten Vieh, wirkt auch in anderer Hinsicht noch in den ländlichen
Kreisen auf die Menschen in besonderer Weise von Jugend auf ein,
nämlich in Hinsicht auf die Art der Entwicklung des Schamgefühls.
Während in Kulturkreisen die männliche wie weibliche Jugend in einer
gewissen Abgeschlossenheit von allem Natürlichen in betreff der Fort-
pflanzung der Tiere und ihrer Geschlechter gross wird, findet auf dem
Lande meist fast gerade das Umgekehrte statt. Die Kinder beobachten
täglich Hühner und Tauben, hören vom Kapaun, Ochsen, Bullen, Hengst
und dergleichen, kurz das ganze natürliche Leben tritt unter einer gewissen
Unbefangenheit in ihren Horizont, so dass instinktmässig eine allmähliche
Übertragung der damit zusammenhängenden Verhältnisse der Geschlechter
auf den Menschen sich entwickelt. Wenn dann das Leben und andere
Interessen oder Lehre und Erziehung sich geltend machen, so entsteht
zwar im gemeinsamen, mehr öffentlichen Verkehr allmählich ein gewisses
Schamgefühl, und die bedenklichen Seiten jenes Naturzustandes werden
immer mehr zurückgedrängt; in der Totalität der Anschauung bleibt aber
doch, zumeist bei dem fortdauernden Verkehr mit der Thierwelt, ein mehr
natürlicherer Hintergrund zurück. Das Zusammenleben der Menschen in
meist engen Räumen spielt auch seine Rolle dabei, so dass auch hier ein
gradueller Unterschied stattfindet und nach den Verhältnissen das Scham-
gefühl verschiedene Formen gegenüber dem auf den Höhen des Kultur-
lebens annimmt.
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Volkstümliche Schlaglichter. 35
Man darf eben nicht, das ergiebt sich für alle Zeiten, aus einzelnen
natürlichen Gewohnheitsformen auf die Sittlichkeit der Menschen über-
haupt einen unbedingten Schluss ziehen wollen, ebensowenig wie z. B.
auf die Sauberkeit, je nachdem der Mensch ein Schnupftuch oder
eine Zahnbürste gebraucht und dergleichen mehr. Alles derartige ist
zunächst vom allgemeinen menschlichen Standpunkt aus als relativ zu
beurteilen- Es zeugt z. B. in letzterer Beziehung event. für eine in
dem einzelnen Punkte ausgebildete Sauberkeit, entscheidet aber noch
nicht über die Sauberkeit des Einzelnen im ganzen. Wie Millionen von
Menschen in der Wüste, in Ermangelung von Wasser, sich nicht waschen,
ist auf dem Lande bei uns weder Schnupftuch noch Zahnbürste in volks-
tümlichen Kreisen voll eingebürgert, und dabei wird man innerhalb oder
trotz der damit zusammenhängenden Lebensgewohnheiten überall auch dort
daneben noch saubere von imsauberen Menschen unterscheiden können.
Die Gutsbesitzer und Geistlichen in dem ersten Drittel dieses Jahrhunderts
bei uns waren doch auch gebildete und saubere Leute, es war aber, wenn
sie Tabakraucher waren, bei ihnen eine Gewohnheit weit verbreitet, die
man heute als arge Schmutzerei ansehen würde. In einer Ecke des Herren-
zimmers war ein sogenanntes Pfeifenspinde angebracht. Da standen Pfeifen
aufgereiht für die Gäste, und Niemand fand etwas dabei, dass ihm eine
angeboten wurde, die schon durch so und so viel Münder gegangen war.
Man fand eben nichts darin, und Cigarren waren noch wenig Mode.
Schamgefühl, Anstand und Sauberkeit sind eben zunächst zu allen
Zeiten und zu allen Orten, wie angedeutet, relative Begriffe, welche sich
nach den Verhältnissen entwickeln und in der Art, wie sie voller und
idealer zur Geltung kommen, dem Leben eine vollere Weihe geben. Aber
nicht die einzelnen Formen, die sie annehmen, sondern der Geist, von dem
jedes Ding getragen wird, verleiht ihm erst seinen Charakter und spricht
ihm das Urteil. Fallen doch auch, wenn Krankheit oder Not mit über-
wältigendem Zwange hereinbricht, wenn es gilt ein Menschenleben zu
retten oder das eigene zu erhalten, unter Umständen momentan fast alle
Formen, und die Naturnotwendigkeit tritt wieder, wie in der Urzeit, voll
in ihr Recht ^). *
Die relativ volkstümliche Natürlichkeit, die sich der Dinge nicht
weiter bewusst wird, stempelt den Repräsentanten derselben noch nicht
als roh oder unsittlich *), wohl aber erscheint der als sittlich verloren, der,
1) Vergl. den Aufsatz „Von einzelnen Überresten des alten Naturzustandes im Leben
der Deutschen** vom Jahre 1882, wiederabgedruckt: Prähistorisch-anthropologische Studien,
S. 121 f.
2) Ein alter Kuhhirt in Brodewin in der Uckermark, der von Kuhn in der Vorrede
unserer Nordd. Sa^en, XIX. in seiner rührenden Einfalt geschildert wird, und den wir öfter
besuchten, erzählte uns z. B. ruhig in Gegenwart von Frau und Kinder manch stark
schnackiges Märchen, so harmlos naiv, wie Homer vom Verkehr der verschiedenen Ge-
schlechter mit einander gelegentlich berichtet, und es kam so selbstverständlich natürlich
heraus, dass es keinen widrigen Anstoss gab.
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höher gebildet, zu niederen Stufen des Lebens herabsinkt und sich an sie
gewöhnt oder gar seine Freude daran findet. Das gehört aber nicht in das
Gebiet der Völkerpsychologie, sondern in das der Moral, welche den
einzelnen Menschen nach seinem Werte wägt. Die Völkerpsychologie hat
es nur mit den Erscheinungen im Volksleben an sich zu thun, sie in ihrem
Ursprung zu erklären und in ihrer Entwickelung zu verfolgen und zieht
das Facit über den Kulturzustand eines Volkes nur danach, je nachdem es
im ganzen einem idealen Charakter näher kommt oder femer bleibt.
(Fortsetzung folgt.)
Zur Volkskunde Islands.
Von Konrad Hanrer.
Mehr als andere Länder wurde die Insel Island durch ihre Entlegenheit,
ihr rauhes Klima und ihren unwirtlichen Boden vor fremden Einflüssen
bewahrt. Demgemäss haben sich volkstümliche Überlieferungen auf der-
selben ungetrübter bewahrt als in anderen, minder geschützten Gegenden;
indessen geht man entschieden zu weit, wenn man das Land vielfach nur
als eine Fundstätte ungemischter altnordischer Traditionen ansehen will,
welche unvermehrt und unversehrt aus der grauesten Vorzeit bis in die
Gegenwart herunter bewahrt geblieben wären. Auch auf Island hat viel-
mehr die Überlieferung nicht nur gar manche tiefgreifende Störungen er-
litten, sondern es haben sie auch auswärtige Einflüsse keineswegs un-
berührt gelassen von neuer Zufuhr und es hat sein besonderes Interesse,
diesen Einflüssen und jenen Störungen etwas genauer nachzugehen.
Am leichtesten lässt sich deren Verlauf im Bereiche der Volkssagen
und des Volksaberglaubens verfolgen, und auf sie mag darum zuerst
ein Blick geworfen werden. Auf die neuerdings heftig umstrittene Frage,
ob und wie weit die Mythologie der Edda-Lieder christliche und alt-
klassische Einwirkungen erlitten habe, braucht dabei nicht eingegangen
zu werden, da es für die Volksüberlieferungen der späteren Zeit ziemlich
gleichgültig ist, in welchem Sinne man sie beantworten zu sollen meint.
Dagegen ist wohl zu beachten, in wie eigenthümlicher Weise der Übertritt
des Volkes zum Christentume auf dessen geistiges Leben einwirkte. Die
Verehrung der alten Götter wurde jetzt natürlich bei strenger Strafe ver-
boten; aber die Kirche selbst war weit davon entfernt, diesen ihr Dasein
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Zar Yolkskonde Islinds. 37
zu bestreiten, vielmehr fasste sie dieselben lediglich als teuflische Dämonen
auf, und warf sie als solche mit den Eiben und Zwergen, den Riesen und
allen übrigen Unholden des Heidentums zusammen, wie denn im älteren
isländischen Christenrechte dem Gebote, „menn skolo trua d einn gtid' ok d
helga menn hans^^ sofort das andere an die Seite gestellt wird: „ok blöta
eigi heidjiar vaettir'' (Kgsbk. § 7, S. 22). Ebenso wurde jetzt der Götter-
dienst mit der Zauberei und allem anderen heidnischen Aberglauben zu-
sammengeworfen, von welchem er doch vordem scharf unterschieden worden
war; als „forneskja^^ d. h. alter Brauch, wurde nun alles zusammengefasst
und mit Strafe belegt, was die Kirche als Überbleibsel des Heidentums
betrachtete. Dabei liess sich nun allerdings nicht ganz konsequent vor-
gehen. Von dem glaubenseifrigen Jon Ögmundarson z. B., dem
ersten Bischöfe von Holar (1106 - 21), erzählt seine Lebensbeschreibung
(I, cap. 12, S. 165; H, cap. 24, S. 237), dass er nicht nur allem Götzen-
dienste und Opfertreiben, dann aller Zauberei imd Hexerei strengstens
entgegengetreten sei, sondern auch jeder anderen Art von Aberglauben,
mochte er sich nun an die Mondphasen knüpfen oder an bestimmte Tage,
und dass er nicht einmal die alten Bezeichnungen der Wochentage dulden
wollte, weil sie von den Namen der Götter hergenommen waren. In der
That haben sich für die alten Namen „aunnudagr^ rndnadafft^ Tyradagr^
ÖSinsdagTy Pöradagr^ FrjddagVy^ welche in Norwegen wie in Dänemark und
Schweden erhalten blieben, auf Island nach einigem Schwanken die kirch-
lichen Bezeichnungen „dröttinsdagr^ annarrdagr, Jyndjidagr, mit^mkudagr^
fimtidagr^ und „föatudagr^ eingebürgert, und bis auf den heutigen Tag
in Geltung erhalten, während nur dem Samstage sein unanstössiger Name
y^lattgardagr^ oder y^pvdttdagr^ hier wie dort belassen wurde. Aber dem
gegenüber hat nicht nur die Dichtersprache auf Island wie in Norwegen
auch in der christlichen Zeit unbedenklich die heidnischen „kenningar''
fortgeführt, worauf allenfalls, wie E. H. Meyer (Völuspa, S. 264—265)
und A. Noreen (Nordisk Tidsskrift, 1890, S. 211) bemerkt haben, das
Beispiel der christlichen Dichter Deutschlands und Frankreichs eingewirkt
haben mochte, welche unbedenklich die antike Mythologie selbst in kirch-
lichen Dichtungen zu verwenden pflegten; sondern es ist auch in Tier-
und Pflanzennamen (z. B. Odimhaniy FriggjargraSy Tyrsfjöla^ Baldrsbrd^
Njartfarvöttr, Lokasjötfr und dergleichen mehr) mehrfach die Erinnerung
an die alte Götterwelt stehen geblieben und zumal haben sich auch zahl-
reiche mit As-, Frey- ,und Pörr- zusammengesetzte Personennamen bis auf
die Gegenwart herab im Gebrauch erhalten. Sigurdr Hansen zählt in
seinem Verzeichnisse isländischer Personennamen für das Jahr 1855 (Skyrslur
um landshagi d Islandi^ I, S. 514—68; 1858) an Manns- und Frauennamen
129 und 90 mit ^1«-, 6 und 7 mit Frey-, endlich 2047 und 1865 mit Pdrr-
zusammengesetzte auf, also zusammen 4144, auf eine Gesamtzahl von
74 603 Namen, wobei noch obendrein Namen, . welche den betreffenden
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Gott erst im zweiten Teile der Zusaramensetzung nennen (wie etwa
Ampör^ Bergpör^ Hildip&r^ Hjortpör, oder Ampöray Bergpöra^ Bjampöra,
Steinnpöray Gunnpörunn)^ ebenso unberücksichtigt blieben, wie die einen
anderen Gott (wie z. B. Valtyr, Bjalmtyr) oder halbgöttliche Wesen (wie
Alfr^ AlfdtSy Alfhildr, Prütfr und dergleichen) nennenden, oder gar alt-
heidnische Namen, welche eine christliche Deutung zuliessen (wie z. B.
die sehr häufig gebrauchten Namen Gv:d'mundr oder Gutii^un), Namen
also, welche man zur Bezeichnung von Tagen zu gebrauchen für sündlich
hielt, Hess man anstandslos bei der Taufe dem Täufling beilegen!
Auf das Verbot des heidnischen Glaubens und Treibens, dann auf die
Umbildung der heidnischen Götter und Wichte in teuflische Dämonen be-
schränkte sich aber d^r Eiufluss nicht, welchen die Bekehrung Islands zum
Christentume auf dessen Volksüberlieferungen ausübte; vielmehr brachte
die Kirche auch ihren eigenen Wunderglauben, ihre Engel und Teufel,
sowie ihre Lögenden mit, und ausserdem noch gar manchen jüdischen und
klassischen oder halbklassischen Aberglauben, welcher sich im Verlaufe
der Zeiten an ihre Lehre oder doch an die Gewohnheiten ihrer Bekenner
angesetzt hatte. So entstand denn ein wirres Gemisch von Sagen, dann
von abergläubischen Meinungen und Bräuchen der verschiedensten Her-
kunft, in welchem je nach Umständen bald das eine, bald das andere
Element vorschlägt. Schon in den Quellen des L3. und 14. Jahrhunderts
finden sich neben dem krassesten Heiligen- und Reliquienkultus samt den
allerwärts an diesen sich anschliessenden Visionen und Wundergeschichten
einerseits zwar noch Überreste ziemlich unverfälschten einheimischen Heiden-
tumes, andererseits aber auch deutliche Spuren klassischer, und obwohl
weit seltener, auch jüdischer Überlieferungen. Wie sich auf Island über-
haupt ein fremder, kirchlich gelehrter Unterricht neben den einheimisch
volkstümlichen stellte, so wurde eben auch der Erzählungstrieb und der
Aberglaube des Volkes von beiden Seiten her gleichmässig genährt; und
da gar mancherlei Fremde ins Land kamen, und umgekehrt nicht wenige
Isländer als Kaufleute, Wallfahrer, Studierende oder einfach Reisende das
Ausland besuchten, und zwar Deutschland, England, Frankreich und Italien
nicht minder als Norwegen, Schweden oder Dänemark, so machten sich auch
auf diesem Wege fremde Einflüsse der verschiedensten Art neben den
einheimischen geltend. Es versteht sich von selbst, dass diese Sätze nicht
bloss in Bezug auf den Aberglauben des Volkes und die mit ihm zu-
sammenhängenden Bräuche, dann dessen Sagen gelten, sondern ganz eben-
sogut auch in Bezug auf alle anderen Seiten des Volkslebens. Wir wissen
z. B. von alten Volksliedern auf Island, welche insbesondere zum Tanz ge-
sungen wurden. Schon Bischof Jon Ögmundarson eiferte gegen das
Singen von Liebesliedern und gegen jene Wechselgesänge, wie sie unter
der Bezeichnung y^Stev^ noch heutigen Tages in Norwegen üblich sind,
wobei freilich sofort bemerkt wird (ang. O., I, cap. 13, S. 165; H, cap. 24,
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Zur Volkskunde Islands. 39
S. 237), dass ihm deren völlige Beseitigung nicht gelungen sei. In der
Sturlünga ist uns ein Stück eines ^Grylukvaedi'' (Vlly cap. 44, S. 246) und
sind uns überdies mehrfache Bruchstücke von Tanzliedern erhalten (VII,
cap. 44, S. 249 und cap. 329, S. 264), deren zweites ausdrücklich als solches
bezeichnet wird, während das erste durch seine satirischen Beziehungen
auf gleichzeitige Begebenheiten seinen durchaus nationalen Charakter
deutlich zu erkennen giebt. Auch sonst wird in dieser Quelle öfter des
Dichtens satirischer Tanzlieder gedacht (VII, cap. 44, S. 245; cap. 202, 8. 68)
und wird des Tanzens unter den bei festlichen Gelegenheiten üblichen
Unterhaltungen nicht selten erwähnt (II, cap. 10, S. 19; VII, cap. 81, S. 293;
vgl. die Gudmundar bps s., cap. 97, 8.549; femer 8turl. VII, cap. 314,
8. 245, und die Ama bps. s., cap. 2, 8. 680); selbst ein Priester mag sich
am Tanze allenfalls beteiligen (8turl. VTI, cap. 295, 8. 225). Aber doch
bemerkt Jon porkelsson (Om Digtningen pä Island i det 15 og 16.
Arhundrede, 8. 116 und 182 flf.; 1888), dass die überwiegende Mehrzahl
der isländischen Volkslieder aus der Fremde eingewandert sei und ein
Blick auf die von Jon 8igurdsson und 8vend Grün dtvig gesammelten
y^islenzk fomkvaetSi^ (1854 — 85) bestätigt seine Angabe. Gar manche auf
Island verschwundene Volkslieder, norwegischen und dänischen nicht nur,
sondern selbst isländischen Ursprungs, haben sich noch auf den Färöern
erhalten (vgl. V. A. Hammershaimb, Färöiske Kväder; 1851—55), wo
die Wendung des Geschmackes auf ausländische Ritterromantik sich weniger
durchgreifend geltend machte. Auch die den Volksliedern nahestehenden
„Rimur'', welche seit der Mitte des 14. Jahrhunderts aufkamen, be-
handeln ebensowohl ausländische als inländische 8to£Pü und ist dies um
so weniger zu verwundem, als ja auch in der Prosa des 13. und 14. Jahr-
hunderts bereits Übersetzungen d^ Ritterromane und 8agenstoffe Deutsch-
lands, Frankreichs und Englands eine Rolle zu spielen begonnen hatten.
In gleicher Weise brachte Bischof Jon Haldörsson von 8kälholt (1322
bis 1339), ein geborener Norweger, welcher zu Paris und Bologna studiert
hatte, neben der Clarussage auch eine Reihe kleinerer Erzählungen
nach Island, welche nach seinem Tode von isländischen Männern gesammelt
und aufgezeichnet wurden. Über den Mann sowohl als die auf seine Er-
zählungen gebauten 8ammlungen hat H. Gering in seiner Ausgabe dieser
letzteren erschöpfenden Bericht gegeben (Islenzk aefentyri, 11, 8. VI bis
XXV) und dabei auch die für jene Erzählungen benützten schriftlichen
Quellen, soweit möglich, nachgewiesen.
Bezüglich anderer Seiten der Volkszustände wird man wohl einen
ähnlichen Verlauf der Dinge annehmen dürfen, wenn man denselben auch
teils wegen des Mangels an Quellen, teils wenigstens wegen des Mangels
an Zusammenstellungen des quellenmässigen Materiales nicht ebenso leicht
nachweisen kann. In einzelnen Beziehungen freilich, wie zumal bezüglich
der Einrichtung der Wohnungen und der Kleidung, dann auch bezüglich
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40 Maurer:
der Ernährung, mag die eigentäinHche Lage und Bodenbeschaffenheit
der Insel den ausländischen Einflüssen kräftigeren Widerstand entgegen-
gesetzt haben, wenigstens was das Leben des gemeinen Mannes betrifft.
Unter dem doppelten Drucke einer ausländischen Regierung und einer
vom nationalen Leben sich mehr und mehr abkehrenden Hierarchie er-
schlaffte das geistige Leben auf der Insel bereits im 14. Jahrhundert sehr
fühlbar; am Anfange des 15. Jahrhunderts aber suchte der schwarze Tod
{svarti daui&i) das Land heim, welchem ein Drittel seiner Bevölkerung,
und zumal auch ein sehr erheblicher Teil seiner Geistlichkeit erlag, und
von hier aus ergab sich wieder eine zwiefache Folge für die Überlieferung.
Einerseits nämlich bot die grässliche Seuche und die durch sie bedingte
Verödung ganzer Landstriche der Volkssage neuen Stoff; andererseits aber
vollendete die geistige Lähmung, welche die verheerende Landplage mit
sich führte, jene Unterbrechung der geschichtlichen Tradition, welche
früher schon begonnen hatte. Gleichzeitig nahm der englische und etwas
später der hansische Handel auf der Insel überhand, wogegen der Verkehr
mit Dänemark und Norwegen, welche Länder bereits um ein halbes
Jahrhundert früher von der schrecklichen Krankheit heimgesucht worden
waren, in entsprechendem Masse zurückging. Um ein Jahrhundert später
kam die Reformation. Anfangs durch einige wenige, in Deutschland
innerlich bekehrte Männer, wie z. B. den trefflichen Lögmann Oddr
Gottskälksson (f 1556) vertreten, bald aber durch die dänische
Regierung aus politischen und zumal aus fiskalischen Gründen gewaltsam
durchgeführt, wirkte sie zunächst nur zerstörend auf die alten Überlieferungen
ein. Wie früher die heidnischen Götter zu Dämonen und deren Ver-
ehrung zu abergläubischem Treiben und Zauberwerk herabgedrückt worden
waren, so mussten jetzt die katholischen Segnungen und Gebete sich die
gleiche Wandelung gefallen lassen, und wiederum erschien die ganze
Vorzeit den Trägern des neuen Geistes als eine schlechthin verwerfliche
und zu bekämpfende. Nachdem aber der evangelische Glaube erst einiger-
massen befestigt war, traten sofort auch die Früchte der frischeren Be-
wegung, in welche er die Geister versetzt hatte, und des häufigeren Ver-
kehres mit dem Auslande zu Tage, welcher durch ihn, wie zuvor schon
durch den Handel, angebahnt worden war. Ein Deutscher, Namens Gories
Peers e, hatte im Jahre 1561 ein Gedicht „Van Island^ in Hamburg
drucken lassen, welches W. Seelmann von sehr dankenswerten An-
merkungen begleitet neuerdings herausgegeben hat (Jahrbuch des Vereins
für niederdeutsche Sprachforschung, Jahrgang 1883). Wiederholt aufgelegt,
scheint dasselbe auf der Insel grossen Ärger erregt zu haben, und Bischof
Gudbrandr porläksson von Hölar (f 1627) veranlasste infolgedessen
einen jungen Geistlichen seiner Diöcese, Arngrimur Jönsson, zur Ab-
fassung einer Gegenschrift, welche, auf verlässige einheimische Quellen
gestützt, dem Auslande richtigere Begriffe von dem Lande und Volke bei-
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Znr Yolksknnde Islands. 41
bringen sollte. So entstand der „Breots commentarius de Islandia^ (Kopen-
hagen, 1593), welchem Arngrimr dann später noch seine „Crymogaea^
(Hamburg, 1609 und öfter), sein „Specimen hlandiae histaricum^ et magna
ex parte charographicum^ (Amsterdam 1643), und eine Reihe anderer auf
die Geschichte und Geographie seines Landes bezüglicher Schriften folgen
liess. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit des Auslandes auf die merk-
würdige Insel und deren Geschichte gezogen, zugleich aber auch der Blick
des Volkes selbst wieder auf seine eigene Vorzeit zurückgewandt. Da
überdiess gleichzeitig auch in Schweden und in Dänemark durch Männer
wie Johannes Buräus (1568 — 1652) und Johannes Messenius (1579
bis 1637), dann Ole Worm (1588—1654) und Stephan Stephanius
(1599 - 1650) die einheimischen Altertümer in Angriff genommen wurden,
wobei man der sprachlichen Beihilfe der Isländer nicht zu entraten ver-
mochte, kam nun sofort mit einem Male das Studium der bisher nahezu
völlig vergessenen alten Quellen in lebhaften Gang. Als Begründer des-
selben mögen, neben dem bereits erwähnten Arngrimr laerdi (f 1648),
etwa Magnus Olafsson zu Laufas (f 1636), der Bauer Björn Jönsson
zu Skardsa (f 1665) und Bischof Brynjölfr Svein^son von Skalholt
(f 1675) genannt werden, während dessen festere wissenschaftliche Be-
gründung vorab dem Geschichtsforscher pormödr Torfason (Torfaeus,
t 1719), dem Lögmann Fall Vidalfn (f 1727) und dem Professor Arni
Magnussen (f 1730) zu verdanken ist. Auf die Volksüberlieferungen der
Insel aber übte diese isländische Renaissance einen recht eigentümlichen
Einfluss aus.
Ursprünglich von gelehrten Männern ausgegangen, wurde die Be-
schäftigung mit der eigenen Vorzeit doch bald auch in weiteren Kreisen
heimisch, was durch das Fortleben der alten Sprache auf der Insel er-
möglicht war. In zahlreichen Abschriften, seit dem Ende des 17. Jahr-
hunderts teilweise auch schon in Drucken, verbreiteten sich die sozusagen
neu entdeckten alten Schriftwerke. Halb oder ganz erloschene Erinnerungen
wurden durch sie wieder aufgefrischt, und gingen nun, richtig oder unrichtig
verstanden, neuerdings wieder in den Volksmund über. Nachdenksame
Männer suchten die Berichte der schriftlichen Quellen soweit möglich zu
lokalisieren, mit erhaltenen Überresten von Baulichkeiten, oder was man
dafür hielt, in Verbindung zu bringen und mit allenfalls umlaufenden
Lokalsagen auszugleichen; ihre mehr oder minder begründeten Vermutungen
aber wurden dann ebenfalls wieder vielfach vom Volke gläubig weiter-
getragen und erweiterten sich noch durch Zuthaten der fortwährend
schöpferischen Fhantasie. Neue Sagen bildeten sich auf diesem Wege,
deren gelehrten Ursprung in vergleichsweise neuer Zeit man nicht immer
auf den ersten Blick zu erkennen vermag. Ich habe mich aber über diese
Renaissancesagen und deren Verhältnis zu den Sagen echt volksmässigen
Ursprunges schon anderwärts ausgesprochen (Germania IX, S. 233 — 38),
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und will das dort Gesagte hier nicht wiederholen. Neben diesen mehr
oder minder der Lecture der älteren einheimischen Quellen entsprungenen
Sagen brachte aber der Verkehr mit dem Auslande gleichzeitig auch noch
mancherlei fremdes Wissen ins Land. Hatte man schon im 13. und 14. Jahr-
hundert, wovon die Hauksbok Zeugnis giebt, aus Isidor und Augustinus,
dem Ädamsbuch, Plinius, einem Algorismus, Cisio Janus und dergleichen
sich allerhand Weisheit zusammengeschrieben, so treten jetzt Übersetzungen
oder Bearbeitungen deutscher oder lateinischer Werke über Physiognomik
und Chiromantie, astrologischer Schriften, deutscher Aderlassbüchlein und
anderer medizinischer Volksbücher, Auszüge aus den Schriften des Albertus
Magnus über Steine und Pflanzen und dergleichen auf, wofür ich ander-
wärts bereits Belege zusammengestellt habe (Germania VII, S. 248 — 49).
Auch manche Zauberformeln, wie z. B. der Sator arepo^ wurden aus der
Fremde aufgenommen, und nicht minder scheinen die Hexenprozesse,
welche auf Island bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts herab ganz in
der anderwärts üblichen Gestalt vorkommen, auf fremden Einfluss zurück-
geführt werden müssen, da die Klagen wegen Zauberei in den älteren
isländischen und norwegischen Christenrechten noch einen ganz anderen
Charakter zeigen. Indessen gesteht nicht nur in Norwegen schon im
Jahre 1325 ein Weib ein: „quod divine protectioni abrenunciavit et se dyabolo
commendavit^ (Diplom, norv. IX, no. 93, S. 113), sondern auch auf Island
wurde schon im Jahre 1343 eine Klosterfrau von Kirkjubasr verbrannt,
weil sie sich durch schriftlichen Vertrag dem Teufel übergeben und sich
überdies an einer geweihten Hostie gröblich vergangen hatte (Plateyjar
Annäll, S. 402, ed. G. Storm); und in Grönland erlitt im Jahre 1407 ein
Mann den Feuertod, weil er „med soartakonstf'u?fi'' eine Frau zum Ehebruch
verleitet hatte, welche hinterher geisteskrank wurde und starb (Lögmanns
annäll, S. 288—89 und 296), sodass also derartige Verfolgungen keineswegs
erst seit der Reformation im Norden aufkamen.
Wiederum sind manche Sagen auch in der späteren Zeit von Deutsch-
land aus nach Island hinübergewandert. Von der Sage vom ewigen Juden
habe ich dies bereits früher nachgewiesen (Germania IX, S. 231 32) ; aber
auch eine über den Ursprung der „huldumenn" umlaufende Sage weist deut-
lich auf einen von Hans Sachs gedichteten Schwank (Bibliothek des litte-
rarischen Vereins, Bd. 125, S. 354-60) oder die ihm zu Grunde liegende
Quelle zurück (vergl. J. Grimm in der Zeitschrift für deutsches Altertum, IL
S. 257-67; Kleinere Schriften, VII, S. 106—14), wenn auch deren nächste
Quelle eine dänische sein mochte (vergl. Thiele, Danmarks Folkesagn, H,
S. 175 — 76; 1843); und eine Erzählung von Christus und dem Regen-
pfeifer (loa) hat ihr Vorbild in Bruder Philipps Marienleben, (V. 4110 — 175
ed. Rückert, S. 112-14).
Ausser der älteren Überlieferung, neubelebten Erinnerungen aus
der besseren Vorzeit und fremder Zufuhr bot übrigens, wie zum Teil
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Zur Volkskunde Islands. 43
bereits angedeutet, auch die spätere Geschichte der Insel manchen Stoff
zu neuer Sagenbildung. Schwere Seuchen oder Missjahre, vulkanische
Ausbruche und Überschwemmungen, mancherlei sonstige ausserordentliche
Unglücksfalle, unter besonderen Umständen begangene Todschläge oder
Raubereien, hervorragende Thaten oder Leiden einzelner Menschen hafteten
in der Erinnerung und gewannen, von Mund zu Mund weiter erzählt, nach
und nach sagenmässige Gestalt. Vielfach knüpfen sich dabei ältere Sagen-
züge hinterher an jüngere Persönlichkeiten, und zumal Zaubersagen schliessen
sich mit besonderer Vorliebe an einzelne bekanntere Persönlichkeiten
weltlichen und vorab geistlichen Standes an. Neben Sa^mundr frodi
(f 1133), von welchem schon die jüngere Jons biskups saga, cap. 15 — 16,
S. 227—29, einige Zauberstückchen berichtet hatte, und von welchem durch
.Arni Magnussen gesammelte Aufzeichnungen gar viel zu erzählen wissen,
dann Bischof Gottskalkr hinn grimmi von Hölar (1498 - 1502) spielen
zumal sira Halfdan Narfason zu Fell i Slettuhlid (f 1598 ?) und sira
Eirikr Magnussen zu Vogsösar (1677 — 1716), dann auch der berühmte
Psalmendichter sira Hallgrimr Pfetrsson (f 1674), ja noch sira Saemundr
Holm zu Helgafell (f 1821) als Zauberer eine Rolle, unter Leuten weltlichen
Standes aber, neben Olafr töni (f 1393), der Lögmann Päll Vidalin
und mancher andere. Mit dem Wechsel der Zeiten ändert sich dabei wohl
auch der Charakter der Sagen, indem in Zeiten dumpfen Aberglaubens
und tiefer geistiger Finsternis die Gespenster- und Zaubersagen vorherrschen,
wogegen in lichteren und milderen Zeiten mehr die freundlicheren Elbon-
sagen und die Schwanke hervortreten. Zeitenweise suchte freilich die
evangelische Kirche, durch mancherlei Missbräuche erschreckt, den alten
Überlieferungen und jedem fröhlicheren Treiben des Volkes entgegen-
zutreten, und als unter K. Christian VL von Dänemark (1730 -46) ein
trübseliger Pietismus zur Herrschaft gelangte, wurde sogar mit königlichen
Verordnungen gegen das Lesen von Sagen, die Beschäftigung mit unnützen
Gedichten und Reimen, gegen unnütze Spiele und alles, was man für
Aberglauben hielt, zu Felde gezogen. Zu Anfang dieses Jahrhunderts
wurden solche Überlieferungen auch wohl von platt rationalistischem
Standpunkte aus angegrififen, während die ^rimur^ wenigstens auch noch
um einige Jahrzehnte später von ästhetischer Seite her ernstliche An-
fechtungen zu erleiden hatten (vergl. Jon porkelsson, ang. O., S. 125
big 131). Aber trotz aller dieser Angriffe hielt und hält das Volk im
ganzen an seinen Traditionen fest, und bildet sie nach wie vor weiter.
Man liest auf Island nach wie vor die alten Sagenwerke und erzählt sich
mancherlei Geschichten. Man singt und recitiert noch die alten Lieder
und Reime, und dichtet neue hinzu. Man gebraucht noch, wie bei uns,
mancherlei Besprechungen und geheime Mittel, und glaubt noch an allerlei
Spuk und Vorzeichen; habe ich doch selbst noch auf Island Leute ge-
kannt, die bei den Eiben im Berg gewesen sein sollten (darunter einen
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44 Maurer:
Polizeidiener in Reykjavik!), oder an deren Person und Geschlecht sich
Folgegeister knüpften. Gewisse Festlichkeiten und Spiele freilich, bei
denen es nicht immer unbedenklich zuging, kamen seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts ausser Gebrauch, wie denn z. B. die Jörvaglodi im
Haukadale schon im Jahre 1695 durch Björn Jonsson als Verwalter der
Dalasysla, und dann nochmals im Jahre 1708 durch Jon Magnussen,
den Bruder Arni's, verboten worden war (Jon Espolin, Islands ärbsekur,
VII, cap. 30, S. 48—9, und cap. 81, S. 117). Aber an Spielen minder
bedenklicher Art fehlt es darum doch auch heutigen Tages noch keines-
wegs auf der Insel, wie ich hierauf schon früher gelegentlich aufmerksam
gemacht habe (Germania XIV, S. 105 — 10).
Kurz nachdem durch Arngrimr lairdi der Anstoss gegeben worden
war, mit den Zuständen des eigenen Landes in der Vergangenheit und
Gegenwart sich zu beschäftigen, begannen auch bereits einzelne Männer
die isländische Volkskunde in Angriff zu nehmen und Sammlungen inner-
halb ihres Bereiches zu veranstalten. Bis in den Anfang des 17. Jahr-
hunderts reichen derartige Versuche hinauf. Mit unsicherer Hand herum-
tastend, mischen sie zunächst in ziemlich verworrener Weise Altes und
Neues, Fremdes und Einheimisches, auch wohl Überliefertes und willkürlich
Erfundenes; erst mit dem Anfange dieses Jahrhunderts kommt einige
wissenschaftliche Klarheit und damit eine gewisse Methode und einiger
Zusammenhang in derartige Bestrebungen, — erst seit dieser Zeit beginnt
man sodann auch mit Veröffentlichungen hervorzutreten, welche den
gesammelten Stoff allgemein zugänglich machen. Es sind aber zunächst
ein paar gelehrte Gesellschaften, welchen diese Wendung zum Besseren
zu verdanken ist. In Dänemark war schon durch ein Rescript vom
22. Mai l807 eine Kommission für die Erhaltung von Alterthümern
errichtet worden, und diese erliess am 5. April 1817 an sämtliche Pröpste
und Pfarrer, sowie auch au einzelne Gelehrte und weltliche Beamte auf
Island ein Zirkular (Lovsamling for Island, VU, S. 658 — 61), welches die-
selben zur Berichterstattung über alle einschlägigen Vorkommnisse auf-
forderte. Unter den ins Auge zu fassenden Punkten nennt aber ein bei-
gefügtes Verzeichnis unter anderem auch mündliche Erzählungen des Volks
über Leute aus der Vorzeit (^soweit sie nicht bereits in den geschriebenen
Sagenwerken enthalten seien), über merkwürdige Örtlichkeiten, alten
Glauben oder Aberglauben, besondere Ereignisse u. dergl., zumal soweit
sie sich auf Altertümer beziehen. Diese Aufforderung scheint indessen
keinen erheblichen Erfolg erreicht zu haben. Ein paar Jahrzehnte später
that die im Jahre 1816 gestiftete isländische gelehrte Gesellschaft (Hid
islenzka bokmentaf elag) einen ähnlichen Schritt. Sie erliess am 30. April
1839 ein Rundschreiben an sämtliche Pfarrer des Landes (Hid islenzka
bokmentaf elag, S. 71 — 78, 1867) mit der Aufforderung, Beschreibungen
ihrer Pfarreien einzuschicken. Unter den 70 Fragen, welche bei dieser
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Zar Volkskunde Islands. 45
Gelegenheit gestellt wurden, beziehen sich aber einzelne auch auf die
Volkssagen und alten Lieder, dann auf die Leibesübungen, die Musik
und die sonstigen Unterhaltungen, endlich auf die Volksmedicin (Nr. 56
bis 58, 66 und 69). Eine Reihe von Beschreibungen einzelner Pfarreien
lief daraufhin ein, deren manche auch hierher Gehöriges enthalten, und
einen ähnlichen Erfolg erzielte auch ein gleichzeitig an die Sysselmänner
erlassener Aufruf entsprechenden Inhaltes (a. a. O. S. 78 — 80). Endlich
erliess auch die im Jahre 1825 gestiftete Gesellschaft für nordische Altertums-
kunde auf Grund eines von Prof. G. Stephens gestellten Antrages am
28. April 1846 einen ähnlichen Aufruf an die Isländer (Antiquarisk Tids-
skrift, 1843 — 45, S. I — VIII), welcher in sehr eingehender Weise um die
Sammlung und Einsendung alter Volks- und Kinderlieder, Sagen, Aber-
glauben, Angaben über Spiele und Tänze, Rätsel, Sprichwörter u. dergl.
ersuchte. Sehr ausgiebigen Erfolg hatte auch dieser Aufruf nicht; indessen
liefen auf Grund desselben immerhin beachtenswerte Mitteilungen von
Liedern, Volkssagen und Angaben über Spiele ein.
Lizwischen war aber auch mit der Veröffentlichung einzelner Samm-
lungen begonnen worden, und zwar waren es die isländischen Sprich-
wörter, welche dabei zuerst in Angriff genommen worden waren. Schon
von ältester Zeit her spielen diese auf der Insel eine bedeutsame Rolle;
Hävamäl ist gutenteils aus solchen zusammengesetzt; eine Anzahl von
solchen hat Snorri Sturluson in seinem Hättatal unter der Bezeichnung
„ordskviöuhättr'* vereinigt (Snorra-Edda, L S. 636 ed. Arnam.), und eine
grössere Anzahl das von Th. Möbius nach einer Handschrift des 14. Jahr-
hunderts herausgegebene MälshattakvaßSi, während aus den Sögur Guö-
brandr Vigfusson in seinem Icelandic Prose Reader, S. 259 — 64 (vergl.
8. 432 — 33), eine Zusammenstellung gegeben hat. In späteren Zeiten soll
bereits Björn von Skardsä einen „Ordskvidaklasi" gedichtet haben
(vergl. Jon r>orkelsson im Timarit, VIII, S. 65) und ebenso Jon Ilälf-
danarson, dann Sküli porbergsson einen „Klasbardi", welcher über
600 Sprichwörter enthalten haben soll, während prosaische Sammlungen
von Hannes porleifsson (f 1682), Gudmundr Ölafsson (f 1695),
sira Eyjölfr Jonsson zu Vellir (f 1745), Olafr Gunnlaugsson, dem
Vater des Vicelögmanns Eggert, Jon (Hafsson von Grunnavik
(t 1779), Rector Halfdan Einarsson (f 1785) u. A. zustande gebracht
worden sein sollen. Auf Grund der wichtigeren unter diesen Vorarbeiten,
welche, soweit noch vorhanden, sämtlich ungedruckt sind, brachte nun
sira Gudmundr Jönsson, Pfarrer zu Stadastadr (f 1836), eine umfang-
reiche Sammlung zusammen, welche unter dem Titel „Safn af islenzkum
ordskvidum, fornmaelum, heilradum, snilliyrdum, sannmaelum og mals-
greinum" im Jahre 1830 von der isländischen gelehrten Gesellschaft heraus-
gegeben wurde. Die Sammlung ist zwar sehr reich, aber sie enthält neben
echt isländischen Stücken auch gar manche ausländische oder neuerdings
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erfundene, welche auf der Insel nie in den Volksmund übergegangen sind;
sie enthält ferner, wie auch ihr Trtel andeutet, nicht nur Sprichwörter,
sondern auch blosse Lebensregeln, Sentenzen u. dergl., deren volkstümlicher
Charakter vollends anfechtbar ist. Etwas später gab der hochverdiente
Oberlehrer der gelehrten Schule in Reykjavik, Dr. Hallgrimr Scheving
(f 1861), unter dem Titel „Islendskir malsha^ttir" in zwei Programmen
dieser Schule (1843 und 1847) eine Reihe weit sorgsamer ausgewählter
und behandelter Sprichwörter heraus, welche zum Teil auch mit Nach-
weisen ihres Vorkommens versehen sind. Eine Besprechung beider Werke
im Fjölnir, VIT, S. 100 — 103 (1844), bringt noch einige Nachträge aus
älteren Quellen; in den von dem Samfund til üdgivelse af gammel nord-
isk Litteratur herausgegebenen „Smastykker", Nr. 7, hat ferner Kr. Kälund
eine isländische Sprichwörter -Sammlung aus dem 15. Jahrhundert heraus-
gegeben (S. 131 — 84, 1886), und Eirikr Magnussen hat zu dieser Samm-
lung wie zum Malshättakvaedi weitere Bemerkungen geliefert (Aarböger
for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1888, S. 323—48).
An zweiter Stelle wurden die Volkssagen, Märchen und Schwanke
samt dem an sie sich anschliessenden Aberglauben in Angriff genommen.
Die ältere isländische Litteratur enthält zwar in grosser Zahl Belege für
das Vorkommen ganz ähnlicher Sagen, wie sie heute noch im Volksmunde
umlaufen, und manche von diesen streifen auch wohl hart an die Grenze
des Schwanks. Dass auch Märchen bereits in jener frühen Vorzeit um-
liefen, beweist die Erwähnung der „stjupma?3ra sögur er hiarSar sveinar
segia" in der Vorrede zur Lebensbeschreibung K. Olaf Tryggvason's,
welche der Mönch Oddr Snorrason verfasste (S. 1, ed. Munch), die
Bezugnahme der Sverris s. cap. 7 (FMS. VIIL S. 18) auf alte Sagen,
welche davon erzählen, „er konüngabörn urdu fyrir stjüpmiedra sköpum",
und die Erzählung von dem durch „stjüpmodur sköp" verzauberten Weibe,
welche nur ein König erlösen konnte, in der Hrölfs s. kraka, cap. 15
(FAS., I, S. 31). Belege endlich für die verschiedensten Arten des Aber-
glaubens bieten die älteren Quellen in Hülle und Fülle; aber an eine
Zusammenstellung derartiger Dinge scheint vor der Reformation niemand
gedacht zu haben, ausser etwa soweit es sich um aus der Fremde bezogene
Erzählungen handelte, von denen die oben schon erwähnte, Jon Hal-
dorssons Namen tragende Sammlung und manche von Konrad Gislason
in seinem „Fire og fyrretyve Pröver" (Kopenhagen, 1860) mitgeteilte Stücke
als Beispiele genannt werden mögen. Dagegen hat schon zu Anfang des
17. Jahrhunderts Jon Gudmundsson (f 1650), welcher bald als „Iserdi",
bald als „malari" bezeichnet wurde, manches hierher Gehörige zusammen-
getragen. Im Besitze sehr ausgebreiteten, wenn auch oberfläclilichen
Wissens, aber voller Aberglaubens und zugleich selber der Zauberei ver-
dächtigt, berichtet er nicht nur in verschiedenen seiner Gedichte von allerlei
Spuk und Zauberkünsten, mit welchen er zu kämpfen hatte, sondern er
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Zur Volkskunde Islands. 47
giebt auch in mehrfachen Schriften Bescheid über die Eiben und Wasser-
geister, über verborgene Thäler auf Island und deren Bewohner, über
wunderbare Steine, Pflanzen und Tiere, wobei mancherlei Sagen als Belege
beigebracht werden, und er hat überdies die „Krukksspä" gedichtet,
welche eine Reihe von Weissagungen über Island giebt und welche, viel-
fach vermehrt und verändert, noch bis auf den heutigen Tag herab auf
der Insel umläuft. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts schrieb ein sonst
nicht bekannter Mann, 01a fr gamli, über die Runenkunst, und erzählt
in diesem Werke eine Reihe von Sagen über verschiedene zauberkundige
Männer, sowie mancherlei anderes über verschiedene Zauberkünste. Auch
Ami Magnüsson hat, so sehr er die Volkssagen als geschichtlich
nicht begründetes Geschwätz verachtete, doch manches hierher Gehörige
gesammelt, wie z. B. Zaubersagen über Saemundr frodi, ältere Märchen
und dergleichen mehr. Ebenso hat Jon Olafsson von Grunnavik (1705
bis 1779) mancherlei zusammengebracht. In seiner Jugend hatte dieser
vielschreibende Mann bei Fall Vidalin und dann bei Ami Magnussen
gelebt, und schon bei ihnen mancherlei volkstümliches Wissen aufgelesen.
Selbst in hohem Grade abergläubisch, erzählte er freilich aus Furcht, sich
lacherlich zu machen, vieles von dem, was er hörte und glaubte, nicht
oder doch nur andeutungsweise; aber doch enthält seine y^Runologia^
Einiges über Runenzauber und seine Lebensbeschreibung Fäll Vidalin's
mancherlei über die dem Lögmanne zugeschriebenen oder gegen ihn ge-
richteten Zauberkünste, während sein weitschichtiges Wörterbuch vollends
eine Fundgrube der mannichfaltigsten Notizen ist. Etwas später noch
sammelte Eirikr Laxdal Eiriksson (f 1816) isländische Volkssagen
und vereinigte sie zu einem grossen Ganzen, welches er y^Olandssaga^
nannte; aber freilich ist dabei schwer auszuscheiden, was in dieser echte
Überlieferung und was eigene Zuthat des Sammlers ist. In des Syssel-
mannes Jon Espolin (f 1836) isländischen Jahrbüchern (Kopenhagen,
1821 — 55) findet sich eine Menge hierher gehörigen Stoffes um so un-
verfälschter vorgetragen, als der Verfasser selbst an die unglaublichsten
Dinge glaubte; als Sammlung von volkstümlichen Überlieferungen kann
indessen sein Werk natürlich nicht betrachtet werden. Im ganzen war
selbstverständlich weder die pietistische Feriode um die Mitte, noch die
Aufklärungszeit am Schlüsse des vorigen und am Beginne des gegen-
wärtigen Jahrhunderts der Beschäftigung mit den Volkssagen günstig. Erst
nachdem bei uns in Deutschland die Brüder Grimm mit ihren „Kinder-
und Hausmärchen" (1812 — 15) und mit ihren „Deutschen Sagen" (1816
bis 1818) die Aufmerkamkeit auf diese gelenkt, als ferner in Dänemark
J. M. Thiele seine „Danske Folkesagn" (1818 — 23) und in Norwegen
P. Chr. Asbjörnsen und J. Moe ihre köstlichen „Norske Polkeäventyr"
(1845) veröffentlicht hatten, fing man auch auf Island an ernßtlicher in
dieser Richtung vorzugehen.
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Zwei junge Leute, Magnus Grimsson, damals Schüler der ge-
lehrten Schule zu BessastaSir, und Jon Arnason, welcher diese zwei
Jahre zuvor absolviert hatte, aber damals noch im Hanse des Lehrers
und späteren Rektors dieser Schule, Dr. Sveinbjörn Egilsson,
lebte, begannen im Jahre 1845, angeregt durch das Lesen der Grimm-
schen Kinder- und Hausmärchen, Märchen, Volkssagon und andere
volkstümliche Überlieferungen ihrer Heimat zu sammeln. Schon im
Jahre 1852 erschien als Probe dieser ihrer Sammlungen in Reykjavik ein
kleines Bändchen unter dem Titel „Islenzk aefintyri", welches einige Volks-
sagen, Volkslieder und Schwanke enthielt; an der Schwierigkeit aber,
einen Verleger für ein umfangreicheres Werk zu finden, scheiterte zunächst
die Absicht, mit der Veröffentlichung des Gesammelten fortzufahren, und
damit erlahmte auch einigermassen der Eifer der beiden Sammler. Als
ich aber im Sommer des Jahres 1858 Island bereiste, lernte ich Jon als
damaligen Vorstand der Landesbibliothek und Sekretär des Bischofs, sira
Magnus dagegen als Pfarrer zu Mosfell in der Mosfellssveit kennen und
da ich mich damals selber bemühte, eine kleine Sammlung isländischer
Volkssagen zusammenzubringen, traten wir uns rasch näher und diese An-
näherung war uns beiderseits von erheblichem Vorteil. Mir erwuchs aus
dem Verkehre mit den beiden trefflichen Männern, neben mancher ebenso
vergnügten als lehrreichen Stunde, mancherlei Stoff für meine Sammlung,
welche hinterher in meinen „Isländischen Volkssagen der Gegenwart"
(Leipzig, 1860) Verwertung fand; andererseits aber konnte ich, durch
freundliche Vermittlung des nun leider auch dahingegangenen Th. Mob ins,
den beiden Isländern die Aussicht eröffnen, dass ihre Sammlung von einer
hervorragenden deutschen Firma in Verlag genommen werden würde. Jetzt
kam wieder Zug in die Sache. Noch in demselben Herbste erliess Jon
Arnason einen Aufruf mit der Bitte um weitere Beiträge zu seiner Samm-
lung, und im Jahre 1861 liess er demselben noch einen zweiten folgen.
Von allen Seiten strömten jetzt Mitteilungen heran, und wiewohl der frühe
Tod Magnus Grimsson's (f 18. Januar 1860) ihn seines treuen Mit-
arbeiters beraubte, wusste doch Jon Arnason die Sagensammlung so eifrig
zu fördern, dass sie bereits in den Jahren 1862 — 64 unter dem Titel
Islenzkar pjodsögur" (Leipzig, J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung) in
zwei starken Oktavbänden erscheinen konnte, welchen die Verlagshandlung
im Jahre 1874 noch ein Sach- und Namenregister in deutscher Sprache
folgen liess. GuSbrandr Vigfüsson, welcher dem ersten Bande des
Werkes eine sehr lesenswerte Einleitung vorausgeschickt hat, bemerkt in
dieser, dass dasselbe nur den geringsten Teil der isländischen Volkss^en,
Märchen und Schwanke enthalte, und bis auf einen gewissen Grad kami
ich diesen Ausspruch bestätigen. Einerseits nämlich wurden von vornherein
nicht alle, damals bereits eingegangenen Erzählungen in die gedruckte
Sammlung aufgenommen, sondern nur die einigermassen vollständigen und
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Zur Yolkskunde Islands. 49
von mehreren parallel laufenden Gestaltungen nur die besten; und anderer-
seits setzte Jon Arnason auch nach erfolgter Drucklegung seine Samm-
lungen noch fort und gelang es ihm hinterher noch mancher Sage habhaft
zu werden, die ihm zunächst noch entgangen war. Immerhin bietet die
Sammlung aber einen überaus reichen Stoff, und einen völlig genügenden
Überblick über die isländische Sagenwelt, welcher durqh spätere Nachträge
fortan leicht ergänzt werden kann. In ihrem letzten Abschnitte (II, S. 544
bis 581) enthält sie überdies eine bemerkenswerte Aufzeichnung der ver-
schiedensten Arten von Aberglauben und einer Reihe von Gebräuchen eigen-
tümlichster Art, auf welche ich noch ganz besonders aufmerksam gemacht
haben möchte. Ich bemerke noch, dass einige Besprechungen meiner
Volkssagen von Jon Sigurdsson (Ny ffelagsrit, XX, S. 190—200), Ign.
Zingerle (Germania, V, S. 378—80) und F. Liebrecht (Göttinger gelehrte
Anz., 1861, St. 11), dann des "Werkes Jon Arnason's von F. Liebrecht
(Germania, XXI, S. 68—75, auch in dessen Schrift: Zur Volkskunde,
S. 362-73) und von mir (Germania, VE, S. 247-51 und IX, S. 231—45)
teils Vervollständigungen, teils Erläutenmgen zu beiden Sammlungen
bringen; dass femer, von einigen dänischen, norwegischen und englischen
Bearbeitungen abgesehen, durch Fräulein Margarete Lehmann-Filhes
eine Auswahl isländischer Sagen nach Jon Arnason^s Text in deutscher
Übersetzung herausgegeben wurde (Berlin, 1889. 1891. 2 Bände), sodass
auch dem des Isländischen nicht kundigen deutschen Leser ein Einblick
in diese Sammlung ermöglicht ist.
Auf die Volkssagen, Märchen und Schwanke, sowie den Aberglauben
auf Island, womit sich das eben besprochene Werk allein beschäftigt,
beschränkten sich übrigens die Sammlungen Jon Arnason's nicht, und
eifrig war er bemüht auch andere Teile derselben zur Veröffentlichung
zu bringen. Wiederum zeigte sich die Schwierigkeit, einen Verleger zu
finden; dieselbe löste sich aber schliesslich, wenigstens teilweise, durch
das Eingreifen der isländischen gelehrten Gesellschaft. Schon anlässlich
des Erscheinens der pjödsögur hatte diese auf den Vorschlag ihres da-
maligen Vorsitzenden, des treflFlichen Jon Sigurdsson (f 1879), durch
einen mit dem Verleger abgeschlossenen Vertrag das Werk den Isländern
unter vorteilhafteren Bedingungen zugänglich zu machen gewusst; im
Winter 1885 — 86 aber einigte sie sich mit Jon Arnason über die Heraus-
gabe eines zweiten Teiles seiner Sammlungen, der isländischen Rätsel
nämlich, der Reihengedichte (J&trfwr), sowie der Spiele und sonstigen
Unterhaltungen. Die Rätsel gab demgemäss noch Jon Arnason
selbst auf Kosten der Gesellschaft in einem stattlichen Hefte heraus,
welches den Generaltitel „Tslenzkar gätur, fulur og skemtanir, I", und
den Spezialtitel „Islenzkar gatur" trägt (Kopenhagen 1887). Auf Island
waren diese zweifellos von jeher beliebt gewesen. Sveinbjörn Egilsson
führt in seiner Ausgabe der Snorra Edda, S. 238 — 9 aus der Edda des
Zeitschrift d. Vereins f. Volkskande. 1891. 4
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sira Magnus Olafsson zu Laofas ein solches an; andere Rätselreden
enthält die Völsünga, cap. 18 (PAS, I, S. 160—61) und die Ragnars
konüngs s. lodbrökar, cap. 4 (ebenda, S. 245—6), mit welch letzteren sich
auch die Reden und Gegenreden im Vafpnidnismäl berühren; vor allen
berühmt sind die Rätsel des Gestumblindi in der Hervarar s. ok Heidrekß
konüngs, welche auch Jon Arnason nach S. Bugge's Text an die Spitze
seiner Sammlung stellt. Auch in den geschichtlichen Quellen fehlt es an
Rätselreden nicht, und will ich beispielshalber nur die Reykdaela, cap. 26,
S. 133 (1881) und die Krökarefs s. S. 31—33 (1866) anführen. In neuerer
Zeit haben sich verschiedene Männer um die Sammlung von Rätseln bemüht,
darunter der treffliche Propst sira Ölafr Sivertsen in Flatey (f 1860);
aber veröfifentlicht wurde von diesen Sammlungen nichts, wenn man von
einzelnen Kinderschrifteu, Kalendern und dergleichen absieht, und ist
demnach die vorliegende Sammlung, welche 1194 Nummern aufweist, die
erste ihrer Art. Auch die pulur hat Jon Arnason, soviel ich weiss,
noch selbst bearbeitet, wenn sie auch zur Zeit noch nicht erschienen sind;
dagegen überliess der hochbetagte, halb erblindete und kränkliche Mann
die Bearbeitung der Spiele einem jüngeren Verwandten, Olafr Davfdsson,
welcher schon frühzeitig angefangen hatte auch seinerseits zu sammeln,
und welcher auch bereits zu den Rätseln erhebliche Beiträge geliefert
hatte. Bald nachher starb der viel verdiente Mann (4. September 1888),
über dessen Leben und Wirksamkeit zwei Nekrologe von cand. mag.
Dr. Jon porkelsson (im Arkiv för nordisk Filologi, V, S. 297-302) und
von mir (Zeitschrift für deutsche Philologie, XXI, S. 470—72) näheren
Aufschluss geben.
Spiele, Leibesübungen und andere Unterhaltungen waren
aber in der Zeit des isländischen Freistaates sehr beliebt gewesen, und es
fehlt in den älteren Quellen nicht an zahlreichen Angaben über dieselben. In
der späteren Zeit scheinen dieselben weniger betrieben worden zu sein,
obwohl sich allerdings bis in das 16. Jahrhundert herab schwer erkennen
lässt, wieweit uns nicht etwa nur der Mangel an ausgiebigeren Nachrichten
über deren Betrieb im Unklaren lässt. Sicher ist jedenfalls, dass im 16.,
17. und 18. Jahrhundert die Freude an den nationalen Spielen und sonstigen
Vergnügungen sehr erheblich abnahm, teils weil die schweren Zeiten,
welche das Volk durchzumachen hatte, dessen Lebensmut und Lebens-
freudigkeit schwächten, teils weil die Kirche sich allem Spiele als sünd-
hafter Unterhaltung missgünstig erwies, und die, wie bereits bemerkt, im
pietistischen Geiste geleitete Gesetzgebung aus der Mitte des vorigen
Jahrhunderts sich scharf gegen dieselben kehrte. Am Anfange des vorigen
Jahrhunderts hatte der fromme, aber masshaltende Bischof JönVidalin von
Skälholt (t 1720) noch verständig zwischen erlaubtem imd unerlaubtem
Spiele zu unterscheiden gewusst; um die Mitte desselben Jahrhunderts aber
(1757) verfasste der Propst sira porsteinn Petrsson zu Stadarbakki (f 1785)
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Zur Yolksknnde Islands. 51
eine eigene, handschriftlich erhaltene Streitschrift gegen alles Spiel, welche
mit der äussersten Heftigkeit gegen dasselbe ankämpft, und diese feind-
selige Richtung entsprach der damaligen Gesetzgebung. Endlich brachte
die allgemeine Richtung der Zeit auf alles Ausländische und zumal
Dänische mit sich, dass mancherlei fremdländische Spiele und Unter-
haltungen zunächst bei den vornehmeren Klassen des Volkes Eingang
fanden und dann von hier aus auch wohl in weitere Kreise sich ver-
breiteten. Auch auf diesem Wege wurden die einheimischen Spiele mehrfach
verdrängt, imd zumal der Tanz wurde, nachdem die alten einheimischen
Reihentänze im vorigen Jahrhundert beseitigt worden waren, erst vom
Auslande aus, und in ausländischer Gestalt wieder eingeführt. Vergeblich
hatte sich der überhaupt für alles Volkstümliche lebhaft eingenommene
Vicelögmann Eggert Olafsson (f 1768) um die einheimischen Spiele an-
genommen; nur die studierende Jugend hatte in den Domschulen zu Skälholt
und Hölar, dann später in der Landesschule zu Bessastadir und Reykjavik,
diese noch einigermassen gepflegt. Neuerdings hat diese in etwas stark
ahertümelnder Weise auch wohl neue Spiele aufzubringen gesucht, wie
z. B. Eibentänze bei Packelschein oder gar ein porrablöt mit Minnetrünken.
Andererseits ist aber auch von dem Baue eines Theaters in Reykjavik die
Rede, in welchem einheimische Stücke aufgeführt werden sollen, und auch
mit derartigen Aufführungen hat wieder die Schule den Anfang gemacht.
Im laufenden Jahrhundert haben endlich zumal auch die Leibesübungen
wieder einen erfreulichen Aufschwung genommen, durch neugebildete
Vereine getragen und durch die Zeitungen des Landes kräftig befürwortet;
doch blieb der seit dem Jahre 1850 an der gelehrten Schule eingeführte
Turnunterricht zunächst ein durchaus fremdländischer, und wurde erst im
Jahre 1877 die Pflege der nationalen Ringkunst {glima) bei demselben
eingeschärft.
Es begreift sich unter solchen Umständen, dass die litterarische
Beschäftigung mit den Spielen sich zunächst vorzugsweise der alten
Zeit zuwandte. Schon Arngrimr lierdi hatte in seiner „Crymogaea",
8. 55 — 58 über die isländischen Spiele einige Mitteilungen gemacht. Später
hatte Sküli Thorlacius in seinen „Antiquitatum borealium observationes
miscellaneae", Specimen IV, S. 211 — 63 (1784) ausführlicher von den-
selben gehandelt, freilich nicht ohne manches nicht hierher Gehörige
mit heranzuziehen. Einiges hierher Bezügliche bietet Jon Eirikssou in
seiner Abhandlung „De philippia" (Leipzig, 1755) und mehr noch Eugels-
toft in seinem Programm: „Om den Priis, Oldtidens Skandinaver satte
paa Legemsövelser" (Kopenhagen, 1801), R. Keyser in seiner Abhandlung
„Nordmändenes Porlystelser i Oldtiden" (in Chr. Lange's Norsk Tidsskrift
for Videnskab og Litteratur, U, 1848, S. 225 — 53, dann Efterladte
Skrifter, 11, 2. Abteilung, S. 100—26), K. Weinhold, „Altnordisches
Leben" (Berlin, 1856), S. 290-313 und 464—70. Aber alle diese Werke
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52 Maurer:
behandeln zunächst nur die entferntere Vorzeit, und berücksichtigen die
neuere Zeit nur ganz beiläufig in einzelnen Bemerkungen. Schon mehr
bietet J6n Ölafsson von Grunnavik in seinem weitläufigen Wörter-
buche, in welchem er unter dem Schlagworte y^leikr^ einlässlich von den
Spielen überhaupt handelt, unter „skdk^^y ,9^1^, y^tafl^ noch weitere Nach-
träge liefert, und an verschiedenen Orten zerstreut noch mancherlei Be-
merkungen bringt. Ebenso hat Bischof Hannes Pinnsso n von Skälholt
(f 1796) mancherlei über die Spiele zusammengebracht; aber seine Samm-
limg ist ebenso wie Grunnavikur- Jön's Wörterbuch ungedruckt ge-
blieben. Manches über die Spiele findet sich bei Eggert Olafsson in
seiner „Reise igjennem Island" (Soröe, 1772; deutsche Übersetzung, Kopen-
hagen und Leipzig, 1774), bei Magnus Stephensen, in seinem „Eptirmaeli
ätjäundu aldar" (Leirärgardir, 1806), S. 555 — 74, oder „Isli^nd i det attende
Aarhundrede" (Kopenhagen, 1808), S. 223-— 40, sowie bei einzelnen fremden
Reisenden, wie z. B. dem Schweden Uno von Troil, „Bref rörande en
Resa til Island* (TJpsala, 1777; deutsche Übersetzung Upsala und Leipzig,
1779), S. 69 — 71; aber alle diese Bemerkungen sind nur wenig erschöpfend.
Dagegen haben in neuester Zeit neben Jon Arnason und sira Magnus
Grimsson auch andere Männer Sammlungen von Spielen und dergleichen
angelegt, wie zumal sira Gudmundr Einarsson zu BreidabölstaSir auf
der Skögarströnd, Professor Valtyr Gudmundsson in Kopenhagen, Can-
didatPalmiPalsson, Student Bogi Thorarensen Jönsson Melstedund
Gudmundr Davidsson. Alle diese handschriftlichen Sammlungen konnte
aber des Letztgenannten Bruder, Olafr Davidsson, benutzen, wogegen
eine in der Bodleiana zu Oxford liegende handschriftliche Samitolung von
dänischen, norwegischen, schwedischen und isländischen Spielen unbenutzt
gelassen werden musste. Letzterer hat nun wiederum auf Kosten der
isländischen gelehrten Gesellschaft, die Veröffentlichung einer Samm-
lung von Spielen und dergleichen begonnen, und zwar erschien deren
erstes Heft mit dem Generaltitel: „Tslenzkar gdtur, pulur og skemtanir 11",
im Jahre 1888. In einer sehr interessanten Einleitung giebt der Verfasser
sowohl Aufschluss über die von ihm benutzten Hilfsmittel, als auch einen
Überblick über die Geschichte der Spiele auf Island, welchem ich manche
der oben mitgeteilten Angaben verdanke. Die Sammlung selbst soll in
drei Teile zerfallen, deren erster die Bewegungsspiele einschliesslich der
Leibesübungen behandeln soll, während der zweite die Spiele enthalten
wird, welche vorzugsweise die geistige Thätigkeit und das Gedächtnis
in Anspruch nehmen, und der dritte diejenigen Spiele, zu welchen Geräte
gebraucht werden. Das vorliegende Heft umfasst aber nur ein Stück des
ersten Teiles, nämlich die Leibesübungen, unter welchen zumal die Ring-
kunst eingehend besprochen wird, sowie den Anfang der Bewegungsspiele
im engeren Sinne des Wortes *). Es ist also nur ein kleiner Teil des Ganzen,
1) Während der Korrektur geht mir das dritte Heft der „tslenzkar g^tor, pulur og
skemtanir*' zu (1890), welches die Fortsetzung des zweiten enthält.
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Köhler: Ein anscheinend deutsches M&rchen von der Nachtigall etc. 53
welcher bisher gedruckt ist; indessen darf mit Zuversicht erwartet werden,
dass das Fehlende in nicht allzulanger Zeit nachfolgen wird, und steht
doch wohl auch zu hoffen, dass die isländische gelehrte Gesellschaft seiner-
zeit auch zur Veröffentlichung jener, allerdings gewaltig umfangreichen,
Liedersammlungen schreiten werde, welche Jon Sigurdsson und
Jon Arnason zusammengebracht haben und von welchen die oben schon
erwähnten y^Tslenzk fornkvcetfi^ doch nur einen sehr geringen Teil aus-
machen. Man wird dann allmählich einsehen lernen, dass das isländische
Volk selbst in den dunklen Zeiten, welche zwischen dem 14. und dem
19. Jahrhundert in Mitte lagen, keineswegs so völlig geistig gebrochen und
tot war, wie wir Ausländer dies zumeist anzunehmen pflegen.
Ein anscheinend deutsches Märchen von der Nachtigall
und der Blindschleiche und sein französisches Original.
Von Reinhold Köhler.
In Pirmenichs „Germaniens Völkerstimmen", I. 283, steht ein Märchen
„De nachtigall und de blinnerslange" (Blindschleiche) in der Mundart von
Warendorf im preussischen Kegierungsbezirk Münster. Dieses Märchen
hat — ohne Quellenangabe — H. F. W. Raabe in sein ^Allgemeines
plattdeutsches Volksbuch", Wismar und Ludwigslust 1854, S. 234, auf-
genommen, aber in mecklenburg-schwerinsche Mundart übersetzt und
„Die Nachtigall un die Hartworm over Blindschlang" betitelt. F. H. von
der Hagen hat in seiner Besprechung von Firmen ichs Werk in seiner
„Germania", VDI. 218, die „Warendorfer Märe" als „sonderbar" hervor-
gehoben und ihren Inhalt mitgeteilt, und K. Schiller, „Zum Thier- und
Kräuterbuche des mecklenburgischen Volkes", 1. Heft, Schwerin 1861, S. 2,
hat mit Verweisimg auf von der Hagen und Raabe des Märchens gedacht.
Von der Hagen und Schiller haben das Märchen jedenfalls für ein
deutsches gehalten, und wohl die meisten Leser der genannten Bücher
werden dies auch gethan haben. Das Märchen ist aber gar kein deutsches,
sondern ein französisches. Es findet sich nehmlich in der ersten Ausgabe
der „Kinder- und Haus -Märchen" der Brüder Grimm, Berlin 1812, S. 20 f.,
als Nr. 6 ein Märchen „Von der Nachtigall und der Blindschleiche", welches
nach der Anmerkung dazu aus dem Französischen übersetzt ist. Das
Märchen bei Firmenich aber ist nichts anderes als eine fast durchaus
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54 Köhler:
wörtliche Übertragung der Grimmschen Übersetzung in die Warendorfer
Mundart,
Da die erste Ausgabe der Grimmschen Märchen sehr selten ist, und
auch die Memoires de TAcademie celtique, aus denen das Märchen über-
setzt ist, wenigstens deutschen Lesern nicht leicht zugänglich sein werden,
wird es gerechtfertigt erscheinen, wenn ich Übersetzung und Original hier
mitteile.
Die Grimm'sche Uebersetzung lautet:
Von der Nachtigall und der Blindschleiche.
Es waren einmal eine Nachtigall und eine Blindschleiche, die hatten
jede nur ein Aug' und lebten zusammen in einem Haus lange Zeit in
Frieden und Einigkeit. Eines Tags aber wurde die Nachtigall auf eine
Hochzeit gebeten, da sprach sie zur Blindschleiche: „ich bin da auf eine
Hochzeit gebeten und mögte nicht gern so mit einem Aug' hingehen, sey
doch so gut und leih mir deins dazu, ich bring dirs Morgen wieder."
Und die Blindschleiche that es aus Gefälligkeit.
Aber den anderen Tag, wie die Nachtigall nach Haus gekommen war,
gefiel es ihr so wohl, dass sie zwei Augen im Kopf trug und zu beiden
Seiten sehen konnte, dass sie der armen Blindschleiche ihr geliehenes Aug'
nicht wiedergeben wollte. Da schwur die Blindschleiche, sie wollte sich
an ihr, an ihren Kindern und Kindeskindern rächen. „Geh nur, sagte die
Nachtigall, und such einmal:
ich bau mein Nest auf jene Linden,
so hoch, so hoch, so hoch, so hoch,
da magst dus nimmer wiederfinden!*'
Seit der Zeit haben alle Nachtigallen zwei Augen und alle Blind-
schleichen keine Augen. Aber wo die Nachtigall hinkommt, da wohnt
unten auch im Busch eine Blindschleiche, und sie trachtet immer hinauf-
zukriechen, Löcher in die Eier ihrer Feindin zu bohren oder sie aus-
zusaufen.
Im „Anhang" ist dazu S. VH bemerkt:
Zur Nachtigall und Blindschleiche. Nr. 6,
aus dem Französischen übersetzt, Memoires de Tacademie celtique. Tome 2,
204. 205. Vergl. T. 4, 102. Das Märchen und der Glauben findet sich
unter den Solognots. Die französischen Reime ahmen den Ton der Nach-
tigall glücklicher nach:
je ferai mon nid si haut, si haut, si haut! si bas!
que tu ne le trouveras pas!
Die „Memoires de FAcademie celtique, ou Recherches sur les antiquites
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Ein anscheinend deutsches M&rchen von der Nachtigall etc. 55
celtiques, gauloises et fran^aises; publies par rAcademie celtique^, Tome ü.
Paris 1808, pag. 204 — 218, enthalten „Traditious et usages de la Sologne*),
par M. Legier, du Loiret, Ex-Legislateur, et Membre de TAcademie cel-
tique«. No. 11 derselben (8. 204 f.) lautet:
Le rossignol et TauTot, suivant la croyance des Solognots, n^avaient
qu^un oeil chacun. Depuis tres-long tems ils vivaient dans une bonne
intelligence; mais le rossignol fat un jour inyite de la noce. H pria Tanvot
de lui preter son oeil, afin de paraitre ä la noce ayec deux yeux. L'anyot
le lui preta. Le rossignol de retohr, refusa de rendre ä son ami Toeil qu'il
lui avait prete. L'anvot fache jura de s'en venger sur lui ou sur sa pro-
geniture. Mais le rossignol ingrat lui repondit: Je ferai man nid st haut^
81 hauty si haiU, si basy que tu ne 'le trouveras paa; et voilk pourquoi
l'anyot ne yoit pas clair. L^opinion des Solognots est que non loin du nid
d'un rossignol, souvent sous Tarbuste oü il est, on peut chercher, on y
trouvera certainement un anyot; j'ai cherche et n'ai rien trouye.
Wenn die Brüder Grimm auch noch auf „T. 4, 102" der Memoires
de rAcademie celtique hinweisen, so bezieht sich dies auf eine Stelle einer
Bd. IV, Paris 1809, S. 93 — 103, stehenden „Notice sur les traditions et les
croyances de la Sologne et du Berri; par M. Legier, du Loiret. Suite*^').
Hierin heisst es 8. 100:
La fable druidiqne relatiye ä l'anyot et au rossignol, y [i. e. en Berri]
est accreditee comme ä Sologne, et citee meme comme proyerbe, sans
doute parce qu'elle tient k la fois aux allegories du druidisme et ä la
morale. Par ce double rapport, nous ayons cru, M. Johanne au et moi,
qu'elle meritait d'etre yersifiee, et nous Tayons mis en vers; la yoici.
Nun folgt (8. 100 — 102) die yersificierte Fabel, welche also schliesst:
Ayeugle et malheureux par trop de complaisance,
Depuis ce tems l'Anyot cache son existence
Sous le nid de Tingrat; attend dans le silence
L'instant de se venger de Toeil qu'il a perdu,
En mangeant Toeuf que le traitre a pondu.
Unter dem Text steht zu „l'ingrat" die Anmerkung: (*) On dit qu'il
se trouye toujours un Anyot sous le nid du Rossignol, et qu'il en perce
et mange les oeufs.
Es sei noch bemerkt, dass auch in neuerer Zeit in yerschiedenen
Gegenden Prankreichs Varianten des Märchens von der Nachtigall und der
Blindschleiche gefunden und aufgezeichnet worden sind. Man sehe Laisnel
de la Salle, Croyances et Legendes du Centre de la France, Paris 1875,
IL 245 (Märchen aus Berry, schon firüher nach Laisnels Mitteilung in
1) Die Sologne liegt im Departement Loir-Cher.
2) S. 93 und 108 ist Legier gedruckt, im 2. Band ist S. 204 und 471 Legier
S. 468 Legier gedmekt.
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^
56 Löwe:
des Grafen Jaubert Glossaire du Centre de la France, 2. ed., Paris 1864,
S. 31b, gedruckt), Revue des langues romanes, IV. Montpellier -Paris 1873,
S. 317 f. (Märchen aus der Provence); E. Rolland, Faune populaire de
la France, 11. Paris 1879, S. 270 (Märchen aus Chätillon-sur-Loing im
Departement Loiret), DI. Paris 1881, S. 21 (Märchen aus Cote-d'or) und 22
(Märchen aus dem Kanton EscuroUes in Bourbonnais), Revue des Traditions
populaires, L Paris 1886, S. 177 (Märchen aus Nivemais).
Die Ausnahmslosigkeit sämtlicher Sprachneuerungen.
Von Richard L5we.
Die vorliegende Abhandlung ist wesentlich methodologischer Natur.
Nur durch genaueste Beobachtung der lebenden Sprache und eindringende
psychologische Analyse wird es möglich sein, die hier aufzustellenden
Gesetze über Ausnahmslosigkeit der Analogiebildung und der sonstigen
Sprachneuerungen so, wie sie hier formuliert werden sollen, entweder zu
beweisen oder in irgend einer Weise zu modifizieren. Aber auch der
Satz von der Ausnahmslosigkeit des Lautwandels wird sich nur in gleicher
Weise wirklich beweisen oder modifizieren lassen. Hat man diesen Satz,
für dessen Richtigkeit nur eine Art innerer Wahrscheinlichkeit spricht, zu
einer methodischen Richtschnur erhoben, so hat man auch entsprechender-
weise analoge Sätze über die Ausnahmslosigkeit der übrigen Sprach-
neuerungen, für die sich die gleiche innere Wahrscheinlichkeit ergiebt, als
methodologische Prinzipien gelten zu lassen.
Wie man den Satz der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze dahin for-
muliert hat, dass der gleiche Laut, der bei demselben Individuum an
gleichem Zeitpunkte unter den gleichen phonetischen Bedingungen einem
bestimmten Wandel unterliege, in sämtlichen ihn enthaltenden Formen
von diesem Wandel betroflfen werden müsse, so hat man das Gesetz von
der Ausnahmslosigkeit der Analogiebildung folgendermassen zu
präzisieren: „Das gemeinsame Wortelement einer Formenreihe,
das bei demselben Individuum an gleichem Zeitpunkte unter
den gleichen Bedingungen auf dem Wege analogischer Neu-
schöpfung durch ein anderes Wortelement verdrängt wird, muss
in sämtlichen dieser Reihe angehörigen Formen dieser üm-
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Die Ausnahmslosigkeit sSmtlicher Sprachneaenmgen. 57
bilduug unterliegen". Unter der Bezeichnungsweise „Wortelement'' ist
eine in einer Reihe von Formen mit einer bestimmten Funktion oder
Bedeutung verknüpfte Lautgruppe zu verstehen, also sowohl formelle wie
materielle Bestandteile. Ersteren Fall haben wir z. B. vor uns bei den
Pluralen der nhd. Feminina der germanischen ^Deklination, die ohne Aus-
nahme das Wortelement -en für -e nach Analogie der schwachen Feminina
angenommen haben; letzteren in sämtlichen ursprünglich grammatischen
Wechsel zeigenden tiefstufigen Verbalformen des Gotischen mit präteritaler
Funktion, wo die wurzelhaften stimmlosen Spiranten ausnahmslos an die
Stelle der entsprechenden stimmhaften gestreten sind, wo also z. B. in
ffa-taukum das Wortelement ^- durch tuh- (woraus tauh-) ersetzt worden
ist; beide Fälle sich kreuzend bei den verschiedenen Ablautreihen der
starken Verba des Nhd., wie z. B. in der vierten Reihe der Ablaut d des
ind. plur. praei, zugleich wurzelhafter Teil und Flexionselement, das a
des zugehörigen Singulars in allen Formen verdrängt hat. — Gleichgültig
ist, ob die ältere Formenreihe neben der neugebildeten noch eine Zeit
lang fortbesteht oder nicht: sowohl die Neuschöpfung der analogisch ent-
stehenden wie der Untergang der älteren Formen muss unter gleichen
Bedingungen gleich ausnahmslos vor sich gehen.
Die Wirkung der Ausnahmslosigkeit der Analogiebildung kann gerade
wie die der Ausnahmslosigkeit des Lautgesetzes von jüngeren Lautgesetzen
und Analogiebildungen wieder durchbrochen werden. Der so entstandene
Lautwechsel beweist natürlich nicht das Mindeste gegen die unbedingte
Konsequenz beider Arten von Wandlungen. Wohl aber kann man insofern
in einem bestinmiten Sinne von Ausnahmen der Lautgesetze und Analogie-
bildungen reden, als bereits der Eintritt beider Arten von Sprachneuerungen
durch bestimmte Faktoren eingeschränkt werden kann. Will man hier
die Bezeichnung „Ausnahme'' anwenden, so handelt es sich dabei nicht
um eine verschiedene Auffassung der Thatsachen, sondern nur um eine
abweichende Ausdrucksweise. Der Eintritt eines Lautwandels kann in
Verbindung des zu wandelnden Lautes mit bestimmten anderen Lauten
unterbleiben, wie z. B. die ahd. Tenues zur Vermeidung der unbequemen
Aufeinanderfolge dreier Geräuschlaute nach s nicht zu Aflfricaten ver-
schoben worden sind. Ganz entsprechend können sich auch da, wo eine
Analogiebildung eine Formenreihe ergreift, einzelne Formen der analogischen
Umbildung dann entziehen, wenn speciell sie wiederum mit anderen Formen
associiert sind, die vermöge ihrer Lautgestalt jener Analogiebildung direkt
entgegenwirken, bezw. die Richtung der Ausgleichung nach einer anderen
Seite hin treiben. Ich gebe dafür ein Beispiel aus meinem heimatlichen
Dialekte, dem Niederdeutsch südwestlich von Magdeburg. Die auf l -\- cons.
oder U auslautenden Wurzeln der dritten Ablautreihe haben dort das i des
Singulars auf dem Wege der Analogiebildung auch in den Plural über-
geführt: 80 käp9j hüpm (helfen), ^ife. Hin (schelten), jiby jün (gelten), 8wÜ9^
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58 I^we:
swiln (schwellen)*); dass das i des Plurals hier nicht lautgesetzlicher Herkunft
ist, zeigen Formen wie mein < as. melddn und das aus unserer Reihe in
die schwache Konjugation übergegangene melkn = ahd. melchan. Dagegen
ist bei dem Verbum smelta, smeltn der Vokal des Plurals in den Singular
gedrungen. Das stets stark flektierte Verbum hat sowohl transitive wie
intransitive Bedeutung: das Grundverbum und sein Causativum waren
durch Zusammenfall des westgerm. e und des Umlauts -^ zunächst in
mehreren Präsensformen völlig zusammengeronnen, ein Umstand, der es
zur Folge hatte, dass beide Verba auch in den übrigen Formen Anschluss
an einander suchten. Dass im Singular neben einem smilte auch ein smeüe
stand, genügte, um hier die Formen mit e durch das ganze Präsens durch-
dringen und, die mit i gänzlich verschwinden zu lassen. Die Trennung
des Verbums smelten im Präsens von denjenigen Verben, denen es ur-
sprünglich zugehörte, bewirkte sodann in den Präteritalformen eine noch
weitere Trennung desselben von seiner Reihe. Hier wurde bei den übrigen
Verben der gleichen Reihe der Vokal des ind. plur. massgebend für den
des ind. sing, und den des part.: also sing. htUp und part. »hulpm nach
plur. hulpm^ mly dsuin nach Stdn^ jtd, 9juln nach jtdn^ suml, dswuln nach
swuln. Dagegen siegte bei smelten der Vokal des Partizips: smolt, smoltn
nach asmoltn. Das durchgehende e des Präsens hatte das Verbum der
Reihe hupen u. s. w. enthoben und es den auf r + cons. in der Wurzel
ausgehenden Verben wie sterben, verderben^ bei denen gleichfalls der Vocal
des Plurals im Präsens durchgedrungen war, associiert. Diese Association
muss in einer Zeit eingetreten sein, in der e vor r noch nicht zu a, wohl aber
u vor r + cons. zu o geworden war. Dass letzterer Wandel früher als der
erstere stattgefunden hat, ergiebt sich daraus, dass im Mittelniederd. nur
Formen wie Ixyrg^ aber noch solche wie p&rle neben solchen wie parle ge-
schrieben werden. In der Reihe der auf r + cons. in der Wurzel aus-
lautenden Verba ist die Form storbm < stürben für den plur. praet. laut-
gesetzlich; danach wurde im sing, storf geschaffen, während das part. mit
seinem o nicht mehr umgebildet zu werden brauchte. Da also in dieser
Reihe die Formen mit o den Sieg davontrugen, so drang auch bei smelten
das des part. praet. in die Formen des zugehörigen Indikativs.
Sehr häufig umfasst die ganze Analogiebildung nur eine einzige Form
oder wenige Formen. Diese muss oder diese müssen dann lautlich oder
funktionell zur Musterform in irgend einer näheren Beziehung als die mit
ihr oder mit ihnen zur gleichen Reihe verknüpften Formen stehen. Auf
dem Gebiete des Lautwandels entspricht dieser Art der Analogiebildung
der Wandel eines Lautes in einer oder in mehreren bestimmten Ver-
bindungen. Wie sich sämtliche zu einer Formenreihe gehörigen Formen
zu einander verhalten, so verhalten sich sämtliche Lautkomplexe zu ein-
1) Das / dieser Verba ist als Fortis zu sprechen.
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Die Ausnahmslosigkeit sämtlicher Sprachneueningen. 59
ander, die den gleichen Laut an gleicher Stelle aufweisen. Wenn sich im
Ahd. Accusative auf -an ausser bei Eigennamen nur bei den Appellativen
Iruhüfiy goty fater^ man finden, so erklärt sich dies aus der den Eigennamen
nahe stehenden Bedeutung speciell dieser Appellativa: es vergleicht sich
im Gebiete des Lautwandels damit z. B. die ahd. Kontraktion des ai nur
vor r, Ä, «?, die eben durch die Natur gerade dieser Laute veranlasst oder
bedingt worden ist. Diese Art von Analogiebildung und Lautwandel bildet
genau das Gegenstück zu den oben gekennzeichneten Ausnahmen beider
Arten der Sprachneuerungen.
Es ergiebt sich somit die miethodische Forderung, den Bereich der
Ausdehnung der Analogiebildung gerade so genau wie denjenigen der
Ausdehnung des Lautwandels in jedem einzelnen Falle aufs schärfste ab-
zugrenzen. Und wie man das Wort „Gesetz" in der Verbindung „Lautgesetz''
zur Bezeichnung eines einzigen eine Reihe von Einzelfallen in gleichmässiger
Weise treffenden Yerschiebungsaktes anwendet, so darf man in einem ganz
entsprechenden Sinne auch von einem „Analogiegesetze" reden. Der
Bereich des Analogiegesetzes ist deshalb, weil die Analogiebildung sich
auf das Wortelement, also zugleich auf Lautgestalt und Bedeutung bezieht,
teils lautlich, teils funktionell oder semasiologisch abgegrenzt. Eine laut-
liche Abgrenzung haben wir z. B. im Ahd. in der Setzung des a vor kon-
sonantisches ly r, THy n in denjenigen Fällen, in denen sich in verwandten
Formen das a vor sonantischem Z, r, ?n, n lautgesetzlich entwickelt hatte:
hier tritt in ältester Zeit die analogische Einfügung des a nur nach kurzer
Silbe ein; vgl. fogalesy ebano, bodamea gegenüber hlüiresy zeihnes, ackres.
In dieser Abgrenzung der Ausgleichung finden wir eine grosse Ähnlichkeit
mit der Abgrenzung des westgermanischen Synkopierungsgesetzes, das
durch die Beseitigung des Yokales nach langem betonten Yokal einen
ganz analogen Zustand wie unser Analogiegesetz schuf: in beiden Fällen
sehen wir die Wirkung der gleichen rhythmischen Prinzipien. Ein Beispiel
fär die Abgrenzung der Analogiebildung nach der Bedeutung bilden die
oben erwähnten ahd. Wörter goty fatevy irakttny man.
Wie die Analogiebildung so ist auch natürlich die Kontamination nebst
allen Zwischenarten von Kontamination und Analogiebildung ausnahmslos.
Aber auch für den'Funktionswandel hat das Gesetz der Ausnahmslosig-
keit zu gelten. Die Verschiebung irgend eines einer Reihe von Formen
gemeinsamen Bedeutungselementes muss in allen diesen Formen gleich-
massig erfolgen, soweit nicht einzelne unter diesen formell oder fimktionell
gegen die übrigen isoliert sind. Nimmt z. B. in irgend einer Mundart der
Konjunktiv irgend eines Tempus futurische Bedeutung an, so natürlich alle
in der Mundart enthaltenen Konjunktive desselben Tempus mit Ausnahme
der etwa formell oder funktionell gegen die übrigen in irgend einer Weise
iaoherten. Man darf daher auch von „Funktionsgesetzen" reden. Gleich-
giltig ist natürlich dabei, ob es sich um eine Funktionsverschiebung,
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>
60 I^öwe:
-erweitemng oder -Verengerung handelt. Auch das völlige Aufgeben einer
Pormenreihe ist eine Funktionsverengerung bis zum Nullpunkte und muss
alle in der Reihe enthaltenen Formen gleichmässig ohne Unterschied
treffen, falls sich nicht etwa einige derselben in irgend einer Weise formell
oder funktionell gegen die übrigen isoliert haben. Die beliebte Erklärung
von Formen, deren Lautgestalt sich nicht in das Formensystem ihrer
Sprache einfügt, als Überreste einer verloren gegangenen Formenkategorie
ist überall da ein methodischer Fehler, wo sich nicht der Nachweis führen
lässt, dass jene Formen lautlich oder funktionell gegen die übrigen der
gleichen Reihe zur Zeit des Unterganges dieser in irgend einer Hinsicht
isoliert gewesen sind. Aus diesem Grunde ist z. B. die von Kluge ^) ge-
gebene Deutung des ahd. Präteritums ter als Restes des sonst verlorenen
echten Aorists zu verwerfen. Dagegen dürfen wir z. B. bei Formen des
Yerbum substantivum, dessen rein abstrakte Bedeutung gegenüber derjenigen
der übrigen Verba eine isolierte Stellung einnimmt, analoge Erklärungen
gelten lassen.
Aber nicht nur für den Punktionswandel, d. h. den Wandel der for-
mellen Bedeutung, sondern auch für den der materiellen, den man schlechthin
Bedeutungswandel zu nennen pflegt, gilt das Gesetz der Ausnahmslosigkeit.
Nur wird hier in den wenigsten Fällen das unter bestimmten Bedingungen
veränderte Bedeutungselement unter diesen gleichen Bedingungen in mehr
als einem Worte vorhanden sein, so dass hier das Bedeutungsgesetz fast
immer nur einen einzigen Fall in sich schliesst.
Hinsichtlich der Ausnahmslosigkeit des Lautwandels ist noch eine
wichtige Bemerkung zu machen. Die Ausnahmslosigkeit hat auch für den
sogenannten springenden Lautwandel (Metathesis, Silbenassimi-
lation, Dissimilation), für den sie inkonsequenterweise von derselben
Seite aus, von der die des sogenannten allmählichen Lautwandels besonders
betont wurde, teilweis in Abrede gestellt worden ist, in vollem Umfange
zu gelten. In einigen Fällen wie bei den Dissimilationen der altind. und
griech. Aspiraten können wir die Ausnahmslosigkeit dieses Lautwandels in-
duktiv direkt erweisen. In anderen Fällen, in denen der sogenannte springende
Lautwandel scheinbare Unregelmässigkeiten zulässt, hat man zu beachten,
dass sein Eintreten überall mindestens von allen denjenigen Lauten zugleich
bedingt wird, die zwischen den beiden vom Wandel betroffenen stehen,
sehr häufig aber auch wohl noch von dem dem zweiten nächstfolgenden
und zuweilen wohl auch noch von dem dem ersten vorangehenden Laute.
Auf diese Weise erklärt es sich, dass gerade der Bereich des springenden
Lautwandels so häufig nur ein einziges Wort umfasst. Hinsichtlich der
Mitwirkung des folgenden Lautes ist auf die Metathesis von r -}- voc. vor
folgendem Dental im Anglofriesischen imd Niederdeutschen zu verweisen.
1) Kluge, Geschichte der german. Konjag. S. 137.
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Die Aasnahmslosigkeit s&mtlicher Sprachnenerangen. 61
In manchen Fällen, in denen beim sogenannten springenden Laut-
wandel eine scheinbare Regellosigkeit vorliegt, wird man durch sorgfaltige
Zusammenstellung und Vergleichung aller Einzelfalle das Lautgesetz zu
erechliessen imstande sein. Bechtel*) hal diejenigen lateinischen Wörter
nisammengestellt, in denen dem stammbildenden Suffixe -^ro-^ -ctdo- ein l
in der Wurzel vorausgeht. Hier war bekanntlich -cfo- < -Üo- die ur-
sprünglich durchgehende Suffixform. Aus den bei Bechtel aufgezählten
Beispielen kann man folgendes Lautgesetz konstruieren: „Z ging nach c in
r über, erstens wenn auch in der unmittelbar vorangehenden Silbe über-
haupt irgend ein L, zweitens wenn in der zweitvorhergehenden Silbe ein
anlautendes l stand. Dagegen blieb l nach c erhalten, wenn das in der
zweitvorhergehenden Silbe vorhandene l nicht silbenanlautend war**. Vgl.
1. lucrum, involucrum^ mohicrum^ mnulacrum, sepulcrum^ fulcrum. 2. lava-
crum^ eluacrum gegenüber clunactdum^ stibUgaculum, Im Mhd. lässt sich
folgendes Dissimilationsgesetz aufstellen: „Anlautendes kl geht in kn über,
wenn in demselben Worte ein l folgt, ausgenommen wenn ein Nasal
zwischen beiden l steht*'. Vgl. kniuwel <: kliuwel^ knobelouch < khbeUmch^
dagegen stets kUngelen^ hlüngeUn (Knäuel). Die Dissimilation trat zur Ver-
meidung einer unbequemen Lautfolge ein: hätte man nun auch U bei
folgendem Nasal in kn gewandelt, so würde man in derselben Silbe zwei
Nasale erhalten und so eine noch unbequemere Lautfolge erzeugt haben.
Ohne an dieser Stelle den eigentlichen Beweis für die Ausnahmslosigkeit
des springenden Lautwandels führen zu wollen, will ich doch hier wenigstens
diejenigen Einwände widerlegen, die gegen dieselbe erhoben worden sind.
Man hat die Metathesen,' Silbenassimilationen und Dissimilationen aus
einem Sichversprechen ableiten wollen. Dem ist entgegenzuhalten,
! dass wir uns so selten zu versprechen pflegen, dass die auf diese Weise
entstandenen Missbildungen niemals usuell werden können. Dazu ver-
sprechen wir uns, da wo wir keine occasionellen Analogiebildungen machen,
I zum weitaus überwiegenden Teile nur in der Weise, dass wir Laute zweier
verschiedener Wörter mit einander vertauschen oder einen Laut eines
Wortes durch den eines Nachbarwortes beeinflussen lassen. Auch ist der
Umstand in Betracht zu ziehen, dass, während der sogenannte springende
Lautwandel am häufigsten bei Liquiden und demnächst bei Nasalen statt-
findet, ein Sichversprechen, wie man beobachten kann, am meisten durch
«- und »-Verbindungen begünstigt wird. Und in der That weist der so-
genannte springende Lautwandel auf ganz denselben ürsprungspunkt zurück
wie der sogenannte alln)ähliche.
Wegener*) hat auf Grund eigener Beobachtungen darauf hingewiesen,
dass der Lautwandel bei der jüngeren Generation durch abweichende Neu-
1) Bechtel, Assimilation und Dissimilation der beiden Zitterlaute. S. 25.
2) Wegen er in seiner Recension von Pauls Prinzipien, Zeitschr. f. d. Gymnasialw.
Bd. XXXVI. 8. 301 ff.
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62 Löwe:
erzeugung des von der älteren Generation überlieferten Lautmaterials seine
Entstehung nehme. Völlig unabhängig von Wegener ist Bremer bei
seiner Erforschung des Dialektes der Insel Föhr auf ganz dasselbe Resultat
gelangt: vgl. seine eingehende auf genauester Beobachtung basierte Schil-
derung der Verhältnisse der aosdringischen Mundart *). Auch soweit ich
selbst bisher in meinem Heimatsdialekte Beobachtungen über diesen
Punkt angestellt, habe ich dies Resultat bestätigt gefunden. Ich muss
dabei bemerken, dass sich zwischen der Sprache der älteren und der
jüngeren Generation oft ein klaffender Riss ohne irgend welche Übergänge
bildet, wie es z. B. in meiner Heimat Dörfer giebt, in denen die Er-
wachsenen sp und 8t^ die Kinder dafür sp und st^ und solche, in denen die
Erwachsenen deutliches ^, die Kinder deutliches j sprechen, ohne dass
irgend welche Zwischenstufen existieren. Es erhellt, dass sowohl der
spontane wie der auf Beeinflussung durch Nachbarlaute beruhende kom-
binatorische Lautwandel durchaus nicht notwendig stets ein allmählicher
ist. Man hat mithin den als historisch konstatierbaren Lautwandel — einzig
vom willkürlichen und von dem durch Mischung im engeren Sinne ent-
standenen abgesehen — in letzter Instanz aus der Sprache der sprechen-
lernenden Kinder abzuleiten. Aus derselben Quelle hat Paul') mit Recht
einen Teil des Bedeutungswandels hergeleitet. Er hat ausgeführt, dass
zufällige Übereinstimmungen in der Bedeutungs Verschiebung bei ver-
schiedenen regelmässig mit einander sprechenden Kindern dazu führen
könnten, dass diese Kinder die Bedeutmigsveränderung gemeinsam in ihrer
Sprache festhielten. In ganz analoger Weise können aber auch mit einander
verkehrende Kinder, die zufallig in einer bestimmten lautlichen Abweichung
von der Sprache der Erwachsenen untereinander übereinstimmen, diese
Abweichung für immer beibehalten. Zwar pflegen viele dieser Abweichungen
infolge übereinstimmender psychophysischer Weiterentwickelung der Kinder
regelmässig wieder zu verschwinden, wie sich denn z. B. wenigstens auf
indogermanischem Gebiete nirgends ein spontaner Übergang von A zu t,
der doch in der Kindersprache so überaus häufig ist, nachweisen lässt.
Dagegen entspricht dem wohl noch häufiger vorkommenden spontanen
Lautwandel der Kindersprache o>s ein spontaner Lautwandel *">« im
im Iranischen, im Slawischen, im Lettischen und im Preussischen '); auch
aus dem „Schiboleth" der Bibel ist er aus semitischem Gebiete bekannt.
Ungemein häufig sind in der Kindersprache Auslassungen von Konsonanten
in Nachbarschaft anderer Konsonanten: vgl. die historisch nachweisbaren
Assimilationen dieser Laute.
Es finden sich nun in der Kindersprache auch Lautwandlungen, die
eine weit grössere Übereinstimmung mit dem sogenannten springenden
1) Niederdeutsches Jahrb. Bd. XIII. S. 14 fif.
2) Paul, Prinzipien d. Sprachg. S. 76 ff.
3) Vgl. Brugmann, Grundr. d. vgl. Gramm, d. idg. Spr. Bd. I, § 397 und 412.
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Die Aasnahmslosigkeit s&mUicher Sprachneaerungen. 63
Lautwandel als die Fälle des Sichversprechens zeigen. So bildet das von
Preyer *) aus der Sprache seines Kindes angeführte y^grefasen^ für y^ge-
freaen^ eine genaue Parallele zu anord. fifrilde = ahd. fifaltra^ dodonäisch
taxQomov <r xaiontQov^ syrakusaniseh dglqfog < dirpQog und einer ganzen
Reihe entsprechender Lautwandlungen im Portugiesischen *). Mein jüngster
Bruder sagte, als er sprechen lernte, regelmässig Sneiblitz*) für Schleibnitz
(ein Dorfhame); vgl. dodonäisch ä/iiii}()6g < ägiiffioc^ portug. alento > anelto
> anhelitus. Ein von mir kürzlich beobachteter, nahezu dreijähriger Knabe,
Willy Begal aus Halle a. S., zeigte einen ungemeinen Reichtum an der-
artigen Lautwandlungen. Derselbe ersetzte z. B. die Lautgruppe st regel-
mässig durch fs, sagte z. B. tatsen für kosten^ du meit» für du wemt u. s. w. ;
vgl. syrakusaniseh ipi < oq>i *), sowie die Vertretung von anlaut. idg. sk
durch griech. f. Ferner setzte er, obgleich er inlautendes / und r sehr
wohl sprach, für anlautende liq. oder die anlautende Gruppe cons. + liq.
regelmässig ein m, wenn der dem Yokale der ersten Silbe folgende Kon-
sonant ein Labial, ein n, wenn derselbe ein Dental war. So sagte er:
mampe für lampe^ meiben für bleiben^ meppe für treppe^ mauf für drauf
{darauf)^ mief für briefy mappem für klappern; noss für grosSy nen für klm
(hallisch für Afetn), natte für plättey neid für kleid^ ntn für grtn (hallisch
fQr grün)^ now für kloss u. s. w. Nasale für Liquiden und liquidische Ver-
bindungen sind in der Kindersprache ganz gewöhnlich. Uns interessiert
hier die Assimilation dieser Nasale an den folgenden Konsonanten hin-
sichtlich ihrer Artikulationsstelle. Eine gerade umgekehrte, aber in ihrem
Wesen ganz analoge Assimilation eines Explosivlautes an einen voran-
gehenden Nasal hinsichtlich der Artikulationsstelle findet sich im Nieder-
deutsch des Magdeburger Landes in dem Worte hamspr <. mnd. hamster:
der labiale Nasal m machte den dentalen Mundexplosivlaut t zum labialen
Mundexplosivlaut p^ eine partielle Silbenassimilation, die einer totalen wie
dt. mama < *mana = abktr. mana = abulg. mens vollkommen parallel
geht Die erwähnten partiellen Silbenassimilationen zeigen übrigens aufs
deutlichste, dass nicht nur die Formen, sondern auch die Laute der zu er-
lernenden Sprache in der Seele der sprechen Lernenden in Reihen geordnet
sind*). Eine Dissimilation zeigte Willy Kegal in dem Worte talinchen
fto kanmchen; vgl. altportug. linho < ninho •). Von der älteren Schwester
dieses Knaben erzählten mir ihre Eltern, dass sie die „Buchstaben herum-
1) Preyer, Die Seele des Kindes. S. 327.
2) Vgl. Cornu in Groebers Grundr. d. roman. Philo!. S. 764, § 157.
3) Ich schreibe die Wörter aus der Kindersprache nicht phonetisch, sondern nach
gewöhnlicher Orthographie, indem ich nur die Abweichungen von der Sprache der Er-
wachsenen besonders kennzeichne.
4) VgL Gust Meyer, Griech. Gramm. § 250.
5) Vgl. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsychologie, Bd. I, S. 135 ff., dasu die treff-
Hchen Bemerkungen Wegeners, a. a. 0.
6) Cornu, a. a. 0., S. 851.
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64 Löwe:
gedreht" habe (dies besonders häufige Vorkommen des sog. springenden
Lautwandels bei Geschwistern muss auf Vererbung derselben geistigen
Anlagen beruhen) ; sie erinnerten sich noch, dass sie kapet für paquet gesagt
hatte: vgl. lit. kepu < *peku = abulg. pek^^ griech. axin-toftai < ^anix^zo^Qt =
lat. apec-io.
Übrigens kann auch die Analogiebildung nur in der Übertragung der
Sprache auf eine jüngere Generation ihre Ursache haben. Denn es ist
ganz unmöglich, dass die wenigen durch Sichversprechen occasionell ent-
stehenden Missbildungen, die auch dem Ungebildeten, der die gleiche Mundart
wie der sich Versprechende redet, auffallen und lächerlich erscheinen,
wirklich usuell werden können. Dagegen sind die Analogiebildungen in
der Eindersprache so ungemein häufig, dass man diese Sprache ohne Be-
denken für das einzige Gebiet der Entstehung der sich wirklich fest-
setzenden Analogieformen ansehen darf. Der Umstand, dass sowohl Laut-
wandel wie Analogiebildung durch Übertragung von Generation auf Gene-
ration entstehen, ist für die Richtung, in welcher die Untersuchung über
die Ausnahmslosigkeit beider Arten von Sprachneuerungen zu führen sein
wird, einzig bestimmend.
In der Sprache der Erwachsenen selbst entstehen — von allen Mischungen
im engeren Sinne und gemeinsprachlichen Einflüssen ist hier abzusehen —
von lautlichen Veränderungen nur gewisse Entstellungen von Wörtern und
Wortverbindungen. Wir können dieselben einfach ^Wortentstellungen"
nennen. Sie haben gegenüber dem Lautwandel, der gänzlich unabhängig
von der Bedeutung der Wörter, welche die vom Wandel betrofifeneii Laute
enthalten, vor sich geht, das mit der Analogiebildung gemeinsam, dass sie
stets durch die Bedeutung des veränderten Wortes mitbedingt sind: sie
gehören wie die Analogiebildungen zum „Wortwandel ". Ich gehe auf die
Wortentstellungen hier kurz aus dem Grunde ein, weil dieselben eine
Reihe scheinbarer Ausnahmen der Lautgesetze erklären; auch hier kommt
es mir nur darauf an, die wirklich gewichtigen Einwendungen, die gegen
die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze erhoben worden sind, s^u widerlegen.
Die Wortentstellungen gliedern sich in zwei Hauptgruppen, die
wir Wortkürzungen und Wortverdrehungen nennen können.
Unter den Wortkürzungen haben wir Verkürzungen von Wort-
verbindungen um ganze Wörter, von Wörtern um einzelne Silben oder
Laute zu verstehen. Wie wir nach Wegener ^) die Worte des Sprechen-
den schon nach wenigen Merkmalen auffassen, und wie nach ihm die
Worte im Gespräche der Glieder einer Familie, einer Dorfschaft viel
mangelhafter als im Gespräche mit Fremden artikuliert werden, so begnügt
sich der Sprechende bei überhaupt sehr häufig vorkommenden Wort-
verbindungen oder längeren Wörtern oft damit, nur den Anfang des Wortes
1) Grundfragen d. Sprachlebens. S. 186.
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Die Aosnahmslosigkeit sämtlicher SprachneaeraDgen. 65
oder Wortkomplexes oder auch dessen stärker betonten Teil wirklich aus-
zusprechen, da der Hörende hierbei schon den Sinn des Ganzen versteht.
Gerade die Rücksichtnahme auf das Verständnis beweist, dass die Wort-
kürzungen erst in der Sprache der Erwachsenen entstehen, den durch
Lautwandel und Analogiebildung geschaffenen Zustand also erst später
durchbrechen. Und so zeigen denn die allergewöhnlichsten Wörter nicht
in Wirklichkeit, wie Schuchardt^) will, sondern nur scheinbar am meisten
Neigung, sich von den Lautgesetzen zu emancipieren. Es ist indess nicht
immer nötig, dass die zu kürzenden Wörter in der Sprache der Gesamt-
heit zu den häufigsten gehören; sie brauchen nur in einem bestimmten
Yerkehrskreise recht häufig zu sein, um innerhalb desselben die Kürzung
zu erfahren. Gerade diese im engen Kreise entstehenden Wortkürzungen
sind recht instruktiv für analoge Vorgänge in der Sprache überhaupt. Wenn
z. B. die Studenten der Chemie in Leipzig Labor für Laboratorium sagen,
80 unterscheidet sich diese Wortkürzung in nichts von allgemein üblichen,
wie sie insbesondere bei Bezeichnungen nach Zahl, Mass und Gewicht
vorkommen: vgl. zwei Kilo für zwei Kilogramm^ zwei Pfennig für zwei
Pfennige^ ztoei Mark fünfzig für zwei Mark fünfzig Pfennige,
Ferner sind auch die Kurznamen hierher zuziehen. Delbrück')
hat dieselben für Entlehnungen aus der Kindersprache erklärt und dabei
auf Formen wie engl. Bob < Robert, Dick <: Richard verwiesen. Für diese
beiden Beispiele ist ihm zweifellos Recht zu geben. Denn wir haben in
diesen Formen lauter Eigentümlichkeiten der Kindersprache, das Fehlen
der unbetonten Silben, die Ersetzung des schwierigen r in Dick durch das
verwandte d, in Bob infolge einer springenden Assimilation durch das dem
Vokale folgende 6, den Ersatz der schwierigen Konsonantenverbindung U
durch einfaches k. Man wird aber im allgemeinen ziemlich vergeblich
nach derartigen verstümmelten Koseformen suchen. Unter sämtlichen in
Fi cks Buche, Die griechischen Persoitennamen, aus allen idg. Sprach-
zweigen angeführten Kurznamen findet sich auch nicht ein einziger, in dem
abgesehen von der Anhängung eines stammbildenden Suffixes irgend eine
lautliche Abweichung von dem ihm zu Grunde liegenden Bestandteile des
Vollnamens vorkäme. Bildungen wie Zer^iQ für Zev^inuag^ Gaste für
Auguste u. s. w. sind vielmehr von solchen wie Labor für Laboratorium
durchaus nicht verschieden. Häufigkeit und Länge des Namens sind es,
die gemeinsam die Kürzung zunächst in vertrautem Kreise veranlassen.
Nur können die Kurzformen der Personennamen noch besondere Kose-
sufßxe erhalten.
So erklären sich denn auch die gekürzten Formen von Titeln und
Begrilssungen, die Schuchardt ganz besonders gegen den Satz von der
Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze in^s Feld führt. Es finden sich hier
1) Ober die Lautgesetze. S. 25.
2) Die neueste Sprachforschung. S. 29.
Zeiucbiift d. Vereint f. Volkskunde. 1891. 5
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66 liöwe: Die Ansnahmslosigkeit slUntlicher Sprachneaemngen.
sowohl Auslassungen einzelner Wörter wie im nhd. Mahlzeit för gesegnete
Mahlzeit, einzelner Silben wie in dem von Schuchardt angeführten magyar.
ald szolgäj < aldtos szolgdja^ und meist wohl verbunden mit den beiden
eben genannten Arten die Auslassung einzelner Laute wie in vulgärdeutsch
motn, der gewöhnlichsten Form für guten Morgen^ in der das r geschwunden
ist (das konsonantische i vertritt die Spirans ^ [für ^] nach voraufgehendem
Vokal); in dem bei Schuchardt auch genannten mu ist sogar der Vokal
und der Nasal n der Kürze halber zum Nasalvokal o kontrahiert worden.
Ähnlich heisst es im Magdeburger Lande n dach neben blossem dach für
y^guten Tag^, Die Kürzung um einzelne Laute scheint sich überhaupt
auf die Formeln der Begrüssung und der titularen Anrede zu beschränken.
In allen anderen Fällen ist doch wohl der Sinn des Wortes nicht in dem
Grade selbstverständlich, dass man bis zu dieser höchsten Stufe der Ver-
undeutlichung fortschreitet.
Die Wortverdrehungen sind entweder Euphemismen wie nhd. verßxt
für verflucht^ oder phantastische Umgestaltungen von Wörtern in der An-
lehnung an andere Wörter, wie sie im Scherze und bei Spielen vorkommen,
oder partielle Urschöpfungen.
Für die Wortentstellung selbst haben wir natürlich gleichfalls das
Gesetz der Ansnahmslosigkeit zu postulieren. Freilich umfasst auch hier
der ganze Wandel meistens wohl nur ein einzelnes Wort oder eine einzelne
Wortverbindung. Mehrere Wörter begreift er z. B. in sich bei der Kürzung
der Hunderte der lateinischen Distributiva: duceni < ducenteni, treceni<i ^tre-
centeni u. s. w. Eine Ausnahme von diesem Wortkürzungsgesetze bildet
nur centeni: eine Form *ceni würde der Deutlichkeit zu viel Abbruch
gethan haben. Da die Wortkürzungen selbst absichtlich stattfinden, so
sind natürlich auch ihre Ausnahmen durch Absicht bedingt. Auch bei
Kürzung der Personennamen lassen sich wahrscheinlich Wortkürzungs-
gesetze betreffs ganzer Namenklassen aufstellen. Ein Wortverdrehungs-
gesetz haben wir im Deutschen in der steten Ersetzung von Gott& durch
'potz in Flüchen wie potz Blitz^ potz Wetter u. s. w., im Französischen in
der Verwandlung von -dieu in -bleu in den ursprünglich auf -diea endenden
Literjektionen wie parbleu^ corbleu u. s. w.
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Rehsener: Wind, Wetter, Regen, etc. in Vorstellung und Rede des Tiroler Volkes. 67
Wind, Wetter, Begen, Schnee und Sonnenschein in
Vorstellung und Bede des Tiroler Volks.
Von Maria Rehsener.
So mancher müht sich ab, das Gewöhnliche originell zu sagen, weil
alles nach Eigenart verlangt, und hätte nur die Hand nach dem Originellen
auszustrecken, welches in der Ausdrucksweise des Volkes am Wege blüht.
Die Ausbeute würde eine um so reichere sein, führte ihn seine Strasse
in noch unbekanntes Land.
Wir, als Fremde in Gossensass angekommen, strebten nur, uns den
Gebirgsbewohnern verständlich zu machen, und fanden dabei ungesucht
in ihren Antworten, kleinen Mitteilungen und ihrem Thun so viel Merk-
würdiges, dass wir es nicht unterlassen mochten, das Gegebene aufzuzeichnen.
Selbst die taglich wiederkehrenden Erscheinungen, wie Wind und Wetter,
Regen und Sonnenschein gewannen neuen Keiz.
Der Wind.
Der Wind ist ein Letter (ein Landstreicher), der von Haus zu Haus
geht. Man derhängt ihn nicht an; man ist froh, wenn ergeht: denn wenn
er fahrt, derstellt man ihn nicht aus, ebensowenig wie einen fahrenden
Wagen oder einen herankommenden Eisenbahnzug.
Wenn die Hennen krähen, kommt der Wind. Er muss so lange
gehn, bis er blutet; daher soll man nichts Böses auf ihn sagen. „Das
glaub' ich, dass der Wind Enk angeblasen hat! Wo mag er jetzt hin-
gegangen sein?"
Anno zwölfundachzig ^) ist der Wind so gegangen, dass er den Leuten
das Haar von den Köpfen gerissen hat.
Yiel Wind, viel Krieg! hat der alte Wechsler allem gesagt.
Wenn der „äussere" Wind (NO vom Brenner) weht, ist es frisch und
klar, weht aber der „untere" (SW von Sterzing), dann giebt es Regen.
Heuer weht der äussere allein, der untere hat wohl mal auergelugt, ob er
nicht aufer kommen könnte, aber der andere hat es nicht gelassen.
Den alten Brennern diente des Windes Treiben als „Loss" (Orakel).
1) Vielleicht eine dunkle Erinnerung an das Jahr 1792, das den Leuten nicht nur
das Haar, sondern auch die Köpfe mit fortgenommen hat.
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68 Rehsener:
Sie streuten zu Georgi etwas Nudelmehl auf das Dach des Hauses. Ver-
trug es der Wind, so glaubten sie, es erginge dem Mehl, woraus Nudeln
gemacht worden, ebenso — streng genommen dem Weizen auf dem Felde,
aus dem Mehl bereitet wird.
„Die Furl", haben Sie von der nie gehört? ein gemachter Wind! —
es wird wohl soviel wie eine Hexe gewesen sein. Die Purl drehte einem
Bauern das Heu umeinander, da warf ein Bube von ihm mit dem Messer
nach ihr. Das Messer aber blieb im Bauch des Vaters stecken, der wohl
in der Nähe Gras geschnitten haben wird, — ich weiss nimmermehr recht,
wie es war, — dort fand man nachher das Messer, und den Mann fand
man tot." —
„Wissen Sie auch, was ein armes Weible gethan hat, damit der Wind
ihr nicht die Erde vertrüge?" Das Weible hatte nur eine alte Hütte und
nur ein kleines Stück Land, — die Erde lag dünn auf dem Pelsgrund,
und der Wind wehte immer über sie hin, so dass die Frau fürchtete, er
würde das Land ganz forttragen. Da opferte sie ihm jedesmal, wenn sie
Mus kochte, eine Kelle voll Mehl, welches sie ihm zum Fenster hinaus-
streute. Und der Wind liess ihr das Land." —
Das Wetter.
„Heute ist ein Zweifelwetter und morgens ging die Sonne so viel nett
am Femer auer,** sagte die Weber- Zenze*).
„Manche sagen, mit dem Wetter habe unser Herr nichts zu thun, dafür
habe er die Wetterherren*). — Wie schnell es oft anders wird! Einmal
kamen wir morgens ins Zirog auf die Mahd, — es war ein kaltes, win-
diges Wetter, — wir hatten ein tolles Feuer in der Weite angeschürt und
die Pfanne voll Wasser zum Muskochen darauf gestellt. Ich bin nur
ums Mehl gegangen; aber bis ich wiederkam, war das Feuer aus und das
Wasser in der Pfanne am Rande herum gefroren. Das ist wahr! Danach
legten wir uns zum Schlafen, und als wir aufwachten, schien die Sonne
und war das schönste Wetter."
Kleine Kinder verspüren die Veränderungen des Wetters; Erwachsene
nur, wenn sie „tadelhaftig" sind.
Wenn die eisernen Pfannen in der Küchel leicht rosten, giebt es
Regen, und wenn in der Weite der Geier schreit, Schnee. Der Eine hält
dies, der Andere das für ein sicheres Loss. Nach meiner Meinigung thun
die Leute manchmal was erraten, aber wissen thun sie alle nichts, auch
nicht die Fischer um Sterzing, die meinen allerlei zu wissen. Das will
ich nicht sagen, dass seile Sterndeuter, die allem dem Zeug abwarten,
nicht mehr wissen können. — Heute hann ich den Schnupfkönig in der
Hecke gesehn, da giebt es schiech Wetter.
1) Eine Gossensasser Bäuerin, bei der wir wohnen.
2) Die Heiligen Johann und Paul, deren Tag am 26. Juni ist.
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Wind, Wetter, Regen etc. in Vorstellung und Rede des Tiroler Volkes. 69
Wer ist denn der Schnupfkönig? jfragten wir.
Ei, das kleine Vögele, welches das Schnallele (Schwänzchen) immer
über sich schlagt.
Unser Zaunkönig! Warum nennen Sie den denn Schnupf könig?
Ei, weil es einer ist! —
Die Veränderlichkeit des Wetters im Frühling wird drastisch charakte-
risiert:
„Der März geht ein wie ein Lampel und aus wie ein Löwe! Der
März ist ein Lump; darum wachsen bei ihm die Flöhe so gut. Und der
April ist des Märzen Gesell. Die guten Tage, die er hat, stiehlt er den
andern Monaten vorweg. Die Kranken, die den Winter bettlägerig
geworden, packt der März und frisst sie."
Meistens wird unter dem Worte Wetter Gewitter verstanden. „Wenn
der Donner recht rollt, so wird die Erde ,rogel' (weich, mürbe, jfruchtbar).
„Die Wolke lag da wie ein Stein" ; es hat immer ,gehimmblitzet', jetzt
läutet die Wetterglocke. Zuckt trotzdem der Blitz und kracht der Donner,
ist schon gefehlt, zu spät geläutet worden; denn ist das Wetter erst im
Holz, — von der kahlen Höhe bis in die Waldregion herabgesunken, —
dann hilft das Läuten nichts mehr.
Wenn man geweihte Kätzchen von den Weiden isst, wird man nicht
vom Blitz erschlagen. Auch geweihte Eier vergraben manche zu Ostern
unter die Thürschwelle und Stallthüre zum Schutze gegen das Wetter.
„Das sind so Glauben," sagte unsere Wirtin; „ich glaube nicht daran,
es mag wohl gegen so ein gemachtes Wetter helfen, aber nicht gegen eins,
welches uns der liebe Herrgott schickt."
Gemachtes Wetter! „Wer kann denn Wetter machen?" fragten wir,
und sie erzählte:
„Einmal, vor vielen, vielen Jahren, hundert kleckt nicht, waren
Zigeuner in Stilfes bei Sterzing, und als sie weiterzogen, Hessen sie einen
kleinen Buben zurück; der Kurat aber nahm ihn zu sich. Der Herr liebte
es, auf die Jagd zu gehen, und der Bube begleitete ihn öfters.
Eines Tages kamen sie mitsammen hoch oben auf einem Joche an
ein Wasser. Da sagte der Bube: Hier könnte man ein Wetter machen.
So mache eins, sagte der Kurat, mache, dass dem Pfarrer das Korn
verhagelt
Der Bube ging ins Wasser, reckte die Hände aus und sprach allerlei,
und das Wetter kam. Als sie vom Berge hinunterstiegen, fanden sie des
Pfarrers Korn verhagelt.
Da nahmen die Geistlichen dem Buben das Wettermachen, ohne dass
er es wusste.
Als später wieder der Kurat mit ihm an ein Wasser^kam, hiess er
ihn wieder ein Wetter machen, aber da konnte er es nicht mehr. —
Nun wissen Sie es, dass Wetter gemacht werden können."
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70 Rehsener:
Der Hagel, Schauer genannt, findet sich in einem Ausspruche charakte-
risiert, indem er zum Vergleiche dient, um das Verderben, welches ein
zorniges Weib in ihrer Umgebung anrichtet, zu bezeichnen:
„Ein zorniges Weib ist schlimmer für das Haus, als der Schauer fürs
Feld, und der ist so schlimm, dass, wenn man ihn in einen Sack steckte
und nur darüber trüge, er noch schaden würde."
Der Regen.
„Uer Regen lässt sich nicht verbergen! Alles grünt und blüht. Jetzt
werden auch die Bäume erwachen ! Aber regnet es am ersten Pfingsttage,
so ist die halbe Nahrung hin" (die, welche im Getreide, in Kartoffeln
u. s. w. im Felde steht). —
Um genügend Regen für die Feldfrüchte zu erlangen, werden an
Samstagen Wallfahrten nach Maria -Trenz (zwei Stunden unterhalb Ster-
zing) unternommen. „Der alte Wolf sagt, er gehe nicht mehr um Regen
bitten, nass wäre es im Felde noch immer genug." — Der geht nicht um
Regen bitten, weil die Fremden den nicht mögen, sagen die Bauern.
Im Sommer 1883 regnete es zur Erntezeit unaufhörlich. Die Leute
konnten die Ernte nicht hereinbringen. Endlich schien die Sonne; doch
es war kein Arbeitstag, sondern ein Sonntag. Der Kurat verkündigte nach
der Predigt, dass, wenn die Bauern diesen Sonntag auf dem Felde arbeiten
wollten, das keine Sünde wäre.
Trotzdem hörten wir im Hause und auf den Gassen sagen: „Mir ist
es nicht drum zu thun, zu arbeiten." Am Nachmittag gingen wir stunden-
weit ins Pflerschthal, sahen aber nur vereinzelt einen Mann im Getreide
beschäftigt, einen andern das Korn hereintragen und gegen Abend ein
Paar Mädchen im Sonntagsstaat, die die vom Regen und Wind um-
geworfenen Schöwer wieder aufrichteten.
Montag regnete es wieder, Erchtags (Dienstags) ebenfalls und so fort
die Woche durch, und was nicht von der Ernte hereingekommen war, ging
verloren.
„Sie haben es früher gelobt, den Tag der Wetterherm zu feiern, jetzt
thut es niemand mehr, da thun die Herrn auch, was sie wollen! Oder
wie ist das? Sie sprechen doch auf der Kanzel selbst von den abgebrachten
Feiertagen, — haben die Leut' sie nur für eine Weile verlobt?"
„Es gleicht nicht, dass der Regen nachlässt, welche Absätzerl wird
er wohl machen. Die Wälschen bei der Bahnarbeit werden schnell
gegangen sein, — die arbeiten nicht im Regen, — die Deutschen wohl!
Du wirst nicht gleich in Scherben gehen!" so sprach, wie sich selbst
ermunternd, ein schon fast erblindeter, alter Mann. —
Ich trat zu Leuten aufs Feld, die sich zum Rendol (Märende, Vesper-
brod) zwischen die Garben gelagert hatten, die sie eben geschnitten. Die
Besitzerin des Feldes vertheilte Wein und Brod unter die Arbeiter, zu
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Wind, Wetter, Regen etc. in Vorstellung und Rede des Tiroler Volkes. 71
denen auch ihre eigenen Söhne gehörten; sah aber dabei immer ängstlich
zum Himmel empor, weil sich über dem Felde schwere Wolken zusammen-
zogen. Als sie mich kommen sah, rief sie mir entgegen: „Frau, haltet
die Hände frei auf zum Himmel, dass es nicht regnet!" — »Wie soll ich
die Hände halten?" fragte ich. „Ei, so!" antwortete sie und sie erhob
die Hände zum Himmel, wie einst die Alten im Gebete zu Jupiter -Pluvius.
Die Söhne lachten über die Stellung der Mutter, diese aber rief ihnen
eifrig zu: „Wenn ich wüsste, dass es hülfe, ich thäte es wohl!"
So fand sich hier noch im Leben ein Nachklang aus der alten Welt,
wenn auch der einst heilige Brauch nur noch als eine Art Hausmittel ver-
wendet werden sollte.
Hier hatten wir nicht Gelegenheit, das gewaltsame Anschwellen eines
Baches durch Wolkenbrüche von Beginn an zu beobachten; aber wenige
Stunden von hier, in Mühlbach im Pusterthale, waren wir vor einigen
Jahren^) davon Augenzeugen, und hat sich das Ereignis unserem Gedächtnis
80 tief eingeprägt, dass wir glauben, es noch jetzt getreu wiedergeben zu
können.
Schon der Abend vor dem Tage, an dem das Unwetter heraufzog,
welches die Gewässer überfüllte, war unheimlich.
Die Luft war so dunkel, dass es uns unmöglich war, vom Gasthause
bis zu unserer Wohnung, die nicht weit entfernt lag, zu gelangen. Es
liess sich nicht ein hellerer Schimmer vom Himmel neben den Häusern
unterscheiden. Wir mussten umkehren und im Wirtshause bitten, jemand
möchte uns mit der Laterne heimbegleiten. Die Laterne war nicht gleich
zur Hand, und ein Mädchen griflP statt ihrer nach einer brennenden Kerze;
diese nahm meine Schwester, um sie vor dem feinen Regen zu schützen,
unter den aufgespannten Schirm. Mit Erstaunen bemerkten wir, dass die
Luft neben der grossen Dunkelheit auch noch so still war, dass sich die
Flamme des Lichts nicht einmal leise bewegte.
Nächsten Tag, am Nachmittage, brach ein starkes Gewitter los, und
unsere Wirtin, einö madonnenhaft sanfte Frau, ging mit dem Säugling
auf dem Arme leise und unruhig im Hause umher und sagte mehrmals
still für sich: „Wenn nur nicht der Bach kommt!" „Vor einem Jahre
war es wie heute," sprach sie darauf zu uns, „da ist der Bach gekommen
und in einem Nu ist mit einem Knall die alte Brücke zusammengebrochen."
Auf einmal wird das fortwährende Rauschen des Baches vor unseren
Fenstern von einem Rauschen, welches seitwärts herkommt, überdröhnt,
und als wir dort hinaussehen, erblicken wir statt des steinigen Weges nach
Meransen einen ebenso breiten Wasserstrom, der, Wellen schlagend, herab-
kommt. Männer jeden Alters kommen von allen Seiten herbei, um durch
Vorschieben von Steinen und Erde das Wasser von den Häusern fern zu
1) 1880.
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72 Rehsener:
halten und um durch Graben von Rinnen ihm schneller Luft nach dem
Bache zu verschafifen.
„Der Bach! Da kommt er!" ruft entsetzt die Hausfrau, die, neben
uns stehend, immer unruhig zwischen den arbeitenden Leuten auf der
Gasse und den Wogen des Baches hin- und hergeblickt hatte. „Er bringt
grosse Steine mit." Gleichzeitig übertoste wieder ein anderes, noch
dumpferes Gedröhn fast den Donner selbst. Eine braune Masse wälzt sich
über die eben noch krystallenen Wogen, verschlingt sie und stürzt
dampfend der Brücke zu. Auch die Menschen wenden sich unwillkürlich
dorthin, als könnten sie ihr Werk schützen. „Fort von der Brücke!"
rufen Männer, und ein Alter stellt sich diesseits, ein zweiter jenseits der-
selben auf, damit niemand die gefährdete Stelle betreten möchte.
Da erscheint im Ornate und von Chorknaben begleitet der Geistliche
des Ortes, um den Bach zu segnen. Um ihn herum knieen in tiefster
Andacht die Dorfbewohner, während das erderschüttemde Getöse unter
Donner und Blitz und zunehmendem Regen sich immer mehr verstärkt.
Von der gegenüber liegenden Bergwand, dort, wo der Fremde Schatten
unter schönen Fichten findet, neigt sich die Krone eines Baumes und
stürzt zur Erde. „Hat das der Blitz gethan?" — Dort fallt ein zweiter
und dort ein dritter Baum; den Abhang herab aber kommen Burschen
in einer Reihe hinter einander und in gleichem Schritt. Sie tragen etwas
Schweres, Nachschleppendes. Als sie näher kommen, erkennt man, was
sie tragen: es ist einer der stolzen Bäume mit voller Krone, welchen sie
eben gefallt haben. Von anderer Seite eilen Leute mit Ketten herbei,
der Baum wird damit umwunden und mit dem dicken Ende voran gegen
die andringenden Fluthen ins Wasser versenkt. Er wird im Augenblicke
von diesen gegen die Dämme und die Häuser gedrückt, aber die wilden
Wogen folgen, sich vertheilend, den Ästen und Zweigen und stossen
weniger gewaltsam gegen das Ufer. Von allen Seiten werden Bäume
gebracht, versenkt und die Gewalt des Stromes nimmt endlich ab.
Als Wetter und Wasser ausgetobt hatten, lagen ganze Felsblöcke im
früheren Flussbette und der Bach selbst lief in unzähligen Wasseradern
überall nebenher. Um sein altes Bett wieder herzustellen und ihn wieder
hineinzuleiten, damit er die vielen Mühlräder zur Seite von neuem treiben
könnte, mussten die Steinblöcke erst mit Pulver gesprengt werden.
Wie in Mühlbach die Fichten, so sahen wir im Laufe der Zeit am
ßrennerwege eine schöne Fichte und Birke nach der anderen, die den
Rand des Eisack geschmückt hatten, im Augenblick der Wassersnot dem
Beile zum Opfer fallen, um mit ihren in die Fluthen versenkten Kronen
das Ufer zu schützen.
Unwillkürlich blicken wir noch oft, vergeblich suchend, nach den
leeren Stellen, wo einst das Sonnenlicht die hohen Lärchenzweige rötete
und der Wind mit dem langen Goldhaar der Birke spielte. —
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Wind, Wetter, Regen etc. in Vorstellung und Rede des Tiroler Volkes. 73
Der Schnee und die Lawinen.
„Heut blüht ein Schnee! Seh'n Sie es nicht, das Schneegeblüh?''
Die hoch gehenden Lämmerwölkchen, welche aus feinen Eiskrystallen
bestehen, waren gemeint.
„Jetzt hat es auergeschnieben. Viel zu viel Schnee hat es heuer
gemacht!"
' Der Schnee von den ,Lanen' hat früher oft so hoch auf dem Brenner-
wege gelegen, dass für die Fuhrleute nur ein schmaler Weg durchgegraben
werden konnte. Immer vier Mann schöpften sich den Schnee einander zu,
und der blieb zu beiden Seiten hoch stehn. Ja, da wäre kein Hund
ausser gekommen, so hoch stand er!** erzählt der Huisum^).
„Wie ist es eigentlich mit der Laue, hat damit auch das ,PfeiflPer-
Huisele'*) etwas zu thun?" fragten wir, als bei erneutem Schneefall man
das Kommen der Lawinen befürchtete.
„Von der Laue habe ich es nie gehört, dass das Pfeiffer -Huisele sie
gehn macht! Dass sie von einem Schuss und vom Anschreien geht, das
wohl!** antwortete die Zenze, und der Seppe, ihr NeflPe, der dabei stand,
fügte hinzu:
„Geht die Windlane und die Schneelane zusammen, dann sind sie
schneller als die Büchse (ein Büchsenschuss). Heustadel und ganze Wälder
nehmen sie mit fort. Die Laue geht ihren Weg, den der ,Dasige' kennt
und sich daher hütet, ihr in den Weg zu kommen. Der ,Ausserländer'
kennt die Lanenwege nicht, und so bestimmte ein fremder Ligenieur, als
die Bahn hier gebaut wurde, als Platz für ein Bahnwärterhaus eine durch
die Lane gefährdete Stelle. Vergebens warnte ein alter Brenner, dort
das Haus zu bauen, indem er sagte:
„Es kann ja sein, dass etliche Jahre hier keine Lane kommt, auch
fünfzig Jahre kann sie ausbleiben; aber wenn hier eine den Berg
herunterkommt, dann geht sie diesen Lanenweg!"
Es wurde nicht auf ihn gehört, das Haus wurde, wo es bestimmt
worden war, gebaut, und nachdem der alte Mann gestorben war, bezog
sein eigener Sohn es als Bahnwärter. Auf dieser gefährdeten
Stelle und unter diesem Dache befand er sich mit seiner jungen Frau und
mit seinen zwei kleinen Kindern, als die Lawine kam. Wie das Haus
und die junge Häuslichkeit zerstört worden ist, erzählte uns des Bahn-
wärters Bruder, Hans Vetter, der ,Huisen Hans' genannt.
„Es war nach 3 Uhr früh. Wir sechs Brüder waren im Wächterhause
des Bruders Valtl zusammen, weil eben eine Lane auf die Schienen herab-
gekommen war. Glücklicherweise verliessen wir das Haus, um nach .dieser
zu sehn; doch der Bruder Valtl kehrte dahin zurück. Wir andern gingen
1) Ein alter Holzknecht, Bruder der Zenze.
2) Ein Hexenmännle, von dem viel erzählt wird.
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74 Rehsener:
heim. Ehe noch der letzte von uns, der Bruder Franzi, im Hause war,
zeigte der Telegraph durch Getöse an, dass wieder eine Laue gefallen sei.
Schleunig kehrte der Bruder um, fand die Telegraphenstangen umgerissen
und vom Wärterhause nichts mehr zu sehen, als zwei Mauerreste, die aus
dem Schnee herausstanden. Er rief uns und andere Leute herbei; doch
waren wir nur etwa acht Mann, — weischt Du, — wir hatten nur wenig
Licht, drei Stalllaternen, und wussten nicht, wo wir graben sollten. «Der
Bruder mit der Frau und den Kindern konnte ebensogut im Hause ver-
schüttet liegen, als vor der Thür.
Wir gruben etwa drei Stunden vergeblich, — die Lokomotive hatte
auch noch mehr Arbeiter von Gossensass gebracht, — da warf Einer von
uns einen grossen Schneeklumpen, der wohl eine Elle im Durchmesser
hatte, herum und — ein Kinderköpfchen, das des kleinen Mädchens, wurde
sichtbar. Das Hemde und das Jäckchen waren ihm bis unter die Arme
emporgestreift, so dass das ganze Körperchen, wie es der liebe Gott
geschaffen hatte, im Schnee steckte. Sein Deckbettchen fanden wir später
auf der anderen Seite des Eisack, und soweit war auch das meiste Haus-
geräthe und das Dach des Hauses fortgetragen worden. Das zweijährige
Kind aber muss wohl sein Schutzengel gehütet haben, dass sein Köpfchen
mit der Schaufel nicht beschädigt worden war. Auch war es ganz lendig
(lebendig), weinte nur. Schleunig wurde es in einen Bahnwärterpelz
gewickelt und ins nächste Haus gebracht.
Wieder gruben wir eine halbe Stunde, da sahen wir einen Fuss von
der Frau, aber ein schwerer Baum vom Dachstuhl lag über ihrem Rücken,
so dass wir nicht zu konnten. Einer von den Arbeitern sagte zu dem
andern: „Lauf, hole eine Hacke, sonst bringen wir den Baum nicht fort!"
Diese Worte hörte die Frau unter dem Schnee und dachte: „Bis der mit
der Hacke kommt, bin ich erstickt!** Doch sie vermochte nicht zu rufen,
dass die Leute sie hörten; auch schwand ihr bald die Besinnung. Wir
aber warteten nicht auf die Hacke, sondern sägten das freigewordene Ende
des Baumes ab, und da wurde die Frau zwar ohnmächtig, aber doch lebend
hervorgezogen. Mit dem Kopfe hatte sie unter dem Bette des Kindes
gelegen und dadurch etwas Luft gehabt.
Wir fragten sie, wo ihr Mann sein könne. Endlich erholte sie sich
so weit, uns verstehen zu können und zu sagen: „Vor der Thüre!" Noch
eine halbe Stunde und man fand den Bruder Valtl, mit dem Herzen und
der Brust neben der Thür auf die geborstene Mauer des Hauses gepresst.
Seinen kleinen Sohn hatte er unter dem Arm. Beide waren tot. Der
herbeigekommene Arzt erklärte, der Tod müsse augenblicklich eingetreten
sein.
Die Frau, welche sich unterdessen erholt hatte, erzählte, sie habe,
nachdem wir gegangen wären, in der Küche gestanden, um Kaflfee zu
kochen, da sei der Mann hereingekommen und habe gerufen: „Die Laue!
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Wind, Wetter, Regen etc. in Vorstellung und Rede des Tiroler Volkes. 75
Nimm das Kind!" Aber obgleich sie dem Bübl näher gestanden hätte,
als er, hätte sie es nicht mehr derthan, danach zu greifen. Wie der Mann
es gekonnt, könne sie nicht verstehen; denn kaum hätte er gesprochen,
80 wäre ein furchtbares Gedröhne erschallt und dann wusste sie von nichts
mehr.
Die Frau, welche dreieinhalb Stunden vergraben gewesen war, wurde
nach vier Monaten von einem gesunden Töchterchen glücklich entbunden.
Seitdem hat sie den Beruf erwählt, andern Frauen bei der Geburt ihrer
Kinder behilflich zu sein.
Das neue Wärterhaus aber wollten sie wieder an die alte Stelle in
den Lanenweg bauen; doch die Regierung erlaubte es nicht ohne weiteres,
sondern hiess die Ingenieure erst die Ältesten des Ortes um Rat fragen.
So wurde es auf einer sicherern Stelle gebaut; den Rat des Vaters — tröst
ihn Gott! — hatten sie als den eines dummen Bauern verachtet." So
Bchloss der Mann.
Wir sahen im Winter 1888 unter den bedeutenden Lawinen, welche
in der Umgegend herabgekommen waren, auch eine grosse Grundlawine,
d. h. eine solche, welche von dem schrägen Boden abrutscht, wie der Schnee
von dem Dache, und den Grund mit sich reisst, daher alles andere als
weiss ist. Diese Lawine war genau den früheren Weg gegangen, wo das
alte Bahnwärterhaus gestanden hatte, und das Marterl zum Andenken an
die Verschütteten, was aus Vorsicht nur ein Paar Schritte abseits vom
Lanenwege errichtet ist, war der einzig stehen gebliebene Gegenstand,
den man aus der Lawine herauserkennen konnte. —
Im Kriege wollten die Franzosen über den Brenner marschieren, da
sagten ihnen die Bauern, sie könnten nicht gehen, denn die Lanen kämen.
„Ach, was!** rief der Offizier, — er verstand es wohl nicht, was die Laue
ist, — „ich werde ihnen schon Widerpart halten mit diesem meinem
scharfen Degen!" Als dann nach ein Paar Tagen das Wetter besser wurde,
smd die Franzosen drüber gegangen. —
Ende April trat ich fröstelnd vor die Hausthüre. „Dass es aber heute
wieder so kalt ist, und es war doch schon so schön!" sagte ich zur Wirtin.
„Das wundert Sie? Mich wundert das nicht," antwortete die Frau.
„Hören Sie nicht den Wind und sehen Sie nicht den Schnee? Der Schnee
mu88 ja kalt sein! Er hat es ja geschworen: ehnder er derwarmt,
«ergeht er!" —
Der Sonnenschein.
Uns vom Schlafe eben Erwachten verkündet ein rötlicher Schimmer
auf der Lärchenholztäfelung des Zimmers, dass der Morgen nahe. Wir
stehen auf, kleiden uns an und eilen hinaus, das erste Licht auf den Berg-
spitzen, welches uns einst bei unserer Ankunft in Gossensass so erfreut
tatte, zu begrüssen. Die Wirtin folgt erschreckt vor die Thüre, und als
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76 Rehsener:
sie sieht, was uns hinaus getrieben, — wie unsere Blicke an den leuch-
tenden Bergesspitzen haften, — raft sie erstaunt: „Haben Sie das nie
gesehen? Das macht die Sonne!"
Schon lichten ihre Strahlen die höchstgelegenen Bäume auf der öst-
lichen Bergwand, schon breiten sie sich weiter nach beiden Seiten aus
und jetzt langen sie auch zu uns herab, in die Tiefe des Thals:
„Jetzt ist die Alte wohl kommen!" hören wir sagen. „Sehn Sie sie
nichts wie sie dort niederhockt auf dem Baume^ dia alte Mutter, die
Sonne?" —
Höher steigt sie, die Wolken ballen sich zusammen und das Gewitter
kommt.
^Dass das Wetter kommen musste, wusste ich wohl. Die Sonne hat
immer so geblickt!"
Bald ist es vorüber, balsamisch duften die Lärchenwälder, der Regen
lässt nach und über die Wolken spannt sich der Regenbogen.
„Der Sonnenbogen !" ^) ruft in demselben Augenblicke die uns wohl-
bekannte Stimme. —
Die Sonne hat sich gesenkt, bald deckt ein Fels sie und beschattet
das Thal, doch über ihm und zwischen seinen Zacken strömt warmes
Licht auf die gegenüber liegenden Berge. Nur Schritt für Schritt weicht
das Licht, gefolgt von breiten Schatten^ den Höhen zu.
„Jetzt geht die Sonne wohl den Berg in die Höhe!"
Und wo bleibt sie die Nacht?
„Die goldene Kugel ist allem dort, wo die Muttergottes ist, so sagte
die Rox Annele, die oft für sich und andere zur Muttergottes nach Trens
wallfahrtete." —
Jeden Morgen, jeden Abend röten sich Himmel und Berge, aber
immer später kommt, immer früher geht die Sonne:
„Sie dergiebt nichts mehr, sie ist ganz weiss!"
„Doch am Königstage geht sie wieder einen Hahnenschritt höher.
Ein unsriger Vetter, der Kauner," sagt die Weber- Zenze, „hat es in seiner
grossen Stube gemessen — am Sonnenschein, dass es so richtig ist. Und
er hat ein kleines Löchele an der Decke eingebohrt, wie hoch die Sonne
dann geht." — „Am Sebastianstage aber," setzte der Huisum hinzu, „steigt
die Sonne schon um einen Hirschsprung." Und er erzählte uns auch
später, was man zu thun habe, um drei Sonnen auf einmal aufgehen zu
sehen. —
Wir hatten mühsam mit ihm ein Joch überschritten und ruhten am
Rande eines kleinen Sees aus, in stilles Anschauen versunken, da begann
der Alte:
„Haben Sie es gehört? Haben Sie schon davon gehört, wenn man
1) Auch „Sonnenring^ genannt.
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Jahn: Jamand bei Cöslin. 77
am Dreifaltigkeitssoimtage auf einen hohen Berg steigt und vor Sonnen-
aufgang auf der Spitze ist, da sieht man statt einer Sonne drei Sonnen
aufgehen: Gott Vater, Gott Sohn und Gott heiligen Geist!"
Nein, davon haben wir nichts gehört. Haben Sie das gesehen?
„Ich bin nicht zukommen." —
„Scheint der Mond, wenn er abbricht (abnimmt), in eine Kost, so dass
man den Mondschein mitisst — wird man schwer krank." Will man recht
herrisch reden, so nennt man den Muhne (Mond) Mahn.
Auf dem Brenner waren die letzten Tage im August 1890 keine guten.
Zu Regen, Wind, Gewitter und drohendem Bergrutsch gesellten sich bren-
nende Bauernhäuser in der Nähe des mit Fremden überfüllten Hotels
Gröbner in Gossensass. Der Blitz soll das Feuer angeschürt haben?
Aber wie ist das, — ,das wilde Feuer' ist nicht mit Wasser zu löschen
und sie haben es gelöscht!
Ein fremder Handwerksgeselle soll beim ,Plündern' (Ausräumen)
gestohlen haben! Seile Fremden^ das will ich Ihnen sagen, sind nicht
zu ergründen.
Gossensass, den 31. August 1890.
Jamund bei Cöslin.
Mit Berücksichtigung der Sammlungen des Museums für deutsche Volks-
trachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes zu Berlin.
Von Ulrich Jahn und Alexander Meyer Cohn.
Das im Herbst des Jahres 1889 in Berlin unter dem Vorsitz Rudolf
Virchows eröffnete Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse
des Hausgewerbes (C, Klosterstrasse 36) birgt unter sonstigen Schätzen
auch eine komplette Sammlung von Bauemaltertümem aus 'zwei hinter-
pommerschen Ortschaften, dem schon in der ersten Hälfte des 1 4. Jahr-
hunderts urkundlich erwähnten Kirchdorfe Jamund und der Nachbargemeinde
Labus. Beide Ortschaften sind infolge ihrer geographischen Lage seit
alten Zeiten durchaus auf einander angewiesen. Ihre Feldmarken stossen zu-
sanmien, und das beiderseitige Gebiet wird im Norden von dem grossen.
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78 Jahn:
durch das sogenannte Deep mit der Ostsee verbundenen Jamunder See
bespült. Im Osten bildet die Grenze der Labuser Feldmark der Nest-
bach, welcher bei dem Dorfe Seidel entspringt, bei dem Städtchen
Zanow die Polnitz und den Horstbach aufnimmt und dann in den Jamunder
See ftUt. Ebendahin ergiesst sich im Westen des Jamunder Gebietes der
Cöslinische Mühlenbach, der aus dem See bei dem Dorfe Bonin kommt
und durch die Stadt Cöslin fliesst. Auf diese Weise von drei Seiten durch
einen grossen See und die bruchigen Ufer zweier Küstenflüsse von dem
Verkehr mit der übrigen Welt abgeschnitten, blieb den Jamundem *) nur
der Zugang nach dem Süden, nach Cöslin zu; und auch da gab es nur
eine Strasse, die obendrein, nach Versicherung alter Einwohner, ehemals
durch Wald und Bruch führte und nur in trockenen Sommern oder bei
Frostwetter ohne Beschwerlichkeit zu benutzen war. Bei solcher Lage
der Dinge erscheint es natürlich, dass die Jamunder nur mit einander
verkehrten, nur in einander heirateten und dass sich in diesem vergessenen
Winkel trotz der geringen Anzahl von 568 Einwohnern, welche noch in
den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts in nur 106 Häusern darin wohnten,
alte Art und Sitte in hervorragendem Masse erhalten haben.
Am wenigsten ist dies noch an dem Volksglauben und der Sage zu
merken, welche in Jamund mehr in den Hintergrund zu treten scheinen,
als sonst auf dem Lande in Hinterpommem. Immerhin sind dieselben
auch dort noch nicht erloschen. Die alten Leute wissen von ihren
Eltern her, oder wollen gar selbst in ihrer Jugend erlebt haben, dass die
wilde Jagd über den Jamunder See durch die Lüfte zog, wenn die Fischer
in der Nacht bei den Reusen beschäftigt waren. Fürchterlich Hess sich
das Heulen der 4 Hunde vernehmen, und deutlich sah man, wie ihnen die
Flammen aus dem Rachen schlugen. Als Richtung, in welcher die wilde
Jagd zog, gilt auch hier die Milchstrasse, die deshalb den Namen „Wildbän"
erhalten haben soll.
Ebenfalls verblasst hat sich die Erinnerung an die Bewohner des
Meeres (Seejumfre) und die Zwerge erhalten. Letztere werden, abweichend
von den Dörfern umher, nicht Unnererdschen, sondern Juelkes genannt,
eine Namensform, die sich den Ulken, Umken, Öllerken, ÜUerken, ÖUekes,
ÜUekes vergleicht, wie die Zwerge im Kreise Grimmen, einem Teil des
Randower und Greifenhagener Kreises, im Weizacker, im Saatziger und
z. T. auch im Regenwalder Kreise heissen *). In Jamund bezeichnet man
als ehemaligen Wohnort der Juelkes einen jetzt abgetragenen vorgeschicht-
lichen Grabhügel, den Juelkesbärch. Dabei lag früher ein Teich, der
Juelkesdik. Es sollen freundliche Leutchen gewesen sein diese Juelkes.
1) Wenn von „Jamundem'' schlechthin gesprochen wird, sind die Labuser stets
mit einbegriffen.
2) Vgl. Näheres darüber bei Jahn, Volkssagen ans Pommern und Rügen. 2. Aufl.
Berlin. 1890. S. 49 ff.
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Jamund bei C.'öslin. 79
Ihre Nahrungsmittel besorgten sie sich in dem letzten Jamunder Bauer-
hofe auf dem Wege nach Labus zu.
Noch klarer erinnert man sich des Kobolds, der in Übereinstimmung
mit dem Volksglauben in dem übrigen Hinterpommern die Namen Dräk,
Alf und Rodjackte führt und wie ein feuriger Wiesbaum durch die Lüfte
fahrt, schwer mit Korn oder Geld beladen, das er für seinen Herrn stiehlt.
Auch in Jamund selbst hat der Alf vor Zeiten Unheil gestiftet. Zwei
Höfe lagen einander gegenüber. Der eine Besitzer war reich, der andere
arm, und schuld an diesem Missverhältnis war niemand anders, als der
Alf. Das wollte der reiche freilich nicht Wort haben; aber der arme
hat es ihm klipp und klar bewiesen. Anstatt des Kornes legte er seinen
Pferden eines Abends Disteln vor; und richtig, ehe eine Stunde verging,
waren, die Krippen leer. Geschwind eilte er mit guten Freunden auf die
Hoflage des Reichen, hinein in den Pferdestall, und siehe, da standen die
fetten Tiere allesamt da und Hessen den Kopf hängen; denn in den Krippen
lagen Disteln, nichts als Disteln.
Während wilde Jagd, Seejungfern, Juelkes, Alfe von den Jamundem
gelbst in das Reich der Sage verlegt werden, so ist der Glaube an die
Nachtmahr (Märt) auch bei gar manchem von ihnen noch lebendig. Die
Hart ist nach ihrer Meinung ein Mensch, meist ein Mann, seltener eine
Frau, der von Geburt an oder durch ein Versehen bei der Tauf handlung
dazu verdammt ist, bei Nachtzeit seinen Körper zu verlassen und in einem
Siebrand auf Reisen zu gehen, um jemand zu quälen. Es giebt ver-
schiedene Märten: die einen quälen einen Mitmenschen, die andern ein
Pferd; diese drücken einen Eichbaum, jene einen Dornbusch; wieder andere
legen sich auf das Wasser oder auf einen Stein. Gegen die Menschen-
mahrt wird auch in Jamund das Mittel empfohlen, die PantoflPeln verkehrt,
d. h. mit den Spitzen nach der Wand zu, vor das Bett zu stellen. Der
Spuk soll dann denken, sein Opfer habe schon das Bett verlassen, und
unverrichteter Dinge heimkehren. Grausamer gedacht ist ein in Jamund
bräuchlicher Zauber gegen die Pferdemärt. Wenn das Pell des Tieres
sich mit Schweiss bedeckt und die Haare der Mähne sich zu ver-
flechten beginnen, so nimmt man stillschweigend einen Feldstein, legt
einen der schweissigen, verwirrten Haarstränge darauf und klopft ihn mit
emem zweiten Feldsteine stillschweigend ab. Nach dem Glauben der
Leute ist es unmöglich, dass der Quälgeist je wieder das Pferd plagen
kann; die Märt ist eben durch das Klopfen getötet.
Auch sonst findet sich Zauberglaube genug, aber kaum etwas, das
sich von dem Hexenwesen im übrigen Pommern wesentlich unterschiede.
Nur ein paar Besprechungsformeln mögen hier nachgetragen werden, welche
in dieser Gestalt für Pommern bisher noch nicht verö£Pentlicht sind:
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80 Jahn:
Gegen die Rose:
Dit is väer de Käus,
Väer de gris, väer de gräuw,
Väer 't Hellen,
Väer 't Schwellen,
Väer 't Riten,
Väer 't Spliten.
Im Namen Gottes, des Vaters f? des Sohnes f
nnd des heiligen Geistes f.
Gegen das Heilige *):
Alle Glocken werden gezogen,
Alle Lieder werden gesnngen,
Das Heilige soll zergehen und verwesen.
Im Namen Gottes, des Vaters f , des Sohnes f
und des heiligen Geistes f.
Blut stillen"):
Frisch ist die Wunde,
Heilig ist die Stunde,
Heilig ist der Tag,
Wo die Wunde wird heil gemacht.
Im Namen Gottes, des Vaters f , des Sohnes f
und des heiligen Geistes f.
In der Anschauung von der menschlichen Seele, ihrem Verhältnis zum
Körper und ihrem Leben nach dem Tode weichen die abergläubischen
Jamunder ebenfalls nicht ab von ihren Nachbarn. Wie diese glauben sie
an Spukgeschichten, an Ahnungen, an das sogenannte zweite Gesicht, an
Doppelgänger und dergleichen. Es tritt also (abgesehen etwa von den
Juelkes — und da beschränkt sich die Abweichung auch nur auf die Namens-
form) im ganzen Volksglauben der Jamunder nichts spezifisch Jamundisches
hervor. Desto bemerkenswerter erscheint es, dass die Leute, was Sitte
und Brauch anbelangt, in vielen Punkten so hervorragende Eigentümlich-
keiten zeigen, dass sie nicht nur für den aufmerksamen Forscher eine Aus-
nahmestellung einnehmen, sondern auch all ihren Nachbarn rings umher
für einen besonderen Volksstamm gelten.
Gleich der erste Eindruck, den der Anblick von Jamund und Labus
macht, ist ein auffälliger. Dicht an einander reiht sich Gehöft an Gehöft,
und zwar mit einer so ausgesprochenen Hofanlage, wie kaum anderswo in
Pommern; und doch trägt das Ganze nicht, wie man vermuten sollte, den
fränkischen, sondern den niedersächsischen Typus. Der alte Jamunder
1) Vgl. Jahn, Hexenwesen und Zauberei in Pommern. S. 105, Nr 240
2) Ebenda. 8. 65, Nr. 40; S. 67, Nr. 49 und 50.
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Jamnnd bei CösUd.
81
Bauernhof bildet nämlich ein grosses Viereck. Nach der Strasse zu liegt
eine Scheune, verbunden mit dem Durchfahrtshänschen.
Fig. 1. Jamunder Bauernhof (Durchfahrt und Scheune).
(Nach einer photographischen Aufnahme von J. E Stybalkowski in Cöslin.)
Zu beiden Seiten schliessen sich Wirtschaftsgebäude an. Dazwischen
befindet sich der Düngerhof und hinter demselben, mit dem Giebel gegen
den Thorweg gerichtet, das rein niedersächsisch gehaltene Wohnhaus.
Fig. 2. Jamunder Bauernhof (Quergebäude und Haupthaus).
;Nach einer photographischen Aufnahme von J. E. Stybalkowski in Cöslin.)
Seitacbrifi d, Verein« f. Volkskunde. 1891. Q
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82 Jahn:
Durch ein grosses Einfahrtsthor, welches den Tag über durch eine
niedrige Vorthür, das Heck, ersetzt wird, um den Schweinen und dem
Hühnervolk den Eintritt zu verwehren, gelangt der Besucher auf die Diele,
deren Fussboden aus gestampftem Lehm hergestellt ist. Zur Rechten und
zur Linken hat das Vieh seinen Stand; doch ist der Platz auf der einen
Seite etwas verkürzt und der gewonnene Baum zur Schlafstätte für das
Gesinde hergerichtet. Die Betten für dasselbe liegen in kojenartigen Ver-
schlagen, und man gelangt zu ihnen durch die Bettlöcher, welche so
hoch angebracht sind, dass eine grosse eichene Truhe vor ihnen Platz hat,
die dann beim Zubettegehen und Aufstehen als Tritt benutzt wird.
Am Ende der Diele liegt der niedrige, überwölbte Herd, von dem
aus der Rauch in dichten Schwaden durch das Balkenwerk zieht, um die
dort aufgehängten Schinken und Würste und Speckseiten zu räuchern und
endlich im Rauchloch oder sonst wo einen Ausweg zu finden. Hinter dem
Herd zieht sich eine Wand quer durch das ganze Haus und scheidet
Stube und Kammer von der Diele. Der eigentliche Aufenthalt für die
Familie war aber nicht da, sondern am Herd. — Vor demselben läuft
quer über die Diele ein breiter starker Balken, der „Katzenbalken"; auf
ihm hat allerhand Hausrat seinen Platz. — An Bodenräumen sind ausser
dem Hauptboden noch drei Nebenboden vorhanden. Zwei davon werden
durch die Decken der Ställe, der dritte durch die Decke von Stube und
Kammer gebildet. Letzterer heisst auch der Malzboden, weil man das
Malz zum Brauen dort zu trocknen pflegte. — Bemerkenswert für den
alten Jamunder Hof ist endlich noch, dass sich durchweg an der einen
Giebelseite neben dem Einfahrtsthor ein kleiner Ausbau findet, der aber
von demselben Dach, wie das Hauptgebäude gedeckt wird (siehe das Bild).
Darin haben die Kälber oder die Schweine ihre Stallung.
Im Laufe der Jahre sind naturgemäss an vielen Stellen Änderungen
in der Hofanlage, sowie im Aufbau und der inneren Einrichtung des Hauses
eingetreten; trotzdem giebt es auch heute noch in Jamund und Labus
Gehöfte genug, welche die ursprüngliche A^ deutlich erkennen lassen.
So primitiv und geradezu ärmlich der Eindruck ist, den ein Alt- Jamunder
Haus mit seiner vom Rauch tief schwarz gefärbten Diele auf den Be-
sucher machen muss, so wenig würde es stimmen, den Bewohner des
Hauses, den Jamunder Bauer mit seiner Familie, für einen in der Kultur
zurückgebliebenen, in ärmlichen Verhältnissen lebenden oder gar unsauberen
Gast zu halten. Im Gegenteil, man wird in Pommern nicht viele Gegenden
finden, wo die Bevölkerung einen gleich behäbigen Wohlstand hat, wo
dieselbe einen gleich hohen Geschmack und Kunstsinn entwickelt und wo
alles gleich sauber zugeht.
Schon darin zeigt sich der Reichtum der Jamunder, dass sie,
deren Ort als Kämmereidorf von Cöslin dem Magistrate der Stadt Spann-
dienst zu leisten verpflichtet war, sich dieser Pflicht nicht selbst unter-
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Jamimd bei Cöslin. g3
zogen, sondern einen Knecht als Ersatzmann stellten. Jeder Baner hielt
zu dem Zwecke neben seinem Hansknecht einen sogenannten Hofknecht;
and dieser Brauch hatte sich so tief eingewurzelt, dass die Jamunder
Hof knechte, so zu sagen, eine eigene Innung bildeten, die ihre bestimmten
Satzungen und Gebräuche hatte. So durfte z. B. nie ein Hofknecht an
dem andern vorbeifahren, wenn sie denselben Weg hatten. Am wichtigsten
war die Aufnahme eines neuen Mitgliedes, das „Inhesen^. Herr Kaiser,
derzeit Pastor in Jamund, beschreibt diesen Brauch auf Grund der Mit-
teilung eines älteren Gemeindemitgliedes folgendermassen ^):
„Ward ein Hausknecht Hofknecht, so musste er eingeheest — inhest
— werden. Bei dieser Feierlichkeit gab der Jungknecht eine Viertel-
tonne Bier. Die Hofknechte hatten einen Vorsteher, den sie sich wählten,
den Altknecht — de Üllst. Dieser setzte sich an den Tisch, der ein-
zuheesende Jungknecht nahm neben ihm Platz, vor ihnen stand eine Kanne
Bier ; ein gutes Quart musste die Kanne enthalten. Nun „machte^ der Alt-
knecht eine Rede. Er fragte den Jungknecht, ob er, wenn er nun ihr
Mitknecht würde, auch alle Verpflichtungen, die ein Hof knecht gegen den
andern hätte, übernehmen wollte. „Wist du uck dinen Brauder, so
wit as hei raupe kann, un so wit, als sin Stimm reikt, wenn ji bäten
sünd, helpen?^ Hatte der Jungknecht das mit Ja beantwortet, so gab
ihm „de Üllst" die Hand, ergrifiF die Kanne, sagte: „Prost, Brauder!" und
trank. Darauf der Jungknecht: „Sei göd, Brauder!" und trank auch.
So tranken sie dreimal, jedesmal den Handschlag und das „Prost, Brauder!"
und „Sei god, Brauder!" wiederholend. Gewöhnlich hatten sie die Kanne
schon bei dem ersten Trunk geleert; in derselben durfte nichts bleiben.
Nach dem dritten Trunk ward die Kanne umgekehrt auf den Tisch gestellt.
Blieb daTon ein Ring auf dem Tisch, dann mussten sie das Bierfass, das
auf dem „Struedk" (hölzerner Schemel mit drei Füssen) lag, füllen." —
Ganz besonders tritt jedoch der behäbige Wohlstand der Jamunder
in ihrer Nationaltracht hervor, die uns jetzt des näheren zu beschäftigen
hat Dank der im Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse
des Hausgewerbes vorhandenen Schätze ist es möglich, eine genaue Be-
schreibung derselben zu liefern, wie sie noch im Anfang dieses Jahr-
hunderts allgemein üblich war. Aber auch die ausführlichste Beschreibung
gewinnt erst die rechte Anschaulichkeit durch beigefügte Abbildungen.
Der Güte des Herrn Prof. A. Kre'tschmer danken wir es, und mit ims
gewiss auch unsere Leser, dass wir für die Jamunder zwei farbige Blätter
bieten können, die nicht nur auf die grösste Treue, selbst in den geringsten
Einzelheiten, Anspruch erheben, sondern auch von künstlerischem Stand-
punkt aus vollendet sind.
1) Kaiser, Volkstümliches aas Hinterpommern. Monatsbl&ttcr, herausgegeben von
der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde. ISiiO. Nr. 6, S. 02 u. 93.
6*
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84^ Jahn:
Der Gedanke, welcher dem diesem Hefte beigegebenen Trachtenbilde
zu Grunde liegt, ist folgender: Das Brautpaar tritt festlich geschmückt
kurz vor dem Gange zur Kirche noch einmal vor den alten Grossvater,
der in seinem Stuhle an dem ehrwürdigen Kachelofen, einem echten Ja-
munder Originalstück, sitzt und aus dem Schatze reicher Lebenserfahrung
heraus treffliche Worte der Lehre und Ermahnung mit auf den Weg giebt.
Hinter dem Stuhle lehnt die Hausfrau, die Schwester der Braut. Mit Be-
wunderung sieht sie, wie stattlich sich das Mädchen in dem Hochzeitsputze
ausnimmt. Neben ihr steht ihr Mann, der Bauer; zur Seite rechts hantiert
die Magd. Auf der Linken, neben der Braut, hart vor der geschnitzten
Truhe, steht der Hochzeitsbitter. Er starrt ernst und gedankenschwer
vor sich hin; doch sind es kaum die Sorgen um der Liebe Glück und
Qual, die ihn in diese Stimmung versetzen, es wird wohl das lange Aus-
bitterlied sein, welches so schwer in den dicken Kopf hinein wollte und
das nun, so fürchtet er, nach seinen Erfahrungen, die er bei dem Ein-
laden gemacht, wohl nicht mit Unrecht, ebenso schwer zum Munde wieder
herausfahren dürfte. —
Gehen wir auf die einzelnen Trachten über, indem wir, dem
Kretschm ersehen Bilde entsprechend, uns zunächst an die im Anfange
dieses Jahrhunderts bräuchliche Bekleidungsform halten ^) :
Zu dem täglichen Anzug der Jamunderin gehört zunächst ein grobes,
geteilt zugeschnittenes, ärmelloses Hemd, welches den Hals und den grössten
Teil der Brust freilässt. Dasselbe wird Niederteil „Nedderdeil" genannt
Darüber befindet sich das kurze „fin Hemd", welches aus zartestem eigen-
gemachten Linnen verfertigt und wie eine lose, hoch hinauf gehende Jacke
gearbeitet ist. Die wenigen Fältchen oben stecken unter einem schmalen,
glatt aufgesetzten Passe, den die Bäuerin auf zierliche Weise ausgenäht hat.
Steppstich
Rettenstich
.üllilUllHu Plattstich
aasgeschfirxt
Fig. 3. Gestickter Pass zum „fin Hemd" der Jamnnder Braut.
Ein ebensolcher Pass ist auf die Achseln gesetzt, hat hier aber noch
1) Bei der Beschreibung der Trachten, zumal der weiblichen, haben sich die Ver-
fasser der Unterstützung der um die Volkskunde Ostpreussens hochverdienten Forscherin
Präulein El. Lemke zu erfreuen gehabt.
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Jamimd bei Cöslin. 85
an beiden Seiten kleine, ausgeschOrzte Zacken erhalten. Die langen Ärmel
endigen in eine Manschette, die eigentlich nur ein breiter Pass ist, der
vorstehendes Muster, durch Reihen in Hexenstich noch verstärkt, doppelt
zeigt. Alle Stickerei ist in Weiss ausgeführt. Zusammengehalten wird
das Hemd über der Brust durch eine Spange in Herzgestalt, Jöpsel genannt^
über deren Form, Material und Herstellungsart weiter unten ausführlicher
zu berichten ist.
Das nächste Stück ist das Schnürleib, das hinten ziemlich hoch, vom
aber tief ausgeschnitten sein muss. Es besteht aus buntem (rot, grün,
weiss, schwarz), breit gestreiftem Drillich von Hausmacherarbeit, ist mit
grober Leinewand gefüttert und am Halsausschnitt und an den Achseln
mit dunkelblauem Wollenbande eingefasst. Vorn sind zwei starke Rohr-
oder Fischbein-Stangen im Futter angebracht, längs deren Ösen und Haken
befestigt sind. Durch dieselben führt ein rotbuntes, auf dem Webebrettchen
hergestelltes Schnürsenkel. Unten schliesst das Schnürleib mit einem
grossen Wulst ab, der rundum den Körper umgiebt und die schweren
Böcke tragen hilft, auch ermöglicht, dass die zahlreichen Plissees derselben,
vorzüglich des Oberrocks, immer in gewünschtem Faltenzustand verbleiben.
Unter das Schnürleib wird der Brustlatz „Bostdök" geschoben, ein
Gegenstand, der unsere Damenwelt in Schreck und Staunen setzen muss;
denn er ist am besten mit einem ziemlich breiten, nach unten sich ver-
jüngenden Brett zu vergleichen, das Brust und Magen beständig drückt.
Freilich benutzt man nicht Holz, sondern Pappe dazu, doch diese ist von
mächtiger Stärke und ermangelt aller Nachgiebigkeit. Der Latz wird auf
beiden Seiten mit buntem Zeuge bezogen und vorn ausserdem noch mit
emer Menge über einander geschobener, breiter, farbiger Seidenbänder, mit
Goldflittem und Goldspitzen besetzt, so dass das Ganze einen recht statt-
lichen Eindruck macht.
Dicke, dunkle, blaue oder schwarze Wollröcke bilden die Unterkleider.
Sie sind, wie der Oberrock von Hausmacherarbeit und unterscheiden sich
nnr dadurch von letzterem, dass dieser am Saume mit grünem oder rotem,
auch blauem Bande eingefasst ist. Die Länge der Unterröcke erreicht
nicht ganz diejenige des Oberrocks, der bis zur halben Wade herabgeht.
Der grösste Teil von ihm ist übrigens gar nicht sichtbar, da er von der
Schürze verdeckt wird, die ebenfalls dunkel in der Farbe, aber leichter
im Gewebe gehalten ist. Befestigt wird die Schürze durch die auf dem
Webebrett verfertigten Schürzenbänder, welche von gleicher Farbe, wie
die Schürze selbst, sind.
Dasselbe Schwarz oder Dunkelblau zeigen auch die langen Woll-
strümpfe. Sie stecken in Pantoffeln, deren sehr hoher Absatz sich weit
nach der Sohle vorgerückt findet. Bei den sogenannten Brautpantoffeln,
d. h. den Pantoffeln, welche der junge Bursch in Jamund als Zeichen der
Zuneigung seiner Braut zu verehren hat, ist das Oberleder kunstvoll aus-
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86 Jalin:
gestochen, üra das Muster hervortreten zu lassen, wird ein Streifen rot
gefärbten Leders darunter befestigt und dann eine schwarze Lederkappe
vorn an die Spitze gesetzt (siehe Tafel 11.).
Auf dem Kopfe trägt die Jamunderin ein weisses, ausgenähtes oder
geklöppeltes Haubentuch, von welchem jedoch nur die äusserste Kante
zu sehen ist; das übrige wird von einer steifen, stark gefütterten, eckigen,
schwarzen Kappe „Mutz" bedeckt, an welcher Bänder von gleicher Farbe
befestigt sind, die unter dem Kinn zusammengebunden werden. Unter der
„Mutz" quillt der Zopf hervor, zu dessen Verlängerung ein dreiteiliges,
schmales Band von rotbunter Farbe, das auf dem Webebrett hergestellt
wird, die sogenannte „Flecht", mit in die Haare verflochten wird. Bei
der verheirateten Jamunderin ist die Kappe überdies vorne mit einem
Streifen hellen Pelzwerkes besetzt; sie heisst dann „Pruggesmütz", im
Gegensatz zu der pelzlosen „Maikesmütz" und der in gleicher Form,
aber aus buntem Stoff gefertigten und obendrein mit allerhand blankem
Plitterkram besetzten Kappe für kleine Mädchen und Knaben, der „Klein-
kinner-Mütz".
Noch einer vierten weiblichen Kopfbedeckung mag hier Erwähnung
gethan werden, des sogenannten „Plünners". Derselbe bildet den Kopf-
schmuck der Jamunder Konfirmandinnen und besteht aus drei etwa 40 cm
langen und 10 cm breiten, weissen Binden, dem „Plünnerdauk" und den
beiden „Plünnerbinnen", von denen die erste aus einem Stück ausgenähten
Linnens besteht, während die beiden letzten aus selbst geklöppelten Spitzen
gefertigt sind. Die drei Stücke werden durch Nadeln so auf dem Haare
befestigt, dass das Ganze einer Spitzenhaube nicht unähnlich sieht.
Verlässt die Jamunderin das Haus, um einer Nachbarin oder Freundin
einen Besuch abzustatten oder erwartet sie selbst Gäste, so zieht sie statt
der Pantoffeln kurze Niederschuhe „bricket Schauh" an, welche von
schmalen Lederriemen, die über einem ausgefransten Lederstreifen ver-
schlungen sind, auf dem Spann festgehalten werden. Der Absatz ist,
wie bei den Pantoffeln, weit nach der Sohle vorgerückt (siehe Tafel H.).
Femer zieht sie die Jacke „Jöp*^ über. Dieselbe ist sehr einfach
aus schwarzem, selbst gewebtem Wollenstoff gearbeitet und innen rot ab-
gefüttert. Die Ärmel sind lang und glatt; der Rumpf ist kurztaillig ge-
halten. Vom befinden sich abermals, wie bei dem Schnürleib, zwei furcht-
bare Stangen, längs deren Ösen und Haken eingenäht sind. Der durch
dieselben bewirkte Verschluss ist so innig, dass weder von dem farben-
prächtigen Brustlatz noch von dem bunten Schnürleib auch nur das mindeste
zu sehen ist. um die Halsöffnung der Jop wird als Kragen ein kleines,
weisses Tuch gelegt, das nach dem Rücken zu mit einem Hühnerfuss \|/ aus-
genäht ist.
Gilt es einen feierlichen Gang, so wechselt die Jamunderin die Schürze
und bindet statt der dunkelblauen Schürze die „witt Schört", vom feinsten
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Jamimd bei CösHd. g7
Linnen gefertigt, vor. Oben ist eine Schnur eingezogen, so dass die Falten
hin und her geschoben werden können. In der rechten Hand hält sie ein
linnenes Tuch, das rundum mit einer kleinen Borte und in allen vier Ecken
mit einem blattförmigen Muster bestickt ist, und zwar in roter Farbe. Die
Stickerei ist höchst merkwürdig: ein gerade oder schief liegender Platt-
stich, oft nur über zwei Fäden geführt. Gewöhnlich ist die Figur ver-
schoben und zudem (in Bezug auf rechte und linke Hälfte) sehr willkürlich
behandelt. Der Gesamteindruck ist trotzdem ein günstiger.
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Fig. 4. Jamimd er Branttaschentach, mit rotem Garn gestickt (Eckstück).
Beim Gange zum Nachtmahl kommt als höchster Schmuck, aber nur
der verheirateten Frau zustehend, der kurze, etwa einen halben Meter lange
Mantel von feinem, schwarzem Tuch hinzu. Er ist wie die Jop mit rotem
Fries abgefüttert und hinten von Schulter zu Schulter in regelmässige,
schmale Falten gelegt, die durch untergeheftete Schnur in gefalliger Form
erhalten bleiben. Ein sehr breiter, aufgesetzter Saum läuft im Nacken
über die Schultern weg vom herunter. Hinten ist Pappe in diesen Saum
eingenäht, damit er kragenartig steif aufliegt. Vorn an der Innenseite ist
durch grosse Eragenösen Gelegenheit gegeben, den Mantel mit den Armen,
da diese durch die Ösen gesteckt werden, fester zu ziehen.
Ausser dem oben beschriebenen gestickten Tuch hält die Kommu-
nicantin noch das Gesangbuch in der Rechten, dessen Einband nach alter
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88 Jahn:
Sitte aus bunt ausgearbeitetem und gefärbtem Leder gefertigt ist. An der
Schnittfläche befinden sich Beschläge. — Die Hände stecken bei solchen
Gelegenheiten in nichts weniger als zierlich gearbeiteten, weiten Faust-
handschuhen, die oben schwarzes Tuch, innen grobes, graues oder rotes
Wollenzeug zeigen. Wertvoll werden diese Handschuhe jedoch durch die
mühselige Stickerei, die mit bunter Seide in Steppstich und Plattstich
ausgeführt ist und vorwiegend Blumen und Herzen darstellt. Die Naht,
durch welche der Daumen in den Handschuh gefügt ist, wird durch Hexen-
stich verziert. (Näheres über die Ornamentik der Handschuhe, sowie eine
besondere Abbildung im folgenden Hefte.)
Kaum weniger originell, als der Anzug der Frauen, ist derjenige der
Männer. Auch hier haben wir eine Alltags- und eine Festtagstracht zu
unterscheiden. Erstere besteht aus dem Hemd von grobem Linnen mit
ziemlich hohem Kragen und langen Ärmeln. Die Manschetten derselben
sind, ebenso wie der Kragen, nur bei den Brauthemden, imd auch da nur
ganz unbedeutend, ausgenäht.
Über das Hemde wird das „Bostdok" (Brusttuch) gezogen, welches aus
demselben Stoff gefertigt ist, wie das Schnürleib der Frauen (s. oben).
Den Verschluss bildet eine einfache Reihe blanker Metallknöpfe. Es
schliesst am Hals eng an und reicht herab bis über den ganzen Unterleib.
An beiden Seiten befinden sich Taschen, die mit einer grossen Klappe
verdeckt sind.
Das Bostdok entspricht unserer Weste, nur mit dem Unterschied, dass
bei dem modernen Kleidungsstück der Schossteil über dem Beinkleid zu
tragen ist, während derselbe bei dem Bostdok untergeknöpft wird. Im
übrigen trägt der Jamunder weisse, leinene oder gelbe, schafledeme an den
Seiten ausgenähte Kniehosen. Jene werden mit rotbunten, nach Art der
Schnürsenkel auf dem Webebrett gefertigten „Büchsen^-Bändern, diese mit
ledernen Riemen unterhalb des Knies zusammengebunden. Von dem
Gelb oderlWeiss der Hosen hebt sich das Braun oder Schwarz der langen
Wadenstrümpfe, in die an den Aussenseiten ein einfacher Zwickel (in
Form des Längsdurchschnitts eines langen, schmalen Kegels mit darauf
gesetztem, auf der Spitze stehendem Rombus) gestrickt ist, wirkungsvoll
ab. Zu den Strümpfen gehören kurze Schnallenschuhe (siehe die Ab-
bildung der üblichen Schnallenform auf Tafel H), wenn man es nicht
vorzieht, den ganzen Unterschenkel bis über das Knie hinauf durch plump
gearbeitete Krempstiefel zu verdecken.
Das nächste Kleidungsstück des Jamunders ist das sogenannte „Fauder-
hemd", ein langer, blauer, rot abgefütterter Rock von „fif schäftigem" Zeug,
der vorne und an den Ärmeln mit blanken Messingknöpfen besetzt ist.
Bald finden sich an den Seiten Taschen, bald fehlen sie. Der Schnitt des
Fauderhemds ergiebt sich aus der Abbildung. — Auf dem Kopfe tragen
jung und alt. Verheiratete und Junggesellen die ZipoU-, d. i. Zwiebel-
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Jamund bei Cöslin.
89
Mütze aus selbst gewirktem, rotbunt gestreiftem Wollenzeug. Sie hat eine
viereckige Gestalt, das heisst, es sind vier blattartige Stücke so zusammen-
gefügt, dass die Mütze, nachdem unten noch ein steifer Rand dazu ge-
kommen ist, einer Schachtel oder, wie die Leute wollen, einer Zwiebel
ähnlich sieht. Auf der Mitte des Deckels befinden sich Schleifen von Wollen-
band, meist eine grüne und eine rote, in Kreuzform übereinander liegend.
Neben der ZipoUmütze ist auch die pelzverbrämte Bauemmütze mit
rotem Deckel und silberner oder goldener Troddel, deren Verbreitung
über ganz Deutschland geht, üblich; doch hat sich in Jamund die Sitte
herausgebildet, dass dieselbe nur von Verheirateten getragen werden darf.
Legt der Jamunder Bauer die Festtracht an, so hat er nicht viel Um-
kleidens nötig; er zieht einfach über das Fauderhemd den langen, dunkel-
blauen oder schwarzen Rock von ebenfalls f ifschäftigem Zeug, mit buntem
WollenstofF gefüttert. Derselbe ist ohne Kragen und Knöpfe und wird
lediglich durch Haken und Ösen zusammengehalten. Die Ärmel enden in
Stulpen, welche in regelmässigen Abstanden mit vier Fadenösen an-
geschürzt sind. Statt der Taschen sind Schlitze vorhanden, um (wenigstens
haben dieselben sonst in Deutschland den Zweck) bei schlechtem Wetter
die Vorderteile der Rockschösse durchzuziehen und sie dadurch vor Be-
schmutzung zu schützen. — Um den Hals wird, je nach der grösseren
oder geringeren Feierlichkeit, ein kattunenes, halb- oder ganzseidenes Hals-
tuch geschlungen. Die Hände stecken in weissen, wollenen Fingerhand-
schuhen, die geschmackvolle, eingestrickte Muster aufweisen, auf jedem
Finger eines in Ringform. Am Handgelenk hängen kleine Fransen von
weisser Wolle.
1
yWS/iiWSvvWVW» b) Finger.
) Handfläche.
Fig f). Musternder Jamunder Fingerhandschuhe für Männer, mit weisser in weisse
•tV7/
> * * *
c) Daumen«
Wolle gestrickt.
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90
Jahn:
WNWWWWW
^
Fig. 6. Muster der Jamunder Faust-
Letztere kommen sehr zur Geltmig, da
die Jamunder Mode verlangt, dass die unteren
Teile der Handschuhe über die Enden der
Rockärmel gezogen werden. Daneben finden
sich auch schwarzweiss gemusterte Fausthand-
schuhe; doch sind dieselben mehr für den
alltäglichen Gebrauch im Winter bestimmt,
während die weissen Pingerhandschuhe bei
jeder festlichen Gelegenheit, ganz gleich, ob
Winter oder Sommer, getragen werden.
Statt der Mütze wird auf das Haupt mit
seinen langen, bis über die Schultern herab-
wallenden Haaren ein gewaltig grosser Drei-
master gesetzt. Erst seit dem Anfang dieses
Jahrhunderts beginnt derselbe von demCylinder
verdrängt zu werden, der sich dann bald
alleinige Geltung verschafft hat. Nach dem
Schwinden des Dreimasters stellten sich noch
Die
handschuhe für Männer, mit weisser andere Veränderungen in der Tracht ein
in schwarze Wolle gestrickt. °
bunten, lebensfrohen Farben, sowie alles Glän-
zende, traten mehr und mehr zurück. Statt der vielfarbigen Bostdäuker
und Mieder wurden solche in einfacherer Farbenzusammenstellung gewählt;
statt der glänzend blauen Fauderhemdeu fertigte man tiefschwarze. Die
schmucke Michelmütze, der Plünner der Konfirmandinnen, die blanke
Kleinkinner-Mütz, die buntgestickten Handschuhe der Frauen und die
kunstvoll gemusterten weissen der Männer, alles kam in Wegfall, ebenso
der stattliche Abendmahlsmantel, der rote Brautrock und die ausgenähten
Lederhosen (wie die Kniehosen überhaupt). Die Schnallen an den Schuhen
fielen weg, die Zwickel an den Strümpfen hielt man nicht mehr für not-
wendig, die kunstvoll ausgearbeiteten Pantoffeln wurden nicht mehr ge-
fertigt, und auch die eigenartigen Schmuckstücke der Braut, des Bräutigams
und des Hochzeitsbitters sind seit Jahrzehnten nicht mehr getragen worden.
Aber selbst diese stark vereinfachte Tracht hat der modernen Kultur
nicht standhalten können. Nur vereinzelt ist heute eine Jamunderin und
noch seltener ein Jamunder in der Nationaltracht zu schauen. Und als
ob das Unheil nicht schnell genug kommen könne, ist das Hauptdorf
Jamund, welches seit zwei und einem halben Jahrhundert von jedem grösseren
Brandunglück verschont geblieben war, am 3. November 1889 zur Hälfte ein
Raub der Flammen geworden. Wenig haben die Leute zu retten ver-
mocht; und ein Ersatz für die verloren gegangenen Stücke ist nicht möglich,
da die Frauen, wie fast überall in Deutschland, so auch in diesem vergessenen
Winkel, die Kunst des Webens und Stickens und Klöppeins verlernt haben
und mit ihren Bedürfnissen auf den Händler in der Stadt angewiesen sind.
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Jamnnd bei Cöslin. 91
Um 80 mehr dürfte es am Platze sein, ein Stück echten Alt-Jamunder
Lebens vor Augen zu führen. Es möge darum hier die Schilderung einer
Bauernhochzeit folgen, wie man dieselbe noch in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts in Jamund und Labus zu feiern gewohnt war:
Eine Eheschliessung ist seit jeher bei dem biedern Landvolk zunächst
Geschäfts- und erst in zweiter Linie Herzenssache gewesen. So auch
hier. Da wird lange hin und her beraten, was er hat und was sie mit-
bekommt. Sind endlich die Parteien handelseins geworden, so geht's an
die Yorbereitungen zur Hochzeit. Die Braut, selbst wohlhabender Leute
Kind, heiratet in einen reichen Hof hinein. Da gilt's Ehre einlegen!
Gross muss die Hochzeit sein, so gross, dass sie noch Jahre lang in aller
Dorfgenossen Munde lebt. Das ist die Hochzeit aber nur, wenn alle, die
EU den Eltern des jungen Paares und zu diesem selbst als Nachbarn, als
Freunde, als Verwandte oder sonst wie in irgend welcher Beziehung stehen,
als Gäste erscheinen. Einladungen über Einladungen müssen daher er-
gehen. Und zwar dürfen dieselben, alter Sitte zufolge, nur mündlich
durch einen besonderen Einlader, den Hochzeitsbitter, erfolgen.
Zu dem Zwecke setzt sich der Bräutigam mit einem guten Freund in
Verbindung. Derselbe legt seinen Sonntagsstaat an. Die langen Kremp-
stiefeln sind frisch geschmiert; der stattliche Kirchenrock ist sauber ab-
gebürstet. Um den Hals ist ein farbiges Seidentuch geschlungen. Auf
dem Kopf trägt er einen reich mit Goldborten und Flitter benähten, rauhen
Cylinderhut. Über die Hände sind die weisswollenen, in reichem Muster
gestrickten Handschuhe (siehe oben) gezogen. Dann ergreift er das Zeichen
seiner Würde, den Hochzeitspiess. Der Dorfschmied hat die Lanzenspitze
geschmiedet; den Schaft hat er selbst kunstreich hergerichtet. Nachdem
er ihn rot gefärbt, hat er in vier langen, fingerbreiten Streifen schwarzes
Leder der Länge nach mit blanken Buckelnägeln an den Stock geheftet.
Kränze von ausgefranstem Leder, ebenfalls mit Buckelnägeln beschlagen,
unterbrechen in schuhbreiten Zwischenräumen die Längsstreifen. Hart
unter der Spitze endlich ist ein Täfelchen mit einem Lederriemen befestigt.
Dasselbe ist bunt bemalt und in der Mitte in Herzform ausgestochen.
Unter dem Herzen steht die Jahreszahl.
So ausgerüstet macht sich der Hochzeitbitter, begleitet von einem
Gesellen, auf den Weg. Ohne den Hut abzunehmen, tritt er auf die Diele
des Hauses, wo er schon von dem Wirt und dessen Angehörigen erwartet
wird. Dreimal stösst er mit dem Spiess auf den gestampften Lehmboden,
dass es schallt, dann setzt er ein Gesicht auf, wie der Pastor auf der
Kanzel, und spricht mit dröhnender Stimme, dass die Wände wiederhallen:
„Guten Abend, guten Abend ins Haus! Ist der Wirt herein oder ist
er heraus? Wir haben so lange gegangen, wir haben so lange gestanden,
eh' wir das liebe Hochzeitshaus haben können erlangen. Nun haben wir
es einmal erlaugt; Gott gebe euch viel Glück und Segen darein. — Wir
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92 Jahn:
wünschen euch alles Liebe und Gute und alles Wohlergehen. Hochgeehrte
und wertgeschätzte Freunde, nehmt es doch nicht vor übel an, weil wir
so unverhofft zu euch -herein kommen; denn wir haben eine christliche
Werbung und einen freundlichen Gruss an euch zu vermelden, nicht von
unsertwegen, sondern von zwei Personen, als nämlich von dem hochgeehrten
Herrn Bräutigam N. N., wie auch von seiner herzvielgeliebten Jungfer
Braut N. N. Weil diese beiden Personen gesonnen sein, sich durch Schickung
Gottes, ihrer Eltern und guten Freimde in ein christliches Eheverlöbnis
einzulassen, und, als unser Y ermuten ist, am zukünftigen Freitage ihren
hochzeitlichen Ehrentag anstellen wollen (als Werke zu verrichten
beschlossen werden kann) und weil ihr christliches Vorhaben ohne gute
Freunde und Nachbarn nicht geschehen noch vollzogen werden kann, also
gelangt unser dienstfreundliches Bitten hier an den Herrn Hauswirt und
an seine herzvielgeliebte Hausfrau, Kinder und Gesinde, Jungfern und
Gesellen, dass sie doch möchten am zukünftigen Freitage, vormittags zehn
Uhr, zu ihnen kommen und halten Hochzeit, nicht allein am Freitage,
sondern die ganze Woche, so lange die Hochzeit währen wird, und essen
und trinken und nehmen mit ihnen vorlieb. Und was sie euch können
zu gute thun, das sollt ihr imgewegert von ihnen haben."
^Ferner lassen sie euch bitten um einen Wagen mit vier Pferden, wohl
ausgemundieret und alles was darauf gehört: Herr und Frau, Kinder und
Gesinde, Jungfern imd Gesellen, sie kommen geritten oder geschritten,
vier, fünf, sechs, sieben, acht, soviel euer ganzes Haus vermag."
„Femer, so lässt der Herr Bräutigam und die Jungfer Braut euch
bitten : Knaben und Jungfern, Jungfern und Gesellen, dass ihr doch möchtet
ein wenig in der Zeit kommen und trinken ein Mal, zwei oder drei, und
gehen mit den Brautleuten nach der Kirche und helfen ihnen den Reih
stärken und vermehren und mit einem christlichen Gebet beiwohnen.
Allda werdet ihr dann sehen, wie der Herr Bräutigam mit seiner viel-
geliebten Braut durch priesterliche Hand verkoppelieret und verheiratet
wird, und nach solchem Vertrauen werdet ihr euch in das Hochzeitshaus des
N. N. in Jamund einverfügen. Allda werdet ihr dann finden ein wohl-
ausgeziertes Hochzeitshaus, einen Tisch gedeckt, Stühle und Banken gesetzt,
und werdet allda mit hochzeitlichen Ehren an einen hochgeladenen Tisch
gebracht werden. Allda werdet ihr dann sehen, was Gott der Herr euch
an Essen und Trinken durch Koch, Küchen- und Tischdiener wird vor-
tragen lassen, günstig vorlieb zu nehmen, nach der Mahlzeit zum Tanz
(das macht den Reih ganz) den Reih helfen stärken und vermehren; das
geschieht dem Herren Bräutigam mit seiner vielgeliebten Braut zu Ehren."
„Femer lassen sie euch bitten, dass ihr doch möchtet keine not-
wendigen Sachen vorwenden, damit sie in ihren Ehrentagen nicht möchten
verschwächt, sondern vielmehr gestärkt werden. Denn sie wollen sich gar
keines Ausbleibens an euch versehen haben; denn wenn ihr wieder einen
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Jamund bei Cösb'n. 93
Sohn oder eine Tochter ausgebt oder sonst eine Clation (lies: Collation) an-
stellt, so wollen 8ie wieder gerne Hülf und Beistand leisten, sofern als
sie dazu geladen und gebeten werden."
„Ferner lassen sie euch bitten, ob ihr nicht was viel Milch und Butter
habt, dass ihr ihnen doch könnt mit einem wenig zu Hülfe kommen: mit
einer Kann' voll, mit einer Wann' voll, mit einem Löffel voll, mit einem
Scheffel voll; denn wir verhofFen mit williger Hand eine grosse, schwarze
Kanne voll, dass die Grütze gut weiss wird. Das wollen sie auch gerne
sehen."
„Femer lassen sie euch bitten, wenn hier noch wo ein unverhoffter
Gast zu euch kommt, dass ihr ihn doch nicht gleich ausjagt, ihm doch
was zu liegen helft auf die Bank oder unter die Bank, auf den Kumm
oder dabei zu, oder bei den Mädchen, bei den Jungfern in das Bett bis
an den hellen, lichten Morgen, dass er wieder zu den Seinigen in das
Hochzeitshaus kommen kann. Das wollen sie auch gerne sehen."
„Femer lassen sie euch bitten, ob hier der Herr Hauswirt nicht was
viel Äpfel verwahrt, die Hausfrau nicht was viel Feigen gebackt, die
Mädchen, die Jungfern nicht was viel Nüsse gepflückt haben, dass sie den
Hochzeitsbittem können auch was mitteilen. Denn wenn wir wieder zu
den Brautleuten in das Hochzeitshaus kommen, dass sie doch sehen können,
dass wir imsere Bitte desto besser verricht't haben. Das wollen sie auch
gerne sehen.''
„Thut euch belieben und nicht lange bedenken; habt ihr ein Kraus
Bier, so thut mir einmal einschenken. Kann's sein ein Gläschen Wein,
so soll's uns desto lieber sein. Habt ihr keinen Wein, so kann's doch sein
ein Gläschen Branntwein. Habt ihr keinen Branntwein nicht, so kann's
sein ein gut Wort; damit reisen wir wieder frisch fort."
„Ferner so bitten wir ganz freundlich für uns und für unsere Personen:
EEaben wir nicht recht wohl gebeten, so mögt ihr es desto besser verstehen,
desto eher kommen, desto länger bleiben, desto lustiger und fröhlicher '
sein; denn wir sind noch jung an Jahren, wir haben die Sache noch
wenig erfahren; wir sind noch jung in Ehren, wir verhoffen, es auf ein
ander Mal besser zu lehren; wir sind noch jung von Knochen, wir ver-
hoflfen, es auf ein ander Mal besser zu machen."
„Denn wir verhoffen, ihr werdet euch auf unsere Bitten wissen fleissig
einzufinden und verachten Braut und Bräutigam nicht, und uns als zwei
ausgesandte Diener und Boten daneben auch nicht, und nehmen mit ihnen
vorlieb, was da kömmt zu Tisch, es sei Wildbret, gebratene Hühner oder
Fisch, Bier oder Wein, was am besten für die hochgeladenen Hochzeits-
gäste und Freunde wird sein, nach der Mahlzeit zum Trunk, fröhlich zum
Sprung, mit Beten und Singen, und helfen die Hochzeit mit Freuden zu
Ende bringen."
„Nun so nehmt es für eine ßitte ap, weil die Bitte nicht besser
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94 Jahn:
werden kann; aber die Bitte ist klein. Stellt euch desto fleissiger zur
Hochzeit ein."
„An Näet un Äppel un Fige
Läte sich dei Hochtidsbiddes nich vadriwe;
Wenn s' dei warre krige,
Warres geen still schwige."
Nachdem ihnen die Bitte gewährt ist und sie die Nüsse und Äpfel
und Birnen bekommen haben, fährt der Sprecher fort:
„Denn wir sind zwei ausgesandte Diener und Boten; wir sind gesandt
von Braut und Bräutigam; sie lassen den Herrn Hauswirt und die Haus-
frau freundlich grüssen von dem ersten bis zu dem letzten, den Koch mit
seinen Kellen und mit seinen Gesellen, sie mögen Namen haben, wie sie
wollen. Ihr mögt das Haus so lange auf den Boden ziehen. Ihr sollt uns
angenehme Gäste sein. Sie lassen euch darum bitten, ihr mögt ihre
Stühle und Banken nicht zerbrechen, ihre Löffel, Teller, Tischtücher
nicht zerstossen noch zerstechen, und halten euch fein säuberlich bei Tisch
und treiben kein Ungewerb und Unschicklichkeit bei Tisch imd halten
den Herrn Hauswirt und die Hausfrau wert und lassen sein Hausgerät
wohl unveracht't; und wenn euch ein Gläschen Bier wird zugebracht, so
nehmet es an mit Dank. Nun so haben wir unsere Bitte mit des voll-
bracht. Wir wünschen euch auf den Abend eine lustige und fröhliche
Sach'. Denn wir verhoffen, der Herr Hauswirt wird uns ein Kraus Bier
schenken, die Hausfrau einen Stuten, als ein Arm lang, dann werden wir
sagen grossen Dank. Amen"^).
Nachdem die Zus^e von dem Hauswirt erteilt ist, zieht der Hochzeits-
bitter mit seinen Gesellen in den nächsten Hof, um dort dieselbe Predigt
zu halten, mit nicht minderem Ernst und mit nicht geringerer An-
strengung seiner Lungen, und so setzt er es fort, bis endlich auch der
letzte Gast geladen ist. Führt ihn sein Weg ausserhalb des Dorfes, so
entledigt er sich seines Auftrages hoch zu Ross.
Inzwischen mühen sich die Angehörigen der Brautleute ab, die beider-
seitigen Höfe hochzeitlich herzurichten. Grosse Mengen von Butter,
Weizenmehl und Grütze werden beschafft, ein Rind wird geschlachtet,
Bier wird gebraut, Branntwein aus der Stadt besorgt, und bei den Fischern
aus den benachbarten Seedörfem werden grosse Bestellungen an Fischen
aller Art gemacht. Die Bottlöeher werden mit den frisch gewaschenen
Feiertags-Vorhängen versehen. Kunstvoll sind in dieselben, weiss auf blau,
1) In dem uns vorliegenden Manuskript des Hochzeitsliedes und des Liedes zum Ans-
bitten, welches im Jahre 1838 von einem Jamunder Bauer niedergeschrieben ist, sind,
offenbar durch Versehen des Abschreibers, die beiden letzten Absätze des Ausbitterliedes
'siehe Heft 2): ^Nun, ihr Herren Musikanten, — late sei uck birre. Amen" hin-
zugefügt
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Jamimd bei Cdslin. 95
figürliche Darstellungen hineingewirkt, alte Jamunder Arbeit, schon von
der Urahne gewebt und in der geschnitzten eichenen Brautlade aufbewahrt.
Der Spalt, welchen die beiden Shawls der Vorhänge lassen, wird bis an
die Decke der Bettlöcher ausgefüllt von schwellenden Kissen. Die breiten
Einsätze der Bezüge (Büren) sind von der Braut und ihren Freundinnen
eigens zu dem Feste gearbeitet und lassen auf dem blauen oder roten
Inlet scharf und deutlich das prächtige Muster erkennen.
Auf der sorgsam geglätteten und mit frischem Sande bestreuten Diele
und in der Stube werden Tische aufgestellt und mit schneeweissem Linnen
gedeckt. An dem Ehrentische stehen neben den anderen Stühlen zwei
funkelnagelneue, mit lebhaften, aber nicht grellen, das Auge verletzenden
Farben bemalt. Der hochbeinige Bräutigamsschemel mit dem Doppeladler
und den sich schnäbelnden Tauben und der zierlich mit Binsen beflochtene
Braatstuhl, dessen kunstreich gearbeitete Rückenlehne mit zahlreichen
Glöckchen behangen ist. Jetzt ist das nur Zierat; vor alters sollte der
Klang wohl dazu dienen, unheilbringende Dämonen zu verjagen. So finden
sich auch zuweilen statt der Schellen in dem für diesen Fall doppelt be-
flochtenen Boden kleine Steinchen und Scherben, die bei jeder Bewegung
des Stuhles klappern und klingen.
Der Hochzeitstag naht heran. Am Abend vorher, also am Donnerstag,
finden sich die Freunde der Braut in dem Hofe von Brautvater und -Mutter
und die Freunde des Bräutigams bei dessen Eltern ein, um die Vorfeier
(AflTeiring) zu begehen. Gegessen und getrunken wird dabei, wie bei der
eigentlichen Hochzeit und den darauf folgenden Tagen, nur dass die
Parteien getrennt sind. Auch die Anordnung der Tische und die Art der
Gerichte ist an allen Hochzeitstagen dieselbe. In der Mitte jedes Tisches,
stehen bunt bemalte Schüsseln und Teller von roher hinterpommerscher
Technik; sie enthalten Grütze oder Reis, Kartoffeln mit Ueberguss, Fische,
Butter und gesottenes Fleisch. Braten kannte der alte Jamunder nicht,
obgleich der Hochzeitsbitter in seinem Spruche den Gästen den Mund
wässerig macht mit Wildbret, gebratenen Hühnern und Fisch. Ueber den
Schüsseln liegen grosse Brote, von feinstem Weizenmehl gebacken. Vor
Jedem Sitz steht ein eckiger oder runder, mit der Hofniarke des Hauswirts
versehener hölzerner Teller. Derselbe ist blank gescheuert, ebenso wie
der geschmackvoll aus Holz geschnitzte Löffel, mit dem männiglich zugreift,
um aus gemeinsamer Schüssel von der Grütze, dem Reis, den Kartoffeln
und den Fischen zu essen. Von dem Fleisch nimmt jeder nach Belieben
mit dem Taschenmesser ein Stück von der Schüssel und legt dasselbe
dann vor sich auf den Holzteller und zerschneidet es; ebenso nimmt er
von dem Weissbrot. Die übrig bleibenden Knochen werden unter den
Tisch geworfen.
Das Rindfleisch macht Durst, und der Fisch will schwimmen, ganz
abgesehen davon, dass jeder Jamunder zu einer Hochzeit von vornherein
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96 Jahn:
seinen rechtschaffenen Durst mitbringt. So wird denn wacker den grossen
zinnbedeckelten Kannen und Krügen aus Steingut zugesprochen, die bis
an den Rand mit Bier gefüllt sind. Wer's stärker und kräftiger liebt,
greift nach den Flaschen mit Branntwein. Auf dem Ehrentisch wird auch
richtiger Wein geschenkt, wenigstens haben die Flaschen die richtige
Gestalt und der Inhalt die richtige rote Farbe. ^
Der folgende Tag, der Freitag, bringt die eigentliche Hochzeit.
Während die Gäste sich an Warmbier und Kuchen erquicken, wird die
Braut hochzeitlich geschmückt. Statt des schlichten, schwarzen Oberrockes
zieht sie einen reich gefalteten Rock Ton brennend roter Farbe an, zum
grossen Teil yerdeckt von der schneeweissen, linnenen Brautschürze. Die
zierlich in Leder ausgeschnittenen Brautpantoffeln, das erste Geschenk des
Bräutigams an die Auserkorene, welche sie gestern bei der Affeiring
getragen, machen den „bricket Schauh" Platz. Um die Schultern
liegt das kleine, schwarze Abendmahlsmäntelchen , das sie heute mit
dem Gang zur Trauung zum ersten Male trägt, um sich dann damit fürs
ganze Leben bei jeder Nachtmahlsfeier zu schmücken. Noch aber fehlt
die Hauptsache, der Brautschmuck, der in der ganzen Umgegend von
Cöslin bei den Landbewohnern berühmte Jamunder Päil. Derselbe setzt
sich zusammen aus drei Stücken: aus der Brautkrone, aus dem Halsband
mit Kragen und dem Leibband. Bei allen drei Teilen ist mit Edelmetall
nicht gespart.
Die Brautkrone (siehe Tafel H) besteht aus einem handbreiten
Reifen von Silber, mit Gold gemischt; darüber erhebt sich ein hohes
Drahtgestell. Der Reifen hat eine grosse Menge kleiner Löcher, durch
welche schmale Seidenbänder gezogen werden, und ist ausserdem mit
Metallknöpfen besetzt. Ein jeder Knopf hat einen wagerecht abstehenden
Dom, der in Ösen zierliche Hängenbleche trägt; auch durch diese
Ösen ist seidenes Band gezogen. Oben auf dem Reifen türmt sich,
gestützt von dem Drahtgestell, ein fusshoher Berg von Glas- und Flitter-
werk (Glaskugeln, Perlen, Zeug- und Papierblumen, Federn u. s. w.)
in allen denkbaren Farben. Innen befindet sich ein mit Rauschgold be-
klebter Reifen, welcher das Tragen der Krone erleichtern soll. Unter der
Krone ist das Haar der Braut, das im übrigen, wie sonst, im Zopf ge-
tragen wird, mit einem roten und einem schwarzen Seidenbande, die aber
von aussen nicht sichtbar sind, geschmückt.
Der Brautkragen ist aus breiten Spitzen gefertigt, die in Plissees gelegt
sind und mit einem Seidenband zusammengehalten werden. Er steht als
aufrechte Krause über dem sogenannten „witt Kragen" (siehe oben) um
den Hals, was nur durch das Hinzukommen eines etwa 3 cm breiten Gurt-
kragens möglich ist. Der letztere ist aus sehr steifem Material gearbeitet und
wird mit rotbuntem Zeuge bezogen, auf welches noch Goldspitze geheftet ist.
Ein silbernes Schloss mit Kette und Hängezierat schliesst ihn vorn, während
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Jamund bei Cöslin. 97
rechts «nd links von diesem Schlosse noch weitere silberne Hängebleche
angebracht sind. (Siehe die Abbildung des Endstückes eines Gurtkragens
auf Tafel H.)
Der Brautgürtel, welcher um die Jacke hart unter der Brust ge-
schlungen wird, hat ein ähnliches, aber bedeutend grösseres Schloss (siehe
die Abbildung auf Tafel IT). Es zeigt zwei flache, verzierte Platten, die
durch Haken und Ösen nur mittelbar verbunden werden, da der eigentliche
Verschluss in der Weise stattfindet dass von den Ösen aus eine kurze
Kette zu den Haken hinüberführt und so eine Verengerung oder Erweiterung
des Gürtels ermöglicht wird. An der Kette hängen rasselartige Troddeln.
Der Gürtel selbst ist ungefähr 6 cm breit und besteht aus steifem, mit
schwarzem Wollenbande bezogenem und mit rotem Seidenbande ein-
gefasstem Stoffe, auf den Goldspitzen und Plitterwerk, sowie ein Dutzend ver-
schiedenartig gearbeiteter, runder, silberner Bleche in Grösse der Pünf-
markstücke hi regelmässigen Abständen geheftet sind.
Der Päil ist oder, besser, war (denn jetzt besitzt ihn das Museum
deutscher Volkstrachten), so zu sagen, Dorfeigentum. Wenn auch vor
alters von einer bestimmten Pamilie käuflich erworben, so wird er doch
bei jeder neuen Hochzeit für ein Handgeld verborgt, und jede Jamunder
Braut, die mit Ehren ihren Ehrentag begehen darf, hat das Recht, die
Hergabe des Päil zu verlangen.
An dieselbe Bedingung knüpft sich das Tragen der goldenen Kette,
welche der Braut um den Hals gelegt wird, nachdem sie die bunt aus-
genähten Handschuhe angezogen und das kunstvoll gebundene, in das
gestickte Brauttaschentuch gehüllte Gesangbuch in die Hand genommen
hat. Das Tragen dieser langen, schlicht gearbeiteten Kette ist übrigens
nicht älter als unser Jahrhundert.
Als die Prinzessin Charlotte, die spätere Gemahlin des Kaisers
Nikolaus von Russland, im Jahre 1817 in Begleitung ihres Bruders, des
Prinzen Wilhelm, nachmaligen Kaisers Wilhelm I, auf ihrer Reise nach
St Petersburg durch die Stadt Cöslin kam, wurde sie am Pusse des Gollen-
berges von einer Schar Jamunderinnen begrüsst. Dem Mädchen, welches
das Begrüssungsgedicht sprach, schenkte die Prinzessin eine goldene Kette;
dieselbe wurde als Heiligtum aufbewahrt und in der Folge jeder ehrlichen
Braut auf dem Kirchgange umgehängt.
Der Aufputz des Bräutigams hat weniger lauge gedauert. Er zieht
einfach den oben beschriebenen Kirchenstaat an, nur dass er an diesem
Tage eine Schleife von Seide und Goldbrokat um den Hals legt, den so-
genannten Bräutigamsflor, und dass an seinem Dreimaster ein grosser
Strauss von gemachten Blumen befestigt ist.
Nachdem Braut und Bräutigam in grossem Zuge zur Kirche gezogen
sind und der Pastor die heilige Handlung vollendet hat, gehen alle Gäste,
voran die Musikanten, zu dem Teil, welcher in den Hof hinein heiratet,
;&«nscbrift a. Vereins f. Volkskunde. 1891. 7
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o
98 Jahn:
also in unserem Falle in das Haus der Braut und ihrer Eltern. Dort wird
gegessen und getrunken, getanzt und gesprungen bis in die Nacht hinein, und
dort findet sich zu der gleichen angenehmen Beschäftigung auch alles am
Sonnabend Morgen wieder zusammen. Das geht so fort, bis um die Mittags-
zeit der Umzug in den Hof, in welchen die Braut hineinheiratet, stattfindet.
Jetzt tritt der Hochzeitsbitter wieder in seine Rechte. In derselben
Ausstaffierung, wie wir ihn beim Eiidaden der Gäste kennen gelernt haben,
tritt er vor die Versammlung, stösst dreimal mit dem Spiesse auf und
spricht das Ausbitterlied:
„Ihr vielgeliebten und auserwählten Hochzeits-Freunde und Gäste, was
soll ich euch wünschen thun für meine Person? Ich werde es wohl wissen
nun, dass Gott euch geben wolle eine geratene Eh', die Gott bescheren
wird. Gott bescher' euch Kindeskinder, dass die Eltern an euch Freude
finden. Gott gebe euch Friede und Eintracht, dass einer den andern lieb
haben mag***).
„Solches soll nun bedeuten, dass ein Bräutigam seine Braut und die
Braut den Bräutigam, sie sind gleich jung oder alt, reich oder arm,
hässlich oder schön, von Tagen zu Tagen, von Wochen zu Wochen, von
Monat zu Monat, von Jaliren zu Jahren, in Lieb und Leid lieb und wert
halte, so lang' sie leben ajlezeit."
„Gott regiere die Hochzeitsfreunde, dass sie nicht kommen allein zum
Trinken und Essen, sondern dass sie Gott um eine wohlgeratene Ehe an-
rufen, die Gott bescheren wird. Gott beschere, was euch nützlich und
dienstlich sei zu diesem und zum ewigen Leben, das ist der allerbeste
Schatz, den man von Gott haben und wünschen mag."
„Ferner, was soll ich eucli wünschen? Gute Gesundlieit Friede und
Einigkeit, damit ihr mit eurem Ehegatten in Friede und Freundschaft
bleibet, bis euch der Tod von einander scheidet."
„Ferner, so Lösst der Herr Bräutigam die Jungfer Braut auch bitten
mit Vater und Mutter, mit Brüdern und Schwestern, mit allen iliren ge-
betenen Hochzeitsgästen, dass sie doch mögen so gütig sein und ziehen
mit mir in des Bräutigams Vater, Bauer N. N. in Jamund, seine Beliausung
über Feld. Allda werden sie uns empfangen mit Gläschen und Schenk-
kannen, dass wir da leben mit Gomacli; zudem werden alle guten Freunde
mitgebracht. Wo sind deini nun meine Lieben? Wo ist der und der
mid der geblieben, der mir hier und da helfen verhiess, der mir dienet
mit Geniess? Nun ist all mein Hab und Gut verzehrt ein jeder mir den
Rücken zukehrt, ein jeder sieht mich lieblich an, ob ich's auch wohl
lernen kann. Ich finde micli betrogen; Glück ist hingeflogen, Glück hat
seinen Rat vertrieben. Wo ist denn mein Mann geblieben, der auf solche
Freunde bauen kaini? Freude, Friede, Freunde, soll unsere Freund-
1) Im Manuskript lautet der letzte Satz verderbt: „Solches Gott gebe, Gott finde
Friede und Eintracht, dass einer den andern lieb haben mag^.
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Jamund bei Cöslin. 99
Schaft sein! Ich wollt' euch wohl wünschen gute Gesundheit, Fried' und
Einigkeit."
„Ferner, wenn die Leute gegessen und getrunken haben, was gehört
noch mehr dazu? Gut Bier und Wein, damit sie können lustig sein. Und
wenn die Gäste nicht mehr essen und trinken können, sein sie von mir
«i^ebeten, ziehen den Hut ab und geben gute Nacht. — Schlaft gesund,
ihr lieben Hochzeitsgäste, Gott geb' uns einen fröhlichen Morgen!**
„Ferner, was soll ich der Jungfer Braut auch wünschen auf ihren
Tisch? Ich werde es wohl wissen: gebratene Hühner oder Fisch, Bier
oder Wein, damit sie kann lustig sein. Ich wollt ihr auch wohl wünschen
gut Wetter imd Wind, damit sie sich bei ihrem Liebchen im Bettchen
gut find't. Ach wie lieblich und holdselig wird das Bettchen sein, wo die
zwei Liebchen zusammen kommen hinein, wo sie sich in rechter Liebe
zusammenkehren und wo einer den andern in Liebe so hält ^), dass es
unserm Gott im Himmel wohl gefallt.**
„Nun ich kann nicht länger reiten hier, ich möchte auch wohl gerne
was essen und trinken Bier; denn ich verhoflFe, ihr werdet mir eins
schenken hier. Ich wollt' mir auch wohl wünschen, dass ich auch ein
Liebchen hätte, das mir so thäke! Ach, wie wollt' ich mit ihm herzen, ach,
wie wollt' ich mit ihm scherzen, du allerschönstes Liebchen, du, du!** ")
„Nun, ihr Herren Musikanten, fasset all' eure Gedanken recht zu-
sammen, hin und wieder, spielt die besten, schönsten Lieder, die ihr nur
ausdenken könnt! Wünschet Glück zu diesem verlobten Paare! Lasset
sie in Ehren fahren, lasset sie in Ehren gehen, dass sie Kindeskinder
sehen! Nun, ihr Herren, nehmt es wohl in acht! Dann adieu zu guter
Nacht.**
„Nun, so rüstet euch zu, schmieret eure Schuh, spitzet eure Schwert,
sattelt eure Pferd, lasset die Sporen wohl klingen und helfet die Braut-
leute mit Freuden in das vorbemeld'te Hochzeitshaus hineinbringen!**
„Un nu dei Brütlued, dei Spellued, dei Trüwweleides, dei Bisittes,
dei Köstebiddes, dei Feiringsbiddes, dei Hüsvadde, dei Hüsmudde, dei
Kockmeiste, dei Käeksch, dei Upwasches, dei Beddkemäkes, dei Delke-
sträkes, dei Puerkeanbäetes, dei Askepräetels un all, dei hie eie Amt häwwe,
läte sei uk birre. Amen!**
Sobald der Hochzeitsbitter geendigt hat, macht sicli die ganze Gesell-
schaft auf den Weg in das Haus des Bräutigams, um dort wieder Speise
und Trank nach Kräften zuzusprechen. Der Verlauf des Mahles unter-
1) In dem Manuskript lautet die Stelle verderbt: „und wo einer den andern sich
gefällt so lieben, dass es u. s. w."
2) In dem Manuskript ist, durch Versehen des Abschreibers, ganz unsinnig der
Absatz aus dem Ladesprnch hinzugefügt: „Denn ich bin ein ausgesandter Diener und
Bote etc. — die Hausfrau einen Stuten, als ein Arm lang; dann werd' ich sagen grossen
Dank".
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100 Jahn:
scheidet sich nur dadurch von dem am Freitag abgehaltenen, dass allerlei
Mummenschanz getrieben wird. Es erscheinen ein Mann und eine Frau
in Bettlerkleidung. Er zankt, sie keift, und schliesslich liegen sich beide
in den Haaren. Auch ein Bär tritt auf. Ein junger Bursche hat sich zu
dem Zwecke in Erbsenstroh wickehi lassen und tanzt nun und brummt
und wirft sich auf den Boden und ergötzt durch seine Spässe die An-
wesenden.
So geht der Sonnabend dahin. Am folgenden Tage versammelt sich
die Gesellschaft wiederum im Hause des jungen Wirtes. Speise und Trank
werden in gleichem Masse und in gleicher Menge gereicht, wie an den
Tagen vorher; doch erhält der Sonntfig dadurch seinen besonderen Reiz,
dass an ihm das junge Paar zum ersten Male als Eheleute die Kirche
besucht.
Am Montag ist die Nachhochzeit (Nähochtid). Die Gesellschaft ist
getrennt: die Freunde und Yerwandten der jungen Frau tafeln bei 'den
Brauteltern, die andern im Hause des jungen Ehemannes. Bei der Nach-
hochzeit wird der Neuvermählten von den Frauen statt der Maikesmütz,
die sie bis dahin getragen, die Fruggesmütz auf das Haupt gesetzt. Auch
dem Manne wird an diesem Tage das Vorrecht seines neuen ehelichen
Standes zu teil, die Berechtigung, die rote Mütze zu tragen.
Am Dienstag findet endlich der letzte Akt der Jamunder Hochzeit
statt, die Ueberführung des Brautgutes von dem Hause der Eltern in das-
jenige des Mannes. Zwei Wagen genügen. Dieselben sind festlich ge-
schmückt, ebenso wie die Pferde und die Rosselenker. Ausser dem
Kutscher hat auf jedem der beiden Fuhrwerke ein junges Mädchen Platz
genommen: das eine sitzt vor dem Spinnrocken der Braut und spinnt, das
andere windet Garn von der Haspel. Sind die Truhen, die Wiege und
der übrige Hausrat an ihren Bestimmungsort gelangt und abgeladen und
aufgestellt, so vereint noch einmal ein Schmaus die ganze Hochzeits-
gesellschaft bei dem jungen Paare. Damit ist dann aber auch des Guten
genug gethan und die Feier zu Ende, nachdem sie volle sechs Tage hin-
durch das ganze Dorf vom ältesten bis zum jüngsten in Aufregung versetzt
und erhalten hat.
(Fortsetzung folgt.)
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Kleine Mitteilungen. 101
Kleine Mitteilungen.
Zum Steinkultus in Syrien.
Auf den ron mir 1882—1885 im nördlichen Syrien ausgeftthrten Reisen —
eingetragen in H. Kiepert, Karte des nördlichsten Teiles von Syrien imHumann-
Pnchst ein sehen Reisewerk, Berlin, 1890 — verzeichnete ich auch, was mir von
dem Kultus von Bäumen und Steinen bekannt wurde. Das Merkwürdigste in dieser
Hünsicht beobachtete ich bei dem Dorfe Jelbaba oder Schech errlh, ca. 10 km
östlich von *Azäz, 15 km südlich von Killiz (Klis). In meinem Reisetagebuch findet
sich darüber unter dem 9. November 1882 Folgendes: „1 Uhr 14 Min. am Fusse
des Hügels von Jelbaba; hier befindet sich ein Steinhaufen von ca. 2 m Durch-
messer, auf welchem Äste eines kleinen vertrockneten Baumes liegen, die dicht
mit den bekannten Kleiderfetzen umwunden sind '), ca. 30 m davon entfernt auf
den Hügel zu, der berühmte schwarze Stein, der die Wunderkraft besitzt, dass,
wenn sich ein mit bei aghiysy, Lendenschmci*z, Behafteter in ihn legt — er ist
nach der Mitte zu muldenartig vertieft — und dann in dieser Lage mehrere Male
an den Beinen herumgedreht wird, die Krankheit von ihm weicht und er gesund
wird. Der Stein ist 0,77 m breit und 1,9 m lang. — 1 Uhr 23 Min. fort von hier
auf den massig hohen, zwei Spitzen habenden Hügel hinauf. — 1 Uhr 25 Min. oben
auf der südlicheren der beiden, durch einen Sattel von einander getrennten Spitzen.
Von hier die Zijaret nordöstlich, das Dorf nördlich; in der Richtung der Zijaret,
ca. 1 Stunde entfernt, ein hüjük (i. e. künstlicher Hügel) sichtbar. — Auf der
anderen östlichen Seite des Hügels hinunter, ungefähr in halber Höhe links am
Wege ein Stein (Kalkstein?) mit Löchern, denen das Volk die Wunderkraft zu-
schreibt, dass sie wunde oder schmerzende Finger, wenn dieselben in sie hinein-
gesteckt werden, heilen; es sind ca. 8 Vertiefungen, zum Teil paarweise neben ein-
ander. — 1 Uhr 35 Min. von diesem Steine fort. — Am Fusse des Hügels befindet
sich ein ähnlicher, doch grösserer Stein; der ist für xVrmschmerzen, er steht auf-
recht und hat oben so grosse brillenartige Löcher, dass man den Arm hindurch-
stecken kann; dass dieses Manöver in der That oft und schon seit sehr alter Zeit
vollführt wird, sieht man daraus, dass die Durchsteckstelle ganz glatt und glänzend
ist. — Am Fusse des Hügels auch befindet sich die Zijaret (i. e. bewallfahrtetes
Grab) des Jelbaba oder Schech rih (errlh), welche ofTenbar selbst nicht sehr alt
ist, doch aus altem Material erbaut scheint; vor ihr und neben ihr liegen einige
Säulen; ca. 50 m von dieser Zijaret entfernt, sind die beiden runden, von ca. 1 Va //*
hohen Mauern umgebenen Räume, in deren einem sich die Männer, im andern die
Frauen baden, um von Krankheit geheilt zu werden. Diese beiden Steinumfassungen
sind ca. 50 m von einander entfernt; aus beiden fliesst das Brunnenwasser heraus;
ganz in der Nähe liegen die zehn Häuser, aus denen das Dörfchen besteht; die
muslinischen Bewohner sprechen türkisch, doch mit deutlicher Aussprache des ^oin
1) Über die sogenannten Lappenbäume vergl. Audree, Ethnographische Parallelen
und Vergleiche. S. 58. K. Nyrop Dania 1, 2 ff. W.
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] 02 Hartmann — f)orkelsson :
nach arabischer Weise, wie das auf dieser ganzen Linie, wo sich Türkisch und
Arabisch berühren, die Regel ist."
Soweit mein Tagebuch. Der Name der Ortschaft ist von dem „Heiligen'^ her-
genommen, der die Wunderheilungen bewirkt, und den man einfach ., Vater, bezw.
Schech, des Rheumas" genannt hat; denn sowohl das türkische jel als das arabische
rih bezeichnen ursprünglich Wind, und dann rheumatische und nervöse Schmerzen
jeder Art. Dass hinter dem „Heiligen" ein heidnischer öötze steckt, oder doch
das in dem Steine wirkende Prinzip, die Fetischnatur des Steines, kann kaum
zweifelhaft sein. Der Islam hat mit all dem mehr oder minder gründlich auf-
geräumt; oft ist freilich dem Alten, durch Jahrhunderte Geheiligten nur ein Män-
telchen umgehängt worden, das Heiligenmäntelchen, wie sich ja dafür auch bei
anderen Völkern unzählige Beispiele finden. Dass hier aber ein Rest aus vor-
islamischer, und sogar sehr alter Zeit vorliegt, wird dadurch bestätigt, dass die
ganze Gegend voll ist von Erinnerungen an eine bedeutende Kultur, welche hier
schon tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung geherrscht hat; damals waren
Chazaz, d. i. 'Azäz, und das ebenfalls nahe gelegene Arpad, d. i. Teil Erfäd,
mächtige Städte. Und selbst in islamischer Zeit haben sich hier bedeutende Er-
eignisse abgespielt: auf dem weiten, schwach koupierten Terrain bei dem ebenfalls
von mir besuchten (siehe Karte) von Jelbaba ca. 10 km entfernten edduwaibik,
türkisch Toipuk gesprochen, wurde im Jahre 922 d. H. (1516 n. Chr.) die Schlacht
geschlagen, die unter dem Namen Schlacht von Merdsch Däbik bekannt ist, und
durch welche der Übergang Syriens und Ägyptens aus den kraftlosen Händen der
Mamluken in die des damals so tüchtigen Hauses Osman entschieden wurde.
„Nach einer unter den Muslims lebenden imd von mir an verschiedenen Orten ge-
hörten Tradition wird hier einst der Entscheidungskampf zwischen den Türken
und den Russen, bezw. den Pranken überhaupt gekämpft werden; so soll es in
alten muslimischen Büchern stehen; doch sagt man nicht, wem der Sieg zufallen
wird:'' so verzeichnete ich nach einer längeren Unterhaltung mit dem trefflichen
Agha von Azäz am 8. November 1882.
Berlin.
Martin Hartmann.
Ein isländischer Blutsegen.
Aus dem 16. Jahrhundert oder früher.
(Add. Mss. British Museum 11, 242. 4^ fol. 48 b.)
Skr. 1543—93 Gottskdlk Jönsson.
f)ossa blodstommu inattu scnda hvert er pu villt pegar pu voizt manz heitid
oda kvikondiz iit.
Stodviz blöd peim er blöder
blöd feil af gudz rodu
almattigi* band otta
aund pin sarliga pinda
stattu firir dyr par er dreyrer
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ßücheranzeigen. 103
drcyri gudz sonar heyri
unda logr par er oegor
firir oss vartu pindr oa krosse.
Drotten stodva pu blöd pctta in nomine patris.
stodviz blöd pilt. H. krus: pre f veres f res f repex
•{■ in n(omine) p(atris) et f(ilij) et s(piritu8) s(ancti).
a(men).
Kopenhagen.
Jon porkelsson.
Todesnachricht.
Am 3. August 1890 starb zu St. Hubert in Belgien Felix Liebrecht, pen-
sionieiier Professor des K. Athenäum zu Lüttich. Er war am 11. März 1812 zu
Namslau in Schlesien geboren. Von seinen ausgebreiteten litterargeschicht liehen
und volkskundlichen Studien geben zahlreiche Aufsätze Kunde, die er zum Teil in
seinem Buche: Zur Volkskunde. Alte und Neue Aufsätze von Felix Liebrecht.
Heilbronn 1879 gesammelt hat. Nachträge dazu brachte zuletzt die Germania (von
Pfeiffer, fortgesetzt von Bartsch, jetzt herausgegeben von 0. Behaghel) Wien 1890
im 2. und 3. Heft, das letzte, was unseres Wissens von ihm gedinickt ward. Auf
unsere Einladung zur Mitarbeiterschaft an dieser Zeitschrift kann als AntwoH seitens
seiner Familie die Todesanzeige des verdienten Mannes.
Bücheranzeigen.
Uaussprüche aus den Alpen. Gesammelt und lierausgegeben von Ludwig
von Hörmann. Leipzig. Verlag von A. G. Liebeskind. 1890.
Es ist ein uralter schöner Brauch, Wohnungen und Geräte mit frommen, tief-
sinnigen oder fröhlichen Sprüchen zu schmücken. In vielen solchen Aufschriften
spricht sich die Lebensanschauung, die Weisheit auf der Gasse oder launiger
Humor aus, manchem liegt ein Sprach eines alten Dichters zu Gninde. Solche
Sprüche waren besonders in meinem Heimatlande viel verbreitet und es ist zu
bedauem, dass diese Sitte, wie die alten Trachten, mehr und mehr verschwindet.
So sah ich 1841 die Faeade eines Wirtshauses zwischen Naunders und Reschen
ganz mit Sinnsprüchen bedeckt. Als ich im Jahre 1859 wieder hinkam und sie
abschreiben wollte, fand ich alle übertüncht. Die Wirtin erklärte mir, jnan habe
sie tiberweissen lassen, weil solche Schriften nicht mehr in der Mode seien und
man darüber lache. Einen ähnlichen Fall fand ich in Oberinnthal. Es ist hohe Zeit,
dieses Erbe alter Zeit zu retten. Herr von Hörmann, der feine Beobachter unsers
Volkslebens, welcher uns schon mit so wertvollen kulturhistonschen Spenden er-
freut hat, giebt hier nur einen „Abhub" seiner reichen Sammlungen und wir hoften,
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104 Zingerlc:
dass er später ein Corpus inscriptionuin tirolensium veröffentlichen werde. Herr
von Hörmann, der sogar die Schreibweise genau wiedergiebt, was für Dialekt-
forschung von Bedeutung ist, teilt seine Sprüche ganz zweckmässig in folgende
Abschnitte:
1. Hausbau. Gottes Schutz und Schirm S. 1 ff. 2. Zur Gottesmutter Maria
S. 37 ff. 3. Engel und Heilige S. 65 ff. 4. Lebensregcln xmd Lebensweisheit
S. 87 ff. 5. Vergänglichkeit. Tod und Ewigkeit S. 123 ff. 6. Sonstige Sprüche
religiösen Inhaltes S. 143 ff. 7. Wirtshaussprüche S. 153 ff. 8. Handwerk und
Gewerbe S. 175 ff. 9. Glocken, Uhren, Scheiben, Messer S. 187 ff.
Ich erlaube mir nun einige Bemerkungen und Nachträge. Zu der Bemerkung
im Vorwoi"te XIV: „Selbst einen siglenartigen Spruch weist ein oberinnthaler Haus
auf (S. 12), doch muss ich die Auflösung dieses Buchstabenrätsels — wohl eine
alte Zauberformel — dem Leser überlassen'^, verweise ich auf eine Form „Anani-
sapta^ (15. Jhd.), die nicht nur in einem Zimmer des Fürstenhauses zu Meran,
sondern auch in einem Hause zu Rums sich befindet. Im Fürstenhause ist die
Lösung: „Andidotum Nazareni aufert necem intoxicationis, Sanctificet almenta pocu-
laque Trinitas" in Spruchschleifen beigegeben ^).
S. 61, 6."), 72 sind hübsche Kindei-gebetchen mitgeteilt, die zu Haussprüchen
verwendet sind.
Bei der Durchsicht ist uns der Gedanke gekommen, es wäre wohl der Mühe
wert, solche Sprüche weiter zurück zu verfolgen, wie es R. Köhler bei dem
Spruche „Mich ^\^lndert, dass ich so fröhlich bin", hier S. 17, mit so gi'ossem
Glücke gethan hat: Germania VI, 368—372. XXXIII, 313-332. Der Spruch:
„Dom und Distel stechen sehr", S. 96 begegnet schon bei Pauli, Postilla, 97 a,
Wander I, S. 678. Zu „W.ir bauen Häuser hoch und fest", S. 124, vgl. Oswald
von Wolkenstoin S. 277.
Wir pawen hoch auf einen tant
an heusern, vesten, zier,
und tat doch gar ein siebte wand,
die lenger wert dann wir.
volg brüder, swester, arm und reich,
paw dort ein sloss, das dich wert ewikleich.
Der Sprach: „Da es mir wohl erging auf Erden", S. 104, beruht auf Ovid.
Zu Abschnitt Nr. 8 tragen wir aus Neustift bei Brixen die Reime in einer
Schmiede nach:
„Gott sei Lob und Dank gesagt, ^
So oft der Hammer auf das Eisen schlagt.
Eben soll auch jeder Knall,
Maria, Dir zum Lob erachall.
Auch St. Johann und Florian
Ehren wir als Schutzpatron,
Dass sie uns schützen und bewahren
Vor Wasser und Feuers Gefahren".
Zu den Glockenspilichen findet sich eine reiche Lese in „Der deutsche Anteil
des Bistums Trient. Brixen 1866** zerstreut. Ein sinniger Spinich steht auf der
Schlossuhr zu Gufidaun: „Vides horam et nescis horam".
1) Deutsche Haussprüche aus Tirol. Gesammelt von W. 0. (Innsbruck, 1871.) S. 40.
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Bücheranzeigen. 105
Eine reiche Ausbeute zu Abschnitt 1) würden die Sprüche auf den Bestecken,
die in Sterzing gefertigt wurden, geben. Ein auf den beinernen Heften derselben
oft vorkommender Spruch ist der hier S. lo5 mitgeteilte:
Trink und iss,
Gott nit vergiss.
Für die fernere Sammlung möchten wir den um Tiroler Volkskunde hoch-
rerdienten Herausgeber auf die Sprüche an einem Hause in Wens, auf die am
alten Oerichtshause in Fondo, sowie auf die Hans Sachsischen Spiüche im
alten Gerichtshanse zu Schwaz und auf die Reime im Fürstenhause zu Heran
aufmerksam machen.
Gnfidaun. Ignaz v. Zingerle.
Tiroler Schoadahfipfeln. Gesammelt und herausgegeben von R. H. Greinz
und D. A. Kapferer. Leipzig. Verlag von A. G. Liebeskind.
1889. Zweite Folge. 1890.
Herr Liebeskind fühlte, dass selbst kleine Last dem Touristen und Berg-
kraxler nicht angenehm sei, und fasste den lobenswerten Plan, dem Fusswanderer
gälpine Volkslitteratur" als leichtes Gepäck mitzugeben. Es ist dieser Gedanke
nur zu billigen, wenn man bedenkt, dass selbst Amthors „Führer durch Tirol"
manchen Herren zu schwer wurde, und wir begrüsstcn die kleinen schmucken
Büchlein, die man so leicht wie alte Amulete tragen kann, mit Freude.
Den Anfang dieser alpinen Sammlung machten unseres Wissens die Schnada-
hüpfeln 1889.
Herr Greinz leitet das erste Büchlein mit einem kurzen Vorworte, V— -XV,
ein. Da liest man 8. XH: „Da in der deutschen Leserwelt die Schöpfungen eines
Karl Stiel er, Hans Grasb erger u. a. ohnedies schon längst eingebürgert sind,
kann man wohl ein ziemlich grosses Verständnis für Dialektdichtung voraussetzen".
Warum wird hier Franz von Kobell, der uns Tirolern so nahe steht, nicht
genannt? Wir hätten auch erwartet, dass über die verschiedenen Benennungen
dieser Liedchen, über deren Verbreitung einige Worte gesagt wären. Gewöhnlich
wird angenommen, dass sie im „sangesfrohen" ünterinnthal und besonders in Ziller-
thal einheimisch sind, . aber sie sind auch jenseits des Brenner, z. B. in Passeier
und Ulten zu Hause. B. Weber teilte in dem Werke: „Das Thal Passeier und
seine Bewohner. Innsbruck; 1852" S. 276—287 solche Volksliedchen unter dem
Tkel „Stichreime" mit; anderswo heissen sie „Trutzreime*^, „Trutzlieder" oder
„Gsanglen". Im Vorwort vermissen wir auch eine Erwähnung der „Schnader-
hüpfeln aus den Alpen. Herausgegeben von Ludwig von Hörmann. Zi^-eite
verbesserte Auflage. Innsbruck, 1862" — eine Sammlung, die wir allen Freunden
der alpinen Volkslitteratur nur empfehlen müssen. ^
Die vorliegende Sammlung bringt vieles echt Volkstümliche und wird die
l«8er anmuten und erfreuen. Es begegnen uns da, man verzeihe den Ausdruck,
oft „Epigramme" voll Laune, Würze — oder Sprüche der „Volksweisheit" in
heiterer Form.
Aber es begegnen uns auch gar manche Worte und Stellen, die nicht volks-
tümlich oder dialektisch sind: z. B.: die Sonnen — der Mond S. 49, 's Echo (!) S. 8,
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lOf) Weiühold:
„Hast an andern küsst" S. 19, „Wia a alti Schatull" S. 40, „Der Wald kun
französisch — Und hat gahtwort't: „wui, wui!" S. 69. — „"Was nutzt Diar
a Chras'n, Wenn'st nit damit fahrest" S. 77.
Überhaupt hätte auch in „echten" Schnaderhüpfeln der Dialekt besser ge-
wahrt werden sollen, z. B. ist zu lesen:
S. l: varreiss'n. S. 4: wog gatiieb'n. S. 18: blob: mog (nicht mag). S. 19:
schüen: thüen (nicht schöan: thoan). S. 38: Kuchldiam: thian (nicht thoan). S. 44:
wichtelwachtl. S. 98: statt valiart valürt.
Auch in den Anmerkungen fallen uns Verstösse auf, z. B. S. 5: Schneid a
Wes'n (gewaltig vielVI). S. 73: liabi Zusl (Kosename, etwa „Schätzer!" — ). S. 83:
Bike, bake, bed (wohl irgend eine Art Lautmalerei Air das Klappern der Mühle.)
Wie dies vielbekannte Kinderlied (Simrock, Das deutsche Rinderbuch [1857],
S. 187. Wolf Zt. lU, 2ü5— 260) und andere (S. 81—96) in das Reich der Schnada-
hüpfeln geraten sind, mag der liebe Gott und die beiden Herausgeber wissen, —
wir begreifen es nicht.
Wir müssen den Herausgebern grössere Strenge und tieferes Studium der Volks-
dialekte empfehlen.
Aber auch so werden immerhin die Büchlein heiteren Touristen willkommene
Begleiter sein.
Gufidaun. Ignaz v. Zin^erle.
Bruno Bucher. Die alten Zunft- und Verkehrs-Ordnungen der
Stadt Krakau. Nach Balthasar Behems Codex picturatus in der
K. K. Jagelionischen Bibliothek. Mit 27 Tafeln in Lichtdruck. Wien,
Druck und Verlag von Carl Gerold Sohn. 1889. Ss. XXXVI. 112.
hoch 4^
Die UniTersitätsbibliothek in Krakau verwahrt unter ihren Handschriften als
ein Prachtstück eine im Anfange des 16. Jahrhimderts von dem damaligen Cancel-
larius der Stadt Krakau, Balthasar Behem, angelegte und grösstenteils selbst
geschriebene Sammlung der städtischen Privilegien, der Eidesformeln der Rat-
münner, Zunftmeister u. s. w. und endlich der jura municipalia oder Willküren
der Stadt, die mit 25 trefflichen Miniaturen geschmückt sind, welche die Zünfte
und Handwerke in Scenen aus ihrem Leben verbildlichen. Die Handschrift führt
nach dem Bilderschmuck ihrer dritten Abteilung den Namen Codex picturatus
und hat wegen dieser Gemälde vornehmlich die Aufmerksamkeit seit längerer Zeit
auf sich gezogen. Dieselben sind für das Leben zu Krakau im Anfange des
16. Jahrhunderts, namentlich für Trachten und häusliche Einrichtung sehr lehrreich.
Dass sie in Krakau entstanden sind, wird nach der Mischung west- und ost-
europäischer Kostüme, wie sie damals und noch später in der alten polnischen
Krönungsstadt, die doch zugleich in jener Zeit noch überwiegend deutsche Bürgerschaft
hatte, zweifellos anzunehmen sein. Behem liess die Bilder für sein Buch malen
als Illustrationen seiner Sammlung von Zunftgesetzen, und ist über der Erläuterung
gestorben, da er nur für zwölf derselben den Text selbst geschrieben hat. Ob
der Maler ein Deutscher oder ein Pole war, lässt sich kaum entscheiden. Eitel -
berger fand Nümbergsche Schule in den Bildern; Br. Bucher, der Herausgeber
des vorliegenden Buches, niederrheinische.
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BücheraDzeigen. 107
Jedenfalls war es ein glücklicher Gedanke, diese Bilder samt dem Text der
Willküren und mit einer Reihe urkundlicher verwandter Verordnungen im Anhang,
als Festgabe bei der ersten Jubelfeier des K. K. Östen-eichischeii Museums zu
Wien in würdiger Weise herauszugeben. Den fünfundzwanzig Zunftbildern sind
noch beigesellt das ursprünglich in den hintern Deckel der in roten Sammt (jetzt in
Leder) gebundenen Handschrift eingefügte grosse und schöne Bild der Kreuzigung
Christi, femer das Wappenbild Rrakaus, welche Miniatur auf die Vorrede Behems
in der Handschrift folgt. Die Wiedergabe der Gemälde durch Lichtdruck ist
rorzüglich gelungen. Das ganze Buch ist aufs würdigste auch typographisch
hergestellt.
Die Zunftsatzungen und Polizei- Verordnungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert
sind grösstenteils deutsch geschrieben. Krakau war nach Magdeburgischem Recht
1257 als Stadt ausgesetzt und deutsche Einwanderer und ihre Nachkommen bildeten
den bedeutendsten Teil der Bürgerschaft. Polen xmd Deutsche sassen friedlich
neben einander, in den Zünften schloss keine Nation die andere aus. Noch heute
hat aber Krakau in der Anlage der ganzen Stadt, und ausserdem in der schönen
Marienkirche, der Hauptkirche der Bürgerschaft von alters her, die deutlichen Be-
weise dafür, welche Bedeutung die deutschen Bürger für das Leben und die Blüte
der Stadt vom 13. — 16. Jahrhundert gehabt haben.
Das Deutsch der Willküi*en und anderer Urkunden ist das Mitteldeutsche, wie
es im 14. und 15. Jahrhundert in dem benachbarten Schlesien geschrieben und
gesprochen worden ist. Für das Verständnis ist durch ein angefügtes Glossar ge-
sorgt Dasselbe könnte vervollständigt und hier und da verbessert werden; aber
dazu ist hier nicht der Ort. Dagegen wollen wir auf einiges aufmerksam machen,
was für häusliche Einrichtung und Trachten aus dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts wichtig ist, indem wir einige der Bilder genauer schildern. Die Aus-
führungen des Herrn Herausgebers leisten uns dabei gute Dienste, da derselbe
durch seine Worte die dem Lichtdruck mangelnden Farben ersetzt hat.
Zu dem Paragraphen, wie sich der fremde Kaufmann (gastkoflinan) bei
imd während des Jahrmarkts verhalten soll, ist ein Bild gemalt (Tafel II), welches
ans in einem Vorgemache, das gradeaus durch rundbogiges Doppelfenster die
Aussicht in eine weite Landschaft bietet, den fremden Kaufmann zeigt, der drei
Warenballen von einem bewaftneten Spediteur übernimmt. Aus diesem Vorgemache
führen zwei Stufen links in eine Stube, von der man einen Ausschnitt mit Tisch
irad Wandbank vor einem Fenster sieht. Der Maler hat sich wohl in ein Gasthaus
gedacht und nicht auf das Niederlaghaus der Stadt, wo die Gäste allein ihre Güter
niederlegen xmd verkaufen durften.
In dem Text werden Kaufleute aus Ungern, Merhem (Mähren), Böhmen und
Schlesien genannt. Der vor uns stehende stattliche Handelsherr gehört aber weiter
in die Türkei hinein, denn er trügt einen grünen Turban, ein weites und langes
Cbergewand von Goldbrokat, grün gefüttert, und einen roten, gegürteten, zur halben
Wade reichenden Leibrock, der im Shwalkragen um den Hals schliesst und das
Hemd oben noch sehen lässt. Strümpfe und Niederschuhe decken die Füsse. Mit
einem Stabe berührt der Herr seinen linken Fuss. Der Mann vor ihm trägt kurzen
grauen Reiterrock mit rotem Besatz, graue Hosen und naturfarbene Reiterstiefel,
ein langes Schwert an der Linken, ein Dolchmesser in Scheide rechts im Gürtel.
Cm den Hals ist ein nach hinten kapuzenartiges Tuch geschlungen, das mit zier-
lichem Knoten auf der Bnistmitte schliesst. In der Rechten hält er seine Kappe.
Der Mann ist ein Beweis, wie die Führer der Warenzüge damals gewaflfnet sein
mnsßten. Die Einrahmung des Bildes bilden bunte Säulen, die oben mit Pflanzen-
omament an der Balkendecke des Gemachs abschlicssen.
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108 Weinhold:
Zu dem „Gesetze der Saeider diser Stad^ malte der Künstler ein lebendiges
Bild mit unleugbarem Humor (Taf. VI). Wir sehen in die graugetünchie
Schneiderwerkstatt mit branner Balkendecke, imd blicken durch zwei, die
Hinterwand fast ganz einnehmende Fenster auf eine malerische Stadt mit beigebt-
waldichter Umgebung. In der Mitte des Bildes steht eine feine schöne Dame in
enganschliessendem, weitschleppigem, türkisblauem Kleide mit weissen Ärmeln,
den Kopf mit weit am Rücken herabhängendem Schleier geschmückt Ihr nimmt
der Meister an der linken Schulter gerade Mass, während sie nach rechts auf den
roten Stoff blickt, der über den Schoss eines sitzenden Gesellen gebreitet ist,
welchem ein Ziegenbock aus der Rechten frisst. Ein grüner Kranz liegt schräg
über die zierlich frisierten Kopfhaare des mädchenhaft aussehenden Burschen. Rechts
an der Wand steht der Zuschneider vor einem Tisch und macht durch das ausge-
breitete rotbraune, mit goldenen Kleeblättern durchwirkte Tuch mit der Schere einen
Querschnitt Er hat Zwickelbart und trägt eine barettartige Mütze. Sämtliche
Schneider sind in sehr bunten Joppen, als ob sie der Vorschrift der städtischen
Verordnung trotzen wollten: kein Sneyderknecht noch meister zal keyn ander Joppe
tragen wenn (als) von einerley färbe brüst und ermel. An der linken Wand sind
verschiedenfarbige StofTc über eine Stange gelegt; darunter hängt eine Männermütze
mit breitem Schirm von grünem, rauhem oder flockichtem Zeug. Eine Sitzbank
zieht sich an dieser Wand und unter den Penstern hin. Über die Diele sind
bunte Flecke gestreut Bunte Pfeiler mit Kapitellen, aus denen Pflanzenwerk steigt,
das sich oben vereinigt, rahmen das Bild ein.
Die XVII. Miniatur vei*setzt uns in eine Schusterstube. Vorn öffnet sich
ein Blick ins innei-ste Ehcleben des Meistei-s Pechdraht; hinten sehen wir in einem
erkerartigen Anbau der Stube den kahlköpfigen Meister in weissem Überhemd, das
auch der eine der beiden auf dem Dreischemel arbeitenden Gesellen über dem
Rocke trägt. Der Meister schneidet auf dem Tische Schuhe zu. Über ihm hängt
an einem Stangengestell ein fertiges Paar, sowie andere auf dem Brett des ßutzen-
scheibenfenstcrs in seinem Rücken zu sehen sind.
Interessanter ist die Vorderscene: die Frau Meisterin sitzt in grünem, spitz-
schleppigem Kleide mit Busenausschnitt, den weisses Unterzeug deckt, und einem
am Hals schliessenden Überhemdchen, auf dem Kopfe eine den ganzen Haar-
aufbau des Hinterkopfes bedeckende, mit aufgenähten weissen Wolken verzierte
Haube, unter der das blonde Vorderhaar mit Seitenlocken hervorschaut, am
Spinnrocken, nahe der Thür. Hinter ihr an der Wand ist ein vierreihiges Aus-
hängebrett mit demVoiTat der Werkstätte zu sehen; auf demselben sitzt der Haus-
hahn. Zum Knie der Mutter streckt ein ganz nacktes Kind das Händchen hinauf,
das soeben jenen kleinen Schneckenberg auf die Diele gesetzt hat, der als Attrappe
auf den Tafeln französischer Könige beliebt war. Auf der anderen Seite der Frau
Meisterin sitzt, halb liegend, ein Spielmann mit seinem Dudelsack auf dem Stuben-
boden; die Narrenkappe ist von dem kurz geschorenen, aber nicht kahlem Kopf
zurückgeschlagen. Er trägt einen eleganten hellen Rock, den der Gürtel mit
Täschchen mitten umschliesst. Auf den Rocksaum sind Buchstaben gestickt
Die Füsse stecken in weit ausgeschnittenen Schuhen. Er scheint mit der
jungen Frau zu liebeln. Jedenfalls ist es ein feinerer Bursch als der Spiel-
mann der dritten Miniatur (Krämer), welcher nacktbeinig und barfuss in einem
citronengelben ledergegtirteten Rock mit Kapuze, den Dudelsack unter dem Arm
vor der offenen Krambude steht und etwas von den Lebensmitteln, die sie enthält,
von der Budenjungfer kaufen möchte.
Gern würde ich noch weitere Bilder beschreiben, aber der Raum verbietet
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Bücheranzeigen. 109
es, und das Mitgeteilte wird genögen, um auf die reiche Quelle für Trachten- und
Sittengeschichte in diesen Krakauer Bildern aufmerksam zu machen.
Aus dem Anhange, der grösstenteils aus dem Kodeks dyplomaticzny miasta
Krakowa von Piekosiriski geschöpft ist, seien einige interessante Dinge hervor-
gehoben.
Durch eine (lateinische) Ratsverftigung von 1336 wird eine Hochzeits-
ordnnng gegeben, welche für die damalige Wohlhäbigkeit der Kmkauer Bürger-
schaft zeugt. Der Bürger soll nicht mehr als 90 Personen, je drei auf dreissig
Schüsseln gerechnet, zur Hochzeit laden. In diese 90 werden aber Jungfrauen,
Priester, alle Gäste, welche nicht das Stadtrecht haben, und die Diener nicht ein-
gerechnet. Jeder eingeladene Stiidtbürger zahlt an den Bräutigam oder den Braut-
bitter (nuntio sponsi) für sich zwei Groschen, ebenso jede Frau; die Mädchen
zahlen einen Groschen. Es dürfen nicht mehr als fünf Gerichte aufgetragen
werden.
Ferner wird bestimmt, dass nicht mehr als acht Spielleute (joculatores) bei
der Hochzeit sein dürfen, welche Lieder singen und sagen, sogenannte Reimer
(Rimarii). Wer von ihnen ünflätereien vorbringt (vendentibus vnroth) wird hinaus-
geworfen.
Wenn die Braut zum Brautbade geht, dürfen nicht mehr als zwanzig Personen
sie begleiten.
Bei Strafe von fünf Mark wird verboten, vor der Vermählung mit einer Jung-
frau oder einer Witwe, einen Vorschmaus (prelibationum que vururthen vel ein
genesche vulgariter nuncupatur) zu geben oder durch einen andern geben zu lassen.
Im Jahre 1427 sind die Waffen verrate der Zechenrüstkammern gemustert
worden und haben viel vermissen lassen, so dass der Rat eine Verordnung erlässt,
was in communi thesauro ipsius artiftcii alias Czeche sein soll.
Die Bewaffnung besteht danach aus Platten, Brustblechen, Schurzen, Eisen-
handschuhen, Panzern, Eisenhüten, Hauben, Lepken (poln. lepka, Helm}, Tartschen,
litauischen Schüden, Handbüchsen, Spiessen, Museisen und Flegeln. Letztere sind
staik vertreten.
Im Jahre 1421, am Valerianstage (18. April), erlässt der Rat einen (deutschen)
Brief an die Zechmeister und Meister der Wollenweber wegen ungebührlichen
Veihaltens der Knappen (Gesellen) der Zeche, welche selbst an hohen Feiertagen
in der Nähe der Kirchen beim Biere mit ungestümer Rede und Geschrei die Ruhe
stören, und am letzten Osterfest den Unwillen der Geistlichkeit mit Recht erregten,
indem sie auf der Stephansgasse nahe bei der Kirche sich unter einander aufs
neue getauft und Namen gegeben haben, was eine zur Ketzerei neigende Lästerung
sei. — Da hätten wir wohl die älteste Spur der Fuchstaufe.
Berlin. - K. Weinhold.
KiistolTer Nyrop, Navnets Magt; en folkepsykologisk Studie; Kopen-
hagen, 1887. (Separatabzug aus „Mindro Afhandlingor, udgivne
af det filologisk-historisko Samfund"; Kopenhagon, 1887); 97 S., 8^
Ausgehend von der Überzeugung, dass imverständlich gewordenen Worten
ttnd Gebräuchen der Gegenwart stets irgend welche ältere Bedeutung oder tTbung
zu Grunde liegen müsse, die zur ihrer Zeit leicht verständlich und erklärbar war.
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110 Maurer:
sucht der bekamile Romanist der Kopenhagener Universität diesen Gedanken durch
eine Untersuchung über die Macht des Namens zu beweisen und zugleich näher
zu erläutern. Diese Untersuchung reicht weit über den Rahmen der deutschen,
und selbst der germanischen Volkskunde hinaus; aber sie bietet soviel Interessantes
auch für diese letztere, dass ihrer wohl auch an diesem Orte gedacht werden mag.
Der Verfasser bringt zunächst reiches Material bei über die Macht, welche
dem Xamen in den verschiedensten Richtungen zugeschrieben wurde. Er weist
nach, dass es nach dem Glauben der verschiedensten Völker als schädlich gilt,
überhaupt oder doch zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten oder bei be-
stimmten Verrichtungen den Namen bestimmter Personen oder Personenklassen,
bestimmter Tiere, Vorgänge und dergleichen zu nennen, und dass demzufolge
Umschreibungen oder anderweitige Bezeichnungen an die Stelle des eigentlichen
Namens zu treten haben. Er geht ferner den Tabu-Gesetzen bei wilden Völkern
nach, soweit diese das Nennen des Namens von Personen, Tieren, Krankheiten,
Orten und dergleichen verbieten, und zeigt, das solche Verbote stets in Verhält-
nissen der Ehrerbietung, Unterwürfigkeit oder Pm*cht wurzeln. Insbesondere
wird auch das Verbot des Aussprechens des eigentlichen Namens der Gottheit
beachtet, wie es sich bei den Juden sowohl als bei anderen Völkern findet, und
werden damit die mancherlei Entstellungen in Verbindung gebracht, welchen der
Name Gottes, und andererseits auch wieder der Name des Teufels ausgesetzt ist.
Auch die Polgen werden besprochen, welche das verbotwidrige Nennen des Namens
äussert, und wird dabei zumal des häufigen Falles gedacht, dass dieses dem Be-
nannten den Tod bringt oder dessen Verschwinden zur Folge hat. Weiterhin wird
dann aber ausgeführt, dass nicht nur der Name der Gottheit, sondern auch jeder
andere Name nach älterer Vorstellung den Schlüssel zum inneren Wesen des Be-
nannten bildet, und damit auch zur Herrschaft über diesen ; an einer langen Reihe
der verschiedensten Vorkommnisse wird dies dargethan, und sodann auch der
Schutz besprochen, welchen der oder die Namen Gottes gewähren, und die Folge,
welche der Teufel, Tote, Entfernte, von der Mahr gerittene Leute leisten, wenn
sie bei ihrem Namen angerufen werden, womit dann auch wieder der Gebrauch
des Namens bei Verzauberungen zusammenhängt. Endlich wird, ausgehend von
dem Satze, dass erst der Name den Menschen zum Individuum mache, auch noch
die Bedeutung der Namensgebung und des Nameiistausches besprochen, die Namens-
wahl samt den dabei zu beobachtenden Grundsätzen, die Namensveränderung, und
dergleichen mehr. Zum Schlüsse sucht der Verfasser sodann noch, S. 88—92, die
Ergebnisse zusammenzustellen, welche sich seiner Meinung nach aus dem vor-
geführten Materiale gewinnen lassen. Er nimmt an, dass die Verbindung, welche
sich durch Ideenassociation oder Sympathie zwischen verschiedenen Dingen knüpfe,
obwohl an sich nur subjektiv, für den primitiven Menschen zu einer objektiven
und realen geworden sei. Von hier aus ergiebt sich nun, dass man nicht nur
durch geeignete Behandlung des Bildes eines Menschen oder eines Teiles seines
Körpers auf diesen einwirken kann, sondern dass man auch durch gehöriges Hand-
tieren mit dein Namen einer Person oder Sache über diese selbst eine Herrschaft
ausüben kann, da ja dieser Name mit dem Benannten zusammenfallt, — dass femer
die Kenntnis und der Gebrauch des Namens überirdischer Wesen zu diesen selbst
ein engeres Verhältnis erschliesst, während andererseits das leichtfertige Aus-
sprechen solcher Namen, oder auch der Namen von Personen, Tieren, Örtlichkeiten,
Krankheiten, die man zu scheuen oder zu achten hat, als für diese kränkend gelten
kann, und darum unterlassen werden muss, wenn man nicht üble Folgen auf sich
ziehen soll. Man wird sich mit diesen Ergebnissen einverstanden erklären können
und übor .sie hinaus auch noch so manche andere Belehrung aus dem gesammelten
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Bücherauzeiger. 111
Material und aus zerstreuten Bemerkungen des Verfassers schöpfen, was natürlich
aicht ausschliesst, dass man jenes Material hier und dort durch einzelne weitere
Notizen bereichern, und gegen einzelne Bemerkungen allenfalls auch seine Be-
denken haben kann. Für Beides noch einige Belege.
Der Verfasser bemerkt, S. 20, dass man auf Island nach Sonnenuntergang
den Fuchs nicht bei seinem rechten Namen nennen darf; er hätte aber auch er-
wähnen können, dass man während der Fastenzeit dort weder von Fleisch noch
Fett sprechen darf: klauflax, d. h. Klauenlachs ist das erstere, afras, d. h. Ablauf
das letztere zu nennen (Jon Arnason, pjoSsögur, 11, S. 573—4). Der Glaube
an die Kraft des höchsten Namens Gottes femer, von welchem S. 37 ff. die Rede
ist, spielt auch auf Island seine Rolle (Sturlünga, IV, cap. 6, S. 96: Olafs s.
Tryggvasonar, cap. 200, FMS. II, S. 147-8), natürlich durch Vermittlung der
Kirche. Dafür, dass das Anrufen beim NanJen entzaubert, möclite ich, zu S. 50
bis 51, anführen, dass nach einer isländischen Volkssage ein Mädchen, welches
Ton einer Elbinn entführt werden soll, hierdurch errettet wird (Jon Arnason, I,
S. 59). Wie SigurSr dem sterbenden Fdfnir seinen Namen verheimlicht, damit
er ihn nicht mit dessen Nennung verfluchen könne, S. 66 — 7, sagt auch die Hauksbok,
dass man gerne zwei Namen trug, um einen übrig zu haben, falls man unter dem
anderen verflucht würde, und der p erst eins p. hvita, S. 46, dass der Besitz
zweier Namen längeres Leben verbürge (Eyrbyggja, ed. GuSbrandur Vigfüsson
S. 126). Zu S. 82 bemerke ich, dass auch nach isländischem Glauben dem Toten
Ton Nutzen war, wenn ein anderer nach ihm benannt wurde und dies auch dem
letzteren Glück brachte (Vatnsdaela, cap. 3, S. 7 und cap. 6, S. 12; Finnboga s.
ramma, cap. 9, S. 19 und cap. 36, S. 70; Svarfdaela, cap. 5, S. 17 und cap. 26,
S. 89), wie denn insbesondere Heidehleute ihren Namen auf diese Weise „unter
die Taufe zu bringen" suchten (porsteins p. uxafots, in der Fbk, I, S. 255).
Em Beispiel aus neuerer Zeit zeigt, wie sogar der Satan solchen Versuch macht
'Jon Arnason, II, S. 22 — 3); nach frühzeitig Verstorbenen benannte man aber
nicht gerne Kinder (Sturlünga, VII, cap. 27, S. 219). Wie man glückliche und un-
glückliche Namen kennt, S. 8(), so weiss man auf Island von „harten" Namen zu
eraählen, dass die Leute, die sie tragen, Übles bedeuten, wenn sie jemandem im
Traume erscheinen (Jon Arnason, I, S. 415). Holbergs „Vil jeg Johannes hede",
S. 87, ist doch wohl nur unser deutsches „ich will Hans heissen", worüber Grimm,
DWB, IV, 2, S. 458, zu vergleichen: zu S. 97, resp. 81, Anm. 3 ist aber „unser
Hanschen im Keller" zu stellen, vergleiche ebenda, S. 462 und dergleichen. ~
Bedenklich erscheint mir aber zunächst die Anknüpfung des Wortes „bryllup" an
die angebliche Sitte eines wirklichen Laufens um die Braut (S. 4), woran freilich
schbn J. Grimm in seinen Rechtsaltertümern gedacht hatte. Ich möchte lieber
mit V. Finsen (Annaler for nordisk Oldkyndighed, 1849), S. 236, Anm. 5 an den
Ausdruck „at hleypa til" „hleypa til fjiir" (Björn Halldorsson, h. v.) und der-
gleichen anknüpfen, und an die consummatio matrimonii denken. Bedenklicher noch
ist mir, dass der Verfasser nicht nur, S. 15, die Bezeichnung des Blutes als Seh weiss,
sondern, S. 91 — 2, Anm. 3, die ganze Jagdsprache unter den hier massgebenden
Gesichtspunkt bringen will. Sogar in einer der ältesten Christenrechte Norwegens,
BpL. I, §. 5 (II, § 2), wird sveita für das Blut gebraucht, welches die Kirche, dem
mosaischen Gesetze folgend, zu essen verbot, und auch in den Eddaliedern und
in skaldischen Gedichten wird das Wort in gleichem Sinne verwendet, wie denn
auch bei uns ausserhalb der Jägersprache „Schweiss" vordem für Blut gebraucht
wurde. Neben der Jägersprache steht femer auch eine eigene Seemannssprache,
Bergmannssprache, Gaunersprache und dergleichen, welche man doch nicht alle
auf den Glauben tm „die Macht des Namens^ wird zurückführen können; eher
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112 Bücheranzeigen.
wird man wohl an Wirkungen der zunftmässigen Geschlossenheit des Berufslebens
zu denken haben.
Selbstverständlich wollen übrigens solche Bedenken nicht die Freude an der
höchst verdienstlichen Schrift trüben, vielmehr nur die vielfache Anregung zum Aus-
drucke bringen, welche sie gewährt, und für die dem Verfasser unser herzlicher
Dank gebührt.
München* K. Maurer.
Huld. Safn alpySlegra islenzkra fraj^a. rtgefeiidur: Hannes porsteinsson,
Jon porkelsson, Olafur Davidsson, Palmi Pälsson, Valdimar
Asniundsson. I. Reykjavfk. 1890. SigurSur Kristgansson.
(80 S., 8*.)
Unter diesem Titel ist soeben hier in Reykjavik das erste Heft einer Zeitschrtit
für isländische Volkskunde erschienen. Die auf dem Titelblatt genannten Heraus-
geber sind emporstrebende junge Gelehrte und Litteraten, teils hier, teils in Kopen-
hagen wohnhaft; Hauptredakteur scheint der tüchtige Bibliothekar Palm i PäUson
zu sein. Das vorliegende Heft wird durch eine von Hannes porsteinsson mit-
geteilte neuisländische Saga — pattur Tindala-Ima — eingeleitet. Der Ver-
fasser dieser Sage, der verstorbene volkstümliche Litterat Gisli Ronräässon hat
hier wie sonst mit grossem Erfolg die Schreibart der alten Saga nachgeahmt und
auf neuere Stoffe übertragen. Dann hat Palmi Palsson die Rimur porgeirs
stjakarhöfcta mitgeteilt; es ist ein Gedicht wahrscheinlich aus dem 14. oder
15. Jahrhundert, eine vei'sifizierte Volkssage, die im 10. Jahrhundert spielt und
vielleicht einer älteren prosaischen Sage oder pattur nachgedichtet ist. Es folgen
verschiedene Volkssagen und Gedichte von Olafur Davidsson, dem jüngeren
Jon porkelsson und mehreren anderen mitgeteilt. Im ganzen sind die Beiträge
wertvoll und der Inhalt des kleinen Heftes abwechselnd.
Reykjavik. ß.
Dania. Tidskrift for folkeniäl oy; folkeminder udgivet for universitets-
jubilajets danske samfund af Otto Jespersen og Kristoffer Nyrop.
Bind I, hjefto 1. Ka^bonhavn Lybecker og Meyer 1890. (80 S. 8^)
Mit Freude zeigen wir das eben ei-schienene 1. Heft einer neuen Zeitschrift
an, die sich die Aufgabe stellt, die Kenntnis der dänischen Mundarten und Volks-
überliefeiTMigen zu iordem. Die sprachliche Abteilung, unter Leitung von
0. Jespersen, soll Untiers uchungen über Bau und Geschichte der lebenden Volks-
sprache, über Ortsnamen, Volksetymologie, Redensarten u. s. w. bringen. Die
zweite, unter Leitung von Kr. Nyrop, wird Lieder, Sprichwörter, Aberglauben etc.
sammeln und Untersuchungen über Herkunft, Ausbreitung und Bedeutung der
Volksüberlieferungen geben. Auch Bücheranzeigen und orientierende Übersichten
über volkskundlicho Litteratur sollen je nach dem Raum gebracht werden. Das
1. Heft enthält eine Untersuchung über die Lappenbäume von Nyrop und eine
lautphysiologische Abhandlung über die in der Dania gewählte Bezeichnung der
dänischen Laute. Ein kurzer Artikel von Jespersen über die Stellung der Par-
tikel man macht den Schluss. Wir rufen der befreundeten Zeitschrift ein herzliches
heila heil zu. W.
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Litterator des Jahres 1890.
113
Litteratnr des Jalires 1890^1
Von Dr. Friedrich Back.
Volkskunde im Aiigemeinen.
I. Zeitschriften*).
Zeitschrift ffir Tolkskimde in Sage nnd j
Mär, Schwank und Streich, Lied, Rätsel and
Sprichwort, Sitte and Brauch. Heraus-
gegeben TOP Dr. Edmund Yeckenstedt.
Leipzig. A. Dörffel.
IL 4. Veckenstedt, Die Eosmogonien
der Arier. Die Ghriechen. — Treichel,
Sagen aus Westpreussen. — Enoop, Sagen
&U8 Hinterpommem. — Zingerle, Die Ver-
lobten. Ans Eupen im Zillerthal. — Ton
Wlislocki, Kinderspiele der biebenbürgischen
and südmigarischen Zelt-Zigeuner. — Prezl,
Besprechongsformeln der Rumänen in Sieben-
bärgen.
— 5. Veckenstedt, Die Eosmogonien
der Arier (Forts.). Die Griechen. — Enoop,
Sagen aus Hinterpommem. — Schlossar,
Volkslieder aus Steiermark. — Mitkos,
Albanesische Lieder. — v. Wlislocki,
Kinderspiele der siebenbürgischen und süd-
angarischen Zelt -Zigeuner. — Prexl, Be-
sprechungsformeln der Rumänen in Sieben-
bargen. — Pfeifer, Aberglaube aus dem
AHenburgischen.
— 6. Veckenstedt, Die Eosmogonien
der Arier. Die Crermanen. — Enoop, Sagen
aas Hinterpommem. — v. Wlislocki, Einder-
spiele der siebenbürgischen und südungarischen
Zelt'Zigenner. — Gitt^e, Patengeschenke in
Wallonien. — Pfeifer, Aberglaube aus dem
Ahenborgischen.
— 7. Raa, Einige Erzählungen des
Giovanni Sercambi. — Vernaleken, Der
starke Hans, eine Reihe mythischer Volks-
dichtungen. — Jarnik, Albanesische Märchen
und Schwanke.— Zingerle, Weihnachtslied.
— Schlossar, Deutsche Volkslieder aus
Steiermark. — Archut, Volksrätsel aus
der Provinz Pommem.
— 8. Frank el. Die Fabel vom Streite
der drei lasterhaften Brüder im 17. Jahr-
hundert. — Brauns, Die japanesischen
Kinder- und Hansmärchen. — Enoop,
Märchen aus der Provinz Posen. — Schlossar,
Deutsche Volkslieder aus Steiermark. —
Bolte, Lieder von einem fliegenden Blatte.
— Mitkos, Albanesische Lieder. — Archut,
Volksrätsel aus der Provinz Pommem. —
V. Wlislocki, Einderspiele der sieben-
bürgischen und südnngarischen Zelt-Zigeuner.
— 9. von Zingerle, St. Nicolans.
— Jarnik, Albanesische Märchen und
Schwanke. — Enoop, Volkslieder aus Hinter-
pommem. — Archut, Volksrätsel aus der
Provinz Pommem. — v. Wlislocki, Einder-
spiele der siebenbürgischen nnd südungarischen
Zelt-Zigeuner. — Pfeifer, Aberglaube aus
dem Altenburgischen. — - Pick, Ein Feuer-
segen (aus Zeitz).
— 10. Rademacher, Über den Geister-
glauben und seinen Einfluss auf die
religiösen Vorstellungen der Germanen. —
Vernaleken, Der starke Hans, eine Reihe
mythischer Volksdichtungen. — Priefer,
Volkslieder aus Sommerfeld und Umgegend.
— Mitkos, Albanesische Lieder. Deutsch
von Jarnik. — Am mann, Hochzeitsbräuche
aus dem Böhmerwald.
— 11. V. Zingerle, St. Nicolaus. —
1) Die Leitung der Zeitschrift bittet alle Freunde im In- und Auslande um gütige Unter-
stützung für die Bibliographie. Nur dadurch wird es möglich werden, die erwünschte Voll-
ständigkeit annähernd zu erreichen.
2) Bei den Zeitschriften bezeichnet die römische Ziffer den Band, die arabische das Heft.
Zeitschrift d. Vareins t Volkilcande. 1891. 3
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114
Back;
Jarnik, Albanesische Märchen und Schwanke.
— Enoop, Volkslieder aus Hinterpommern.
— Priefer, Volkslieder aus Sommerfeld und
Umgegend. — Pfeifer, Aberglaube aus dem
Altenburgischen.
— 12. Knoop, Die neu entdeckten
Göttergestalten und Göttemamen der nord-
deutschen Tiefebene. — Ammann, Hochzeits-
bräuche aus dem Böhmerwald. — Inhalts-
verzeichnis der Zeitschrift für Volkskunde
Bd. n. Heft 1-12.
ni. 1. Veckenstedt, Die mythischen
Könige der arischen Volksheldensage und
Dichtung. — Veckenstedt, Wendische
Sagen der Niederlansitz. — Verna-
leken, Der unstete Hans, eine Reihe
mythischer Volksdichtungen. — Bolte,
Vl&misches Mittfastenlied. — Kaufmann,
Findlinge zur Volkskunde. — Knoop, Pol-
nischer und deutscher Aberglaube und Brauch
aus der Provinz Posen.
— 2. Heft. Knoop, Die neu entdeckten
Göttergestalten und Göttemamen der nord-
deutschen Tiefebene: Der pommersche Gauden
und Vergodendel. — Veckenstedt, Die
mythischen Könige der arischen Volkshelden-
sage und Dichtung. — Branky, Volksüber-
lieferungen aus Österreich. — Veckenstedt,
Wendische Sagen der Niederlausitz. — Bot-
tich er, Troja oder Feuemekropole.
Am UrqnelL Monatsschrift für Volkskunde.
Herausgegeben von H. Carstens (später
von Friedrich S. Krauss). Hamburg.
Kramer, i. Commiss.
N.P. I. 1. Krauss und Dragi^evicf, Gus-
larenlieder aus Bosnien und dem Herzogsland.
Die Extemsteine. — Carstens, Toten-
gebräuche aus Dithmarschen. — Frischbier,
Ostpreussischer Volksglaube und Brauch. —
Haase, Sagen und Erzählungen aus der
Grafschaft Ruppin und Umgegend. — Kaindl,
Zwei ruthenische Mythen aus der Bukowina.
— Kleine Mitteilungen.
— 2. Sz., Eine verschollene Volkssprache
„Bourgoensch". — Krauss und Dragi^evicf ,
Guslarenlieder IL — Carstens, Toten-
gebräuche (Ports.). — Kleine Mitteilungen.
- 8. Sz., Unser Standpunkt und unsere
Aufgaben. — Krauss und Dragicevicf,
Guslarenlieder in. — Frischbier, Aus
Ostpreussen: Haus und Herd. — Carstens,
Totengebräuche (Schluss). — Kleine Mit-
teilungen.
— 4. Kupczanko, Die Ajsoren im
Kaukasus. — Krauss und Dragicevic,
Guslarenlieder IV. — Klose, Alt« Strafen,
— Sohnrey, Pfingsten auf dem Pfingstanger.
— Prischbier, Aus Ostpreussen: Glück und
Unglück. — Haase, Hand- und Schntzbrief.
— Schumann, Geister. — Krauss und
Dragicevitf, Volksmedizin. — Kleine Mit-
teilungen.
— 5. Krauss, Die Esche YggdrasiD.
— Krauss und Dragi<5evi(f, Guslaren-
lieder. — Kupczanko, Die Ajsoren (Forts.).
— Volks mann, Mondglaube aus Dith-
marschen. — Kaindl, Hausbau und Bau-
opfer bei den Ruthenen. — ■ v. Schulen-
burg, Regenbogen und Wassergalle. — C,
Das Johannisbier in Norddithmarschen. —
Pitr^, Volksmedizin (Appunti sulla medicina
popolare in Sicilia). — Kleine Mitteilungen.
— 6. Kupczanko, Die Ajsoren (SchL).
— Rösler, Winterfestgebräuche im Iser-
gebirge. — v. Schulenburg, Weihnachts-
und Neujahrsgebräuche (aus Ostpreussen). —
Staacke, Weihnachtsbräuche aus Scandina-
vien. — Kaindl, Volksglauben (aus der Bu-
kowina). — Pitre, Volksmedizin II. — Kleine
Mitteilungen
— 7. Köhler, Die Haut versaufen. —
Meyer, Rusalja I. — Sz., S. Bugge's nor-
dische Studie. — Pitre, Volksmedizin III.
— Snethlage, Die Kröte. — Gottschalk,
Der Totschlag bei Menz. — Volksmann,
Dree to Bett, eine Schicksalssage. — Kleine
Mitteilungen.
— 8. Volksmann, Fastnachtsbräuche
aus Schleswig-Holstein. — Schell, Gereimte
Volksrätsel aus dem Bergischen. — Frisch-
bier, Aus Ostpreussen: Kindheit Der Kla-
batermann. — Sembrzycki, Volksmedizin
(aus Ostpreussen). — Volkshumor. — Kleine
Mitteilungen.
— 9. Krauss, Rusalije n. — Sz.,
Wielant der Schmied. — Prischbier, Aus
Ostpreussen: Kindheit (Forts.). — Krauss,
Oskar Kolberg. — Zauber- und Heilsprüche
(aus Rendsburg). — Kleine Mitteilungen.
— 10. Rösler, Walpurgisnacht im Iser-
gebirge. — Sz., Wielant der Schmied (Ports.).
— Frischbier, Aus Ostpreussen: Kindheit
(Schluss). — Kaindl, Der Teufel. — Schell,
Bergische Sagen. — Krauss, Rusalien m.
(in Indien). — Pränkel, Eine Zeitschrift für
süd westdeutsche Volkskunde. — Handel-
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Litteratur des Jahres 1890.
115
mann, Zauber- und Heilsprüche nnd dergl.
(ans Bendsburg). — Kleine Mitteilungen.
— 11. Sx., Wielant der Schmied (Ports.).
— Freytag, Riesen und Menschenopfer in
unsem Sagen und M&rchen. — Frischbier,
Aus Ostpreussen: Arbeit und Mahlzeit —
Handelmann, Zauber- und Heilspruche und
dergL — Kleine Mitteilungen.
— 12. Krauss, Oskar Kolberg. — Ders.,
Sühne der Blutrache im Herzögischen. —
Freytag, Riesen und Menschenopfer (Schi.).
— S»., Wielant der Schmied (Schluss). —
Frischbier, Aus Ostpreussen : Tr&ume. Das
Besprechen. — Dragi^evjid, Volksmedizin
(aus Bosnien).
n. (1891). 1. Gatschet, Die Wind-
hose. — Handelmann, Zuf norwegischen
Sagenforschung. — Wintern itz, Das Kind
bei den Juden. — Karlowicz, Die Liebes
taufe bei den Polen. — Krauss, Die Mensch
werdung des heiligen Panteleimon. —
Kupczanko, Volksmedizin. — Krauss,
Die Prinzessin von England. — Volks mann,
Volkswitz in Rätseln. — Sembrzycki, Ost-
preussische Sprichwörter, Volksreime und
Provinzialismen. — v. Wlislocki, Zigeuner-
taufe in Nordungam. ~ Krauss, Geheime
Sprachweisen. — v. Hagen und Volks-
mann, Volksglauben. — Frftnkel, Ein
offenes Wort an Sammler. — Kleine Mit-
teilungen.
— 2. Krauss, Eine deutsche Gesell-
schaft für Volkskunde. — Winternitz, Das
Kind bei den Juden. — Karlowicz, Die
IJebestaufe bei den Polen. — Gaidoz,
Ransom by Weight. — F rahm, Volksglauben.
— Kupczanko, Volksmedizin. — Sem-
brzycki, Ostpreussische Sprichwörter etc.
— Pordes, Trinkgef&sse in Bosnien und im
Herzögischen. — Krauss, Geheime Sprach-
weisen. — Kleine Mitteilungen.
Zeitschrift für Völkerpsychologie und
Sprachwissenschaft. Herausgegeben von
M. Lazarus und H. Steinthal unter Mit-
wirkung von Ulrich Jahn. Berlin.
Asber 4 Comp. 8®.
XX. 1. Weinhold, Was soll die
Volkskunde leisten? — Simmel, Zur
Psjehologie der Frauen. — Steinthal, Die
engenden Stücke im 5. Buch Mose (Forts,
imd SchL). — Schwär tz. Noch einmal der
himmlische Licht- (oder Sonnen-)Baum, eine
prähistorische Weltanschauung.
— 2. Miste li, Sprachphilosophisches.
— Tobler, Ein Fall von partieller Aphasie.
— Bor inski,*^(>;fft <r*5 7rpo(j/Jli;roi. — Tester,
Linguistisches aus der romanischen Schweiz.
— 3. Biese, Die poetische Natur-
beseelung bei den Griechen. — Loewe, Zur
Sprach- und Mundartenmischung. — Stein-
thal. Das periodische Auftreten der Sage.
Folk-Lore^ a quaterly review of myth, tra-
dition, Institution, and custom. (Licorpo-
rating The Archaeological Review and The
Folk-Lore Journal). London. D. Nutt.
L 1. EditoriaL Lang, Annual presiden-
tial address for the session 1889—90. — Dis-
cussion: Abercromby, Magic songs of the
Finns L — Haddon, Legends from Torres-
Straits. — Ridgeway, Greek trade routes to
Britain. — Hartland, Recent research on folk-
tales. — York Powell, Recent research on
Teutonic mythology. — Notesand news. — Mis-
cellanea: Baring Gould, The Giant of new
mills, Sessay. — Peacock, A Welsh con-
jurer, 1881. - Gaster, Story of Solomon's
wisdom. — Busk, The burial of Mr. Rose's
boots; horsehair tumed into water-snake.
— 2. Frazer, Some populär super-
stitions of the ancients. — Haddon,
Legends from Torres-Straits IL — Gomme,
A. Highland Folk-tale and its foundation in
usage. — Hartland, Peeping Tom and Lady
Godiva. — Darmesteter et Barth, ,How
they met themselves'. — Nutt, Report: Celtic
myth and saga. — Busk, Report: Italian
Folk Songs. — Notes and news. — Jacobs,
Review: Les contes moralis^es de Nicole
Bozon. — Correspondence: CJodd, What's
is in a name? — Nutt, Fascination and
Hypnotism. — Miscellanea: Frazer, Easter
in Greece; Highland superstitions. — Black,
,Players' superstitions. — • Schechter, Rab-
binic parallel to ,The two travellers\ —
Gosselin, Folk-lore extracts. — Old Harvest
Oustoms in Devon and Comwall.
— 3. Andrew Lang, English and
Skotch fairytales. 1. Rashin Coatie. —
2. Nicht nought nothing. — 8. Cap o'
Rushes. — 4. Kate Oackemuts. — 5. Pee-
ripol. - 6. Coato' Gay. — 7. Drftglin
Hogney. — Burne, The collfection of English
folk-lore. — Abercromby, Magic songs of
the Finns n. — Schechter, The lüddles of
Solomon in Rabbinic literature. — Stewart
Lockhart, Notes on Chinese Folk-Lore. —
8*
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116
Back:
Nutt, Report on the Campbell MSS. at
Edinburgh. — Jacobs, Recent research in
comparative religion. — Report of the
Annnal Meeting of the Folk-Lore Society. —
Correspondence : Lei and, ,How they met
themselves'. — Ellis, ,Fascination and Hyp-
notism'. — Jocobs, Folke-tale of Campbell
and its foundation in usage. — Notes and
newB. — Miscellanea: Ronse, A Jataka in
Pansanias.
Melusine. Recueil de mythologie, litt^rature
popnlaire, traditions et usages, fond^ par
H. Gaidoz et E. Rolland. Dirig6 par Henri
Gaidoz. Paris. E. Rolland.
V. 1. Barth, La Litterature popnlaire
et les contes dans Tlnde 11. — Gaidoz,
L'Etymologie popnlaire et le Folk-lore III.
Les Saint« pour rire. 1. Saint Personne. 2.
Le p^re Invicem. 3. Sainte Touche, Saint
Lnndi, Sainte Bouteille, etc. — Tuchmann,
La Fascination. $j 3. Les Fascinateurs. Ca-
t^gories. B.) Animaux. — H. G., Les Esprits-
Forts de FAntiquit^ classique XXIII.
— 2. Gaidoz, La coUection internationale
de la Tradition. — H. G., La Fratemisation
Vin. — Colson, L'enfant qui parle avant
rßtre n6 IX. — Köhler, Ne frapper qu'un
seul coup. — Karlowicz, Les deux arbres
entrelac6s. — Tuchmann, La Fascination.
§ 3. Les Fascinateurs. Cat^gories. B.) Ani-
maux. C.) Objets inanimes. D.) Divinit^s,
Esprits, Ames. — H. G., Les Esprits-Forts
de l'Antiquit^ classique XXIV. — E. R.,
Les Serments et les Jurons.
— 3. Doutrepont, ün chant monorime.
— Tuchmann, La Fascination. § 3. Les
Fascinateurs. Cat^gories. E.) Gens et ani-
maux qui se fascinent eux-memes. — Esser,
Moeurs et usages de Malmedy et de la Wal-
lonie prussienne. in. 1. La Cu8n6e. 2. La
Saint- Jean. 3. Poirt^ TTrouvlai (2). 4, Les
Joupsennes. - Orain, Devinettes de la
Haute-Bretagne X. La pierre de Serpent
H. G., L'Etymologie popnlaire et le folk-lore.
IV. L'fltre supreme.
— 4. Loquin, La nouvelle brochure de
M. Gaston, Paris. — H. G., Les contes po-
pulaires dans Tantiquit^ classique. — Les
chemins de fer IL — Ernault, Chansons
populaires de la Basse-Bretague. — H. G.,
L'Etymologie popnlaire et le folk-lore V.
1. Dans les bras de Morph^e. 2. Saint Vir-
gile. — O'Grady, Irish prognostications from
the howling of dogs. — Orain, Devinettes
de la Haute-BretÄgne. — Tuchmann, La
Fascination. § 3. Les Fascinateurs. Moyens
d'acqu^rir le pouvoir de Fascination. — La
Fascination, le magn^tisme et Thypnotisme.
— 5. Gaidoz, L'opiration d'Esculape
I. 1. Au Ve siecle avant notre ^re. 2. Chez
les chr6tiens; l'^preuve faite sur un homme.
3. Le miracle du mar6chal-ferrant et les mo-
numents figur^s. 4. Le miracle du mardchal-
ferrant et la tradition orale. 5. En Irlande.
6. Les Images et les lebendes. 7. Conte, le-
gende ou miracle? — Echos de la litterature
antique au moyen-age. — Tuchmann, La
Fascination. § 3. Les Fascinateurs. —
Moyens d'acqn^rir le pouvoir de fascination
(Suite). — H. G., Le Solarisme Boulangiste.
Israel L^vi, La legende d' Alexandre dans
le Talmud. —'Karlowicz, La Mythologie
lithanienne et M. Veckenstedt
— 6. Gaidoz, Jean de l'Ours. — Lefe-
bure, La Motte de terre. —'L'Etymologie
popnlaire et le folk-lore ; VI, Nome de saints,
par Nyrop^ VII, par Gaidoz. — Orain,
Devinettes de la Haute-Bretagne (Suite). —
Tuchmann, La Fascination: Moyen d'acqnörir
le pouvoir de fascination; A) Effets de la
fascination (Suit«). — Gaidoz, La Phot^j-
graphie. — L^vi, Le Juif en morceaux. —
Gaidoz, Oblations k la mer et prösages. —
H. G., L'Arc en Ciel.
Revae des traditions popnlaires« (Societe
des traditions populaires au musee d'ethno-
graphie du Trogad^ro.). Paris. J. Maison-
neuve.
V. 1. Faligan, Des formes iconogra-
phiques de la 16gende de Theophile. —
Perraud, Les noces du coucou et de
Palouett« V. Des Dombes. — Bernard,
Les noces du papillon, pays de Caux. —
Desaivre, Les noces de l'alouette et du
pinson, version du Poitou. — M™« Paul
Söbillot, Les noces de la b^casse et de la
perdrix, version de la Haute-Bretagne. —
S^billot, Le diable et l'enfer dans Ticono-
graphie III. — Morel-Retz, La fete des
Rois XI. La quSte des Rois en Bourgogne.
— Cöard, XII, en Champagne.— Tau sserat,
XIII, La cer^monie de la teve k la Cour de
France en 1706. — Disaugiers, Rien
qu'une, conte du jour des Rois. — Bayon,
Proverbes et dictons de Mazins. — Loys
Breuyre, L'inventaire des contes HI. Ana-
lyse Classification et tabulation des contes po-
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Litteratur des Jahres 1890.
117
puUrres. — Eo sie res, L^iirfluenza aa
XV« siecle, — S^billot, L^inflaenza au
XVI^ siecle. — Blanchard, Coutumes sco-
Uires IV. En AUemagne. — Pitre, Le pays
des Chiens, conte populaire sicilien. — Ney,
MieUes de foH-lore parisien. — Des-
roQsseaax, Le folk-lore du pays de Liege.
— Tiersot, Extraits et lectures L Audition
de NoSls £ran<;ais au cercle Saint-Simon. —
Certeux, IL Les asiles de nuit en Chine.
— 2. Basset, La legende du chien de
Montargis chez les Arabes. — Bestricht,
Le retour du soldat, Version du Maine —
Cordier, Les Cynocephales dans la Legende.
— SauTc, Le Camaval dans les Vosges. —
Desaivre, Les Precurseurs de nos ^tudes V.
Enquetes du premier Empire et de la Restau-
ration. — La Fontanelle, VI. Notes in-
edites (premiere moiti6 du siecle). — Sebillot,
Noms, formes et gestes des lutins HI, Basse-
Bretagne. — Fontaine, La fete des Rois
XIV. Ordalies en Bourgogne. — Bellet; Les
Fois de File de B6. — Basset, Legendes
africaines sur Torigine de Thomme IV— VlI.
— Tiersot, Chansons et danses 6trangeres
IIL Mnsiques et danses roumaines. IV.
Bapsodie cambodgienne de Bourgault - Du-
condray. — CcTteux, Bazin la Lune, legende
du Dauphine. — Hovelacque, De quelques
formes de salutation. — Assembl^e generale.
— 3. Lefevre, Les Mythes et les dieux
de la pluie. — Blanchard, Le Bossignolet,
ehanson des Hautes-Alpes. — P. S., Les Tra-
ditions populaires et Jes ^crivains fran<^s
lU. Le Menagiana. — Morin, Les calen-
driers des iUettrös IL L^Almanach des
Bergers. — Basset, Les jours d'emprunt
chei les Arabes. — Bonnemiere, Amulettes
et talismans VI. Amulette breton contre la
fievre. — Fouju, Legendes et Superstitions
prehistoriques III. (Eure-et-Loir). — Se-
billot, Le peuple et Thistoire I. Revolution
firan^aise. — deCrouskow, Chants heroiques
du peuple russe. — Fertiault, Devinettes.
— Le Carguet, Superstitions et legendes
du Cap-Sizun. — Certeux, Le Prisonnier de
Nantes L Version de la Loire - Inferieure.
— M«ne Paul S6billot, II. Version des
C6t«s - du - Nord. — - D^meuldre, Facöties
wallonnes. — Eygun, Superstitions basques.
-r Labonne, A travers le Berry IIL Super-
stttion berrichonne. — Fertiault, Le cierge
de. la Chandeleur. - Pineau, Les roseaux
qui chanteut III. La rose d'or, conte du
Maine. — Lemoine, Coutumes de mariage
VL En Belgique. — Har, La legende de
Didon II. Legendes paralleles. — Pineau,
Pelerins et Pelerinages VIII. Enfants ma-
lades.
— 4. Brueyre, Extraits d'anciens ou-
vrages anglais relatifs au Folk-Lore L An-
tiquit6 de la litt^rature des nourrices. —
Bon, Devinettes: Auvergne. — Tiersot,
Le Rossignolet IL Version du Morvan. —
Certeux, Les calendriers des illettrös UI.
— Sebillot, Les coquillage de mer III. —
Bon, Le seigneur Coup-garon, lögende de
r Auvergne. — Bayon, Amulettes et talismans
Vn. Amulettes d'Italie. — Bourchenin,
Coutumes de mariage VI. Une noce en
Beam. — M™e Paul Söbillot, Superstitions
de la Nievre. — Siöbel, Legendes etsuper-
stitions pr6historiques IV. La hotte du diable.
— Harou, — V. En Belgique. — M™« Paul
Sebillot, La mort d^ Adele, ehanson de la
Haute-Bretagne. — Rabot, Un album esMmo.
— Bas s et, Contes arabes et orientaux IV.
Le Mythe d'Orion et une fable de Florian. —
De Crouskow, Chants heroiques du peuple
russe IL — P. S., Les Traditions populaires
et les öcrivains fran^^ais IV. Racine. —
Millieu, Les pourquoi LIV — LV. La
mule et le lievre. — De Laporterie,
Croyances des paysans landais. — * Certeux,
Brimades et initations I. Les Böjaunes du
commerce. — Harou, Le long hiver (versions
flammandes). — Bonaparte, Les glaciers I.
Le genie de TAletsch. — Dessaix, — IL
L'excommunication des glaciers.
— 5. Hardouin,Traditions et superstitions
siamoises. — Bernard, Joli mois de mai
fleuri. — Chanson du pays de Caux. — Se-
billot, Les Zoophytes. — Fouju, Miettes
de Folk-lore parisien XII. üsage du vendredi
Saint dans la Seine. — P. S., Saint-Blaise U.
Bourchenin, Formulettes bearnaises. —
üarou, Imagerie populaire flamande. —
Fouju, Legendes et superstitions prehisto-
riques VL — Guyot, Le petit tambour.
Chanson avec jeu. Champagne et Paris.
— Le Carguet, Traditions et superstitions
du Cap-Sizun III. An Aour-jeoten. — L'herbe
d'or. — P. S., Le Folk-lore au Salon V. Les
traditions populaires et les peintres pendant
la Periode romantique. — Bayon, Devinettes
de Haute-Bretagne. II. — Sax, Salomon dans
les legendes musulmanes V. — Harou, Le
bonhomme Misere. Legende liegeoise. —
Imbert, Poösies sur des themes populaires
XX. Le Saint de villages. — P. S , Le voyage
presidentiel et les traditions populaires. —
Fontaine, Faceties bourguignonnes. I. Le
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118
Back:
maire de Bnncy. U. Les Tortionnaires. —
Certeux, Les traditions popolaires ä TEzpo-
sition V. section russe.
— 6. Sichler, Cöremonies et coutumes
nuptiales en Bnssie. — Gujot, Le Pont de
Londres I. Ron de de la Champagne. — M^e
Paul S6billot, — IL Haute-Bretagne. —
P. S., Les danseurs mandits. — Bestricht,
Traditions et snperstitions de la Sarthe. —
S^billot, L'iconographiqne fantastique 11.
Les Lutins. — De Lannaj, Des apparitions
en Vend^e. — Luzel, Les contes populaires
dans les sermons du Mojen-äge U, Horrible
exemple de' l'^veque Hugues. — Certeux,
Les Calendriers des illettrös IV. Le Calen-
drier des Azteques. — Jacottel, Legendes
et Contes bassoutos V. La legende de la
tortue IL Raseretsana.
— 7. De Zmigrodzki, Polk-lore euro-
p6en compar^ L La Mere et Tenfant. —
Tiersot, Trois pastourelles du Morvan. —
J. T., Sur Torigine populaire du mot Alieluia.
— S^billot, Les Traditions populaires et
les ^crivains fran<^is V. Moliere. — Per-
rand, Traditions et snperstitions duDauphin^.
— Congres des Traditions populaires. — De
Laporterie, Une noce de paysans en Cha-
losse: sortie de T^glise. — Destr^e, Seconde
vue: intersignes. — Sichler, Moeurs et cou-
tumes de mariage IL Gouvernement d'Ar-
changeL IIL Chez les Permiens. — Basse t,
Salomon dans les legendes musulmanes. —
Certeux, Les calendriers des illettr^s VI.
Les Bätons calendriers. — Morel-Retz, Le
Peuple et Thistoire IV. Maudrin. — Basse t,
üne superstition. — S^billot, Quelques contes
tres courts. — Bonnemere, Superstitions
du döpartement de l'Indre. — De Rialle,
Extraits et lectures I. Les sources dans la
mer. — Blanchard, II. Pour etre heureux
tonte Tannöe.
— 8. Rosieres, Quelques proverbes
fran^ais du XY^ siecle. — Tiersot, Chant
de moisson du Morvan. — Schill ot, Les
MoUusques. — Brueyre, Extraits d'anciens
articles anglais relatifs au Folk-lore 11. Pr^face
de Richard Price aThistoire de lapoösieanglaise
de Warton. — Pineau, Les viUes disparues I.
Le temps, tradition poitevine. — Basset et
S^billot, Allusions k des contes populaires
m. — Fertiault, Les Traditions populaires
et les ^crivains fran^ais VI. Les No6ls de
la Monnoye. — Sichler, Moeurs et coutumes
de mariage III. Chez les Permiens. — Cer-
teux, Extraits et lectures. Le Samedi saint
k Cuba.
— 9. Dumontier, Astrologie des An-
namites. — S^billot, Les Mines et les
Mineurs V. La bonne et la mauvaise chance.
VI. Coutumes. — Additions. — Tiersot,
Le Rossignol messager, versions du Morvan.
— Bon, Superstitions auvergnates. Cautal.
— De Crouskow, Les Chants heroiques du
peuple russe. — P. S., Les Soci^t^s des Tra-
ditions populaires, Sociötä allemande. —
Basset, La Chanson de Bricou I. — Pineau,
— n. Briquette, randonn^e poitevine. — de
La Sicotiere, — HI. Briquette, ronde
normande. — Certeux, Les calendriers des
illetträs V. Calendrier breton. — S^billot,
Les Crustac^s. — Basset, üne fable de
Florian et le Mythe d'Orion III. — P. S.,
La Bonlangerie et le pain: Questionnaire. —
Pineau, Le long hiver HI. Version poi-
tevine. — Fertiault, Les Haricots. — M™«
De stricht, Traditions et snperstitions dela
Sarthe IL — Bogisic, Saint Blaise lU. —
Mme Paul Söbillot, Le joli Meunier,
chanson de la Haute-Bretague. — Des-
rousseaux, Transformation des Legendes,
des Anecdotes, etc. — Pineau, Les Oiseaox
en Poitou.
— 10. Söbillot, Les Pendues. —
Tiersot, La Chanson du G^ant. — Basset,
La Chanson du Bricou (suite) IV. Versions
lorraine et alsacienne. — Limh<5igin, conte
irlandais de la Saint-Martin. — Fitzgerald,
Notes sur quelques origines de la Tradiäon
celtique. — Sichler, Moeurs et coutumes
de mariage lU. C^r^^ionies de mariage chez
les Permiens (suite). — Luzel, LMmagerie
populaire V. Basse Bretagne. — Deuxieme
Congres des Traditions populaires. — Morin,
La Betise des Gens, conte de Champagne. —
B eilet, Le Peuple et PHistoire V. Buckingham
dans rUe de Re. — Certeux, Extraits et
lectures. Le dieu Canon.
— 11. Jarchy, La M^decine supersti-
tieuse en Russie. — Tiersot, Le Portrait de
la Maitresse III. Version du Morvan. —
Des triebt, IV. Version de la Sarthe. —
Herconet, Snperstitions de Quillimane
(Mozambique). — S6billot, Snperstitions de
civilises U. — Sichler, Moeurs et coutumes
de mariage en Russie. — Lavenot, Devinettes
de la Basse-Bretagne. Pays de Vannes. —
Bonnemiere, Les superstitions du cantop
de Gennes (Maine- et-Loire). — Pineau, Les
Danseurs mandits III. Lögende du Poitou.
— Söbillot, Pensöes sur les Traditions po-
pulaires extraites de divers auteurs. — Cer-
teux, Les calendriers des iUetrös V. Un
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Litteratur des Jahres 1890.
119
e&lendrier da VP siecle. VI. Calendrier i Recommendations de ma pauvre Grand-la-
horloge du XI« d^cle. — Haron, Pitje de
dood (Pierre la Mort), conte flamand. —
HaroQ, Poorquoi Polichinelie a dem bosses,
legende li^geoise. — I^e Lac des Fees. —
R. B., Saint-Blaise IV.
La TradltiOD. ReYae g^n^rale des Gontes,
Legendes, Chants, Usages, Traditions et
Arts popiüaires. Direction: Emile B16mont
et Uenrjr Camoj. Paris. E. Lechevalier.
Jan.: Daridson, Le Folk-lore en Angle-
terre I. — Sti^bel, Notes de voyage en
Orient — Pitre, Le mois de mais. — De-
lannoj, ün livre d^oraisons mannscript —
GhaboseaUjLes empreintes merveiUeuses. —
De Sivr j, La-haut sor la montagne, chanson
et mdlodie. ~ Plantadis, Les Rosi^res. —
Desrousseaa, Les Gnerrieres de Flandre.
— CorreTonx, Les Dämons de Boorg-Saint-
Pierre en Yalais. — Eschenauer, La tra-
dition fran<^e en Allemagne IL — Seit er,
La complainte de Sainte Catherine. — Mü-
llen et Beauvais, Les Eorhum^s qui vont
i Saint-Gaeorluchon. — Nicot, Ballade. —
Lemoine, Contes populaires de Hainaut VI.
— Garn oy, La Pete de No6l, XVIII et XIX.
— Berenger-F^rand, Taprata, devinette
proTenQale. — Echaupre, La fille fiere, recit
berrichon.
Febr. : Davidson, Le Folk-lore en Angle-
terre IL — Seit er, La complainte de Saint-
Nicholas. — Zmidgrozki, Le Folk-lore Po-
lonnais I. — Magdelaine, Ballade da roj
de Sayoje. — Pitre, Le mois du mais XII
(en Italic). — De Golleville, Les For-
mulettes enfantines III. — Garnoy, La Fote
des Rois L — Stichel, Notes de voyage en
Orient IL — Vicaire, Pnisque chacnne ä
8on chacon. — De Sivry, La P'tit Tata —
Plantadis, Les Bosieres IIL — Sinval,
Les Basses chez enx VI. — Echaupre,
Chanson de Santonge.
March: Davidson, Le Folk-lore en
Angleterre IIL — Brann, Acousmates et
ehasses fantastiqnes L ~ Plantadis, Le
grillon et le lonp. — H. G., Palladiums et
Talismans des cit^s I. — Krohn, Histoire
de Traditionisme en Finlande I (suite). —
Haron, Les materiaux dans les fondations.
— Defrecheux, Saints et Idols chatiös VII.
— Carnoy, Une nouvelle revue de Folk-lore.
— De Zmigrodzki, Le Folk-lore polonais
d*apres Oscar Golberg. — Roumanille, Les
Borgae, traduit par Gineste. — A propos da
congres des Traditions populaires. — Seit er,
La chanson du Charbonnier.
(Fortsetzung folgt)
Archlvio per lo stndio delle trAdicionl
popoUri. Rivista trimestrale dir. da
G. Pitre e. S. Salomone-Marino. Pa-
lermo. G. Glausen.
IX. 1. Pirrone-Giancontieri, U Re
dei Vendi e degli Zingari russi, dei Lettoni,
Lituani e Zamaiti. — Simiani, Usi, Leggendi
e Pregiudizi popolari trapanesi III. ~ Mu-
soni, Usi e Gostumi degU Sloveni veneti. —
Pires, Cantos maritimos de Portugal —
Menghini, Ganti popolari romani. — De
Pasqaale, Raccolta di proverbi calabri. —
Prato, II mare (fine). — Mazzacchi, Usi
e Gostumi dei popolo nell'alto Polesine. —
Marino, Exenia Nuptialia in Sicilia. — Ga-
botto, Due Sacre rappresentadoni in Torino
nel See. XV. — Gorsi, Vita senese
I-VIL
— 2. Finamore, Tradizioni popolari
abruzzesi. — Mazzncchi, Proverbi popolari
dei Polesine. — Nardo-Gibele, La Filata,
o la coltivazione dei canape nel Bellunese I.
Ramm, Quelques remarques sur les jeux en
Finlande. — Varvessis, Tradizioni e costumi
popolari. — Wilmotte, Etudes sur des
themes de chanson. — Gian, Una preghiera
di pelle^grini dei sec. XV. — Ragusa-Mo-
le ti, Ganti funebri di popoli e poeti selvaggi
e poco civili. — Di Martine, Vitusullanu
nella storia e nelle credenze popolari cani-
cattinesi. — De Pasquale, Raccolti di pro-
verbi calabri (fine). — Seves, Appendice alle
serenate pei S. S. Grispino e Grispiniano in
Pinerolo. — Sebillot, Gontes de Marins
recueiUis en Haute -Bretagne I— IV. — Si-
miani, Usi, Loggende e Pregiudizi popolari
trapanesi IV. — Menghini, Ganti popolari
romani. — Salmone-Marino, D ,tabbaranu',
gioco popolare siciliano fanciullesco. — Fer-
raro, Spigolature di canti popolari parmi-
giani e monferrini (fine).
— 3. Musatti, D S. Giovanni Battista
a Venezia. — Pellegrini, II S. Giovanni
Battista nelP Agordino. — Nardo-Cibele,
D S. Giovanni Battista: ricordi veneti. —
Seves, Di alcune credenze per la festa di
S. Giovanni Battista in Piemonte. — Gorsi,
II braccio di S. Giovanni Battista in Siena:
tradizioni, usi e superstiziuni. — Martiueugo-
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120
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Cesaresco, Fiori di S. Gioyanni. — Kranss,
La fete de Saint-Jean chez les Slaves du
Sud. — Yetri, II Lago sfondato ed il sonno
di 8. Giovanni Battista. Leggenda popolare
in Castrogioyanni. — De Nino, La festa di
S. Giovanni nell' Abrazzo. — Carstens,
Usi e credenze di S. Giovanni nello Schleswig-
Holstein: L La notte di S. Giovanni. II.
La festa di S. Giovanni. III. Credenze di
S. Giovanni. — Ragusa - Moleti, Canti
funebri di popoli e poeti selvaggi o poco civilL
— La preghiera a ruota nel Tibet — Como
contano alcuni popoli. — Pitre, La
Leggenda diColaPesce. — Columba, Note
di Tradizzioni e Leggende: I. La Leggenda
degli Stretti. IL La Leggenda di S" Sofia.
IIL La fönte di S* Sofia. — Nerucci,
Storielle popolari (in Toscana). — Lumbroso,
Spigolature di Usi, Credence, Leggende: I.
ün' usauza messinese. IL üna credenza
.popolare toscana e piemontese. III. Una
leggenda biellese. IV. La festa di S. Bocco
in Orbassano. — Menghini, Canti popolari
romani: Amore e baci. — Serenate. — De-
scrizioni. — Vari. — Musoni, Usi e Costumi
degli Sloveni Veneti (La festa di S. Giovanni
Battista). — S6billot, Contes de Marins
reeuciUis en Haute Bretagne: Y. La Moussp.
YL L'Oiseau de v6rit6. — Miscellanea:
Battaglia, DelP uso di dare il posto d^onore
in Sicilia. — Li processione dei Turchi in
Potenza. — II giuco del ventaglio in Toscana.
— Un unovo rimedio contro la peronospora
neggli Abruzzi (Finamora). — üna donna
che non riconosce se Stessa, leggenda inglese
(Busk). — L'anello nuziale in Inghilterra e
in America. — Proverbi danesi (Schnee-
kloth).
II. Bücher und Aufsätze.
1. Allgemeines und Miscellen.
putz, Die Yölker der Erde. 15.— 16. Heft.
8^ (n. Bd. Sp. 1-128 mit Abb.) Würz-
bürg, Woerl.
von Bradke, üeber Methode und Ergebnisse
der arischen (indogermanischen) Alterthums-
wissenschafL Historisch -kritische Studien.
8^ 349 S. Giessen, Ricker. M. 7,50.
Sehrader, Sprachvergleichung und Urge-
schichte. Linguistisch-histor. Beiträge zur
Erforschung des indogerm. Alterthums.
Zweite vollst umgearb. und beträchtlich
vermehrte Auflage. 8^ 684 S. Jena,
Costenoble. M. 14.
Bemhdft, Sprachvergleichung und Urge-
schichte (Zeitschrift für vergl. Rechtswissen-
schaft. DC, 2).
Bnsclian, Germanen und Slaven. Eine ar-
chäologisch-anthropologische Studie (Natur
und Offenbarung. XXXYI, 2—5).
Liebrecht« Zur Yolkskunde. Nachträge
(Germania — herausgegeben von 0. Be-
haghel. XXXY, S. 210-217. 346—352).
AcheliSy Ethnologie und Geschichte (Aus-
land. Heft 28— 29).
Stamper, Yölkerblüthe und Yölkerverfall
(Gegenwart. Heft 44).
Neubaar, Die Yölkerbewegungen und Yölker-
bildungen der Gegenwart (Westermanns
illustr. deutsche Monatshefte. November.)
2. Äusseres Leben.
Frledely Die Speiseeichel (Zeitschrift für
Ethnologie. XXII, p. [137] f.).
Otto, Zur Geschichte der ältesten Hausthiere.
8^ 78 S. Breslau, Preuss und Jünger.
von Hellwaldy Urspnmg und Entwicklung
des Schmuckes (Ausland. Heft 30-32).
Hirschfeldy Die Entwicklung des Stadtbildes,
am Alterthum nachgewiesen (Zeitschrift der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Heft 4).
CoUy Historia del calendario (Revista de
Espana 15 de Marzo — 30 de Abril).
Friederichson, Geschichte der Schifahrt,
Mit Abb. 8«. 274 S. Hamburg, Verlags-
anstalt. M. (i.
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Litt^ratnr des Jahres 1890.
121
OlubAoseii, Bernsteinhandel (^Zeitschrift für
Ethnologie. XXII, p. [270] ff.).
Mkeiiiiy WafTenkunde. ilandhnch des Waffen-
wesens in seiner historischen Entwicklung
Tom Beginn des Mittelalters his zum Ende
desia Jahrh. Mit Abb. 2. bis 8. Lfg. 8^
Leipzig,* Seemann.
01shau(»eii, Schnallen, Reiterspom, Steigbügel
(Zeitschrift für Ethnologie. XXII, p. [178] ff.).
3. Inneres Leben.
a) Allgemeinem«
Lingy Etudes traditionalistes (Vol. VI de la
CoUection Internationale de la Tradition),
lü^ 107 S. Paris, Maisonneuve. Pres. 3,50.
Teats, Poetry and Science in Folk-Lore (The
Academy Nr. 962).
Natt, Poetry and Science in Folk-Lore (ebd.
Nr. %3).
AiODy Folk-lore of East and West compared.
Folk-lore from Chicago. Senegambian Folk-
lore (Notes and Qaeries 80. August).
Ortoliy Les Conciles et Synodes dans leurs
rapports avec le traditionisme. (Vol. V de
la CoUection Internationale de la Tradition).
16 ^ 143 8. Paris, Maisonneuve. Frcs. 3,öO.
b) Lebenssitte und Recht«
Gvtberlety Die sittlichen Vorstellungen der
Naturrölker (Natur und Offenbarung.
XXXVI, 2-6).
Blermery Psychische Volkskrankheiten (Deut-
sche Revue. November).
AdieliSy Die Greschlechtsgenossenschaft und
die Entwicklung der Ehe (Zeitschrift der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Heft 4).
Frieder Ieli89 Das männliche Wochenbett
(Ausland. Heft 41—45).
fUbinsoDy Der Ursprung der Blutrache
(Globus. Haft 2).
Batst, Der gerichtliche Zweikampf, nach
seinem Ursprung imd im Rolandslied (Ro-
manische Forschungen. V, 2).
e) Religion.
lIQlery Natürliche Religion. A. d. Engl.
übers. Ton Engelbert Sehn ei der. 8°. 587 S.
Leipsig, Engelmann.
Ihibois, Das Buch der Religioneh. 1. Lief.
8«. 80 S. Stuttgart, Pfautsch. M. 1.
Frazer, The golden Bough: a Study in Com-
parative Religion 2 tols. 8^ 800 S.
I&cmillan. 28 sh.
TodskoT, Rig - Veda og Edda eller den
komparative Mytologi. Bidrag tili Bestem -
melsen af den Mytologiske Metode (Ogsaa
m. T.: Sjaeledyrkelse og Naturdyrkelse.
Forste Bind.) 1—2 det Hefte. 8«. 32. S.
Lehmann & Stage. Kr. 2.
KransSy Todtenfetische (Oesterr. Wochen-
schrift. VII, 11).
Winternitz, Notes on Sr&ddhas and An-
cestral Worship among the Indo-Europeau
Nations (Wiener Zeitschr. f. d. Kunde des
Morgenlandes IV, 3.).
Cnltiis arlK>rum, a descriptive account of
phallic tree worship, with illu»tratiYe legends,
superstitious usages . . . exhibiting origin and
development amongst the eastemand westem
nations of the world, from the earliest to
modern times, with a bibliography of works
upon and ref erring to the phallie cultus. 8®
London, Reader.
Junker von Langegg, Heib'ge Bäume und
Pflanzen. (Deutsche Rundschau. Juni- Juli;.
Allen, Sacred Stones (The Fortnightley
Review. Januar).
Sacred Stones (The Athenaeum. Nr. 3286).
Jacobson, Steine als Amulette bei wilden
und ciyilisirten Völkera (Ausland. Heft 27).
S6billot, Legendes, croyances et supersti-
tious de la mer. I« serie: La mer et le
rivage. 11« serie: Les möt^ores, les vents et
les tempetes. 18**. Paris, Charpentier.
3 fr 50 (jede Serie).
Hope, Holy Wells: their Legends and
SupersHtions (The Antiquary. Januar-Nov.).
Jones, Finger -Ring Lore: Historical, Le-
gendary, Anecdotal. 2. edit. revised and
and enlarged, with nearly 300 Illustr. 8".
562 S. Chatto. 7 sh. 6 d.
Customs of the Ring (Amer. Notes and
queries. FV, 16).
Snperstitions of Shoes (American Not^s
and Queries. V, 1.).
d'Alvielia, La migration des Symboles (Revue
des deuz Mondes. 1. Mai.).
Jivasyi Jamshedja Modi, Superstitions com-
mons to Europe and India (Journal of the
Anthropological Society of Bombay. II, 3.).
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122
Back:
d) Sprache« Poesie a..a«
Leitnery on the Ethnographical ßasis uf
Language, with special reference to the
Customs and Langnage of Honnza (The
Journal of theAnthropolog. Institute ofGreat
Britain and Ireland. XX, 2).
Ethnologisches Problem ist die Yielsprachig-
keit (Naturwissenschaftliche Wochenschrift
Heft 29).
Carti^ Die Sprachschöpfung. Versuch einer
Embryologie der menschlichen Sprache.
8". 74 S. Würzburg, Stuber. M. 1,50.
Jacobe wskiy Die Anfänge der Poesie. Grund-
legung zu einer realistischen Entwickelungs-
geschichte der Poesie. 8^ Dresden, Pierson.
M.2,50.
Grabowy Die Lieder aller Völker und Zeiten.
In metrischen deutschen Obersetzungen.
Nach dem Vorbilde von Herders „Stimmen
der Völker". 5 Aufl. 8°. 40 Bog. Ham-
burg, Krämer. M. 7,50.
Bonery Poesia e miti delle acque I (Itassegna
di Letteratura Italiana e Straniera. I, 2.).
Tiersoty Musiques pittoresques, promenades
musicales k TExposition de 1889. 8^ 126 S.
Paris, Fischbacher.
Tappert, Wandernde Melodien. Eine musi-
kalische Studie. 2. verm. u. verb. Aufl. S**.
95 S. Leipzig, List & Francke. M. 2,40.
Deutschland.
1. Allgemeines.
Mfillenlioff, Deutsche Altertumskunde. I. Bd.
Neuer verm. Abdruck, besorgt durch Max
Roediger Mit einer Karte von Heinrich
Kiepert. 8». 644 S. Berlin, Weidmann.
Kossinna^ Die Sweben im Zusammenhange
der ältesten deutschen Völkerbewegungen
(Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte
Kunst IX, 2.).
Lippert, Beiträge zur ältesten Geschichte der
Thüringer III (Zeitschrift des Vereins für
thüringische Geschichte und Altertumskunde.
N. F. VII, 1.).
Birlinger^ Rechtsrheinisches Alamannien,
Grenze, Sprache, Eigenart. (Forschungen
zur deutschen Landes- und Volkskunde.
Herausg. von A. Kirchhofif. IV, 4.) Stutt-
gart, Engelhom. M. 4,80.
Voiger^ Die Altenburger Bauern in ihren
Trachten, Sitten und Gebräuchen. 8*^.
40 S. Altenburg, Bonde.
Zar Volkskande des Harzes (Harzer Monats-
hefte. Heft 5-6.).
Oertel, Beiträge zur Landes- und Volkskunde
des Königreichs Sachsen. 8°. 2*^2 S. Leipzig,
Hirt. M. 4.
Nordlioffy Das Westfalenland und die W
geschichtliche Anthropologie. Geschicht-
liches, Sammlungen, Literatur etc. Zugleich
als Beihülfe zu antiquarischer Forschung und
Kartographie. Mit einer Karte der Um-
gebung von Münster. 8^ 50 S. Münster i.W.,
Regensberg.
Frickey Das mittelalterliche Westfalen oder
die alten Sitten, Gesetze, Gerichte, Zu-
stände und Gewohnheiten der Roten Erde.
8^ 328 S. m Karte u. Abb. Minden, Bruns.
M. 4,
2. Äusseres Leben.
Höcky Nährpflanzen Mitteleuropas, ihre
Heimat, Einführung in das Gebiet und
Verbreitung innerhalb desselben. (For-
schungen zur deutschen Landes- und Volks-
kunde. Herausg. Ton A. Kirchhoff. V, 1.).
Stuttgart, Engelhom. M. 2,20.
Baschan^ Zur Geschichte des Weinbaues in
Deutschland (Ausland. Heft 44—45).
, Wichmanny Der Baustil der alten Germanen
(Zeitschr. für bildende Kunst Juli.).
I Banealariy Forschungen über das deutsche
Wohnhaus (Ausland. Heft 24, 25, 27).
I T. Hellwaldy Das Haus in den Alpen (Unsere
Zeit Heft 5).
, Fresslf lieber Haus und Hof des baiwarischen
Landmannes (Beiträge zur Anthropologie
und Urgeschichte Bayerns. IX, 1—2.).
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Litteratur des J&hres 1890.
123
UUe, Das föhiinger Haus (Zeitschrift für
Ethnologie. XXII, p. [62] ff.).
YirehoWy Vorkommen und Form des
sächsischen Hauses in Ost- und West-
Holstein (ebd. p. [75J ff.).
Lemke 9 Giebelverzierungen in Ostpreussen
(ebd. p. [263] ff.).
Bolte» Der Bauer im deutschen Liede.
32 Lieder des 16.-19. Jahrhunderts nebst
einem Anhange (Abdruck aus den Acta
Germanica I, 3.). S^. 132 S. Berlin,
Mayer d Müller. M. 4.
T« Ran, Mähewerkzeuge (Zeitschrift für
Ethnologie. XXIf, p. [153] ff.).
Sehnrtz, Der Seifenbergbau im Erzgebirge
und die Walensagen (Forschungen zur
deutschen Landes- und Volkskunde. V, 3.).
Stuttgart, Engelhom. M. 2,60.
8ohm, Die Entstehung des deutschen Städte-
Wesens. Eine Pestschrift. 8®. 102 S.
Leipzig, Duncker 4 Humblot. M. 2,40.
Meister« Die ältesten gewerblichen Verbände
der Stadt Wernigerode von ihrer Ent-
stehung bis zur Gegenwart. 8^ 117 S.
Jena, Fischer. (Sammlung nationalökono-
mischer Abhandlungen. Herausg. v. Conrad.
VI, 2.).
Edelmann, Schützenwesen und Schützenfeste
der deutschen Städte vom 13. bis zum
18. Jahrhundert. Mit ö Abbildungen. S^.
163 S. München, Pohl. M. G.
SchrOder, Zur Waffen- und SchifTskunde
des deutschen Mittelalters bis um das
Jahr 1200. 8®. 46 S. Kiel, Lipsius & Tischer.
M. 1,60. (Kiel. Diss.).
3. Inneres Leben.
a) Lebenssitte und Recht.
Ilerrmann, Zur fränkischen Sittengeschichte
des 15. Jahrhunderts (Germania. XXXV, 1 ).
Messikommery Einige alte Volkssitten und
Volksgebränche aus dem Canton Zürich
(Ausland. Heft 9-10).
T. Heinemann^ Einladung zu einer Kindtaufe
aus dem Jahre 1471 (Korrespondenzblatt
des Vereins für niederdeutsche Sprach-
forschung. XIV, 1).
Uayn, Bibliotheca Germanornm nuptialis.
Verzeichniss von Einzeldrucken deutscher
Hochzeitsgedichte und Hochzeitsscherze in
Prosa von Mitte des 16. Jahrhunderts bis
zur Neuzeit etc. 8". 89 S. Köhi, Fr. Teubner.
M. 4.
Herrmann^ Ueber Lieder und Bräuche bei
Hochzeiten in Kärnten (Archiv für Anthro-
pologie. XIX, 3.).
UAbler, Hochzeitsgebräuche im südlichen
Böhmen (Mittheilungen des Vereins für
Geschichte der Deutschen in Böhmen.
XXVm, 2.).
Sehnltiy Alltagsleben einer deutschen Frau
zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts.
Mit 33 Abbildungen. 8^ 278 S. Leipzig,
Hirzel.
Bichtold, Die Anwendung der Bahrprobe in
der Schweiz (Romanische Forschungen.
V, 1).
Lindner, Der angebliche Ursprung der Veme-
gerichte aus der Inquisition. 8°. 31 S.
Paderborn, Schöningh. M. 0,80.
Finkey Vemegerichte und Inquisition? (Histo-
risches Jahrbuch der Görres- (Gesellschaft.
XI, 8).
Opet, Geschlechtsvormundschaft in den frän-
kischen Volksrechten (Mittheilungen des
Instituts für österreichische Geschichts-
forschung, in. Ergänzungsband, H. 1).
Bdringnier, Die Rolande Deutschlands. Fest-
schrift zur Feier des 25jährigen Bestehens
des Vereins für die Geschichte Berlins am
28. Januar 1890. 8<>. 207 S. Berlin, Mittler.
Brnnner, üeber absichtslose Missethat im
altdeutschen Strafrecht (Sitsungsberichte der
königl. preuss. Akademie der Wissensch.
zu Berlin. XXXV.).
b) Religion.
a) Mythen. Sagen.
KanAhnann, Odinn am galgen (Faul u. Braune,
Beiträge XV. S. 195—207).
Jaekely Ertha Hludana (Zeitschrift für
deutsche Philologie. XXIII, 2-3.).
Cassel, Paulus oder Phol. Ein Sendschreiben
an Prof. Bugge in Christiania 8°. 43 S.
Guben und Berlin, Sallis.
Kanffmanny Der zweite Merseburger Zauber-
spruch (Paul u. Braune, Beiträge. XV,
S. 207-210.).
Golther, Deutscher und nordischer Götter-
glaube (Nord und Süd. Juni.).
Schwartzy Mjthologisch-volksthümliches aus
Frledrichsroda und Thüringen (Zeitschrift
für Ethnologie. XXII, p. [131] fif.
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124
Back:
Bauthe^ Die Sagen von Baden-Baden und
seiner Umgebung. Nach den 14 Fresken
der Trinkhalle zu Baden dem Yolksmund
nacherzählt. S^. 104 S. Karlsruhe, Biele-
feld. M 3.
Eictaler, Harzsagen. Die schönsten Sagen
und Märchen aus dem Harze. Der „Harz-
blumen« 2. (Titel-) Aufl. 8^ 104 S. Harz-
burg, Stolle.
Falda^ Die Ejffhäusersage. Bede, gehalten
im Jahre 1877 in der Hauptversammlung
des Harzvereins. Herausg. von Julius
Schmidt und F. Gnau. 8«. 50 S. Sanger-
hausen, Franke, o. J. M. 1,25.
Deecke^ Lubische Geschichten und Sagen.
3. verb. u. verm. Aufl. 8^ 334 S. Lübeck,
Dittmer.
Frahniy Norddeutsche Sagen von Schleswig-
Holstein bis zum Harz. Mit 34 Abbildungen.
8^ 303 S. Altona u. Leipzig, Reher. M. 4.
Frischbier 9 Ostpreussische Sagen (Alt-
preussische Monatsschrift. April-Mai).
Jahiiy Yolkssagen aus Pommern und Rügen
2. Aufl. S^, 566 S. Berlin, Mayer & Müller.
M. 6.
LachmaBU, (Jeberlinger Sagen (Alemannia.
xvin, 2).
Yonbun, Die Sagen Vorarlbergs. Nach
schriftlichen und mündlichen Ueberliefe-
rungen gesammnlt und erläutert. 2. ver-
mehrte Ausg. Nach der hinterlassenen
Handschrift des Verf. und anderen Quellen
erweitert und mit einem Lebensabrisse
Vonbuns versehen von Hermann Sander.
8«. 314 S. Innsbruck, Wagner. M. 5,60.
Blrlinger^ Die Sagen Vorarlbergs (Alemannia.
XVin, 2;.
Bolte^ Marienlegenden des 15. Jahrhunderts
(ebd. 1).
Wöber^ Die Skiren und die deutsche Helden-
sage. Eine genealogische Studie über den
Ursprung des Hauses Traun. 8^. 281 S.
Wien, Holder.
Heeger^ lieber die Trojauersagen der Franken
und Normannen. S^, 39 S. (Progr. der
Studienanstalt in Landau.)
ß) Gebräuche. Aberglauben.
Rogge^ Aberglaube, Volksglaube und Volks-
brauch der Gegenwart nach ihrer Ent-
stehung aus altgermanischem Heidentum.
Ein Beitrag zur Pflege des Volkstums. 8^.
. 33 S. Leipzig, FocL
Laochert, Studien zu Thomas Mumer. II.
Volkstümliche üeberlieferungen (Alemannia.
XVIII, 2;.
BIrlinger, Lachmann und Unseld^ Volks-
tümliches (ebd. 2).
— Besegnungen, Aberglauben (ebd. 3j.
— St. Magnusstab aus dem Schwarzwalde
(ebd.).
Weihnacbtsbranch und Aberglaube in der
Provinz Sachsen (Blätter für Handel, Ge-
werbe und sociales Leben. 1—2).
Niederlausitzer Sage, Brauch und Glaube
• (Mittheilungen der Niederlausitzer Gesell-
schaft für Anthropologie und Urgeschichte.
6. Heft, Lübben). S. 450— 524. 545-551.
von Wlitdocki, Volkstümliches zum „Armen
Heinrich** (Zeitschrift für deutsche Philo-
logie. XXIII, 2-3).
Wolzendorlf, Volksmedizin und Curpfuscherei
(Westermanns Illustr. deutsche Monatshefte.
April).
Uöfler, Volksmedizinisches (Beiträge zur
Anthropologie u. Urgeschichte Bayerns.
IX, 1-2).
Uarless, Ein Kecept aus dem 9.— 12. Jahr-
hundert (Alemannia. XVIII, 2).
Lexer, Teufel (Deutsches Wörterbuch von
J. u. W. Grimm, fortgesetzt von M. Heyne.
Bd. XI, Liefg. 2, sp. 265-294).
Eichlery Tempel-Anneke, die letzte Hexe von
Braunschweig. Ein Zeitbild früheren Irr-
glaubens. 12 ^ 30 S. Harzburg, Stolle.
c) Sprache«
a) Mundartliches.
Behaghely Geschichte der deutschen Sprache
(Grundriss der germanischen Philologie,
'herausg. von Paul. I, S. 526— ü33. Mit
Dialektkarte).
Kauffmann^ Geschichte der schwäbischen
Mundart im Mittelalter und in der Neuzeit.
Mit Textproben und einer Geschischte der
Schriftsprache in Schwaben. 8^. 355 S.
Strassburg, Trübner.
Brandätettery Prolegomena zu einer urkund-
lichen Geschichte der Luzemer Mundart
8°. 88 S. Einsiedeln, ßenziger.
Blattner, Ueber die Mundarten des Cantons
Aargau. Brugg. (Leipzig, Fock.) M. 2,50.
Uoffmann, Der mundartliche Vokalismus
von Baselstadt in seinen Grundzügen dar-
gestellt. 8^ Basel, Geering. M. 2.
Boppy Der Vokalismus des Schwäbischen in
der Mundart von Münsingen. Ein Beitrag
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Litteratur des Jahres 1890.
125
rar schwäbischen Grammatik. 8^ 81 S.
Strassbnrg', Trübner. M. 2.
Btltey Banemgespr&ch, schwäbisch (Ale-
mannia. XVIII, 1).
Idiotlkoiiy schweizerisches. Wörterbuch der
schweizerdentschen Sprache. Bearbeitet von
Fr. Staub, L. Tobler, R. Schoch und
H. Bruppacher. 17.— 19. Heft (Bd. II, 8
bis 10). 4°. sp. 1169-1488. Frauenfeld,
Haber. Fr. 2.
Birlingery Das schweizerische Idiotikon.
(Alemannia. XVni, 3).
BirÜBger, Zum deutschen Sprachschatz
(Alemannia. XVm, 1).
— Aelteres Küchen- und Kellerdeutsch (ebd. 3).
CreeelinSy Oberhessisches Wörterbuch. Auf
Grund der Vorarbeiten Wiegands, Diefen-
bachs und Heimbachs, sowie eigener Mate-
rialien bearbeitet 1. Liefg. 8^ Darm-
stadt, Küngelhöfer. M. 6.
Pfaff^ Zur Handschuhsheimer Mundart (Paul
ü. Braune, Beiträge zur Geschichte der
deutschen Sprache und liiteratur. XY,
S. 178—194).
Heckingr» Die Eifel in ihrer Mundart 12 ^
112 S. m. 1. Abb. Prüm, Plauen. M. 0,80.
liebely Die Entwickelung des westgerma-
nischen Lautbestandes in der Mundart von
Seifhennersdorf. 8^ 69 S. (Leipz. Diss.;
Paul u. Braune, Beiträge. XV, 8. 1—69).
LieMnbergV l^ie Stieger Mundart, ein Idiom
des Unterharzes, besonders hinsichtlich der
Lautlehre dargestellt, nebst einem etymo-
logischen Idiotikon. 8^ 225 S. Göttingen,
Yandenhoeck & Rupprecht M. 4^.
Dtmkdhlery Mundart der Urkunden des
Klosters Ilsenburg und der Stadt Halber-
stadt und die heutige Mundart (Germania.
XXXV, 2).
ingey Johann Aegidius E^löntrup. Nieder-
deutsch-Westphälisches Wörterbuch. Buch-
stabe A. Festschrift zur Jahresversammlung
des Vereins für niederdeutsche Sprach-
forschung in Osnabrück, Pfingsten 1890.
38 8.
(■••P9 Plattdeutsches aus Hinterpommem.
l. n. 2. Sammlung. (2 als wiss. Beilage
nun Progr. des Gymnasiums zu Rogasen.)
4*. 24 u. 26 S. Posen u. Rogasen (Leipzig,
Fock).
Piieiiy Zum mnd. Wortschatze (Korrespondenz-
blatt des Vereins für niederdeutsche Sprach-
forschung. XIV, 4).
WoggidlOy Imperativische Wortbildungen im
Niederdeutschen. 1. Teil. (Beigabe zum
Progr. des Gymnasiums zu Waren).
Wossidlo^ Negative Verbindung zweier Aus-
drücke im Mecklenburger Platt (Korrespon-
denzblatt des Vereins für niederdeutsche
Sprachforschung. XIV, 2).
W« H« M«9 Die niederdeutschen Pfianzen-
namen in Bassum in Hannover (ebd. XIV, 1).
ran Hellen , Altostfriesische Grammatik.
Herausg. im Auftrage der Friesch Genoot-
schap voor geschied-, oudheid-en taalkunde
te Leeuwarden. S^, 12 en 265 bl. Leeu-
warden, Mejer. Fl. 5.
ß) Namen.
Henning, Die Ortsnamen auf -as in den la-
teinischen Urkunden des Mittelalters (Zeit-
schrift für vergleich. Sprachforschung auf
dem Gebiet der indogerm. Sprachen. N. F.
XI, 2).
Schneller, Tirolische Namenforschung. Orts-
und Personennamen des Lagerthaies in Süd-
tirol. Mit einem Anhange und einer Karten-
skizze. 8^ 373 S. Innsbruck.
Prinzinger d. ä., Zur Namen- und Volkskunde
in den Alpen. Zugleich ein Beitrag zur
Geschichte Bayem-Oesterreichs. 8^*. 71 S.
mit 2 Taft München, Ackermann.
Brandstetter, Beitrage zur schweizerischen
Ortsnamenkunde II (Der Geschichtsfreuud.
Bd. 44)!
— Der Name Schlittwald (Anzeiger für
schweizerische Geschichte. Heft 5).
Manke, Die Familiennamen der Stadt Anklam.
3. Th. 4°. 16 S. (Progr. des Gymnasiums
zu Anklam).
y) Bedeutung.
Johannsony Gotische Etymologien (Paul u.
Braune, Beiträge. XV, S. 223-243)-
Sandvoss, Briezkeile und Annerboehlkenkinner
(Korrespondenzblatfc des Vereins für nieder-
deutsche Sprachforschung. XIV, 6).
Steinmejer, fein (Zeitschrift für deutsches
Alterthum. XXXIV, 4).
Sandvoss^ Geizknochen (Korrespondenzblatt
des Vereins für niederdeutsche Sprach-
forschung. XIV, 2).
StOBch^ Noch einmal mhd. gelouben (Zeit-
schrift für deutsches Alterthum. XXXIV, 1).
Kranse, Springer^ gizhacke (Korrespondenz -
blatt des Vereins für mederdeut«che Sprach-
forschung. XIV, 2. 3).
Bremer^ Martin, R5diger u. a., gräd, jr4t
(ebd. 2, 3, 5).
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126
Back:
Babncke^ Spreogrer, Hoppmann, kapehorn
(ebd. 1. 5).
PeterSy Kastem&nnken (ebd. 2. 5)
Krause 9 Liebart und Base, Tigerjagd, An-
tholapas, Panthera (ebd. 1).
Sehlflter, markelen (ebd. 5).
Sprenger, Praess (ebd. 2).
Koppmann, revekoken (ebd. 5).
Frisehbier, Schettem (ebd.).
Schlflter und Reiche, Schewenklot (ebd. 1-51.
Schlüter, Span (ebd. 5).
— Zu „Siebensinnig" (ebd. 3).
SandTOSS, Stiege (ebd. 8).
Ehrismann, ags. twegen, b6gen und einige
germanische Verwandtschaftsbegriffe (Ger-
mania. XXXV, 2).
Peters, Wehr (Korrespondenzblatt des Ver-
eins für niederdeutsche Sprachforschung.
XIV, 2).
Ton Heinemann, Seelmann, L9we, wanne
(ebd. 2. 3. 5).
d) Poesie.
«) Lieder.
Deutsche Volkslieder, in Niederhessen aus
dem Munde des Volkes gesammelt, mit
einfacher Klavierbegleitung, geschichtlichen
und vergleichenden Anmerkungen heraus-
gegeben von Johann Lewalter. Hamburg,
Fritzsche.
Hofer, Weihnachtslieder aus Niederösterreich.
8**. 58 8. (17. Jahresbericht des nieder-
österreichischen Landes-Lehrerseminars in
Wiener-Neustadt) Wiener-Neustadt.
Liebenan, Nachträge zu den historischen
Volksliedern und Sprüchen aus der Schweiz
(Anzeiger für Schweizerische Geschichte.
Heft 1).
Crecelias, Geschichtliche Lieder aus dem
17. Jahrhundert (Alemannia. XVIII, 1}.
Obser, Historische Lieder aus dem Österreich.
Erbfolgekrieg (Germania. XXXV, S. 181).
Frejbe, Deutsche Lieder aus Tirol (Allge-
meine konservative Monatsschrift. XLVII, 1).
Bolte, Ein Augsburger Liederbuch vom Jahre
1454 (Alemannia. XVIII, 2).
Katalog von Liederbüchern des 18. und 17.
Jahrhunderts auf der Königl. Bibliothek zu
Dresden. (Monatshefte für Musikgeschichte.
XXII, 2.)
Holte, Deutsche Volkslieder in Schweden
(Zeitschrift für vergl. Litteraturgeschichte
und Renaissancelitteratur. II, 4)
— Eine unbekannte Ausgabe des Frankfurter
Liederbüchleins (Zeitschrift für deutsches
Alterthum. XXXIV, 2—8).
Holte, Du bist min, ich bin din (ebd.).
— Die Sultanstochter imElostergarten (ebd. 1).
— Ein Totentanz des XVII. Jahrhunderts
(Alemannia. XVIII, 1).
— Ein weiterer Totentanztext (ebd. 2).
— Zu des Knaben Wunderhom (ebd. 1).
Distel, Ein Jahrmarktslied aus dem Jahre
1685 (Vierteljahrsschrift für Litteratur-
geschichte. ni, 8).
Leimbach, Zur Einführung in das deutsche
Volkslied. Bremen, Heinsius. M. 8.
DmlTel, Ueber eine rhythmische Eigentüm-
lichkeit in alten deutschen Volksliedern
(Musikalisches Wochenblatt. XXI, 9).
Marold, Ueber die poetische Verwertung der
Natur und ihrer Erscheinungen in den
Vagantenliedem und im deutschen Minne-
sang (Zeitschrift für deutsche Philologie.
XXIII, 1.)
Planmann, Die deutsche Lindenpoesie. 4^.
47 S. (Wiss. Beil. zum Progr. des Kgl.
Gymn. zu Danzig.)
Walter, Ueber den Ursprung des höfischen
Minnesanges und sein Verhältnis zur
Volksdichtung. 8^ 74 S. (Leipz. Diss.)
Mejrer, Volksgesang und Ritterdichtung (Zeit-
schrift für deutsches Alterthum. XXXIV, 2).
ß. Geschichten, Märchen, Rätsel,
Sprichwörter u. a.
Grimm's Kinder- und Hausmärchen. A Se-
lection of the Choicest Faiiy Tales of the
Brothers Grimm. Text, with Notes etc. by
W. J. Hickie. 8«. Williams & N. 2 sh.
Knntze, Zur Geschichte von dem kranken
Königssohne (Grenzboten. Heft 5— 6).
Hajrn, Die deutsche RUtselliteratur. Versuch
einer bibliographischen üebersicht bis zur
Neuzeit. Nebst einem Verzeichnisse deut-
scher Los-, Tranchier- und Komplimentier-
bücher Centralblatt für Bibliothekswesen.
Dezember).
Frischbier, Die Menschenwelt in Volksrätseln
aus den Provinzen Ost- und Westpreussen
(Zeitschrift für deutsche Philologie. XXIII,
2-3).
Treichel, Dialektische Rätsel, Reime und
Märchen aus dem Ermlande (Altpreussische
Monatsschrift. April-Juni).
Knoop, Plattdeutsche Sprüchwörter und
Redensarten aus Hinterpommem. (Jahr-
buch des Vereins für niederdeutsche
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liitt^ratur des Jahres 1890.
127
Sprachforschung. Jahrg. 1889. Norden u.
Leiprig 1890. S. 03—60).
Dirks^B, Ostfriesische Sprichwörter und
Redensarten (Korrespondenzblatt des Ver-
eins für niederdeutsche Sprachforschung.
XIV, 5).
— Meidericher Sprichwörter, sprichwörtliche
Redensarten und Sinnsprüche mit Anmer-
knngen. Meiderich, Selbstverlag. 8^. 32 S.
Janker und Pfaffen im Gewände des
Sprichworts und unter der Geissei des
Volkswitzes. Vom Verf. der „Allotria, un-
geflügelte Worte**. 4. neugeordnete u. reich
▼ermehrte Aufl. 8^. 61 S. Leipzig, Laudien.
Altdentsehe Reime und [Sprüche. Auswahl
▼OD Weisheit und Witz aus Christoph
Lehmann 's florilegium politicum, herausg.
Ton einem Liebhaber alter deutscher Sprache
und Weisheit. 2. vermehrte Aufl. 16^. 201 S.
Berlin, Duncker.
Sekdnbaek, Sprüche und Spruchartiges aus
Handschriften (Vierteljahrsschrift für Lite-
raturgeschichte. III, 2).
TOn Hdrmann, Haussprüche aus den Alpen.
201 S. Leipzig, Liebeskind.
Faleky Art und Unart in deutschen Bergen.
Volkshumor in Reimen und Inschriften. 8®.
110 S. Berlin, Meidinger. M. 2.
Birlinger, Alte gute Weisheit. Ein Spruch
von den Falsch- und Leichtraünzem (Ale-
mannia. XVin, 1).
— Weisheit aus der Heidelberger Küchen-
meisterei (ebd. 8).
Lanckerty Priameln bei Abraham a S. Clara
(ebd. 2).
dmikm. Schwanke und Schnurren aus Bauem-
mund. Mit 1 Titelbild. 8^ 140 S. Berlin,
Mayer u. Müller. M. 1.
KB«op9 Eine Thierfabel aus Hint^rpommem
(Korrespondenzblatt des Vereins für nieder-
deutsche Sprachforschung. XIV, 2).
Hanser^ Vorarlberger Volks- und Ortsnecke-
reien (Alemannia. XVIII, 2).
Birlinger, Ortsneckereien (ebd. 1).
y. Volksschauspiel, Musik, Tanz.
Die beiden alten Volkssehanspiele tou
Dr. Johann Fanst und Christoph Wagner,
Fausts Famulus. Herausg. von K. Engel.
(Deutsche Puppenkomödien. IX.) Olden-
burg, Schulze, 0. J. M. 1,60.
Doktor Johann Fanst. Volksschauspiel vom
Plagwitzer Sommertheater. Herausg. von
A Tille. (Deutsche Puppenkomödien X.)
Oldenburg, Schulze, o. J. M. 0,60.
Lier^ Studien zur Geschichte des Nürnberger
Fastnachtspieles. I. 8^ 74 S. (Leipz.
Diss.).
Holstein 9 Zur Topographie der Fastnachts-
spiele (Zeitschrift für deutsche Philologie.
XXIII, 1).
Renlingy Die komische Figur in den wich-
tigsten deutschen Dramen bis zum Ende
des 17. Jahrhunderts. 8°. 181 S. Stutt-
gart, Göschen. M 4.
Sittard^ Geschichte des Musik- und Concert-
wesens in Hamburg vom 14. Jahrhundert
bis auf die Gegenwart. 8^ 392 S. Altena,
Reher. M. 6.
Bolte^ Zur Geschichte des Tanzes: Samm-
lungen von Tanzmelodien des 16. — 17. Jahr-
hunderts, Bauern- und Handwerkertänze,
ausländische Tänze, ein Lied wider das
Tanzen (Alemannia. XVIII, 1).
Ammanny Nachträge zum Schwerttanz (Zeit-
schrift für deutsches Altertum. XXX LV, 3).
(Fortsetzung folgt)
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Zeitschrift dee Vereins Tür Volkskunde 1891.
Tafl.
O
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Verlag von A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden 13.
Bastian, A. Religione-plülosophische Probleme auf dem Forschungs-
gebiete buddhistischer Psychologie und der vergleicheuden Mythologie.
In 2 Abteilungen. X, 190 und 112 Seiten in einem Bande gr. 8.
1884. geh. Mk. 9 —
Behla, Bobert. Die vorgeschichtlichen Rundwälle im östlichen Deutsch-
land. Eine vergleichend-archäologische Studie. Mit einer prähistori-
schen Karte im Maassstabe von 1 : 1 050 000. X und 210 Seiten gr. 8.
1888. geh. Mk. 6,50
Joest, Wilhelm. Tätowiren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Ein
Beitrag zur vergleichenden Ethnologie. Mit 1 1 Tafeln in Farbendruck,
I Lichtdrucktafel und 30 Zinkätzungen nach Origiualzeichnungen von
0. FINSCH, CL. JOEST, J. KUBAEY und P. PREISSLER, nebst
Original-Mitteilungen von 0. FINSCH und J. KÜBAßT. X und
112 Seiten Folio. 1887. In Halbleinewandband. Mk. 40 —
Joest, Wilhelm. Spanische Stiergefechte. Eine kulturgeschichtliche Skizze.
113 Seiten. Mit 3 Lichtdrucktafeln gr. 8. 1889.^ geh. Mk. 3 —
Sehroeder, Leopold von. Die Hochzeitsgebräuche der Esten und einiger
anderer finnisch-ugrischer Völkerschäften in Vergleichung mit denen
der indogermanischen Völker. Ein Beitrag zur Kenntnis der finnisch-
ugrischen und der indogermanischen Völkerfamilie. YliL und
265 Seiten gr. 8. 1888. geh. Mk. 5 —
Yirchow, Rudolf. Das Gräberfeld von Koban im Lande der Osseten,
Kaukasus. Eine vergleichend archäologische Studie. 1 Band Text,
157 Seiten mit zahlreichen Holzschnitten, 4, geh. und ein Atlas von
II Lichtdrucken, fölio, in Mappe 1883. Mk. 48 —
Gratis und franko rersende Ant. Cat. 29:
Cnltu8> Sitten- und Rechts -Geschichte.
KSIn a« Bh. Paiil Neubner.
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!Deutische Curioisa.
Sammlung V. Schwänken, Satyren, Hochzeitsgedichten u.Liebesliodern. ^
\ l Kdln a. Bh.^ Passage 43. Frans Teabner. ] ^
In A. Stnber's Terlag:sbachhandliiii8: in ÜVürzbiirg: erschien soeheu:
I>ie ISpraehiseliöpfiiiig.
Versuch einer Embryologie der menschlichen Sprache,
von Theodor Curti, Redakteur.
Preis 1 Mk. 50 Pf.
Durch eine Verbindung von Kesultaton der Naturwissenscliaft und der Sprachm-scliichte sucht
der Verfasser die ADfömre der Sprache aufzuklären und die ersten Lauttrebilde (Ürwörter, Spraeh-
^Rnxzeln) organisch in Klassen zu ordnen. — Von dem reichen Inhalt der Schritt mögen einim^
KapitelÜberBcbrlften einen Begriff geben: «Die Irrtümer der SprachphilusüplitMi.' — ,Da.s Sprachoriran
des Urmenschen.'* — „Klassifikation der Ürwörter." — „Die Emptindunijswörti'r.'* — , Chronologie d»T
Ürwörter.*
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Verlag von A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden 13.
Zeitschrift für Ethnologie.
Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie
nnd Urgeschichte.
Redactions-Commission: A. Bastian, B. Hartmann, B. Yirchow, A. Yoss.
Mit zahlreichen Text-Illnstrationen und Tafeln.
Erscheint 6 Mal jährlich. — Preis des Jahrganges M, 24, —
Die bis jetzt erschienenen 22 Jahrgänge und die Supplemente sind theilweise zu
herabgesetzten Preisen zu haben.
Als Ergänzungsblätter zur „Zeitschrift für Ethnologie" erscheinen seit 1890:
lachlichten Ober deutsche Alterthumsfunile.
Mit Unterstützung des Königl. Preuss. Ministeriums der geistlichen, Unter-
richts- und Medicinal- Angelegenheiten herausgegeben von der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie^ Ethnologie nnd Urgeschichte,
unter Eedaction von
B. Virchow und A. Yoss.
Jährlich 6 Hefte. — Preis M. 5 —
Nachrichten über Kaiser -Wilhehns -Land
und
den Bismarck -Archipel
Ueransgegeben von der Nen- Guinea- Kompagnie zn Berlin.
Erster Jahrgang 1885 (4 Hefte) . M. 5,— Vierter Jahrgang 1888 (4 Hefte) . M. 5,95
Zweiter Jahrgang 1886 (4 Hefte) . M. 3,75 Fünfter Jahrgang 1889 (2 Hefte) . M. 4,50
Dritter Jahrgang 1887 (5 Hefte) . M. 7,05 ' Sechster Jahrgang 1890 (2 Hefte) M. 3,—
Beiheft zu 1889: K, Schumann u. M, Hollrnny^ Die Flora von Kaiser- Wilhelms-Land ÄL 4,50.
Diese Zeitschrift erscheint in zioanghsen Heften.
Das vierte Heft des Bandes XX der Zeitsebrift
für Tölkerpsyeliologie und SipraeliivisiseiuieliafV;,
welches ein Greneral- Register der sämtlichen 20 Bände ent-
halten soll, wird in Folge der hiermit verknüpften grossen Arbeit
etwas verspätet erscheinen.
A. Asher & Co. in BerliiL
Druck von Gebr. Unger io Berlin, S^llönobcr^^rstT. 17«.
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ZEI
des
Vereins für Volkskunde.
Nette Folge der Zeitschrift für Volkerpsjfcholoffie und Sprachtmsenschaft^
begründet von M. Lazarus und U. Stevtithal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
Karl Weinhold.
Erster Jahrgang.
1891. Heft 2.
.j BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
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Inhalt
Seite
Land und Leute der Saalegegenden. Von August Meitzen . . . 129
Die Eichenfrucht als menschliches Nahrungsmittel. Von Carl Bolle 138
Der Tod in Sitte, Brauch und Glauben der Südslaven. Vorwiegend
nach eigenen Ermittlungen. Von Friedrich S. Krauss. . . 148
Die Annalen des Bischofs Gisli Oddsson in Skälholt von 1637. Mit-
geteilt von Jon porkelsson * 164
Segen und Heilmittel aus einer Wolfsthumer Handschrift des XV.
Jahrhunderts. Mitgeteilt von Oswald von Zingerle .... 172
Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. Von H. Prahn . . 178
Volkssegen aus dem Böhmerwald. Von J. J. Ammann in Krummau 197
Kleine Mitteilungen:
Volksüberlieferungen aus Eisenerz in Obersteiermaa-k. S. 215. — Sitten nnd Gebräuche
bei Sterbefällen in Meiderich (ßeg.-Bez. DüsReldorf). S. 219. — Ein kleiner Nachtrag- zu
dem ersten Artikel der „Volkstümlichen Schlaglichter". S. 220.
Bücheranzeigen : ;
Fr. Staub, L. Tobler und R. Schoch, Schweizerisches Idiotikon. S. 221. —
Chr. Schneller, Tirolische Namenforschungen. S. 222. — Dr. Anton Schlossar, P
Deutsche Volksschauspiele. S. 225. — Krauss, Friedrich S., Orloviö, der Burggraf j
von Raab. S. 227. — Ullrich, H., Sagen der mittleren Werra. S. 227. — Philo vom
Walde, Die Dorfhexe. S. 229. — A. de Cock, Volksgeneeskunde in Vlanderen. S. 229.
Aus den Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. S. 230.
Bibliographie. S. 234.
Wir machen darauf aufmerksam, dass der Verein f&r Volkskimde
(Sitz in Berlin), dessen Organ diese Zeitschrift Ist, nichts gemein hat
mit der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde des Dr. E. Veckenstedt
in Halle a. S.
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblättern mit Rand gebeten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
K. Weinhold. Berlin W., Hohenzollernstr. 10, zu richten.
Bücher für Besprechung in der Zeitschrift wolle man an die Verlags-
buchhandlung A. Asher & Co., W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der Schriftführer Dr. ü. Jahn,
Berlin NW., Perlebergerstr. 32, entgegen.
Schatzmeister des Vereins ist Banquier Alexander Meyer Cohn,
Berlin W., Unter den Linden 11.
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Land und Leute der Saalegegenden^).
Von Aagnst Heitzen.
Meine Absicht ist, die besondere Stellung zu behandeln, welche Land und
Leute der Saalegegenden in dem Zusammenhange der deutschen Volks-
kunde einnehmen. Die Frage lässt sich näher dahin fassen, können wir
uns ein zutreflFendes Bild von dem Zustande der Saalegegenden zur Zeit
der ersten Bewohnung und von den Veränderungen, die sie durchlaufen
haben, machen; wissen wir, welche unserer Volksstämme in ihnen Sitze
nahmen^ und lassen sich noch in der Gegenwart Spuren ihrer volks-
tümlichen Eigenart erwarten?
Ziehen wir zunächst die Beschaffenheit und Lage des Landes in
Betracht.
Keine wissenschaftliche Errungenschaft hat unseren Anschauungen
über die Kulturentwickelung unserer deutschen Heimat so festen Halt
gegeben, als der Nachweis, dass Europa nördlich der Alpen vor noch nicht
allzu lange zurückliegender Zeit eine Polarwüste war. Berg und Thal,
Ebenen und Meeresboden hatten bereits alle Hauptformen ihrer heutigen
Gestalt gewonnen, als aus unbekannter, wahrscheinlich kosmischer Ursache
eine Verminderung der durchschnittlichen Temperatur von, wie man an-
nimmt, 3 — 4 Grad eintrat, und sich deshalb unaufhaltsam, wie es auch
heute geschehen würde, die Kiölen vom Polarkreis aus in eine ins Un-
geheuere anwachsende Schnee- und Eismasse hüllten. Von Schweden her
füllte ein unermesslicher Eisstrom die Ostseetiefe. Als er 1000 Puss über
die heutige Meeresfläche angewachsen war, floss er quer von Norden nach
Süden, staute noch am Riesengebirge und Harz in 1200 Puss Seehöhe an
und drang in gleicher Stärke in die Saaleebenen ein. Von Süden her,
von den Alpen und Pyrenäen, kamen dieser Eismasse weitverzweigte
Gletscherströme entgegen, welche von Höhen, wie dem Rigi, nur noch
geringe Spitzen frei Hessen.
Für unsere Präge folgt daraus, dass an der Saale, wie in ganz Deutsch-
land, Pauna und Plora total vernichtet, und der Mensch, wenn er sich
schon bis hierher verbreitet hatte, getötet oder vertrieben wurde.
1) Vortrag in der ersten Versammlung des Vereins für Volkskunde am 23. Januar 1891.
Zeitocbrlft d. Vereins L Volkskunde. 1891. 9 ^^ ^
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130 Meitzen:
Zunächst musste erst wieder bewohnbares Land entstehen. Dieser
Prozess war langsam. Mehrmals schwankte die Vereisung. Zuerst ver-
breiteten sich zwischen den wandernden Dünen im Staub und Sand des
Gletscherschuttes Steppenpflanzen und Steppenthiere. Dann kamen Gräser
und Waldbäume, weniger von Süden durch die engen Thäler der Alpen,
als von der breiten Grenze mit der russischen Ebene. Diese grüne Decke
erlangte durch die Sbmmerregen fast ununterbrochenen Zusammenschluss,
aber sie enthielt, ausser einigen Waldbeeren, keinerlei geniessbare Frucht.
So wurde das Land eine gleichförmige Einöde von Wald, Sumpf und Heide.
Jahrtausende können hier Finnen als Jäger umhergeschweift sein,
wie sie es noch heute in Sibirien und Lappland thun. Wir kennen kein
anderes Volk zwischen uns und dem Polareise. Vielleicht sind die Trolls,
die Zwerge und Heinzelmännchen der Kiffhäuser- und anderer Sagen noch
eine Erinnerung an sie.
Sicher wissen wir, dass in absehbarer Zeit die Kelten von Osten kamen
und das Donau- und Rheingebiet in Besitz nahmen, in welchen noch heute
jeder Fluss ohne Ausnahme einen keltischen Namen trägt.
Den Norden aber überliessen sie den Germanen, von deren Ver-
breitung zwischen Weichsel und Nordsee uns Tacitus die erste Völker-
tafel giebt.
Das Bild des Stammeslebens dieser Hirtenvölker besitzen wir deut-
lich in dem gemeinsamen Sprachschatze der Indogermanen, der sie schon
vor ihrem Aufbruche aus der fernen Heimat schildert. Sie lebten nicht
als Wilde, sondern in geordneten Ehen und als Geschlechtsverbände unter
Häuptlingen, reges, Richtern und Vornehmen, ausgerüstet mit allen unseren
Hausthieren, mit der Kenntniss des einfachen Haushaltes und des Acker-
baues, den auch die Steppennomaden nicht entbehren können, und weideton
ihr zahlreiches Vieh in grossen Lagergenossenschaften. Diese weide-
wirtschaftlichen Genossenschaften finden wir bei allen Deutschen als
Hundertschaften von ungefähr 120 Familien wieder, mit den unentbehr-
lichen Heerden von mindestens 3000 Stück Grossvieh.
Denkt man sich ein solches Wandervolk aus der russischen Ebene
im vorschreitenden Weidegange allmählich heranziehend durch das Thor
zwischen den Karpathen und den unergründlichen Pripetsümpfen, wo
konnten sie Veranlassung haben, Halt zu machen?
Alle Umstände lehren leicht, dass dazu die Saalegegenden am
meisten einladen mussten. Wenn die Hirten dem Fusse der Karpathen und
Sudeten folgten, fanden sie keinen schöneren und fruchtbareren Boden
als den Ostharz und die Magdeburger Börde. Aber noch ein anderer Vor-
zug musste sie hier festhalten, das Salz.
Alle Weidegegenden Turkestans und Ostrusslands haben Überfluss an
Salz. Zogen sie weiter, so mussten sie es entbehren. Ob bei Wielitzka
und an der Sula schon damals Solquellen bemerkbar waren, ist unsicher.
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Land und Leute der Saalegegenden. 131
Jedenfalls war der weitere Weg durch Schlesien und die Lausitzen wieder
ohne Salz. Dann aber kamen sie an die Saale, nach Halle, an den salzigen
See, an die Selke, deren Namen schon zeigen, dass ihre feine Zunge den
Salzgehalt empfand.
Diese Stätte bot aber auch noch mehr. Nach allen Seiten öffneten
sich reiche und fruchtbare Thäler, nach der Pleisse und oberen Saale,
nach der ünstrut, der Helme, nach der Wipper, Selke, Bode, Unterelbe,
Xathe, Untersaale, Oberelbe und Mulde. Wie von Natur, war den Hirten-
Stämmen hier die Vertheilung in die einzelnen Weidereviere geboten, in
denen sie sich nicht störten und reiches Genüge fanden.
Die Scheidung der Stämme mochte Verwandschaft bestimmen; die
stets von der gleichen Zahl gedachten und bezeichneten Hundertschaften
konnten sich nicht nach Geschlecht oder Familie richten, sondern waren
durch den Bedarf an Hirten- und Arbeitskräften bedingt. Man kann an-
nähernd berechnen, wie viel Nahrung ein Hirtenlager von 1000 Seelen
bedarf, wie viel Stück Vieh dieselbe gewähren und wie viel Futter nötig
ist, um dieses Vieh zu ernähren. Dabei bleibt es sich für den Ertrag und
für den Futterbedarf gleich, welcher Viehgattung die Heerden angehören.
Rindvieh, Pferde, Schafe, Schweine, Ziegen lassen sich auf Grossvieh
reduzieren. Danach lässt sich sagen, dass 1000 Seelen etwa 6 Quadrat-
meilen bedurften, so lange das Land ganz roh war. Auf 600 Quadratmeilen
zwischen Thüringer Wald, Erzgebirge, Havel und Unterharz konnten also
100 000 Menschen leben. Nachdem sie aber Wälder niedergebrannt,
geraume Weiden geschaffen und etwas Ackerbau eingerichtet hatten,
konnten sie bis auf das Doppelte, im äussersten Fall vielleicht bis zu
300000 Seelen anwachsen. Unsere heutige Bevölkerung vermag sich in
100 Jahren zu verdreifachen. Damals wird die Sterblichkeit der Kinder
und Alten grösser gewesen sein. Aber einmal musste sich der Raum
fällen und die Auswanderung beginnen.
Dafür haben wir auch sprechende Zeugnisse, Zeugnisse, welche deut-
lich beweisen, wie bestimmt und wie lange die Saalegegenden der Ursprung
und das Herz des alten Deutschlands geblieben sind.
Tacitus erzählt uns, dass hier die Semnonen wohnten, die sich für
das älteste und edelste Volk der Sueven erklärten, was durch heilige
Gebräuche beglaubigt werde. Alle Völker von gleichem Blute schickten
Gesandtschaften hierher zu Menschenopfern in einem heiligen Haine, deren
Feierlichkeit dahin deute, dass hier die Wiege des Volkes, hier der
Herrscher des Weltalls, Gott, alles Andere unterwürfig und gehorsam sei.
Aber diese Wiege des Volkes wird auch durch die Landschafts-
namen bestätigt, deren sicheres, dauerndes Festhalten eine besondere,
durch das Bedürfnis der Orientierung geforderte Eigentümlichkeit des
Nomadenlebens ist.
Am Ostharz im Mansf eidischen liegt die etwa 18 Quadratmeilen
9*
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132 Meitzen:
grosse Landschaft Prisonofeld. Die Prisen aber müssen nach ihrer Stel-
lung an der Nordseeköste als der deutsche Stamm angesehen werden, der
am frühesten und weitesten seine überschiessende Jugend fortsendete.
Am Nordharz findet sich der Amrigau, und den Prisen benachbart an der
Hunte das Ammerland. An der Heinleite und Schmücke zieht sich Engili
hin, an der Trave und Eider aber wohnten die Angeln. Zwischen Saale
und Pleisse lag Warenofeld, die Warnen aber erscheinen an der Wamow
in Mecklenburg imd im Wamegau am Main. An der üntersaale breitete
sich der Hassagau aus, von dem weniger sicher, aber wahrscheinlich ist,
dass sein Name mit den Chatten zusammenhängt. Auch andere Stamra-
namen weisen nach ihrem entgegengesetzten Auftreten auf den Ausgang
vom Senmonenlande. So sind die Juthungen, welche ausdrücklich als
suevische Ziuvaren bezeichnet werden, in Jütland und in Schwaben bezeugt,
die Sedusi in Schleswig und bei Ariovist, die Haruden ebenso bei Ariovist
und in Norwegen. Auch mehrere solcher Wanderungen lassen sich
bestimmt datiren. Schon vor 320 v. Chr., vor Pytheas Zeit, liegt die An-
kunft der meisten Ingvaeonischen Stämme an die Nordseeküste. Livius
erwähnt zum Jahre 218 halbgermanische Stämme in den Penninischen
Alpen, welche Hannibal Hilfe leisteten, möglicherweise die Hermunduli
des Cincius. 180 ziehen die Bastamen nach Ungarn, um 150 die Eburonen
und ihre Nachbarn an die Maas, 113 Cimbem und Teutonen, die nicht
an der Nordsee, sondern in Böhmen und Süddeutschland erscheinen, nach
der Donau und Rhone. Etwa gleichzeitig sind die Bataven zu setzen.
70 kennen wir die verschiedenen Suevenstämme Ariovists, 37 Ubier und
im Osten Quaden, 8 v. Chr. Sigambem, Hermunduren und Alemannen.
Daraus ergeben sich nahezu 30jährige Pristen für das Eintreten solcher
Auszüge aus dem Innern Deutschlands. Sie sind durch die Kleinheit des
Gebietes und das den Römern wohlbekannte starke Anwachsen der
Bevölkerung völlig erklärt. Aber ihre Wiederholung begründet zugleich
die Überzeugung, dass diese Quelle nicht versiegte, dass die Mutterstämme
dieser fortwandemden Volksmassen vielmehr in der alten Heimat dauernd
und so lange sitzen blieben, als nicht unwiderstehliche Ereignisse sie
zwanget!, dieselbe völlig preiszugeben. Es wird also die weitere Präge
zu untersuchen sein, ob sich an der Saale solche eingreifende Verände-
rungen feststellen lassen, und welche Polgen sie für die dortige Bevölke-
rung gehabt haben.
In der uralten Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung der links-
seitigen Saalegegenden lässt sich kein erheblicher Wechsel vermuten,
welcher für deren Stammescharakter und volkstümliche Sitte und An-
schauung von wesentlichem Einflüsse geworden sein könnte. Ein tiefer
und bleibender Eingriff aber geschah durch die Pestsetzung der Slaven
längs des rechten Saaleufers und im fränkischen Quellgebiet der Saale.
Caesar berichtet uns von einer 120 Meilen langen Ostgrenze der
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Land und Leute der Saalegegenden. 133
Sueven, welche zu verteidigen und öde zu erhalten ihr Stolz sei. Diese
Grenze ist uns nicht unbekannt. Sie zog von der Beckenitzmündung
durch Sümpfe zur Oder, dann durch die Heiden der Neisse und des Bobers
zum Riesengebirge und führte längs der Urwälder der Sudeten bis zum
Jablunkapass. Diese Grenze hat nie ein ostgermanisches Volk über-
schritten. Die Gothen, Burgunden, Vandalen, Rügen zogen, als sie ihre
Lander räumten, nach Ungarn hin und machten den Slaven Platz, welche
Tacitus in Russland und Galizien kennt. Der erste, der die Suevengrenze
durchbrach, war Attila, dessen Hunnenschwärme, soweit man erkennen
kann, auch durch Schlesien und Thüringen gegangen sind, und den Slaven
den Westen geöflhet haben.
Das erste Erscheinen der Slaven nahe der Saale scheint mit dem
Falle des Thüringischen Reiches 531 zusammenzuhängen. Die Sachsen er-
hielten damals das Land nördlich der Unstrut, konnten es aber nicht
völlig besetzen und nahmen deshalb Ansiedler auf. Es findet sich hier,
wahrscheinlich aus dieser Veranlassung, nördlich der Unstrut an der Helme
die Landschaft Winidon, d. h. Wenden, deren Dörfer fast ausschliesslich
in slavischer Form angelegt sind. Mindestens 568 aber müssen die Slaven
an der Saale übermächtig geworden sein, denn als Sigebert I von Äustrasien
565 in der Nähe der Saale von den Awaren geschlagen und nur durch
Verträge seines Schwagers Alboin geschützt worden war, nahm er 568 die
Nordschwaben von der rechten Eibseite auf die linke an die Selke herüber.
Seitdem gab der stete Kampf zwischen Sachsen und Pranken die
Länder östlich der Elbe und Saale den Slaven Preis. Seit Samo be-
ginnen deren Einfälle auch westlich der Saale. 628 versprachen die
Sachsen Dagobert I. das Land gegen die Wenden zu verteidigen, wenn er
ihnen den fränkischen Tribut erlasse. Nur mit der grössten Anstrengung
vermochte der 630 zum Herzog eingesetzte Radulf Thüringen gegen
die wiederholten, bis tief nach Deutschland eindringenden Raubzüge zu
verteidigen. Durch zwei Jahrhunderte bis auf Karl den Grossen dauern
diese Kämpfe um die Saalegrenze fort. Die Ebene zwischen Saale und
Elbe wurde dicht mit slavischen Ansiedelungen besetzt. Wahrscheinlich
wirkte auch dabei die Wichtigkeit des Salzes von Halle. Karl der Grosse
besiegte die Wenden zwar mehrmals und erhielt ihre Huldigung, aber er
benutzte auch ihre Unterstützung in den Sachsenkriegen, liess zu, dasa
sie sich in der Altmark und im Wendlande weiter ausbreiteten, trat ihnen
sogar Polabien ab und entschloss sich endlich, 805 den sogenannten Limes
sorabicus zu ziehen.
Dies war die Pestsetzung einer Grenzlinie, welche von Lorch an der
Donau über Regensburg, Bremberg, Porchheim, Erfurt nach Magdeburg,
Chesla und Bardowiek gelegt war, und an der Delvenau, oberen Trave
and Schwentine nach der Kieler Förde weiter führte. Sie grenzte das
deutsche Reich gegen die Slaven so ab, dass nur in den benannten Städten
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134 Meitzen:
Verkehr und Handel getrieben werden durfte, die Kaufleute aber weder
hinüber noch herüber gehen sollten, und die Ausfuhr der Waffen ganz
verboten war. Diese Grenze beschränkte Deutschland auf seinen geringsten
Umfang und erkannte den Besitz der Slaven rechts der Saale und im
fränkischen Saalegebiete oberhalb Saalfeld an.
Auf diesem gesamten Gebiete vertilgten die Slaven völlig alle bis-
herige Kultur der Deutschen. Die alten volkstümlichen deutschen Dörfer
charakterisieren sich durch eine sehr unregelmässige, haufenartig in ein-
ander gedrängte Lage der Gehöfte ohne irgend ersichtlichen Plan und
durch eine Einteilung der Felder in zahlreiche nach der Bodenverschieden-
heit abgegrenzte Abschnitte, in deren jedem jeder Bauerhof seinen gleichen
ungefähr einen Morgen grossen Antheil erhielt. Die Slaven dagegen legton
ihre Gehöfte entweder fächerförmig um einen nur an einer Stelle zu-
gänglichen runden Platz, oder in gleichmässiger Strasse nebeneinander,
längs eines ziemlich breiten Angers an. Ihre Äcker aber bestellten sie
in einer oder mehreren kommunistischen Genossenschaften mit einem
leichten Haken kreuz und quer. Daher konnten sie die auf den Pflug
berechneten Ackerstreifen der Deutschen nicht benutzen. Sie bildeten
auch nach einem Fragment aus der Karolinger-Zeit zahlreiche civitatos
von 3 bis 4 Quadrat-Meilen Umfang. In jeder derselben bestand ein fester
Platz, den ein Häuptling inne hatte, und der allen zur Zuflucht dienen
sollte, obwohl auch ihre Dörfer zur Verteidigung eingerichtet waren. Die
ganze Gegend musste also ein verändertes Ansehen annehmen.
Sicher sehr gegen seinen Wunsch sah sich Karl der Grosse noch
in demselben Jahre 805 genötigt, statt des beabsichtigten Friedenszustandes
mit drei Heeren in Böhmen einzufallen. Dabei wurden in den Saale-
gegenden Oberfrankens die Redanzslaven, welche bis an die Itz und
Rezat Sassen, unterworfen und an deutsche Ritter vergeben. Die Saale-
slaven griff er nicht an, sondern gründete gegen sie die thüringische Mark,
von der aus die duces limitis sorabici, Thakulf seit 849 und Radulf seit
875, mehr und mehr im Saalfeldischen Fortschritte machten. Entscheidend
aber wurde erst die Einsetzung des Herzogs von Sachsen Otto's des Er-
lauchten 908 in die thüringische Mark, in der sich auch Heinrich I. gegen
König Konrad 1. von Franken behauptete. Er wie sein Vater erfassten
im vollen Masse die Aufgabe, die Saale an der Elbe und dem Erzgebirge
zu verteidigen, und dt^shalb den gesamten Abschnitt Obersachsens zu er-
obern. Diese Eroberung wurde durchgeführt, obwohl die Ungarn jeder
Unternehmung schwere Hindernisse bereiteten. Als sie 924 Magdeburg
zerstört hatten, schloss er mit ihnen einen 9jährigen Waffenstillstand und
befestigte Meissen und eine grosse Anzahl der bis dahin offenen Orte an
der Saale. Diese Schutzwehren bewährten sich 933 völlig. Otto I. setzte
940 über das Gebiet zwischen Halle und Elbe und über das gewonnene
Vorland der Elbe in der Lausitz Gero als Markgraf ein, 955 aber gelobte
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Land and Leute der Saalegegenden. 135
er auf dem Lechfelde die Gründung von Bistümern und erlangte 962 vom
Pabste Zustimmung zur Stiftung eines Erzbistums Magdeburg, welchem
die Bistümer Meissen, Merseburg und das später nach Naumburg verlegte
Zeitz unterstellt wurden.
Dieses sächsische Land war über den Frankenwald, das Fichtel-
gebirge und das Erzgebirge schwer zugänglich und kaum angreifbar. An der
Elbe um Meissen aber tobten alle die Kämpfe mit Polen und Böhmen,
welche erst durch die Überlassung der Oberlausitz an Böhmen zur Ruhe
kamen. Im Innern des Landes hören wir zwar von dem Widerstände der
Slaven gegen die Kirche; die politische Herrschaft der Deutschen aber
blieb unangefochten, und das Land schritt ersichtlich in der Germani-
sierung fort.
Die Art aber, wie diese Germanisierung stattfand, hat bemerkens-
werte Eigentümlichkeiten. Es scheint als sei schon bei der Eroberung
der Kampf im wesentlichen nur gegen den wendischen Adel geführt
worden. Dass ein solcher vorhanden war, erkennen wir aus den urkund-
lichen Angaben über wenige Familien, die sich erhielten. Aber bis auf
diese sehr geringe Zahl ist er verschwunden. An seine Stelle ist die
zahlreiche deutsche Ritterschaft getreten, welche überall durch ihre Namen
deutlich bekundet wird. Es sind auch die Städte fast durchweg durch
deutsche Kaufleute, Handwerker und Bergleute bewohnt.
Unter den Bauernschaften aber erweist sich ein Unterschied, der
fast ganz mit der Scheidung des Gebirgslandes von den Ebenen zusammen-
fallt. Das gesamte, mehr als die Hälfte Obersachsens einnehmende Berg-
land ist in geschlossenem Zusammenhange völlig deutsch besiedelt. Es
lässt sich nachweisen, dass diese Ansiedelung schon im 9. Jahrhundert
begonnen imd sich fortdauernd weiter ausgedehnt hat. Sie ist nicht bloss
durch die deutsche Bevölkerung und die deutschen Namen erkennbar,
sondern auch durch die Anlagen selbst. Es sind sämtlich Waldrodungen,
in welchen Hufe neben Hufe als geschlossene Güter aneinander gereiht
wurden. Jedes dieser Hufengüter nimmt einen einzigen grossen Streifen
von etwa 30 ha Fläche vom Thale ausgehend bis zur äussersten Flur-
grenze auf den Wasserscheiden der Bergrücken ein. Die Generalstabskarte
lässt sie deutlich erkennen.
Dagegen ist in den Ebenen, welche in der Slavenzeit ausschliesslich
bewohnt waren, die slavische Bevölkerung offenbar in einer Weise
geschont und erhalten worden, wie es wohl kaum in einem der anderen
kolonisierten Slavenländer geschehen ist.
Es ergiebt sich dies schon daraus, dass erst 11J98 der Fürst von Anhalt
und der Probst von Nienburg gemeinsam die wendische Sprache in den
Gerichten aufhoben, und Leipzig sie erst 1327 als Gerichtssprache ab-
schaffte, dass sie aber in den Ortschaften und Familien noch lange ge-
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136 Meitsen:
sprochen wurde und in der Ober- und Niederlausitz noch heut in grosser
Ausbreitung Umgangs- und Predigtsprache ist.
Besonders bedeutsam aber sind die persönlichen Rechtsverhältnisse
der ländlichen Bevölkerung.
Allerdings haben die deutschen Grundherrn tief in die Dorfverfassung
eingegriffen. Sie haben oft zwei der kleinen Dörfer zu einem zusammen-
gezogen, und die Ackerflur zu deutscher Pflugarbeit in Gewanne ein-
gerichtet, auch jedem Bauer eine oder mehrere Hufen von gleicher Grösse
und gleichen Lasten zugewiesen. Aber die persönliche Stellung der Insassen
ist durchaus slavisch.
Zwei Urkunden von 1122 und 1181 lehren, dass auch in dieser späten
Zeit die bäuerliche Bevölkerung, sowohl im Meissenschen als in Saalfeld
nach fünf Abstufungen ihres Rechtes in Supane, Vicazen, Smurden, Lazzen
oder Censuales und Heyen oder Proprii unterschieden wurde, d. h. in Vor-
steher oder Ältesten, als Reiter Dienende, zu täglichen Ackerdiensten Ver-
pflichtete, gegen Zins sitzende Lassiten und Leibeigene.
Von denselben sind nun Supane oder Starosten, die uns von den
Südslaven in Kroatien und Montenegro sehr wohl bekannten Vorsteher
der kommunistisch lebenden Hausgenossenschaften und die höheren über
mehreren Hauskommunionen als Dorfälteste und Richter stehenden Leiter,
ebenso auch wieder die ihrem Ansehen nach über der civitas mit allen zu ihr
gehörigen Dörfern stehenden Anführer und Richter.
Das Amt Meissen umfasste im 14. Jahrhundert 210 Dörfer und zerfiel
in 15 Supaneien oder Gerichtsbezirke. In denselben hatten die Supane
das slavische Gerichtskom Zips einzuziehen und abzuliefern. 1334 sind
in einem Meissener Dörferverzeichnis die grössere Anzahl der Dörfer als
unter Supanen stehend bezeichnet. Dieselben waren Vorsteher und Land-
dingschöffen, welche dreimal im Jahre zum Gericht kommen mussten, wie
1276 und 1428 übereinstimmend bekundet wird. Noch 1553 hatten sie
ihre Güter nicht zu Lehn, sondern zu Erbeigen,- ein volkstümliches sla-
visches Rechtsverhältnis, welches als Dzedzine, vom Grossvater her, be-
zeichnet wird, und aus verschiedenen Urkunden Schlesiens und Böhmens
bekannt ist.
Vicaz (vitjaz) bedeutet slavisch Krieger und wird auch in deutschen
Urkunden mit slavonici milites, auch als Knechte, d. h. Knappen, übersetzt.
Sie sind Lehnbauern, aber ebenfalls Ortsvorsteher, wie die Supane. Die
Dörfer, welche nach dem gedachten Verzeichnisse von 1334 nicht unter
Supanen stehen, stehen unter Vicazen und zwar, wie gesagt wird, sub
rusticis, qui dicuntur Vitsezen. Ihr Reiterdienst und die Bezeichnung
milites, Knechte, erweckt die Vermutung, dass sie die Reste des alten
Wendenadels sind, der zwar durch die deutsche Besitznahme in bäuerliche
Hörigkeit herabgedrückt, im übrigen aber in dem Besitze seiner in alter
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Land and Lente der Saalegegenden. 137
Zeit überall kleinen eigenen Wirtschaften und der Vorsteherschaft über
seine früheren Dorfinsassen belassen worden ist,
Smurden von smrd, Gestank, Kot, ist eine in allen Slavenländem
übliche Bezeichnung für die eigentlichen Bauern. Sie werden in Sachsen
1040 als aldiones smurdi, also als im Besitz belassene Bauern bezeichnet.
Smordthufen sind häufig erwähnt, noch 1576 sagt eine Urkunde: Smordt-
hüfea, worauf die Pauren wohnen. Die obengedachte Urkunde von 1181
schreibt vor, dass die Smurden nicht mehr zu Gericht kommen sollen,
sondern wenn sie nicht gerufen werden, besser zu Hause bleiben.
Die Lazzen stimmen anscheinend mit den bis zur neuesten Zeit in
der Lausitz weit verbreiteten Lassiten überein. Diese sind gutshörige Bauern,
die ihre bäuerlichen oder kleinere Stellen gegen Zins, aber nicht erblich
haben, so dass sie ihnen auch entzogen werden können.
Die Heyen sind Leibeigene. Der Ausdruck scheint aus Westfalen
übertragen. Es wird von Slavisten in Abrede gestellt, dass die Slaven
ursprünglich Leibeigenschaft gekannt hätten und angegeben, dass sich
wenigstens jeder in Knechtschaft Verfallene in gewisser Zeit habe frei-
kaufen können. Änderungen gegen dieses Rocht könnten zwar durch die
stattgehabte deutsche Eroberung erklärlich scheinen. Indess verdient
Beachtung, dass die allerdings gefälschten und erst dem 11. Jahrhundert
angehörigen angeblichen Urkunden Ottos I. von 965 und Johanns XIII. von
968 von der Zehntpflicht einer rätselhaften Einnahme sprechen, quod Teu-
tonici dicunt ouarcapunga et talunga familiarum, worin bei der ausdrück-
lichen Bedeutung von familia ein solcher Loskauf liegen könnte.
Wie dem aber auch sei, diese Klassifizierung der Bauernschaften in den
Ebenen zeigt, dass deutsche Anschauungen hier gar keinen Platz gegriffen
haben, sondern dass sich die volkstümlichen Gedanken der Hauskom-
munionen in überraschender Weise in den persönlichen Verhältnissen der
Landbevölkerung erhalten haben, obwohl die Beziehungen zu ihren Gütern
nach der deutschen Hufenverfassung umgestaltet wurden.
Diese Erinnerung ist um so bedeutsamer, als sie in ältere und ur-
sprünglichere Verhältnisse zurückgeht, als irgend eine andere bekannte.
Es ist möglich, dass die festen Ansiedelungen in Böhmen früher bestanden,
als an der Saale. Nach Kroatien und Montenegro aber, wo der Urtypus
der slavischen Hauskommunion hergenommen wird, wurden die Slaven
erst 630 vom oströmischen Kaiser Heraclius berufen und setzten sich um
650 auf altes römisches Kulturland fest, welches auch, nach der Ver-
schiedenartigkeit ihrer dortigen Anlagen zu schliessen, nicht ganz ohne
Einfluss auf dieselben geblieben ist. —
Blicken wir auf das Ergebnis unserer Betrachtungen zurück, so ist
wohl überzeugend, dass wir uns in den Saalegegenden an einem für die
deutsche Landeskunde überaus bedeutsamen Punkte befinden. Es ist hier
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138 BoUe:
die erste Stätte und der Ausgangspunkt der Westgermanen und zugleich
für die Slaven das älteste bekannte Hervortreten ihrer volkstümlichen Sitten.
Beide Nationalitäten stehen sich also an der Saale auf engem Kaum
von früher Zeit gegenüber und sind beide hier noch bis zur Gegenwart
in ihren Nachkommen lebendig erhalten. Den Zwischenraum, der das
Altertum von unserer heutigen Beobachtung trennt, sieht die Volkskunde
nicht als eine völlig dunkle Kluft an. Wenn wir von den zerfallenen
Dächern der Burgen an der Saale Strand singen, ist uns froh bewusst, dass
die Zeit ihrer Blüte wie ein aufgeschlagenes Buch vor uns liegt, wenn
wir darin nur lesen wollen. Und wenn der Pfad weiter zurück auch un-
sicherer wird, er lockt uns immer höher hinauf. Gewisse Züge des Volks-
charakters, der Sitte und der Lebensanschauung sind ebenso bleibend, wie
die der Sprache und der Körpergestalt.
Von diesen Spuren uns nichts entgehen zu lassen, ist unser Wunsch
und unser Zweck. Wenden wir deshalb alle, darum bitten wir hier, unser
Auge den Einzelheiten der thatsächlichen Erscheinungen zu, in denen der
aufmerksame, liebevolle Beobachter glückliche Funde machen kann. Als
Verein aber wollen wir ernstlich bemüht sein, für dieses mannichfaltige
Sonderstreben lokaler Forschung das Verständnis des inneren Zusammen-
hanges aufrecht zu erhalten.
Die Eichenfnicht als menschliclies Nahrungsmittel.
Von Dr. Carl Bolle.
Bei der grossen Neigung zum Paradoxen, welche unter den Gelehrten
vorwaltet, erscheint als bemerkenswert, dass es in der Gegenwart unter
ihnen nur einen gegeben hat, der die Angaben über das Eichelessen
der Urvölker für fabelhaft zu erklären wagte. Gegenüber den so
zahlreichen Zeugnissen, allein schon des Altertums, war dies ein etwas
starkes Stück. Wer indes den Vorzug hatte, den vortrefflichen Botaniker
und Dendrologen K. Koch, von dem obige Meinungsäusserung ausgegangen
war, näher zu kennen und sich mit seinem Gedankengange vertraut zu
machen, den wird das Gebahren desselben auch in diesem Falle nicht be-
sonders wunder nehmen.
Hat Professor Koch nicht etwa unter anderem unserem Erdteil die
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Die £ichenfracht als menschliches Nahrungsmittel. 139
Heimatsberechtigung wilder Obstbäume vollkommen abgesprochen, ja selbst,
der Evidenz zum Trotz, unserem Deutschland nicht einmal das doch durch
den Augenschein leicht erwiesene Indigenat der Johannis- und Stachel-
beere zugestehen wollen? Hat er ja doch die Heimat der ganz West-
europa mit ihrem glänzenden Immergrün erfüllenden Stechpalme auf den
Kaukasus zu beschränken versucht und dieselbe für Westfalen mit den
Worten geleugnet: Hex ist keine Sumpfpflanze; Varus aber bekanntlich
mit seinen Legionen im Morast des Teutoburger Waldes stecken geblieben;
folglich kann Hex dort nicht als wildwachsend gedacht werden.
Diese Beispiele Hessen sich durch noch drastischere erweitem. Es
ging eben Koch mit obengenannten Gewächsen ähnlich wie Herrn V. Hehn
mit Myrte, Lorbeer und Oleander, ureigenen Erzeugnissen der Mittel-
raeerflora, die dieser dennoch und zwar für das öffentliche Urteil nicht
ganz erfolglos, aus ihren Stammsitzen zu verweisen angestrebt hat.
Was dem sonst so verdienstvollen K. Koch zur Entschuldigung dienen
mag, ist allein, dass der Horizont des sogenannten nördlichen Orients,
seines Reisegebiets, aucli seinen geistigen Gesichtskreis dergestalt begrenzte,
dass vieles darüber Hinausgehende ihm fremd und unsympathisch geblieben
war. Da nun der Kaukasus, die Krim, das pontische Gebirge und Ar-
menien, in welchen Ländern er sich ausschliesslich bewegt hatte, weder
essbare, noch gegessene Eicheln darboten, so verfiel er in den Irrtum, es
seien solche nirgends und niemals vom Menschen zur Speise benutzt
worden.
Dem, der annehmen wollte, Kastanien, Wall- und Haselnüsse seien
allein jene primitive Kost gewesen, diene zur Erwiederung, dass, abgesehen
vom Geschmack, schon die äussere Form dieser Früchte hinreicht, sie von
den Eicheln scharf zu sondern. Nicht des Botanikers bedarf es hierzu.
Die Auffassung durch die Sinne des einfachsten Naturmenschen, des Kindes,
des Wilden, genügt um jedweder verwirrenden Verwechslung vorzubeugen.
Schon die zur Benennung , dienenden grundverschiedenen und sich nur
selten miteinander mengenden Vokabeln sprechen hierfür.
Noch überzeugender aber reden Thatsachen. In den verschiedensten
Ländern, wo die Eiche in der ausserordentlichen Mannigfaltigkeit ihrer
specifischen Erscheinung als Waldbaum auftritt, liefern zwar lange nicht
alle, dennoch aber nicht wenige Arten derselben essbare Frucht. Des
allzustarken Tanningehaltes der häufigeren, herberen Sorten entbehrend,
empfehlen sich ihre Eicheln dem Genuss durch Süsse und Mehlgehalt. Man
verspeist sie entweder roh oder häufiger noch geröstet; oft auch mengt man
sie gemahlen dem Brote bei. Dergestalt spielen Eicheln, sei es als Zukost,
sei es zeitweilig als Hauptnahrung, wie in ferner Vorzeit, so noch jetzt
hier und da eine nicht unbedeutende Rolle in der menschlichen Ökonomie.
Wer jemals einen der fruchtbeladenen Riesenbäume aufmerksam be-
trachtet, wer dem prasselnden Geräusch, mit dem, vom Herbstwind gefegt,
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140 Bolle:
die Eicheln herabregnen, gelauscht hat, dem wird die Eiche als ein Sinn-
bild des Überflusses erschienen sein; so reichlich deckt sich der Tisch
auf und unter ihr. Zwar ist die Ergiebigkeit der Mast den Jahren nach
ungleich und gewöhnlich eine alternierende. Tritt sie indes ein, für
welches Tiergewimmel wird sie dann nicht zur Nahrungsquelle! Unter
den Quadrupeden das Schwein in erster Linie, alles Wild des Hirsch-
geschlechts, Ziege, Dachs und Bär, sowie zahlreiche Nager, das Eichhorn
an ihrer Spitze. Unter den Vögeln der Häher, die Wildtauben, Fasane,
Truthühner und Enten. Alle diese schmausen unter vom Spätherbst ge-
bräuntem Eichenlaub au reichbesetzter Tafel, der Qualität der Frucht nach
meist wahllos und gern zufrieden mit dem was sich ihnen zum Zugreifen
darbietet. Nur dem ja auch die Trüffel suchenden Schweine wird hierbei
grössere Gourmandise zugeschrieben. Es soll süsse vor herben Eicheln
trefflich herauszufinden wissen.
Noch wählerischer, brauchen wir lieber dat. j, it,» plattdeutsche Wort, noch
kiesätiger ist der Mensch. Er hält sich m • Elite der Eichenfrucht
und hat sich von jeher wohl dabei befundf^u. ^la Natur war es, die ihm
in seinen frühesten Anfängen, an bevorzugt : Stätte, diese Speise in den
Schoss schüttete. Es bedurfte bei ihr keinei;; Überlegung, kaum der Zu-
bereitung; einzig nur des Auflesens und Sammeins. Im Spätherbst, wenn
anderes Wildobst zu Ende ging, kam die Eichelemte gelegen. Mochte es
immerhin eine derbe und rohe Kost sein, sie fand keinen verwöhnten Gaumen.
Mochte es eine harte Kost sein, sie ging durch eine Mühle von Zähnen,
gewöhnt, die starken Markknochen des Wildes zu zermalmen. Ausserdem,
mochten dem prähistorischen und carnivoren Menschen seine reichen Jagd-
grüude noch so unerschöpfliche Vorräte an Fleisch, Blut und Fett liefern,
das Bedürfnis nach vegetabiler Speise Hess sich nicht ganz abweisen. Wie
willkommen musste da die Mast sein, die bei nur geringer Vorsicht sich
bis zu einer Winterzeit aufbewahren liess, wo Beeren, Pilze und Wurzeln
den Dienst versagten.
In der dem Bären abgerungenen Höhle des Jurakalks, deren Wände
noch tief unten im Süden das eingeritzte Bild des Renntiers tragen, mögen
in nebelgrauer Urzeit halbinstinktmässig aufgespeicherte Vorräte von
Eicheln, neben Bucheckern und Haselnüssen haufenweis gelagert haben.
Härtere Substanz hat die Schaalen der letzteren in Ablagerungen da er-
halten, wo die vergängliche Bildung der Eicheln und ihrer Becher der
Einwirkung von Zeit und Witterung, selbst in Erde eingebettet, nicht zu
widerstehen vermochte.
Also Eichelkost überall da, wo das Getreide, dem frühen Menschen
unbekannt, sie noch nicht entbehrlich gemacht hat; durch Fürsorge der
Natur diese Diät dem Menschen im Süden, der alles reift und verfeinert,
anmutender dargeboten als im rauhen Norden; Eichelkost die erste Stillung
des Hungers innerhalb der gemässigten Zone. In jener altersgrauen Däm-
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Die Eichenfracht als menschliches Nahrnngsmittel. 141
merung, die den Übergang ans der Prähistorie zur Geschichte bildet, sehen
wir das Pelasgervolk, zu einer Epoche, wo Hüttenbau erst begann, sich
Ton Eicheln nähren; wenig später die Arkadier, welche in der Eiche den
zuerst von den Göttern geschaffenen Baum erblickten, zur gleichen Kost
greifen. Man will wissen, die allerersten Eicheln seien an den Ufern des
Achelous verspeist worden, was indes doch sicher weit über menschliche
Kenntnisnahme hinausgeht.
Welch ein weiter Sprung aus dem Urzustände in eine aufs Höchste
verfeinerte Civilisation hinein! aber Ovid thut ihn, ohne in der Annahme
einer Kontinuität zu sündigen, wenn er von einer Schäferin, die wir uns
fast ä la Watteau arkadisch vorstellen dürfen, ausruft:
Nee glandes Amarylli tuae nee amygdala desunt
Freilich knabbert die Zierliche hier, neben ihren Eicheln, auch schon
süsse Mandeln. Der Wendepunkt, wo die Eichelmast aufhörte, Hauptnahrung
zu sein, wird bei den Griechen mit dem Auftreten der Ackerbau lehrenden
Demeter in Verbindung gesetzt. Korn war an die Stelle der Wildkost,
bald auch Wein an die des Wassers getreten. Galt indes dieses nidit
vielleicht allein für civilisirtere Gebiete? Der Ziegenhirt Arkadiens oder
der Pindusberge wird schwerlich, dem Ceresdienst zu Liebe, althergebrachte
Gewohnheit plötzlich aufgegeben haben.
Dass bei den Italern Eichelkost im Schwange ging, beweist schon der
Name einer bei ihnen heimischen Eichenart: Aesculus^ ein Ausdruck, den
Linne etwas willkürlich auf eine ganz andere Baumgruppe, auf die der
Rosskastanien, übertragen hat, ursprünglich bezeichnete er die Speise-
eiche, eine laubabwerfende Quercusart mit nahrhafter Frucht, die sich noch
heut, wenn auch nicht ganz ohne tastende Unsicherheit, herausfinden lässt.
Alte, sich mit der Mast beschäftigende römische Gesetze lassen es in
Zweifel, ob sie nicht mehr des Borstenviehs als des Eicheln sammelnden
Menschen halber, gegeben wurden. Dass indes letzterer, namentlich der
ärmere, kaum erst sesshaft gewordene Landmann dabei mit in Betracht
gezogen sei, bedarf wohl schwerlich der Bejahung, wenn auch sehr viel
später Plinius nur hispanische Eicheln als Tafelfrucht mehr namhaft macht.
Die oft besprochene Eichelesserei der Germanen entbehrt dagegen
jedes klassischen Zeugnisses. Tacitus redet zwar von agrestia poma^ aber
darin erkennen wir ausschliesslich das Wildobst, die Holzäpfel, Knödel-
bimen und Eisbeeren des altdeutschen Waldes, nicht die Eichelmast, welche
wohl- nur in einer Metamorphose, als durch sie fettgemachtes Schweine-
fleisch, den Appetit unserer Vorfahren, die wir uns, wie die Helden Homers,
mehr camivor vorstellen, gereizt haben dürfte. Wahrscheinlich haben
dieselben aber auch Erd-, Heidel- und Brombeeren, Haselnüsse und Buch-
eckern daneben nicht ganz verachtet.
Ausnahme hiervon scheinen die in Britannien ansässig gewordenen
Angelsachsen gemacht zu haben. Schweine und Menschen erlabten sich
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142 BoUe:
hier an der gleichen Frucht, wenn wir Burnet, einem durch London
citierten Gewährsmann, Glauben schenken wollen. Derselbe sagt: So
wenig wir jetzt mit unserem Unterhalt auf die Früchte des Waldes an-
gewiesen sind, dagegen nur den Holzwert hochschätzen, so war doch früher
das Gegenteil der Fall. Oak-com^ Eichenkom, accem oder acoms^ bildeten
vor Jahrhunderten eine für Mensch und Vieh gleich wichtige Nahrungs-
quelle.
Gegenwärtig kommen in Deutschland Eicheln wohl nur in Form eines
KaflFeesurrogats in Gebrauch, werden indes zu diesem Behuf e selbst um
Berlin noch regelmässig gesammelt. Professor Virchow hat übrigens am
Laacher See Eicheln heimischer Art gekostet, die er süss und schmackhaft
genug fand, um mehrere davon roh geniessen zu können.
Wie es hiermit in anderen Ländern steht, werden wir jetzt ins Auge
zu fassen haben. Wir gehen von Eichen und Eicheln im allgemeinen
zu jenen specifischen Bildungen über, die besser schmeckende Frucht
tragen als unsere. Zur Aufgabe stellen wir uns, alle bekannt gewordenen
Eichen in Betracht zu ziehen, welche derartiges liefern. Dieselben ge-
hören fast ausnahmslos der wärmeren gemässigten Zone beider Hemi-
sphären an.
Das Mittelmeergebiet behauptet auch nach dieser Richtung hin den
Vorzug vor den nördlicher gelegenen Ländern Europas. Auf allen vier
grossen Halbinseln, die es nordwärts umgrenzen, wie in dem gegenüber
gelegenen Afrika, wachsen Eichen der genannten Kategorie. Wir beginnen
mit Spanien, auf welches von unserem Gesichtspunkt aus Professor Virchow
vor einigen Jahren aus eigener Anschauung aufmerksam gemacht hat.
Welche Aufgabe könnte angenehmer sein als diejenige, die Beob-
achtungen und Erwägungen einer so hervorragenden ethnographischen Ka-
pazität durch eine kleine Reihe mehr botanischer Thatsachen in etwas
vervollständigen zu dürfen?
Die Speiseeiche der iberischen Halbinsel ist Quercus Ballota Desf.,
eine der immergrünen Steineiche (Q. Ilex L.) äusserst nah verwandte
Species, die mit Q. Gramuntia L. so ziemlich zusammenfallen dürfte. Es
ist mithin in uns vertrauter spanischer Redeweise eine Encina^ im Gegen-
satz zu den Rabies, d. h. den blattabwerfenden Eichen. Sie tritt gleicher-
weise in den Atlasländern von Nordafrika auf. Diesseit des Meeres reicht
sie quer durch die Peninsula von Portugal bis zu den Balearen. Zwar
hauptsächlich der warmen Region angehörig und in heissester Sonnenglut
die süssesten Früchte reifend, zeigt sie sich dennoch klimatisch nicht
allzu weichlich, indem sie den Aufstieg in die Sierras nicht scheut und auf
der kastilischen Hochebene noch da gedeiht, wo die Olive dem Frost
unterliegt. Ihre ausgedehntesten Bestände finden sich in der Sierra Morena
mid in dem mittelbar ihrethalben durch die Vorzüglichkeit seiner Schinken
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Die Eichenfrucht als menschliches Nahrungsmittel. ' 143
and Würste bekannten Estremadura. Die geschätztesten Früchte dürfte
sie in der Mancha erzeugen.
Dies ist der Baum, von dem die Alten so lieblich fabelten, er über-
hänge die jetzt kahlen Küstenfelsen des bätischen Hispaniens in solcher
Menge, dass seine köstliche Frucht die Heerden gewaltiger Thunfische
auf ihrem Zuge vom Ocean ins Mittelmeer fett mache.
Unter den Eicheln übertrifft unbedingt diese an Wohlgeschmack wohl
alle übrigen. Es ist eben die Bellota (vom arabischen Balut) oder Eichel
par excellence. An Süssigkeit und Mürbe wetteifert sie mit der Edel-
kastanie, die bekanntlich roh nicht genossen werden kann. Die Bellota
wird dagegen sowohl roh wie geröstet verspeist; man lässt sie aber gern
eine Zeit lang lagern, um ihr gänzlich den anfangs doch etwas vorhandenen
Tanningeschmack zu benehmen. Man geniesst sie trotz ihrer Häufigkeit
in den besten Häusern, wo sie entweder als Nachtisch erscheint oder bei
den abendlichen Tertulias gereicht wird. Als Marktfrucht figurirt sie nicht
nur zu Lissabon und in den andalusischen Städten, sondern wohl an den
meisten grösseren Orten Spaniens. Ich habe sie sogar in dieser Eigen-
schaft in London feilbieten sehen. Vielleicht dauert es nicht lange mehr
bis sie auch hier in Berlin gleicher Ehre teilhaftig wird.
In der schönen Litteratur haben die Bellotas sich längst einen Platz
gesichert. Garcilaso de la Vega nennt sie die süssesten der Süssen. Bei
Cervantes treten sie in jener reizenden Episode auf, wo die naive Therese,
Sancho Pansas Gattin, der Herzogin auf deren Verlangen ein Geschenk
damit macht. Ein Paar Dutzend nur waren verlangt worden.
In einem Briefe schreibt Therese Pansa an die Herzogin : „Es thut mir
so leid, wie mir nur etwas leid thun kann, dass es in diesem Jahr in
unserem Dorfe keine Bellotas gegeben hat. Dennoch schicke ich Ew. Ho-
heit etwas mehr als eine halbe Metze davon. Ich habe sie, eine nach
der anderen, im Walde ausgesucht und gesammelt; grösser konnte ich sie
nicht finden. Ich wollte sie wären so gross wie Strausseneier!"
Ebenso ist in der berühmten und oft citierten Ansprache, die Don Quijote
über das goldene Zeitalter vor den Ziegenhirten hielt, von Speiseeicheln
die Rede: ^Niemand brauchte damals für seinen täglichen Unterhalt andere
Arbeit zu verrichten, als die Hand auszustrecken und sein Essen von
jenen mächtigen Encinas zu pflücken, welche alle freigebig zu ihrer süssen
und reifen Frucht einluden".
In Italien erkennen wir den Aesculus der Alten wohl am füglichsten
in der Quercus Fametto des Tenore wieder, die unter dem Namen Q. con-
ferta, Kit. auch in Slavonien und Serbien auftritt, wie wir sie denn von
dorther unter dem Namen Q. pannonica, wenn auch erst jung, in unseren
Gärten haben. Es ist dies für die apenninische Halbinsel ein Insasse der
wärmeren Küstenregion, womit der auf Apulien hindeutende Vers Horazens:
Daunia latis alit aesctdetis
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144 Bolle:
gut übereinstimmt. Vorzugsweis bewohnt er Unteritalien, ist im Neapoli-
tanischen hier und da waldbildend und erhebt sich wenig oder gar nicht
über die Zone der Olive. Weit allgemeiner verbreitet ist die Famia
oder Rovere^ von welcher einerseits das berühmte päpstliche Nepoten-
geschlecht der Famese, andererseits die Stadt Roveredo in Welschtirol,
die Namen herleiten. Hierher gehören auch die Ortsnamen Pameto und
Isola Famese im Toscanischen. Diese Famia ist nichts Anderes als
unsere deutsche Eiche Q. Robur, L., in dieser oder jener wenig ab-
weichenden Form. In ihr, wie in der Farnetta, macht sich augenfällig
die Silbe Far^ im Lateinischen als Substantiv gleichbedeutend mit Korn
oder Mehl, bemerkbar. Welcher deutlichere Hinweis auf die einstmalige
Nährmutter des Menschengeschlechts kann wohl verlangt werden? Natür-
lich variieren die Famiaeichen ausserordentlich im Geschmack ihrer Früchte.
Demungeachtet scheinen sie heutigen Tags, wenn nicht die einzigen, so doch
die vorzüglichsten unter den italienischen Speiseeichen zu sein.
Hierüber schrieb mir vor kurzem mein werter Freund Dr. Nicolo
Terracciano auf meine Anfrage aus Caserta das folgende: „Soviel ich
weiss, ist unsere Eiche mit essbaren Eicheln die Quercus Robur b. Virgi-
liana, Ten. Syll., gewöhnlich Quercia ccustagnara genannt. Dieselbe ist
hier nicht gerade häufig. Am meisten wächst sie noch bei Neapel auf
Hügeln am Meere und im Walde San Leucio bei Caserta. Ein paar
Bäume davon stehen auch in der botanischen Abteilung des Königlichen
Parks von Caserta. Die Leute, welche sie kennen, essen ihre Eicheln
geröstet; als allgemeineres Nahrungsmittel aber dienen letztere bei uns
nicht. Von der Essbarkeit der Farnettoeicheln habe ich keine Kenntnis.
Dies ist bei uns eigentlich ein seltener Baum. Öfter trifft man ihn in der
Gegend von Monte Cassino an, und häufig sah ich ihn an verschiedenen
Stellen der römischen Campagna.**
Von dem gleichen Baume des südlichen Ungams, der kaum als var.
conferta getrennt zu werden verdient, und im Slavischen den Namen
Kittnyak trägt, bemerkt der ungarische Botaniker Kitaibel, Zeitgenosse
und Freund unseres Willdenow, in seinen von Kanitz herausgegebenen
Tagebüchem:
Es ist ein hoher Baum mit abstehendem Geäst. Derselbe trägt büschel-
weis sitzende lange Eicheln, welche nach Versicherung des Vikars Popovich
ganz so wohlschmeckend wie Nüsse sind.
Eben diese Eicheln werden in Serbien vielfach genossen. Als Standorte
des Baumes gelten ferner noch die Gegend von Konstantinopel und
Lakonien.
Der Quercia castagnara nahe stehend oder identisch mit ihr, muss
der Species nach jene südfranzösische Eiche sein, welche als var. dulcis
von Quercus pedunculata bei London Erwähnung findet. Sie wächst am
Meeresufer in der Provence sowohl wie in Languedoc und ist vonDralet
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Die Eichenfracht als menschliches NahrongsinitteL 145
zuerst genauer beschrieben worden. Die Eicheln sollen gross und hübsch
sein und dabei süsser schmecken als die besten spanischen. Diese Spielart
war bereits 1836 bei der berühmten französischen Baumzüchterfamilie
Vilmorin in Kultur und wurde schon damals zu allgemeinerem Anbau
empfohlen.
Was Griechenland, die klassische Urstätte der Balanophagie betrifft;,
so findet sich bei London eine Notiz, offenbar auf die ersten Decennien
unseres Jahrhunderts bezüglich, welche besagt, in der Morea ¥rürden,
ebenso wie in Kleinasien, Eicheln als Lebensmittel verkauft. Diese Sitte
erscheint jetzt als aufgegeben, ja sogar als vollständig vergessen, denn der mit
Hellas, welches er seit vierzig Jahren bewohnt, in seinen innersten Winkeln
vertraute Herr von Heldreich will nichts mehr davon wissen. Auf mein
Befragen darüber antwortete er mir brieflich: „Was die essbaren Eicheln
anbelangt, so werden sie jetzt in Hellas nirgend mehr als Nahrung benutzt.
Dass es in uralten Zeiten geschehen, ist wohl anzunehmen. Quercus
Aegilops und die verwandten Arten, z. B. Q. macrolepis, Ketsch, u. s. w.
dürften sich am meisten dazu geeignet haben. Die Eicheln dieser Arten
schmecken geröstet gar nicht schlecht. Ich habe mich selbst einmal ver-
suchsweise davon überzeugt."
Tristram schreibt in seiner Natural history of the Btble^ dass in
Palastina die dort häufige Q. Aegilops oder Valonea, die in der heiligen
Schrift oft genannte Eiche von Basan, noch heutigen Tags wälderbildend
and zu riesiger Grösse heranwachsend, den Arabern Eicheln zur Speise
liefere.
Aus der Bibel selbst kenne ich keine Andeutung der gleichen Sitte.
Für Kleinasien und den inneren Orient verdanken wir dem verdienst-
vollen österreichischen Reisenden Kotschy sehr eingehende und inter-
essante Aufschlüsse, die seinem Prachtwerk: „Die Eichen Europas und
des Orients** zu entnehmen sind.
In Cilicien werden die sehr grossen Eicheln von Q. Pyrami, Ketsch,
und andere im Bazar von Adana verkauft. Geröstet gewähren sie zu Zeiten
des Mangels einen sehr geschätzten Ersatz für Brod.
In den Euphratländern steigert sich wohl das Eichelessen zu einem
Maximum für Asien. Es sind vorzugsweise die den Westabhang des per-
sischen Hochlands bewohnenden Kurdenstämme, welche sich der auffällig
grossen und nicht minder wohlschmeckenden Eicheln zweierlei Art als
eines Hauptbestandteils ihrer Winterkost bedienen und mithin ihre Existenz-
bedingung an diese Baumarten geknüpft sehen.
Quercus oophora und Q. vesca, beide von Kotschy zuerst botanisch
ans Licht gezogen, leisten diesen Nutzen.
Auf diese zwei Eichen bezieht sich sicher die Aussage des älteren
Michaux, welchem die Eichenkunde beider Hemisphären soviel verdankt.
Derselbe, von firüheren Reisen her mit dem deliciösen Geschmack spanischer
Zeitochrift d. Verein« t Volkskonde. 1891, 10 ^^^ j
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146 BoUe:
Eicheln vertraut, sagt, er habe in Bagdad süsse Eicheln gegessen. Mit ganz
besonderem Lobe aber hebt er diejenigen hervor, welche in Mesopotamien
und Kurdistan wachsend, Fingerlänge erreichen.
Diese kurdischen Eichen sind Q. vesca und Q, oophora. Die erstere
dürfte sich, klimatischen Verhaltens wegen, möglicherweise auch für den
Anbau in Deutschland eignen.
Von der Q. oophora, mit huhnereigrosser Frucht berichtet Kotschy:
Diese Eiche wird von den Kurden für den Winter als Nahrungssurrogat
angesehen und deswegen mit den Früchten anderer dortiger Aegilopseichen
im Herbst fleissig gesammelt. Die ebenfalls kolossalen Eicheln von Q. vesca,
von Gestalt vorn wagerecht abgestumpft, werden im Winter gesammelt,
um sie als Zusatz zum Brot zu geniessen oder auch um sie zu braten. Von
diesen Waldfrüchten sammelt der Mensch, was ihm ein Vogel, der dort
häufige Nusshacker, der die Eicheln schon grün anhackt, übrig lässt.
Noch weiter ostwärts in Persien spielt Q. persica eine Rolle im mensch-
lichen Haushalt. Ihre Eicheln werden getrocknet und zerstossen, um mit
geringer Beigabe von Weizenmehl zu Brot verbacken zu werden. Das
Brot von Pelit (Eicheln) ist in den Bergen Südpersiens allgemein bekannt
Während die cilicische Q. Pyrami immergrün ist, gehören Q. oophora,
vesca und persica zu den Laubabwerfenden. Alle drei zeichnen sich durch
ein kastanienähnliches Laubwerk aus.
Unter den zahlreichen, überaus schönen Eichenarten des Himalaya
wird allein der Q. spicata, Sm. Essbarkeit der Frucht, aber keine besondere
Güte derselben zugeschrieben.
Es stellt sich somit die Thatsache heraus, dass unter den Ländern,
welche sich in grösserer oder geringerer Entfernung um das innere Meer
gruppieren, es die Extreme des äussersten Westens und des äussersten
Ostens sind, welche hinsichtlich essbarer Eicholfrucht als am meisten von
der Natur begünstigt erscheinen, und dass deshalb innerhalb ihrer Grenzen
die Speiseeichel sich in höherem oder geringerem Grade den Charakter
wenigstens teilweiser Volksnahrung bewahren konnte.
Von den Eichen der alten Welt zu den äusserst zahlreich vertretenen
Amerikas übergehend, muss ich von vornherein bemerken, dass schon
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der Qualität ihrer Früchte wissen-
schaftliche Aufmerksamkeit zugewendet worden ist. Hier ist in erster
Linie der Name Michaux hervorzuheben; aber auch in unserer nächsten
Nähe zeigt sich der grosse Forstmann und Pflanzer von Burgsdorf über
diesen Punkt äusserst wohl unterrichtet. Letzterer hat zumal die ihm
massenweis zugehenden amerikanischen Eicheln sorgfältig auf ihren Ge-
schmack hin geprüft. Hier liegt ein noch jetzt unerschöpftes Feld von
leicht anzustellenden Experimenten vor, dessen Inangriffnahme dem Ge-
schmacksinne sicher eine sehr grosse Reihe bisher vernachlässigter Nuancen
specifischer Art erschliessen würde.
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Die Eichenfrucht als menschliches Nahrungsmittel. 147
Wenn trotz des dortigen Überflusses an Species, welche geniessbare
Eicheln tragen, über die Benutzung derselben durch Menschen roter Rasse
wenig verlautet, so erklärt sich dies wohl durch die vorzugsweis carnivoren
Neigungen der an Individuen wenig zahlreichen Jägerstämme, von welchen
die Ostküste Amerikas einst bevölkert war. um reichliche Fleischnahrung
waren diese kaum je in Verlegenheit und trat ein Gelüst nach Pflanzenkost
ein, so boten ilnien die Wälder in manniohfachen Nussarten der Gattungen
Juglans, Carya und Corylus, sowie in Kastanien, welche trotz ihrer Klein-
heit die europäischen an Süsse übertreffen, Vorräte dar, gegen welche
auch die besten der Eicheln nicht aufkommen konnten.
Nur von einigen Tribus des Südens, u. a. von den Cherokesen und
Seminolen, erfahren wir, dass sie aus der Frucht der Lebenseiche (Q. virens,
Ait.) ein Öl zu gewinnen wussten, dessen sie sich beim Kochen und Braten
gern bedienten.
Durch Süssigkeit der Frucht zeichnen sich unter den amerikanischen
Eichen die folgenden aus, welche sämtlich der Gruppe der sogenannten
Kastanieneichen angehören: Quercus Prinos L. Q. Castanea Willd. Q. bicolor,
Willd.
Die weisse Eiche Amerikas, Quercus alba L., der Tracht nach unserer
deutschen Eiche am nächsten verwandt, trägt gleichfalls essbare Frucht, be-
einträchtigt indes durch fast regelmässig sehr geringen Ertrag von solcher
ihren Wert als fruchtspendender Baum. Burgsdorf sagt von ihren Eicheln,
er habe dieselben an Geschmack rohen echten Kastanien fast gleich gefunden.
Er schreibt auch der Lebenseiche einen süssen und essbaren Kern zu.
Alle sogenannten Scharlacheichen dagegen, deren Laub bei der herbst-
lichen Verfärbung ein so wundervolles Kolorit entfaltet, besitzen in ihren
kurzen und haselähnlichen Früchten ein mehr bitteres und herbes Prinzip,
welches diesen, für den Menschen wenigstens, jeden Nahrungswert nimmt.
An der pacifischen Küste Nordamerikas wohnten und wohnen zum
Teil noch einige mehr frugivore Indianerstämme. Es ist allbekannt, wie
verschiedene äusserst grossfrüchtige und grosskerni^e Kiefern, die herr-
liche Pinus Sabiniana voran, ihnen in mandelartigen Kernen Nahrung
liefern. Nicht minder sind es indes auch Eicheln, welchen sie einen
grossen Teil ihres Lebensunterhalts verdanken. In den amtlichen Reports
of explorations wird in dieser Hinsicht besonders die in Califoruien häufige
überaus schöne und mächtige Q. Hindsii, Benth. hervorgehoben. Von ihr
wird gesagt: „auf Grund ihrer Menge und Geniessbarkeit bilden diese Eicheln
einen wichtigen Bestandteil des Lebensunterhalts der Digger- Indianer.
Sie werden gesammelt und als Wintervorrat aufbewahrt. Man sieht in
ihren Rancherias davon Haufen von vielen Scheffeln Inhalt liegen.''
Hiermit sei die Aufzählung essbarer Eicheln, von der uns Kenntnis
vorliegt, geschlossen. Dass eben gegenwärtig deren noch so viele genossen
werden, darf als bester Beweis dafür gelten, dass sie in der Urzeit in
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148 Krauss:
noch viel höherem Grade als Nahrungsmittel benutzt worden sind. Wenn
auch zugegeben werden muss, dass die Hauptepoche ihrer Nutzbarmachung
längst vorüber ist und da endete, wo der Nomade zum Ackerbau über-
ging, so sind doch die erhaltenen Reste ihrer Verwendung bedeutsam
genug geblieben, um selbst heut noch volkswirtschaftliche Beachtung zu
verdienen. Es liegt am Tage, dass namentlich in Südeuropa, neben dem
wachsenden Verbrauch der mehlhaltigen Cerealien, es eine andere Baum-
frucht gewesen ist, die den Eichelgenuss nach und nach verdrängt hat.
Es war dies die echte Kastanie, die von ihrer, wie es scheint beschränkten
vorderasiatischen Heimat aus, Europa erobernd, der einstmaligen dort vor-
waltenden Balanophagie ein Ende gemacht zu haben scheint. Mehr als
eine Qualität sicherte ihr den Vorrang selbst vor den besten Speiseeicheln;
nicht zum mindesten wohl die widerstandsfähigere, stachelige Bewehrung
der Frucht gegen tierische Übergriffe.
So dürfen wir uns denn nicht darüber wundern, dass, bei Bewahrung
der ürsitte des Verzehrens einer halbwilden Baumfrucht, für viele Länder
und ihre Bevölkerung, der Titel eines Brotbaums von der Eiche auf die
Edelkastanie übergegangen ist.
Der Tod in Sitte, Braucli und Glauben der Südslaven.
Vorwiegend nach eigenen Ermittlungen.
Von Friedrich S. Krauss.
Vorwort
Die bedeutsamsten Überreste des ältesten Glaubens behaupten sich bei
allen Völkern in den Totengebräuchen; denn sie unterliegen verhältnis-
mässig wenigen Veränderungen, da sie durch die besonderen, Herz und
Gemüt aufs mächtigste erschütternden Ereignisse eine eigene Weihe und
Heiligkeit besitzen, infolge welcher sie immer wieder neu aufgefrischt und
in Übung erhalten werden.
Es ist klar, dass uns auf diesem Gebiete eingehende Erhebungen ge-
schulter Volksforscher bei allen Völkern der Gegenwart tiefe Einblicke in
die Entwicklung ursprünglicher religiöser Anschauungen und Vorstellungen
eröfftien müssen. Je gründlicher und sorgfaltiger derartige Ermittlungen
angestellt werden, und je weniger sie durch subjektive und parteiische
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Der Tod in Sitte, Branch und Glanben der Südslaven. 149
Deuteleien verdunkelt sind, desto wertvoller erweisen sie sich fOr die ver-
gleichende Völkerpsychologie.
Die Totengebräuche der Südslaven sind vorzüglich geeignet in ihrer
nach mancher Richtung hin unverwischten ürsprünglichkeit die Auf-
merksamkeit des Forschers zu fesseln. Gewiss sind sie vielfach mit jüdisch-
christlichen und mohammedanischen Anschauungen versetzt. Doch ist
hier die Absonderung des Alten vom Neuen leichter durchzufuhren.
Ich werde mich darauf beschränken, die mir vorliegenden Meinungen
und Bräuche in einen erklärenden Zusammenhang zu bringen und ihre
inneren Beziehungen auseinander zu setzen.
Meine ungedruckten Quellen über Totengebräuche fliessen ausgiebiger
als dies bei meinen früheren Untersuchungen der Fall war. Die gedruckten
sind schon in meinem Buche „Volksglaube und religiöser Brauch der
Südslaven" *) verzeichnet, dazu kommt noch das grosse dreibändige Sammel-
werk, mit welchem uns die bulgarische Regierung jüngsthin beschenkt
hat *). Von meinen unterstützenden Sammlern gedenke ich in Ehren und
mit Dank meiner verewigten Mutter und der Herren Th. Dragiöevid,
N. Tordinac (gest. 1887), Vuletid, P-ov im Küstenlande, Plohl, Trbid,
Öadkovid, J. Devßid und der Frau A. Domac.
Erster Abschnitt«
Der Tod ein Krankheitsgeist.
In Guslarenliedem kommt in vielen Fassungen folgende Episode vor:
Man bringt der Mutter oder der Gattin den zu Tode getroffenen Kämpen
von der Wahlstatt heim. Man wäscht ihm die Wunden mit überbranntem
Branntwein (rakijom dvaput pripicanom) aus und stopft sie voll mit weichem
Moos, um die Blutungen zu stillen. Verzweiflungsvoll ruft die Mutter in
ihrer Rat- und Hilflosigkeit aus: „0 Kind, glaubst du, wirst du diese
Wunden überwinden können? Vom Hals die Golddukaten will ich hin-
geben und zwei geschickte Ärzte vom Meeresstrande (od mora eöime)
kommen lassen, damit sie dich heilen". Gemeint sind spanische Juden
im Küstenlande, deren Vorfahren die Arzneikunst aus Spanien nach der
Balkanhalbinsel verpflanzt hatten. Die Südslaven hatten in früheren Jahr-
hunderten weder medizinische Schulen noch medizinische Werke in ihren
Litteraturen *). Daher ist die Volksmedizin der Südslaven nicht wie bei
1) Münster i. W. 1890.
2) Sbomik za narodni umotvorenya, Sofija 1889 und 1890. Vergleiche: Am Urquell.
II. Bd. S. 32 und S. 100.
3) Yerzeichnisse Terschiedener Heilmittel giebt es aber wohl in den Elosterbibliotheken
und bei Privaten. Sie gehen aber meist auf türkische, italienische und deutsche bezw.
lateinische Quellen zurück, aus welchen sie übersetzt worden sind. Ich selber besitze eine
derartige Handschrift aus Bosnien. Solche Kompilationen darf man wohl nicht als
medisinische Werke betrachten.
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150 Krau88:
den Deutschen aus einer älteren Stufe medizinischer Wissenschaft zu
erklären. In dieser Hinsicht sind die südslavischen Bauern im grossen
und ganzen nicht viel fortgeschrittener als das Volk der Xosa-Kaffern in
Südafrika. Von einer vorbeugenden Gesundheitspflege ist weder da noch
dort die Rede. Man isst und trinkt, soviel man kann und hat, und begnügt
sich mit der Bekämpfung und Vertreibung böser Geister.
Von diesem Gesichtspunkte aus muss man auch die Krankenpflege
beim südslavischen Bauernvolke betrachten, um sie ganz zu verstellen.
Die Krankenpflege ist zwar eine peinlich sorgfaltige, doch entspricht sie
keineswegs dem ersehnten Zwecke; denn sie ist im Grunde genommen
eine Geisterpflege, weil man im Glauben, dass jede Krankheit durch Ein-
wirkung der Geister erzeugt wird, sich hauptsächlich mit der Vertreibung
des jeweiligen Krjinklieitsgeistes aus dem Leibe des Besessenen abmüht.
Die Meinung oder riclitiger der Glaube an das Dasein von Krankheits-
geistern gelangt auch in der volksmedizinischen Terminologie zum Aus-
druck: man sagt, der Kranke sei beschrieen (urecen), er sei auf „etwas" (d. i.
unreines) gestiegen (nagazio, ograiso), oder von einem (Vilen-)Pfeil durch-
bohrt, oder die Krankheit (der Teufel, der Geist, die Vila) sei in ihn
hineingeflogen (holest u nj uletjela). Man wälzt auch die Schuld auf die
Scliicksalsfräulein (sugjenice, rogjenice), auf die Heimtücke überrumpelter
Vilen, auf Vilenreigen (vilina kola), Hexen (ve^tice, vescure) oder all-
gemein auf Ungeister (nedusi), worüber mein Buch „Volksglaube und
religiöser Brauch der Südslaven" genug Aufschlüsse darbietet. Da müssen
Zauberw^erke (ßini), Beschwörungen (bajanja), Beräucherungen (kagjenja)
mit wohl oder übel duftendem Kräuterwerk und alten Fetzen, Gebete,
Gelübde, Opfer und mannigfache sympathetische Mittelchen herhalten,
um den Kranken, gleichgültig ob er an einem Sumpffieber oder an einer
Erkältung oder an einer Rückengratsdarre damiederliegt, der Genesung
zuzuführen. Die Hilfe eines Doctor medicinae nimmt man höchstens bei
Verwundungen in Anspruch, dagegen bei inneren Krankheiten geniesst
ein Arzt dieser Art ein viel geringeres Ansehen als die erstbeste vra(5ara
oder vracka (Kräutlerin, heilkundige Frau). Vor allem versucht man es
bei allen Beschwörerinnen (bajalica, bajilka) im Dorfe; dann benutzt man
die heilkräftigen und wunderthätigen Quellen und Flüsse der Gegend;
zur Abwechslung lässt man von Popen, Kalugjeren (altgläubigen Mönchen),
Franziskanern oder von Hodzen Gebetbücher und ewige Kalender auf-
schlagen, um zu losen; und hilft auch dieses Mittel nichts, so ladet man
den Kranken auf einen Wagen und fährt mit ihm, oft mehrere Bezirke >
weit, zu entfernt wolinenden Vraearicen hin. Zuletzt zieht man heimwärts,
in der beruhigenden Überzeugung, dass man gewissenhaft alles Mögliche
aufgeboten, um den t<'ueren Lieben dem Todesgeiste zu entreissen. Nun
überlässt man den Kranken seinem Schicksal und trifft alle Vorbereitungen
zur Leichenfeier und zmn Begräbnis.
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Der Tod in Sitte, Brauch and Glauben der Südslaven. 151
„Gegen den Tod ist kein Kräutlein gewachsen", sagt unser Sprich-
wort, welches gewiss seine Entstehung und Verallgemeinerung im Volke
den Ärzten verdankt; denn sowohl der deutsche als der südslavische Volks-
glaube (ich will nicht weiter greifen) ist der entgegengesetzten Ansicht.
Darum baut die Südslavin bei Zeiten gegen den Tod ihrer Nachkommen-
schaft vor. Ziemlich allgemein ist die Anweisung: wenn einer Mutter
die Kinder frühzeitig hinsterben, so nehme sie von neun Frauen, die jede
Stoja oder Stojana (Stehfest oder Bleibfest) heisst, je neun Wollfäden,
flechte sie zu einer Schnur und unwickle damit ihre Kinder. Die Kinder
werden dann (vor dem Tode) standhalten (Kroatien, Serbien)^).
Von der Möglichkeit, die Lebenszeit sich durch Kauf fremder Lebens-
jahre zu verlängern, erzählte ich in der Sre6a eine Sage, wonach der
König einem Soldaten 15 Jahre Leben abkaufte. Es scheint aber auch die
Meinung zu bestehen, dass man das einem bestimmte Leben durch Ausübung
von Wohlthaten verlängern könne. Die einzige darauf bezügliche Sage habe
ich aus Bosnien. Sie ist mir nicht ganz verständlich, nur soviel ist mir
klar, dass sie nicht auf bosnischem Boden gewachsen ist, sondern auf
litterarischem Wege ins Land gebracht sein wird, wie alle Erzählungen,
in welchen Los- und Schicksalsbücher eine Rolle spielen. Solche
Bücher, glaubt man, seien mit einem Donnerschlage vom Himmel auf die
Erde gefallen. Darum heisst man sie knjige gromovnice.
Die Sjage erzählt: „War mal ein Mann, der wusste, wann seine Frau
sterben werde, und er befahl ihr, sie solle das Mittagessen fertig machen,
damit sie zusammen speisen, solange sie noch lebendig seien. Sie wusste
nichts davon, dass sie dann sterben werde. Er schaute nochmals ins Buch
hinein und sah, dass ihr nur noch zwanzig Minuten zu leben bestimmt
seien. Darauf sagte er zum Weibe: „Tummledich, Weib, mit dem Mittag-
essen!" Sie machte also das Essen fertig. Das Weib war schwanger.
Da warf das Weib in der Küche das Essen den Katzen und der Hündin
hin. Der Gatte schaute ins Buch, wie lange es ihr noch zu leben be-
schieden wäre, und wie er hineinschaut, sieht er, dass sie noch vierzig
Jahre zu leben habe. Er kehrt in die Küche zurück und fragt das Weib:
„Was hast du gethan?" Darauf antwortete sie: „Habe nichts gethan, sondern
das Essen fertig gemacht." „Kann nicht sein, du hast etwas Anderes gethan."
Dann sagte sie: „Ich habe das Essen der Hündin und den Katzen hin-
geworfen". Er sagte darauf: „Siehst du, du warst fürs Sterben (ti si bila
za uraora) binnen 20 Minuten bestimmt; weil du aber das Essen der Katze
und der Hündin hingeworfen, wurde dirs Leben um 40 Jahre verlängert"
(pa ti je poduljeno vijeka öeteres godina).
Ungleich gewöhnlicher, fast möchte ich sagen alltäglich, ist der Glaube,
dass man durch Verfluchungen, Beschwörungen und sympathetische Mittel
1) Ähnliche Symbolik bei Brückenbauten, vg-l. Kraus s, Volkglaube S. hV6.
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]52 Krauss:
denen, welchen man feind ist, den Tod auf den Hals senden kann, ohne dass
man sie unmittelbar aus dem Leben schafft, wodurch man die Blutrache der
Sippen oder den strafenden Arm der Gesetze herausfordern würde. Die
Auswahl der Mittel gehört ins dunkle Gebiet der Zaubereien, die meist
Überreste alter unverstandener Gebräuche sind, welche selbst der Forscher
häufig nur durch Parallelen aus dem Glauben anderer Völker zu begreifen
lernt. So glauben z. B. die Kroaten, dass, wenn ein betrogenes und endlich
verschmähtes Mädchen ihren treulosen Liebsten, der eine andere gefreit,
samt der Nebenbuhlerin zugleich aus der Welt schaffen will, sie in der
Brautnacht dem jungvermählten Paare ein Joch unters Kopfkissen legen
müsse: das Paar erwache dann nicht mehr zum Leben. Dieser Glaube
kommt bei Katholiken vor. Man muss wissen, dass es einst Brauch ge-
wesen, Joche auf Gräber zu legen und auf ein Joch die Totenspeiseopfer
zu setzen. Nur einigemal traf ich auf meinen Reisen in entlegenen Ge-
birgsdörfem derartige Joche auf Gräbern serbischer orthodoxer Bauern,
häufiger, aber auch nur unter Serben im Gebirgslande, jochartige Gerüste
über Gräbern errichtet. In Slavonien sagt man: willst du dich jemandes
für immer entledigen, so lade ihn zu dir ein, bewirte ihn und sobald er
fort ist, kehre die Stube hinter ihm aus (za njim treba izmesti). Das ist
leicht zu deuten. Nämlich, sobald man einen Verstorbenen aus dem Hause
hinausschafft, kehrt man nach ihm das Haus aus.
Sich auf einer Wage abwägen lassen, ist in Slavonien verpönt; denn
das hat den Tod zur Folge, namentlich bei Kindern. Der Mohammedaner
scheut es, sich abbilden zu lassen, um dem Todesgeiste oder bösen Menschen
keine Handhabe zu bieten, dass mau ihm beikommen könne. Auch durch
eine unbedachte und unsinnige Handlung, die zwar niemanden geraden-
wegs schädigt aber auch niemandem etwas nützt, vermag man unabsichtlich
auf jemand den Tod zu schicken. In Bosnien sagt man z. B.: wer nach
rückwärts schreitet, dem stirbt die Mutter; hat er keine Mutter mehr, ein
anderer naher Verwandter. In Kroatien heisst es: wer nach rückwärts
schreitet, der führt seine Mutter in die Hölle (tko natraske ide, on si
mater vodi u pakao). Folgerichtig glaubt man, dass es gewisse Menschen
gebe, denen Unglück, Krankheit und Tod als Begleiter nachfolgen. Solchen
Leuten weicht man aus und verwehrt ihnen unter den nichtigsten und
kränkendsten Ausflüchten das Betreten eines Hauses. Nicht selten kann
man nach einem Todesfalle die in vollem Ernste gegen jemand vorgebrachte
Beschuldigung hören: „der hat uns die Todesfrau ins Haus gebracht!"
(donio nam je smrt u kucu). Eine solche Geschichte mag man im zweiten
Buche meiner „Sagen und Märchen der Südslaven" auf S. 192 nachlesen.
Erweist sich eine langwierige Krankheit als unheilbar, so kleidet man
ohne weiteres den Leidenden ins Leichengewand und drückt dem noch
Lebenden die Totenkerze in die Hand. Die Verwandten und Freunde
stellen sich ein, um Abschied zu nehmen (oprastaju se, halale se = sie
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Der Tod in Sitte, Brauch und Glauben der Südslaven. 153
gewähren einander Vergebung) und dem Kranken das Hinscheiden zu er-
leichtem. In Serbien lässt man den Sterbenden in den letzten Augen-
blicken allein mit einem oder zwei alten Weibern. Dies geschieht, damit
sich die Seele leichter vom Leibe trenne (da se lakäe sa du§om rastavi).
Davon werden wir späterhin ausführlicher sprechen; hier sei dies nur wegen
der bezeichnenden Begründungsformel erwähnt, in welcher sich eine ur-
sprüngliche Anschauung widerspiegelt, während in neuerer Zeit durch den
Einfluss des (mittelalterlichen) Christentums die Meinung um sich greift, das
Sterben sei ein Ringen mit dem Todesengel. In Kroatien sagt man, der
in den letzten Zügen Liegende ringe mit dem Teufel. Anknüpfend daran
glaubt man, wenn bei einem Toten der linke Fuss länger ist als der rechte,
der Teufel sei stärker gewesen als der verscheidende Mensch. In Dalmatien
glaubt das katholische Volk, der Sterbende habe mit der Smrt (der Todes-
frau) einen förmlichen Ringkampf zu bestehen, in welchem sie selbst-
verständlich meistens den Sieg davonträgt, besonders wenn sie zu Häupten
des Kranken erscheint; zeigt sie sich aber am unteren Teil der Bettstatt,
so ist eine Rettung noch möglich. Auf solchen Kampf nimmt auch das
Volkslied Bezug; so heisst es in einem noch ungedruckten Liedchen:
Smrt mu dogje na vrata
pa ga davi oko vrata u. s. w.
Es kommt zur Thür der Tod herein
und würgt ihn um den Hals.
Wenn in der Lika einer einen schweren Todeskampf bestehen muss,
so betet man über ihn die sogenannte Einheit (jedinstvo), damit er leichter
aus dem Leben scheide. Die „Einheit" ist eine Art Glaubensbekenntnis
in dreizehn Fragen und Antworten. Als Urbild der Einheit mag man
Rabbi Mai mens dreizehn Glaubensartikel ansehen. (Wir werden das
slavische Gebet gelegentlich in dieser Zeitschrift veröffentlichen.)
Die Mohammedaner glauben, dass ein Mensch, der schwer aus dem
Leben scheidet, sehr schwere Sünden auf der Seele lasten habe; wer aber
ohne Todesqualen leicht verstirbt, den bedrücke keine Todsünde. Man
glaubt auch, ist der Tote beim Hinaustragen auf den Freithof schwer, so
hat er schwere Sünden; ist er dagegen leicht zu tragen, so drückt ihn
keine Todsünde nieder. Dieser Glaube ist auch unter den Christen all-
gemein und man trachtet, dem Sterbenden nach Möglichkeit zu helfen.
Wenn in der windischen Steiermark jemand schwer mit dem Tode
ringt, 80 fragen sich die Leute: „Weiss es Gott, dass der Mensch nicht
sterben kann? Sollte er vielleicht jemandem Flachs gestohlen haben?*'
Wenn sie der festen Meinung sind, dass dies wirklich wahr sei, so nehmen
sie ein Büschel Flachs und verbrennen es auf der Brust des Sterbenden.
Darauf muss er sogleich sterben. Oder man fragt sich auch, „sollte er
Grenzsteine verrückt haben?" Ist die Vermutung begründet, so beeilt
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154 Krauss;
man sich die Marksteine richtig zu stellen, und der Kranke findet im selben
Augenblick die gewünschte Erlösung. In Slavonien giebt man einem
Sterbenden in einem solchen Falle aus einem alten Schuh Wasser zu
trinken. Dieses Mittel wird in der Stadt Pozega gebraucht. Dort habe
ich es miterlebt.
Ab und zu pflegt man den Kranken zu baden, zu rasieren, anzukleiden
und auch einsegnen (opelo) zu lassen, als ob er schon das Zeitliche ge-
segnet habe. Mit solchen Dingen beeilt man sich, um an der Seele, die
nun flügge wird, jenseits einen Fürsprecher zu haben. Wenn es aber vor-
kommt, dass sich die Natur stärker als das Leiden bewährt und der schon
für die „Kiste" (kista, s^nduk, dreva) vorbereitete und hergerichtete
Kranke trotz der Einsegnung wieder sich erholt und seine Gesundheit neu
erlangt, so betrachtet man von da ab einen solchen Menschen im Dorfe
als ein leibhaftiges Gespenst und nennt ihn einen lebendigen Vampyr
(^ivi Vampir). Die alten Weiber, gewöhnlich die VracTaren, hatten schon
im vorhinein ihren Spruch gefällt, wie lauge einer zu kränkeln haben
werde; wenn er dann entgegen der Voraussagung weiter lebt und dadurch
die Unfehlbarkeit einer Vraöara erschüttert, so ist es klar, dass er in
Wahrheit nicht mehr lebt, sondern dass in seinem Körper der „Unreine"
oder „Unglückselige" (neöastivi) oder, wie wir sagen, der Gottseibeiuns, sich
wohnlich eingerichtet haben muss. So ein Geächteter lebt sich selber
schliesslich in den Wahn hinein, er sei nicht er, sondern ein anderer;
oder wenn er pfiffig und schlau ist und seinen Vorteil zu wahren versteht,
lässt er den Ruf ausgehen, er verkehre mit Vilen, Hexen und gar mit
dem Teufel, und sei durch solchen Umgang ein Wahrsager (prorok) und
Heilmann (vrac) geworden.
Aus den bisherigen Vorbemerkungen wird man sich schon klar ge-
worden sein, dass die Südslaven den Tod als einen Krankheitsgeist per-
sonifizieren. Er ist weiblichen Geschlechtes und heisst Smrt oder, da
man diesen Namen von böser Vorbedeutung nicht gerne ausspricht, Kuma
(Gevatterin) oder einfach Bolesöica (die [liebe| Krankheit). Man soll
das böse Wort nicht eitel aussprechen; denn die Smrt ist eine tückische
Wortverdreherin, die in ihrer Verschmitzheit jedes unabsichtlich hin-
geworfene Wörtlein als eine Einladung zum Erscheinen auffasst. Wer im
Verkehre mit dem Bauernvolke diesen Glauben nicht beachtet, kann sich
leicht den besten Mann zum Feinde und sich selber verhasst machen.
Schon bei der gewöhnlichen fragenden Begrüssung gilt es vorsichtig sein.
Nur ein „dummer Städter" oder ein böswilliger Kerl fragt den begegnenden
Bauer: kamo ides (wohin gehst du?); denn in kamo (wohin) steckt die
Silbe kam (kamen = Stein), weshalb so ein Frager entweder keine oder
die unwirsche Antwort erhält: „kam o tvoju glavu!" (an deinem Kopf
soll ein Stein zerschellen!) oder „ti se kamenio!" (du sollst gesteinigt
werden). Ein wohlgesitteter Mensch fragt dagegen artig: „dokle, ako Bog
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Der Tod in Sitte, Brauch and Glauben der Südslaven. 155
da?" (bis wohin, so Gott will?) und kriegt freundliche Antwort und schöne
Gegenfrage ums Wohlbefinden zu hören.
Ohne Heimstätte ist die Smrt. Sie kommt und geht, man weiss nicht
woher und weiss nicht wohin, aber sie wäre kein wirklicher Geist, wenn
sie die Gaben der Menschen verschmähte. Aischylos hat unzweifelhaft
als Philosoph und nicht im Sinne eines griechischen Bauern den Vers ge-
dichtet: fÄOvog ^stüv (ycLQ) t^avaxog ov öwqwv bq^* Bei allen Völkern der
Erde ist der Glaube an die Bestechlichkeit der Todesfrau heimisch.
Das Volk in der Gegend von Had^ielesko in Bulgarien glaubt, man
könne die Bolesöica aus einem Dorfe weg- und in ein anderes einführen.
Man glaubt auch, dass man die Bolesöica zurückweisen (mo2e da se po-
srjescne) könne, so lange als sie noch nicht ins Dorf gedrungen, und dass
man sie wieder in das Dorf zurückzusenden vermöge, aus welchem sie
ausgegangen ist.
Die Ausführung des Krankheitsgeistes aus dem einen und die Ein-
führung in ein anderes Dorf, geschieht auf Geheiss einer Zauberin (vracka).
Die Vraöka lässt einem Weibe im Dorfe sagen, sie solle einen Fladen
(pogaöa oder pita) aus reinem Weizenmehle backen und mit Honig be-
streichen. Einem anderen Weibe wiederum befiehlt sie, sie möge einen
8traus8 wohlriechender Blumen machen und mit einem roten Wollfaden
festbinden, an dessen Enden einige Münzen (para) zu befestigen sind.
Einem dritten Weibe gebietet sie, einen neuen Rucksack (torba) anzufertigen.
Ebenso bestellt sie noch bei mehreren anderen Weibern gewisse häusliche
Bachen.
Falls die Krankheit nur in einem einzigen Hause des Dorfes wütet
und sie aus diesem in ein anderes Dorf fortgeführt werden soll, so bestellt
man alle die notwendigen Dinge bloss bei der Schaffherin des betreffenden
Hauses.
Sobald alle angeschafften Sachen fertig sind, steckt man in den Rucksack
den Fladen, den Blumenstrauss, ein wenig Zucker, getrocknete Trauben,
Nüsse oder Äpfel. Den Rucksack bekommt ein alter Mann, der schon
einige Kenntnisse im Zauberfache besitzen muss. Der trägt ihn zur Nacht-
zeit in das andere Dorf, in welches die Krankheit eingeführt wird ^).
Wenn der Träger mit dem Rucksack ins Dorf kommt, so schleicht
er sich in einen Garten hinein, hängt den Rucksack an einen Baum oder
Zaun und eilt so schnell als ihn seine Füsse tragen heimwärts. Man glaubt,
1) Im Jahre 1883 wurde auf solche Weise eine Krankheit aus dem Dorfe Koz-Bunar
nach dem Dorfe Pranga im Konuskaer Bezirk weggeführt Die Vracka baha Mara be-
redete den Djed Hubin, den Rucksack ins Dorf Pranga zu tragen und auf einen Bim-
bamu zu hängen. Eben als Väterchen Hubin den Rucksack aufhing, bemerkten ihn die
borfwächter, prügelten ihn weidlich durch, hingen ihm den Rucksack um den Hals,
steckten ihm den Strauss ans Haupt und führten ihn in solchem Aufzuge „wie einen
Kater" (wie ein Wundertier) aus dem Dorf hinaus, damit ihn alle Bauern anschauen
könnten.
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156 Krause:
dass derjenige, der am nächsten Tage den Kucksack auffindet und an sich
nimmt, mit dem Sack auch die Krankheit mitnehme, die nachts aus dem
Nachbardorfe hingebracht wurde. Die Bauern glauben so fest daran, dass
sie in vielen Fällen den Rucksack gar nicht öffnen, damit die Krankheit
ins Dorf nicht eindringe, vielmehr dort bleibe, von wo sie gekommen.
Die Ausführung einer Krankheit aus einem einzelnen Hause und deren
Fortfuhrung in ein fremdes Dorf geschieht auch so, dass die Vraöka statt
eines Rucksacks und eines Fladens von dem verseuchten Hause einen
neuen Leinwandlappen verlangt. Darin wickelt sie drei mit Honig be-
strichene Stückchen Brod, ein wenig Zucker oder getrocknete Weintrauben
und ein Blumensträusslein ein. Das Bündelchen legt sie an eine Quelle oder
einen Brunnen, von wo die Dörfler Wasser schöpfen. Man glaubt, die
Krankheit erkiese sich eine andere Person unter denen, die Wasser holen
und begleite sie heim, um sich dort einzunisten.
Die Krankheit kann man auch durch Opfer oder Geschenke so gnädig
stimmen, dass sie wieder dorthin zurückkehrt, woher sie gekommen. Die
Vraöken werden nämlich im Traume von der Bolesöica verständigt, dass
sie die Absicht hege, ins Dorf zu kommen. Es geschieht dies freilich nur
dann, wenn die Bolescica nicht gegen das Dorf erzürnt ist. Um die
Krankheit vom Besuch abzuhalten, ziehen nun die Vra6ken durchs Dorf
und sammeln von Haus zu Haus Liebesgaben (milostinja). Diese Ge-
schenke veräussert man, kauft für den Erlös ein Opfertier (kurban) und
wirft es ausserhalb des Dorfes mitten auf den Weg hin, den, wie man
voraussetzt, die Bolescica selber zu wandeln gedenkt. Darauf konrnit die
Bolescica selber zu wandeln gedachte. Darauf kommt die Bolescica bis
zum Dorfe, sättigt sich, unsichtbar wie sie ist, am Opfertier, wird gnädig
gestimmt und trollt sich wieder zurück.
Gar plötzlich erscheint die Todesfrau, unerwartet und unbestimmt
wann? Im Sprichworte heisst es:
Smrt roka ne postavlja
Der Tod setzt keinen Termin fest.
Nur gewisse Tiere, besonders Hunde, ahnen das Herannahen der
Krankheitsgeister und können sie sogar sehen. In Kroatien betrachtet man
einen mit einem Stirnfleck (Mal) behafteten Hund sehr scheel, denn man
glaubt, der Hund sehe mit jenem Mal die Smrt. Daher glauben die
Kroaten (und die Slovenen), wenn ein auf der Stirne gefleckter Hund
heult und fortwährend himmelwärts schaut, es werde jemand in der Nähe
in kurzer Zeit versterben. Oder, kommen die Haushunde nachts mehr-
mals zu den Zimmerfenstern und heulen und bellen, so sehen sie die
Smrt. Wenn der Bauer sagt, ein Hund, der vier Augen hat, sieht die
Smrt, so meint er einen Hund, der über jedem Auge ein Fleckzeichen
hat. Die Identität der Smrt mit sonstigen verderblichen Krankheitsgeistem
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Der Tod in Sitte, Brauch und Glauben der Südslaven. 157
zeigt sich auch darin^ dass sie (nach dem kroatisch-slovenischen Volks-
glauben) gleich den Pestschwestem vor Hunden sich fürchtet und sich
darum gerne von jemand, der ihr auf dem Wege begegnet, huckepack ins
Haus ihres Opfers tragen lässt.
Vermag man die Ankunft der Smrt nicht zu verhindern und zu ver-
eiteln, so kann man doch einen baldigen Wiederbesuch nach einem Todes-
falle ihr verleiden oder verkflmmern. So ist es bei den Bulgaren in
Altserbien Brauch, dass die alten Frauen, sobald man die Leiche empor-
gehoben, in die Aufbahrungsstelle einen Nagel hineintreiben, um die Todes-
firau (Smrt) festzunageln, „damit die Überlebenden frisch und gesund
bleiben und hart wie Eisen sein mögen". Bei den südungarischen Serben
ist es Brauch, sobald man den Toten aus der Stube hinausgetragen, auf
den Tisch, wo der Tote aufgebahrt gewesen, einen Ziegelstein zu legen,
„damit die Smrt zu Stein sich verwandle und damit sie nicht mehr auf
denselben Tisch hemiederfliege" (da se smrt okameni i da vi§e ne sleti
na taj sto). In Unter-Steiermark und Krain giesst man, sobald einer ver-
stirbt, alles Wasser aus den Gefässen aus, selbst wenn es ganz frisch ist;
denn man glaubt, die Smrt tränke sonst aus den Schäffem und den übrigen
Behältern das Wasser aus. Allgemeiner Brauch ist es, so lange als ein
Leichnam aufgebahrt liegt, die Fenster verhängt imd die Spiegel an der
Wand mit feinem Tüll verdeckt zu halten. In Kroatien sagt man aber,
in Verkennung des Trauerzeichens, dies geschehe, damit sich die Smrt
im Spiegel nicht erschaue, weil sonst die Sterblichkeit unter der Mensch-
heit noch grösser sein würde als sie wirklich schon ist. In der Lika
schliesst man gleich nach dem Hinaustragen des Verstorbenen die Hausthüre
ab, damit niemand hinauskönne. So verhindert man, dass nicht bald
jemand im selben Hause dem Tode nachfolge oder nachgehe. In der
Gegend von Sissek ist es Brauch, dass, sobald in einem Hause jemand
stirbt, die Hausleute um das Haus herum rennen, weil sie glauben, da-
durch der Smrt zu entfliehen. So muss man. auf hundert Kleinigkeiten
achten, um dem Besuche der Smrt vorzubeugen oder sie nicht herbei-
zurufen. Um nur ein Beispiel anzuführen: bei den Slavoniem ist es ver-
pönt, das Bett mit dem Kopfende und den Polstern gegen die Thüre hin
aufzustellen, denn die Smrt würde den Schläfer durchbohren (probuSiti).
Wenn nacheinander mehrere Leute in einem Hause sterben, so bringt man
der Smrt lebende Sühnopfer dar, gewöhnlich einen Hahn oder eine Henne.
Ich verweise auf mein Buch „Volksglauben", S. 154 f. und zugleich auch
auf S. 58 f., wo von Smrci (Kindern der Todesfrau) gehandelt wird.
Der Volksdichtung und nicht dem Volksglauben gehört der Zug
an, die Smrt verbinde sich mit dem Fieber (vrucica, groznica), wenn sie
allein einen Menschen nicht überwältigen kann. Das Fieber ist nach dem
Volksglauben kein Krankheitsgeist, sondern bloss die Wirkung von Krank-
heitsgeistem. Darum bannt man letztere, nicht aber das Fieber. Dem
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158 Krauss:
südslavischen Märchen (in meiner obgedachten Sammlung auf S. 150) liegt
ein ähnlicher dichterischer Gedanke zu Grunde wie jenem bei Grimm
im Kindernlärchen (18. Aufl., S. 609 fF.), wo der Tod zum Riesen sagt:
„Habe ich dir nicht einen Boten über den anderen geschickt? Kam nicht
das Fieber, stiess dich an, rüttelte dich und warf dich nieder?" Ganz im
selben Sinne gilt auch bei den Südslaven das Fieber als gewöhnlicher
Vorbote des Todes. Jemand stellte sich seheinkrank, und forderte im
frevlen Ubermute den Tod heraus. Kaum waren die lästerlichen Worte
ihm über die Lippen, packte ihn plötzlich ein grimmiges Fieber, er musste
sich ins Bett zurücklegen und in einigen Augenblicken hatte er seinen
Geist ausgehaucht.
Eine slovenische Sage, die auch in Versen im Volke bekannt ist, er-
zählt, der hl. Thomas habe die Smrt listig in ein Fass (lagev) eingeschlossen,
und sie sieben Jahre lang gefangen gehalten. Das ist eine verstümmelte
Variante des in ganz Europa verbreiteten Volksmärchens vom Tod, den
ein schlauer Schmied mürbe gehämmert. Erst jüngsthin hat Rein hold
Köhler, der Meister deutscher Volksforschung, eine neckische italienische
Fassung des Märchens besprochen (Goethe und der italienische Dichter
Domenico Batacchi. Berichte der Kgl. Sachs. Gesellschaft der Wissen-
schaften, 1890. S. 72 — 78). Das Vorkommen dieses Märchens bei den
Südslaven ist litterar-historisch bemerkenswert und darum ist die Wieder-
gabe einer vollen Fassung rätlich.
Die südslavische Variante (aus Slavonien) steht sehr nahe der deutschen,
wie sie bei Grimm zu lesen ist. Das Märchen hat Anklang gefunden,
80 dass der schlaue Schmied, sogar einen echtslavischen und noch dazu
einen alten, jetzt nicht mehr üblichen Namen bekam. Er heisst Koren
kovaö (Koren der Schmied). Man wisse, dass koren „Wurzel" bedeutet
und dass mit Wurzelwerk (altsl. korenije) gezaubert und ab und zu geheilt
wird. Man versteht wohl das ältere Wort korenije im Sinne von Zauber-
werk und koreniticT von. Zauberer. Koren ist daher der Zauberer.
„Es lebte einmal in einem Dorfe ein reicher Schmied, der hiess
Koren. Er besass viele Häuser und Güter und dazu einen schönen Wein-
garten, der ihm jedes Jahr seine hundert Eimer Wein trug. Nun traf
es sich einmal, dass der Schauer alles auf dem Felde und in den Wein-
bergen zusammenschlug. Auch Körens Weinberg blieb nicht verschont.
Als die Weinlese zu Ende war, konnte Koren den ganzen Ertrag — volle
drei Mass Wein — selber leicht heimtragen. Sprach Koren: „Ei, Gott
sei es gedankt, dass ich selbst das bekommen habe. Nun will ich diesen
Wein mit dem Erstbesten, der mir in den Weg kommt, austrinken. Was
soll ich diese Last bis nach Hause schleppen?"
Singend zog er heimwärts, als ihm plötzlich ein unbekanntes Frauen-
zimmer den Weg vertrat. „Gott zum Gruss, Schwägerin", sagte Koren
freundlich und vergnügt. — „So helfe dir Gott, mein Koren," sagte das
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Der Tod in Sitte, Brauch und Glauben der Südslaven. 159
Frauenzimmer. Darauf Koren: „Weisst du was, ich hab's mir zugesagt,
dasB ich mit dem Erstbesten, der mir in den Weg kommt, diese drei
Mass Wein, die ich im Fässchen trage, gemeinschaftlich austrinken werde.
Ich besitze dir, Tschaperl (nebore), einen Weingarten, der wirft mir Jahr
aus Jahr ein hundert Eimer Wein ab, heuer aber bekomme ich dir, schau
her! bloss drei Mass. Gut, dass ich wenigstens noch die bekommen habe."
Das Weib entgegnete: „Mein lieber Koren, dich suche ich gerade. Mache
dich fertig, ich bin die Smrt. Bog hat mich auf dich losgeschickt; weil
ich dich aber nicht daheim angetroffen, bin ich dir entgegengegangen." —
^Mache keine Dummheiten, Smrt! zuvor muss ich mein Versprechen ein-
lösen, dann bin ich bereit; kannst machen mit mir, was dir beliebt".
Sagte es und reichte der Smrt das Fässchen hin. Die Smrt nahm das
FäsBchen und that einen langen Schluck daraus, den Rest trank Koren aus.
Nun waren sie Beide ziemlich guter Dinge, und Koren sagte:
„Merkwürdig, das Spundloch ist so klein, und doch haben wir den Wein
so bald herausgekriegt. Horch mal Smrt! als Kind noch, es ist schon
freilich längere Zeit her, habe ich erzählen gehört, du könntest dich so
dünn machen, dass du mit Leichtigkeit durch dieses Spundloch ins Fässchen
hineinschlüpfest. Alles glaub' ich gerne, doch so etwas ist doch nicht
möglich. Hab' ich recht oder nicht?" — Entgegnete die Smrt: „Mein
lieber Koren, du hast wirklich nicht recht; denn ich kann mich wie ein
Strohhalm dünn machen und überall hineinschlüpfen". — „Na, sei so gut!
Probier's einmal, damit ich auch dieses Wunder vor meinem Hinscheiden
noch sehen könne".
Die Smrt verdünnte sich wie ein Strohhalm und schlüpfte durch das
Spundloch ins Fässchen hinein; im selben Augenblick aber spundete Koren
das Loch mit dem Stöpsel so fest als möglich zu und trat den Heimweg
an. Die Smrt begann ihn zu bitten und zu beschwören, er soll sie frei-
lassen; sie werde ihm ja nichts thun, sie wolle ihn sein Lebtag in Frieden
lassen, doch es half ihr nichts. Daheim stieg Koren auf den Boden und
hing das Fässchen in den Rauch. Seiner Frau aber teilte er die Ge-
schichte mit und sagte ihr, sie möge reinen Mund halten.
So verstrichen volle sieben Jahre, dass sich die Smrt im Rauchfang
selchte. Bei Koren starb inzwischen keine Seele, so dass sich darob alle
Welt bass verwunderte. Endlich wurde Koren bange, Gott (Bog) könnte
ihm den Streich übel nehmen und darum stieg Koren auf den Boden
hinauf und spundete das Fässchen auf. Die Smrt war schon ausgedörrt
wie ein Ileuhalni. Flugs entwich sie aus ihrem Kerker und rannte
schleunigst davon.
Alsdann begann ein allgemeines Sterben, nur Koren und die Seinigen
blieben verschont. Da sagte Gott der Herr schliesslich zur Smrt, sie
solle auch Koren vom Leben scheiden; doch die Smrt mochte um keinen
Preis den Auftrag ausführen, weil sie sich vor Körens Listen fürchtete.
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160 Krause:
Als Gott sah, dass er mit Hilfe der Snirt nichts ausrichten könne, schickte
er den Teufel Cgjavo) über Koren.
Der Teufel kam zu Koren, und Koren sagte zu ihm : „Ich sehe schon,
OS geht wahrhaftig nicht mehr so weiter. Das Alter hat mich schon zu-
sammengeschlagen, ich gehe gleich mit dir, nur möchte ich noch zu guter
letzt für die Kinderchen zwei, drei Hauen und Schaufeln schmieden.
Zum Unglück aber ist just der Blasebalg verdorben. Geh, sei so gut und
schlüpfe in den schadhaften Balg hinein und blas mir das Feuer an***
Wie der Teufel schon von Haus aus arglos ist und an nichts Schlechtes
denkt, schlüpft er in den Balg hinein. Kaum aber ist der Teufel drinnen,
so versperrt der Koren geschwind das untere Pfauchloch, vernagelt das Blas-
rohr vom Balge und ruft seine Gesellen, lauter handfeste Kerle herbei.
Jeder ergreift einen schweren Hammer, und nun wird aus allen Kräften
auf den Balg losgehämmert, dass die Funken stieben. Der Teufel brüllte
vor Schmerz wie ein kranker Ochse. Als sie ihn fast halb totgeschlagen,
gelang es ihm endlich durch einen Riss in dem Leder zu entweichen.
Einen Fuss hatten sie ihm gebrochen. Seitdem hinkt der Teufel mit
einem Bein.
Der Hinkteufel begab sich vor Gott und erzählte, was für einen ver-
fluchten Tanz Koren mit ihm aufgeführt habe. Gott der Herr sah ein, dass
Koren schon zu lange lebe, und darum schickte er ihm gleich drei Teufel
auf einmal auf den Hals. Koren betrog auch diese drei. Es war gerade
ein sehr kalter Winter und Koren mühte sich just ab, einen grossen
Eichenblock zu spalten, als die Teufel bei ihm erschienen. Er überredete
die Teufel, sie möchten ihm spalten und speideln helfen, damit es seinen
Kinderchen an Holz zur Feuerung nicht fehle, dann wolle er gleich mit
ihnen fortziehen. Die Teufel sagien „ja", denn sie witterten dahinter
nichts Böses.
Da hieb Koren die Axt in den Block hinein und rief den einen
Teufel: „Komm schnell her und steck die Finger in den Spalt hinein, bis
ich für die anderen zwei und für mich Spalten mache. Dann werden
wir mit vereinten Kräften auf einmal den Block auseinanderreissen*'. Ebenso
betrog er auch die zwei anderen Teufel, so dass sie die Finger im schweren
Holzblock fest eingeklemmt hatten und nicht hin imd nicht her konnten.
Jetzt rief Koren schnell seine Gesellen herbei; die kamen mit eisernen
Stangen und schweren Hämmern und schlugen wie blind auf die drei
Teufel los, bis sich die dieselben vor Schmerz die Finger abbissen und
davonrannten.
Weder Smrt noch Teufel behelligten mehr Koren den Schmied.
Und Gott Hess ihn auch in Ruh, weil er wusste, Koren werde das Leben
ohnehin satt bekommen. So war es auch. Als Koren des Lebens endlich
überdrüssig geworden, machte er sich auf den Weg in den Himmel.
St. Petrus fragte den Herrn : „Da draussen steht Koren der Schmied, soll ich
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Der Tod in Sitte, Braach und Glaaben der Südslayen. 161
ihn hereinlassen?^ — „Warum nicht gar! Er soll sieh zum Teufel
scheren!**
Also ging Koren zur Hölle. An der Höllenthüre war ein Guckloch
mit einer Klappe. Kaum erblickten ihn die Teufel durch das Loch, so
erhoben sie einen Höllenlärm: „Das ist ja Der, der uns zu leidigen Tagen
geschlagen! Den lassen wir nicht herein, der ist im stände und jagt uns
alle aus der Hölle hinaus!** Und hurtig verrammelten sie das Höllenthor.
Koren kehrte wieder zum Himmel zurück und pochte an die Himmels-
pforte an. „Wer da?" fragte St. Petrus. „Ich, Koren der Schmied. Wollte
in die Hölle, die Hessen mich aber nicht hinein; bin darum zurückgekehrt"
— „Ja, hab' ich dir denn nicht gesagt, dass für dich hier kein Platz ist?"
~ „Weisst was, St. Petrus, lass mich wenigstens hineinschauen ins Paradies,
dann will ich dich nicht mehr belästigen."
St. Petrus mochte ihm die Bitte nicht abschlagen und öffnete ein
wenig die Pforte. Da rief ihn jemand im Himmel, und während er hinsah,
schlüpfte husch! Koren in den Himmel hinein und setzte sich auf einen
Haufen alter Kleider. „Pack dich nur schnell wieder hinaus", rief ihm
8t. Petrus zu. Doch Koren antwortete : „Ich gehe nicht. Ich sitze auf
meinen alten Kleidern, die ich einst einem Bettler geschenkt habe. Von
meinem Eigentum lass ich mich nicht wegjagen". Petrus erhob Beschwerde
bei Grott dem Herrn, doch der Herr war gnädig und sprach: „Na, so lass
ihn ungeschoren. Ein andermal passe besser auf." Also weilt Koren noch
immer im Himmel".
Eine slavonische Variante dieses Märchens lässt den Schmied zwei
müde Wanderleute, Gott und den hl. Petrus, beherbergen. Der Schmied
bittet sich die einzige Gnade aus, dass, weil ihm die Früchte von seinem
Nussbaume so oft weggestohlen werden, jeder auf dem Baume bleiben
müsse, wenn er ihm „bleib oben" zuruft. Als die Smrt zum Schmied
kommt, beredet er sie auf den Baum hinaufzusteigen. Der Nussbaum ist
zum Aufenthaltsort und Tummelplatz unheimlichen Hexengelichters ge-
worden. In solche Gesellschaft mag man sich die Smrt gern hineindenken.
Nichts Anderes als den von auswärts ins Slavische hineingebrachten
Knochenmann, dürfen wir in der, im Volksglauben der katholischen
Kroaten wohl nur vereinzelt vorkommenden Smrt, erblicken, wie sie von
einem Kroaten, Namens Modrusi^ (in Kukuljevid's Arkiv za povjest-
nicu n. s. w.) beschrieben wird.
„Wenn der Mensch in den letzten Zügen liegt, eilt die Smrt auf
Drachenflügeln (na zmajevih krilih) zu ihm hin; ihr Gefolge bilden sechs
gräuliche Hunde, die gleich grauen Gebirgswölfen hungrig sind. Man
sagt, Smrt bestehe aus lauter Knochen und Haut; ihr Hals sei dünn wie
ein Mühlseil (palaraar). Vor Hunger und Kummer ist sie wie der Satan
(bijes) bösartig. Erblicken können sie nur diejenigen, deren Leben eben
noch aa einem Haare hängt. Wenn sie in die Nähe des Hauses gekommen
Zeitschrift d. Vereint f. Volktkonde. 1891. 11 /-~^ j
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162 Krauss:
ist, hockt sie sich auf den Zaun nieder und reisst den Mund auf wie ein
nüchterner Wolf. Sie versteckt sich in allen Winkeln, damit sie nicht er-
kannt werde, und nachdem sie sich mit ihrem Gefolge von sechs Schnappern
ausgerastet, geht sie ins Zimmer hinein, wo der Kranke liegt. Ist der
Kranke nur noch etwas bei sich, so brüllt er bei ihrem Anblick fürchterlich
auf und beginnt mit Händen und Füssen zu strampeln. Er schreit aus
voller Kehle, man solle sie hinausjagen. Und wenn man ihn tröstet und
ihm rät, er möge die Augen schliessen, so nützt das nichts, er schaut die
Smrt doch. Droht er ihr mit der Hand, so zeigt sie bloss mit den Fingern
auf die Sense. Man sagt, sie stehe dort, wohin der Sterbende schaue.
Die Teufel in Gestalt von Hunden umringen den Ärmsten; der eine Teufel
stellt sich ihm zu Häupten, der andere zu Füssen, zwei rechter und zwei
linker Hand, alle sprungbereit um im entscheidenden Augenblick die her-
ausfahrende sündige Seele zu ergreifen. Inzwischen schleicht sich die
Smrt an den Tisch, zieht unterm Arm eine Schachtel voll Rasiermesser
hervor und legt die Messer auf den Tisch auf. Dann nimmt sie ein Messer
nach dem anderen und zieht es über dem Lederriemen ab. Nachdem sie
ein Messer für gut befunden, macht sie zur Probe einen Einschnitt in ihre
eigene Handfläche. Kaum berührt sie mit dem Messer das Fleisch, so
spritzt schon ein dunkler Blutstrahl aus der Hand in den Balken über dem
Kranken hinauf. Sobald der Kranke dies erblickt, fangt er an die Augen
zu verdrehen imd zu röcheln.
Wer die Smrt bei dieser Arbeit beobachten will, braucht nur auf den
Besen unter den Füssen des Kranken zu treten; doch keiner getraut es
sich, denn jeder hat schon an dem Namen der Smrt genug, geschweige
denn, dass er sie noch sehen wollte. Bei dieser Gelegenheit pflegen die
alten Weiber, die beim Sterbenden weilen, einander zuzuwispeln: „drago
moje! kako ga muöi! sad ga kolje!" („0 du mein Lieb! wie sie ihn
martert! ha, jetzt schlachtet sie ihn ab!"). Der Mensch sperrt den Mund
auf, die Seele kommt zum Vorschein, die Hunde packen sie und rasch ist
sie drinnen im Schnappsack. Die Smrt wischt das Rasiermesser ab, legt
es zu den übrigen, wickelt alle hübsch ein, steckt sie unter den Arm,
schwingt die Sense über die Schulter und geht weiter, die Hunde hinterher.
So geht es zu, wenn ein Sünder stirbt; die Seele des Reuigen
empfangen aber die gebenedeite Jungfrau Maria und die Engel, vor welchen
sich die Smrt verbirgt und die Hunde verkriechen."
Wieviel unser kroatischer Gewährsmann aus eigenem Erdichtungsbome
schöpfte, lässt sich nicht bestimmen; gewiss aber ist das Eine, dass er
seinem Volke Vorstellungen zuschiebt, die letzterem vermöge seines Bildungs-
grades nicht zugesprochen werden können. Die Teufel in Hundegestalt,
die Smrt mit der Sense, sowie die Rasiermesser, gehören dem echtslavischen
Volksglauben nicht an.
Dem Volksforscher liegt es ob, nicht bloss die volkstümlichen An-
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Der Tod itt Sitte, Brauch uBd Olauben der Südslayen. 163
schanungen aufzusuchen, sondern auch die Erzeugnisse einer sogenannten
Eunstpoesie, welche man auf Rechnung des Volkes von unberufener
Seite setzt, auszuspüren und fest zu bezeichnen. In der Kurela eschen
Sammlung kroatischer Volkslieder aus Ungarn finden sich zwei Lieder
an die Smrt (popivka od smrti) aus Petrovoselo (Szent - Peterfalva,
Prostrum), die sich durch Betrachtungen und Gelahrtthuerei als mönchische
Machwerke offenbaren, wofeme sie nicht, so auffällig dies auch klingen
mag, eine verkürzte Übersetzung der Ode an den Tod in Kortüms
^Jobsiade^ sind. Der Seltsamkeit halber soll das kürzere Lied (St. 624.
S. 276 f.) hier mitgeteilt werden:
„O furchtbare Smrt, o böse Smrt — wieviel Wunder vollbringst du! —
Dein bitteres Gedenken — verwundet heftig mein Herz. — Wer immer
dein Leid erfahrt — aus ihm muss die Seele hinausfahren. — Wen dein
Pfeil verwundet — den schützt kein Purpur — dem frommen kein
Apotheker — dem frommen selbst die feinen Doctores nicht. — Der
braucht nicht nach Padua zu gehen — noch in irgend eine Apotheke. —
Vergebens trägt er Amulete — vergebens alle möglichen teuflischen Zau-
bereien. — Er muss die Blätter, die Pflaster und die Wurzeln auf die
Seite legen. — Weder ein Trunk Alkermus — noch die Pratres aus der
Stadt Wien — vermögen ihn zu erretten, — dass er nicht zum Gefangenen
der Smrt werde. — Denn entzieht sie jemandem das Leben — so drückt
sie ihn mit weichem Fusse nieder. — Sie thut dem Alter nicht schön —
Mnd berücksichtigt nicht die Jugend. — Sie fürchtet sich vor dem Zornigen
nicht — sie hat keine Angst vor dem Mutigen. — Wo ist Samson, der
kraftstrotzende Ritter — wo Herkules, der grosse Held? — Wo ist Alexander,
der Mächtige — der über die ganze Welt herrschte? — dessen Gefangener
Darius — die Perser und Ägyptus waren? — Wo ist Julius, der erste Cäsar?
— der mit einem Löwengespann daherfuhr? — der den Pompeius er-
mordet — und die ürbs eingenommen hat? — Wo sind die übrigen vielen
Cäsaren — jeder im Heldentum hervorragend? — Über alle trugen sie
den Sieg davon, — nur dich, die einzige, konnten sie nicht besiegen. —
AUen hast du die Kronen, allen die Waffen und die schnellen Rosse ge-
nommen — dass dir niemand entweichen, — dass jeder ins Grab sinken
muBste" etc. etc.
Wie kann man solches Zeug für ein Volkslied ausgeben?
(Fortsetzung folgt.)
11*
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2g4 Porkclsson;
Die Annalen des Bischof Gisli Oddsson in Skälholt
von 1637.
Mitgeteilt von Jon porkelsson.
Unter den Handschriften, welche Professor Fi nnur Magnüsson 1832
der Bodlejanischen Bibliothek in Oxford verkaufte, sind zwei Papierhand-
schriften in 4*, Nr. 50 und 51, welche die Annalen des Gfsli Oddsson,
Bischof von Skalholt auf Island, von 1631 — 1638, enthalten. Diese Annalen
sind im Jahre 1637 geschrieben und jetzt nirgends sonst als an der vor-
genannten Stelle zu finden. Beide Handschriften sind Originale, wenn es
auch ungewiss ist ob von der eigenen Hand des Bischofs, abgesehen von
der Unterschrift in Nr. 50 und einem kleinen Abschnitt in 51.
Die Annalen beginnen mit dem Jahr 1106 und gehen bis 1637, über-
springen aber viele Jahre, so dass von 1106 bis zum Ende des 14. Jahr-
hunderts nur folgende vorkommen: 1106, 1117, 1153, 1158, 1159, 1165,
1168, 1181, 1199, 1223, 1226, 1227, 1238, 1240, 1244, 1245, 1275, 1279,
1308, 1331, 1340, 1342, 1346, 1374 und 1379. Es ist dies alles ohne
Wert, denn es ist nur anderen älteren Annalen und Quellenschriften ent-
nommen, von welchen manche sehr unzuverlässig sind (den Oddaverja-
annalen, der Lyskanderskronik 1608). Professor Gustav Storm in
Kristiania hat eine Untersuchung darüber gegeben im Arkiv för nord.
Filologi VI. Neue Folge H, 351 — 357. Es war zum ersten Mal, dass
diese Annalen beachtet wurden; aber Storm fehlten alle Aufschlüsse über
den späteren Teil des Jahrbuchs, von dem man vermuten konnte, dass er
beachtenswert sei. Ich freute mich deshalb im, Sommer, als ich die Aus-
sicht hatte nach England zu reisen und isländische Handschriften zu unter-
suchen, an das Jahrbuch Gisli Oddsson zu kommen, weil ich darin
grosse historische Kenntnis, besonders aus dem 17. Jahrhundert zu finden
erwartete, der Zeit, in welcher der Verfasser selbst lebte, zumal es kein
unbedeutender Mann, sondern der Bischof von Skalholt war, der geschrieben
hatte. Allein ich wurde in meiner HoflFriung gänzlich getäuscht, da er keines
historischen Ereignisses gedenkt, das nicht anderwärts ebenso gut erwähnt
wird. Aber das sah ich, dass er sehr merkwürdig in volkskundlicher Hinsicht
ist, denn er ist voll von Aberglauben und wunderlichen Ereignissen und erzählt
Volkssagen, die sonst nirgends erwähnt werden. Es ist in Wahrheit die
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Die Annalen des Bischof Ofsli Oddsson in Skdlholt von 1687. 165
.älteste isländische Volkssagen- und Aberglauben- Sammlung, nach dem
Beginn der stark abergläubischen Zeit, die mit dem 17. Jahrhundert
anhebt.
Jon Gudmundsson (gest. 1651) schrieb als ein Zeitgenosse yon
Gisli, wenn auch etwas später, und seine Schriften sind gewiss unver-
werfliche Zeugen des Aberglaubens der Leute; aber weil er sowohl un-
gelehrt als selbst sehr abergläubisch war, hat man, was er schrieb, als
seine eigenen Erzählungen angesehen und nicht als die seiner Zeitgenossen,
und hat alle Zauber- und Gespenstergeschichten sowie den isländischen
Aberglauben des 17. Jahrhunderts auf seine Rechnung gesetzt. Allein dass
wirklich alles das tief im ganzen Volke wurzelte, ergiebt sich leicht,
sobald man sieht, dass der Bischof von Skalholt seine Annalen mit diesen
Dingen anfüllt. Ich schrieb deshalb die Annalen von 1402 — 1637 ab und
liess das frühere weg, weil es ganz ohne Nutzen war.
Die Handschrift 50 hat die Annalen vollständig, aber 51 reicht nur
über die Zeit von 1606—1637, und schiebt nach 1612 verschiedene Stücke
aus dem 14. Jahrhundert ein. Die Jahre 1606 — 1637 finden sich also in
beiden Handschriften. Aber ihr Hauptunterschied ist, dass 50 weit voll-
ständiger und besser als 51 ist in dem, was sie beide haben. Auch die
Jahrreihe ist in 51 sehr unrichtig, so dass ich glaube, dass diese Hand-
schrift in Wahrheit ein Entwurf und nicht das Umgekehrte sei, wie Storm
nach Cand. Collin glaubt.
Die Überschrift der Annalen ist diese:
Annalium in Islandia farrago
Hinc inde descripta.
Ich hatte beide Handschriften bei der Abschrift vor mir und nahm
das, was das Vollständigste in einer von ihnen war, auf.
Von diesem Teil der Annalen ist nicht viel Anderes zu sagen, als
dass er selbständig und deshalb bemerkenswert ist. Gleich die Erzählung
von der Pest (pläga) von 1492 (1495) ist selbständig und anders als bei Jon
Egilsson, so dass jeder der beiden für sich steht. Das Eigentümlichste
ist, dass der Annalist entgegen dem, was man erwarten sollte, sich scheut
etwas von de» Landesregierung oder den Landesvorstehem zu ssigen, und
es durchaus vermeidet den Tod ausgezeichneter Männer zu erwähnen.
Der Verfasser führt nicht einmal den Tod seines Vaters, des Bischof Oddur,
1630 an; nicht mit einem Wort den Stadtbrand von Skalholt im selben
Jahr; kaum erwähnt er die Türkenplünderung von 1627, und nicht hält
er es der Mühe wert, bei diesem Jahr des Todes des Bischof Gudbrandr
2u gedenken. Ein einziges Mal erwähnt er den Tod eines hervorragenden
Mannes, aber das ist der Wassertod Gisli Arnasons in Blautakvisl bei
Bölhraun, den er 1603 setzt. Er erwähnt ihn augenscheinlich nur, weil
es wunderlich dabei zuging und ein ungeheurer Fischzug das Netz zerriss.
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166 porkelsson:
Gislis Tod wird in anderen Annalen nicht aufgeführt; das Jahr wäre nach
meiner Meinung richtiger 1612 oder 1613. Unwetter und Feuerbrünste berührt
der Verfasser als merkwürdig, was ihm nahe lag, da er so reichlich allen
Geschichten von Naturmerkwürdigkeiten nachjagt, wie Missgeburten, Me-
teoren, Nebenmonden und -Sonnen, freiwilligem Glockengeläut, Ungeheuern
und Wunder erscheinungen.
Von den Geschichten, welche die Annalen erzählen, sind besonders
interessant: die Geschichte von dem Mädchen in Hvamm 1599, von dem
Mädchen in Berghyl 1606 und die prächtige Gespenstergeschichte von
dem Spuck des Ivar Eyjölfsson von 1606, und nicht zuletzt die hier zum
ersten Male erwähnte Hexerei porleifur pordarsons (Kjapta - Leifi,
Galdraleifi), der erst im Jahre 1647 starb. Alle diese Geschichten sind
sonst unbekannt.
Candidat Coli in, welcher den älteren Teil der Annalen im Winter
1888/89 für Professor Storm auszog, hat geklagt, dass die Abschriften
schwer zu lesen seien, und gewiss ist es nicht so leicht, da die Dinte zu-
weilen durchgeschlagen ist.
Der Bischof sagt am Schluss, dass Sera Ketill Jörundsson(gest. 1670),
der in Skälholt erzogen und um 1637 dort Locator war, die lateinische
Übersetzung grösstenteils gemacht habe. Aber die Hand in keiner der
beiden Handschriften gleicht der Hand Sera Ketils.
Es ist hier wohl an der Stelle von Bischof Gisli selbst etwas zu
berichten.
Sein Vater war der bekannte Bischof Oddur Einarsson (geb. 1559,
gest. 1630), seine Mutter Helga Jönsdöttir, vom Geschlecht Bischof
Jon Arasons. Gisli ward 1593 geboren, im Jahre 1616 Priester bei
seinem Vater in Skälholt. Schulmeister war er 1621 — 22; dann ward er
nach Stafholt im Borgarfiörd ernannt, und 1623 Pfarrer in Holt undir
Eyjafjöllum. Im Jahre 1622 verheiratete er sich mit Sigridr Björnsdöttir;
die Ehe blieb kinderlos. Aber zuvor hatte er ein uneheliches Kind mit
Gröa, der Tochter des Priesters Eyjölfr Arnpörsson in GarSar. Auf
dem Alping von 1631 nach dem Tode seines Vaters ward er zum Bischof
gewählt, gleichzeitig sein Bruder Arni zum Lögmann. Er starb auf dem
Alping am 1. Juli 1638. Diese drei, der Vater Bischof Oddur und die
Söhne Bischof Gisli und Lögmann Ami waren sämtlich hervorragende
Männer. Bischof Oddur war von einer alle anderen überragenden Grösse
und Männlichkeit. Er und der Sysselmann Ari Magnussen i Ögri (gesi, 1652)
waren auf dem pingfelde leicht kenntlich, denn sie ragten mit Haupt und
Schultern über die ganze Versammlung hinweg. Oddur war mit der
Gabe, die Zukunft zu sehen, ausgestattet, und stand im Rufe, vieles voraus
zu sagen, was sich später erfüllte. Begreiflicherweise ward er für einen
Zauberer und im Verkehr mit den Eiben gehalten; es giebt viele Ge-
schichten davon. Er war ein sehr gelehrter Mann und von ihm stammen
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Die Annalen des Bischof Glsli Oddsson in Skdlholt von 1637. 167
die ältesten isländischen Sagenhandschriften nach der Refonnation. Yon
der alten Litteratur rettete er viel vor dem Untergänge, indem er es ab-
schreiben liess.
Arni, der Lögmann, war so berühmt wegen seiner Rechtschaffenheit,
dass er ohne gleichen galt. Es wird von einem Verbrecher erzählt, dass er
an den meisten Landeshauptleuten etwas zu tadeln gehabt habe, aber von
Arni Oddsson habe er gesagt, dass er nur gutes an ihm gefunden.
Gisli Oddsson war, wie sein Vater, ein sehr starker Mann und durch
seine Kräfte so berühmt, dass Sagen davon gingen. Eine derselben ist die,
dass er den grossen Skalholtaraboss, welcher 480 Pfund wog, ohne aus-
zuruhen, rings um die Schmiede und in sie hinein getragen habe.
Das Gerücht hatte sich verbreitet, dass Gisli etwas zum Trunk geneigt
sei, und das wurde ihm bei der Bischofswahl zum Vorwurf gemacht. Es
ergab sich freilich, dass es nicht so schlimm war, als man sagte. Dennoch
glaubten viele, dass seine Anlage zum Trinken schuld daran sei, dass er
kein höheres Alter erreichte.
Bischof Gisli galt zu seiner Zeit für einen gelehrten Naturkundigen;
auch hat sich eine Schrift von ihm erhalten, welche, wenn man will, noch
merkwürdiger als die Annalen ist, eine Beschreibung Islands von 1638.
Das einzige Exemplar liegt in der Sammlung Finnur Magnüssons in Oxford
unter No. 84, 4®, und ist im ganzen 203 Seiten stark. Es ist Original,
wahrscheinlich vom Verfasser selbst geschrieben. Finnur Magnussen hält
dafür, dass es die Schrift sei, welche in der Bibliotheca Reseniana
(Hafn. 1685) dem Bischof Oddur, Gislis Vater, zugeteilt wird, und das
ist nicht unwahrscheinlich, weil Odds Schrift sonst nirgends zum Vorschein
gekommen ist.
Die Schrift ftlhrt den Titel De Miribilibus Islandiae. Ich zog
sie im Sommer aus, und weil sie in nächster Verbindung steht mit den
Aufgaben dieser Zeitschrift, werde ich einiges daraus vorführen, besonders
weil diese Schrift früher nirgends sonst erwähnt worden ist.
Voran steht dieser Satz:
Anno 1638 18 Aprilis Deacriptionem rerum admirabilium quaß in
patria occurrunt ordior quod utinam tam felici sydere ac auspicio quam
voluntate simplici mente Candida et veritatis studio bene vertonte Deo. fiat.
Hintenan steht:
Explicit libellus ad Calendas Majas.
Die Schrift kann recht lehrreich heissen, aber es fehlt nicht an Aber-
glauben, besonders in den Elbensagen. Von dem Inhalt geben die Über-
schriften der 40 Kapitel die beste Vorstellung.
1. De situ Islandiae ad elevationem poli. 2. De Glacie boreali aut Gron-
landica cum adjimctis. 3. De Meteoris rairis et varijs a rore mellito. 4. De
terr» motibns et ignium eruptionibus ijsdemque diversis et horrendis. 5. De
quasi meteoris in mari. 6. De portentis fluminum. 7. De monstris in mari.
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168 porkelsson:
8. De piscibus grandioribns seu animalibus oceani. 9. De minoribiis etiam quasi
animalibus. 10. De pisciculis minusculis maris. 11. De minutulis piscibus flu-
yiatilibus. 12. De avibus prsecipue domesticis. 13. De adventilijs seu aestivalibus
aviculis. 14. Opinio de hyberaatione aricularum ibidemque de Aradalis. 15. De
avibus marinis. 16. De iuseetis volatilium. 17. De reptilibus insectis. 18. De
auimalibus terrestribus. 19. De feris. 20. Desi^atio prsBcipuarum alpium,
stagnorum, fluviorum ac 8iuu[u]ni in Islandia. 21. Appendix superiorum. 22. De
insulis primarijs circa continentem habitatis. 23. De insulis Yestmannorum sin-
gulariter. 24. De graminibus et herbis. 25. De fructicibus et radicibus. 26. De
arbusculis et arboribus. 27. De quibusdam locis notabilibus. 28. De admirandis
fossüibus. 29. De metallis. 30. De lapidibus et gemmis. 31. De Puteolis et
fontibus yarijs. 32. De diversitate antrorum et speluncarum 33. De subterraneis
gigantibus et hominibus. 34. De eorundem miraculis. 35. De balneo arenario
. nobilissimo (non procul a villa Reykiablid). 36. De hominum indole et institutis.
37. De balenarum yenatione. 38. De artiftcialibus admirandis. 39. De ingenijs
sollertissiniis. 40. De operis faeminarum ac ibidem de Farre Islandico.
Im Kap. 6 wird von der Schlange im Lagarfljöt erzählt, von der die
Annalen sagen, dass man sie oft sehe. Sie ist aller Schlangen fürchter-
lichste. Einige sagen, dass sie eine Meile lang sei, doch stimmen die
Angaben dfirüber nicht, wie viele Krümmungen sie hat: ein, zwei, drei
werden angegeben. Sie ist entsetzlich und regt den Fluss so auf, dass er
auf das Land überströmt. Sie gebärdet sich so schlimm, dass die Erde
erbebt und die Häuser in der Nähe wanken. Sie ist sehr hässlich. Es
wird erzählt, dass einmal ein Bischof sie aus dem Fluss hinwegbannen
wollte und sie war verschwunden, so lange der Bischof da war. Als er
aber fortgegangen, kam sie wieder zum Vorschein und sie war durchaus
nicht angenehmer als zuvor.
Im Lagarfljöt sind zwei andere Ungeheuerarten: gefährliche Seehunde
und ein schrecklicher Koche. Stephan Olafsson (gest. 1688) erzählt
von diesem Ungetüm in der Raunkufötsrima (meine Ausgabe I, 115—117)
und sagt, dass die Schlange auf Gold liege und mit Kopf und Schwanz
am Grunde festgewachsen sei; sie sei drittehalb Meilen lang:
Ormminn sä, sem uppi i fljöti er endilangur,
hart vi?r brd, er brast i rot og bylgjugangar.
Fastür d haus er hermt bann liggi og bala sinum,
gildan hnaus af gööri byggir grabaksdynu.
Half pingmanna langur leid nam lykkjur keyra
ekki grannur upp lir breiäum ymis dreyra.
Skatan liggur baröabreiör i bäru glaumi,
snyr upp hrygg og eingu eyrir üt hja Straumi.
Svo sem ey er a aö litrf ypt lir glyju,
langt nam teygja ür hylnum hvita halana niu.
Selurinn einn er undir fossi int aö bölmi,
bans augasteinn er bjartur blossi, en bak sem hölmi.
Ldmum spennir leyndar krar um laßgis grunna,
framan ür onni hans er bar sem hrislu runnar.
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Die Annalen des Bischof Glsli Oddsson in Sk&lholt Ton 1687. 169
Dann erzählt Bischof Gisli, dass eine unermesslich grosse Sehlange
in der Skapta sei; ihrer wird anch in den Annalen gedacht.
In der Hvita bei Skälholt ist ein furchtbar grosses Ungeheuer, das
sich in allen möglichen Tiergestalten zeigt. Weiter erwähnt Gisli, dass
es Nicker, und zwar keineswegs kleine, in den Gewässern gebe.
Im 14. Kap. gedenkt er, dass Aradalur ^in historiis nostris" berühmt
gewesen und dass man dieses Thal als „c.ampos Eliseos^ betrachtet habe.
Nun sei aber seit langen Zeiten niemand dorthin gekommen, und keiner
wisse, wo es liege.
In Kap. 33 erwähnt der Bischof die Trolle, welche in Felshöhlen
wohnen sollen. Er sagt also gewiss, dass sie ausgestorben seien; doch
lebten noch Menschen, welche sie gesehen haben wollen. Sie seien fürchter-
lich hässlich, aber nicht so besonders schlimm. Sie liebten die Dunkel-
heit sehr.
Demnächst nennt er die Eiben, welche man „jam diu*' für wirkliche
Menschen (pro veris hominibus) hält, und die in Wäldern und Höhlen
wohnen.
Die Eiben (alfar) nennt er von doppelter Art. Die eine ist das
Huldufölk, das sind die bösen Eiben, die den Menschen übel wollen. Die
aodere Art sind die Ljüflingar, das sind cie guten, welche sich mit
Menschen Terbinden. So sagt Gisli, dass einer solchen Verbindung das
Mökollsgeschlecht entstamme *).
Im 34. Kap. erzählt er weiter von den Eiben und berichtet Sagen
von ihnen dieser Art:
Ante aliquot annos Parvulos quosdam tarn pneros quam puellas surripere
conati sunt monticolse, quorum alij semianimes et malitiose tractati, alij alio tempore
penitas emortui nostratibus restituti suut, alij tanquam cathenis ferreis detenti
(quibus natura sua aut malo quodam fato oculi adeo sunt lyncei ut spectra con-
spectum illorum vitare nequeant) visi sunt. Tum vero alij nostratium paulo adul-
tiores apud eosdem aliquot septimanas communi victu in collibus et intra mon-
ticulos, quantum quidem ipsis visum est, habitavcrant, ut iam nihil dicam de bis
qasß commercia et conversationem cum illis subdole ac nefarie communicaverant,
tarn qui sine cibo vel potu naturali jamdiu inter nos victitarant, sabterraneis istis
Yictualia subministrantibas ad satietatem, idque praecipue de nocte, cujus rei exem-
plam hoc anno presente 1638 in provincia Mydal audire est. Addo forninam quan-
dam adhuc in vivis esse in eadem provincia et vicino loco Fagradal, quse nunc
adeo multos annos maritata illic habitaverat, lecto detenta propter aliquam corporis
debiUtatem omnibos ignotam, qoia quandam harum familiarum habere credebatur
noUo alimento sustentata multis inquam annis nisi lacte nigricantis vaccse et generis
qns siroiliter atri coloris, et quod albnm est lac harum pecudom ex arte ab
aliomm lacticinijs dignoscere fertur, fsemina quoad gustum et ol factum nee non
omnia domus suse pmdenter satis ac fseliciter sola procurare et iam decumbens
monita fortasse ubi fabulantur monticolae. Sed hsec omnia adeo incerta sunt et
1) Das Mökollsgeschlecht ist aus dem BorgarQordr im 15. Jahrhundert, es vermischte
sich mit dem Hagageschlecht auf Bardastrand, und davon ist viel Volk gekommen.
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170 porkelsson:
occolte aguntnr, ut nemo possit yeritatem rei penitus indagare. Neque igitur pro
veritate vendito, sed quasi opinionem vnlgi recito; quod autera de victu asserui,
per omnia verum esse autumo, quantum quidem mihi ex relatione constare licuit,
ac puto certe. hie aliquas subesse pnestigias Demmoniacas quamvis me laterent.
Im 38. Kap. berichtet er von menschlichen Arbeiten und Kunststücken,
die merkwürdig sind, in folgender Weise.
Sic propria veluti industria ferramenta contemperare quidam solerter dedierunt,
alij quoque sagittas mannarias et arcus vulpium nee non frameas lanceas proprio
marte nullo prseeunte ') institutore promtius quam sperari poterat elfererunt. Alij
sculptilia quauis etiam literaturam ignorantes affabre tueunt et colant ad quaslibet
imagines objectas arborum ferarum yolatilium atque ideo ipsarum literarum, deniqae
quod non natura docuit siquidem faber extit in plaga occidentali, qui naviculam
suis manibus condidit octoremis insignem, quos rotarura beneftcio et funiculorum
omnes solus direxit nauclerus in puppi sedens, atque hoc pacto vastos sinus per-
meare potuit aere tamen solerta, ventis enim et tempestatit)us cimba talis necessario
quierit. Audivi alterum quendam dsedale artem tentasse avicularum plumas et
pennas colligendo, atque alas subaretando veluti iadumentum corpori suo adaptasse
et sine molestia volare potuisse etiam trans amnem Huytaa i Borgarfyrde, cujus
viri nepotes in vivis sunt. Neque id ipsum fabulosum neque uUa in magica quod
putari potuerat factum est, sed arte tantum naturali. Adeo solertia sunt qusedam
nostrorum hominum ingenia. Vidi urinatorem nostratium qui non sicut alij natare
solebat, sed tanquam piscis pinnas et caudam, hoc est manus et pedes agilime
natando movit absque onmi molestia adeo ut qua si in aqua tegere potuisset.
Verum similia artificia, quae naturam fere superant, alios docere quantum audivi
vel plane negabant authores, vel etiam prudenter noluerunt, ne quisquam forte
aliquid simile infeciliter ac periculose tcntaret. sunt ejusdem generis plura quae
brevitatis Studiosus at conscius negligo.
Est etiam inter nos hodie qui columbam volatilem proprijs manibus ingeniöse
atque arteflciose conüavit, ignem quoque evomentem. plura his addere nisi tempus
me ad excellentia quaedam ingenia hominum revocaret.
Im 40. Kap. spricht er ebenso von Arbeiten isländischer Frauen
jener Zeit.
Faeminse vero quibus solis, non autem maribus, concreditum est ut almentaria
tractent et ad usus quotidianos praeparent, dixi vix potest quanta alacritate et
insigni varietate quaecunque inter illas sunt nobiliores atque liberiores rem admi-
nistrent, non solum ex lacti cujus innumeris sed etiam ex camibus animalium
pariter ac piscium cum jusculis suis non adspemandis, sed etiam ex terrae fructibus
et domestica farina, cujus nunc ferme oblitus sum. noscitur enim spontaneum
quoddam frumentum quotannis copiose in australi plaga insulae in provincia Medal-
land praBcipue, sed et alibi quoque tritico simile frumentum quod resecant incolae
annuatim et sedulo arefactum mola subigunt et faeminae postea panibus atque pul-
mentarijs utiliter aptant, quae quantumuis terrei saporis aliquid habeant eo quod
non seruntur, tamen frugaliter atque ad satietatem aluit. seien tetiam faeminae nostrse
herbas seu gramina quaedam singularia tam in montibus quam colliculis etiam
littorum nata decerpere et colligere ac ad solem arefacta manibus suis conterere,
ut farris cujusdam similitudinem induant aut vicem obeant istamque farinam qualem-
1) praeenunte (!) ms.
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Die Annalen des Bischof Gisli Oddsson in Skälholt von 1637. 171
conque pnlmentarijs suis immiscere, ad panes vero plane est inhabilis atqne inutilis.
Neque procnl abest a miraeulo quod apud nos repperiatur faemininum genus aliud,
castitatis nota *) adeo preclarum nt virgines plorimas easdemque pietissimas *)
insula foFeat, quae noplijs nunquam consenserunt sed qnasi perpetuam Tirginitatem
solo pietaids studio sibi sunt pollicitse, aliud prolificante feracissimum adeo ut in
effaeta quasi senectu uterum gestare inveniantur usque ad annum 50 communitur
et qusedam ultra 60. Matrona qusedam nobiliorum geaere nata etiam nunc superstes
est qnae 23 parvulos de suo utero sola enixa fuerat, gemellos ac tergemellos all-
quoties pariens. Aque ita quse sunt prsecipue notatu digna hujus insulae perstrinxisse
Tideor miraculn. Caetera quae satis multa esse novi alijs reliquens qoibus id per
occasionem et qua sunt longe supra me eruditione praecellentiores abundantius et
excellentius facere licet.
Diese Handschrift wird ohne Zweifel dieselbe sein, welche Hallgrimur
Jonsson der Diakonus (gest. 1836) in seinen Kithöfundatal (Mss. Isl.
Bökmentafelags Nr. 385, 4.) in dieser Art nennt: ^Islands Naturgeschichte
hat er (s. Gisli) zu schreiben begonnen". Aber die Handschrift ist toU-
standig und der Bischof hat sie zwei Monat vor seinem Tode beschlossen.
Die Annalen erwähnt er in dieser Art: „(Er schrieb) Annalen, die in
Kopenhagen sein sollen".
Hallgrimur hat also gemeint, dass die Annalen in der Ami
Magnüssonschen Sammlung wären oder er hat gehört, dass Pinnur
Magnussen sie besässe.
Femer nennt er zwei Handschriften. Die eine: De actionibus tantum
nitentibus, deren Thema mit der bekannten Thatsache stimmt, dass Gisli
ein redegewandter Mann war. Die andere Schrift ist nach seiner Angabe
eine isländische Auslegung der reformierten Kirchenordnung Kristians IV.
von 1633.
Das Briefbuch Bischofs Gisli ist noch erhalten und befindet sich in
der Arni Magnüssonschen Sammlung in Kopenhagen unter Nr. 244 bis
247, 4* und sein Geschäftsbuch (maldagabök) ebendaselbst unter Nr. 248, 4®.
1) oder: nota, ms.
2) pientissimas (!), ms.
(Fortsetzung folgt)
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172 Zingerle :
Segen und Heilmittel
ans einer Wolfsthumer Handschrift des XY. Jahrhunderts.
Mitgeteilt yon Oswald von Zingerle.
In der Bibliothek des den Freiherm von Sterübach gehörigen
Schlosses Wolfsthurn bei Sterzing in Tirol befindet sich eine, der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts entstammende, nun 109 Blätter umfassende
Papierhandschrift in Folioformat, deren Inhalt so ziemlich alles, was damals
in einem Haushalte als wissenswert erachtet wurde, bietet; ja noch mehr,
da auch für Erbauung und Unterhaltung gesorgt erscheint. Der Leser
wird belehrt über Obstkultur und Kellerwirtschaft, er findet Anweisungen
zur Bereitung von Leder, Essig, Seife, Stärke, Wachs, Tinte, Pulver,
Farben und Färbemitteln u. a., zum Reinigen der Kleider, zur Vertilgung
von Mäusen, Fliegen, Flöhen und anderem Ungeziefer, zum Vergolden
und Musieren, Ätzen von Stahl und Eisen, Glasleimen, Fladerziehen, zu
Fisch- und Yogelfang, zur Konservierung der Eier und dergleichen mehr.
Ausser ^ diesen, dem Wirtschaftsbetriebe, den Bedürfnissen des täglichen
Lebens und auch verschiedenen Passionen Rechnung tragenden Ein-
zeichnungen, hat im übrigen die Heilkunde, mit Einschluss der Diagnostik,
die Gesundheits- und Körperpflege vorzüglich Berücksichtigung gefunden.
Für Krankheiten, Leiden, Schmerzen und Gebrechen aller Art sind die
verschiedensten Mittel angegeben, andere sollen vor Schaden, der von
Tieren oder Menschen droht, bewahren; wieder andere sind kosmetischer
Art. Und all das steht, obwohl der Codex in seinem ursprünglichen Bestände
von Anfang bis zu Ende ohne erhebliche Unterbrechung geschrieben ist,
grossenteils kunterbunt durcheinander; nur ab und zu lässt sich eine sach-
liche Gruppierung wahrnehmen. So stossen z. B. inmitten des Abschnittes
wie man den harn erchennen sol einige Heilmittel zu der spunne
und zu den orn auf; Bl. 21 ist von Podagra und Harnstein die Rede;
darauf folgt ein Verjüngungsmittel, dann ain goltgrunt, zu musieirn
ain varb, daran anschliessend wieder medizinische Rezepte, worauf von
presten der pawme gehandelt wird.
Diese Unordnung entspricht dem gewöhnlichen Zustandekommen solcher
Sammlungen: Auszüge aus einschlägigen Werken bildeten häufig die Grund-
lage, fortgesetzte Lektüre, mündliche Mitteilungen, eigene Kenntnis und
Erfahrung führten dann zu Erweiterungen, zu Zusätzen, die an den Blatt-
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Segen und Heilmittel. 173
rändern oder wo sich sonst noch Platz fand, eingetragen and Ton späteren
Copisten in der gegebenen Reihenfolge abgeschrieben wurden. Dass Tor-
liegende Kollektion zum Teil auf gelehrten Quellen beruht, beweisen
schon die hin und wieder vorkommenden Berufungen auf Aristoteles,
Socrates, Ypocras, Polyen, Constantinus und andere in den alten Arznei-
büchern gerne citierte Meister; doch ist vieles unstreitig auch auf die früher
angedeutete Art hinzugekommen.
Dem Kulturhistoriker gewähren derartige Sammelhandschriften oft
reiche Ausbeute und es ist sehr zu wünschen, dass ihnen die gebührende
Aufmerksamkeit geschenkt werde. Über gar manches, was mittelalterliche
Haushaltung betrifft, erhalten wir daraus allein genauere Aufschlüsse; und
wenn diese Quellen auch vorwiegend dem späteren Mittelalter angehören,
so lässt sich bei eindringlichem Studium doch für die Erkenntnis früherer
Zustände mehr oder weniger daraus gewinnen, und halten wir die Gegen-
wart hinzu, so zeigt sich, dass hier und dort noch an alter Methode fest-
gehalten wird. Das gilt in noch höherem Grade von den Heilmitteln,
deren Mehrzahl in der Volksmedizin heutiges Tages noch Anwendung
findet. Die Pflanzenwelt steuert bekanntlich hierzu das Meiste bei, auch
animalische Stoffe erscheinen vielfach gebraucht, während mineralische
weniger in Betracht kommen; ausserdem spielen aber Gebete, Segen, Be-
schwörungen, Brieflein und ähnliches eine wichtige Rolle, und deren sowie
anderer abergläubischer Mittel bietet der Wolfsthumer Codex eine grosse
Anzahl. Mehreres hiervon ist schon aus ähnlichen Publikationen*) bekannt;
doch gebe ich den ganzen Yorrat, weil die Übereinstimmung in der Regel
keine vollkommene ist und selbst geringfügige Abweichungen für die Ent-
wicklungs- und Überlieferungsgeschichte von Bedeutung sein können.
In der Schreibweise habe ich mich an die Handschrift gehalten, nur
der Gebrauch der Majuskel wurde in der üblichen Weise geregelt; auch
rührt die Interpunktion, welche in der Handschrift gänzlich mangelt, von
mir her.
Ich führe zunächst jene Segen an, welche bei bestimmten krankhaften
Zuständen des menschlichen Körpers zur Anwendung kamen.
Bl. 2b. Für den afeP)
sprich disen segen:
Afel vnd äflin giengen vber ein wisen weitt, da begegnet in die weich fraw •)
sand Amarey. „Afel vnd äOin, wo weit ir hin mit den siben kinden, mit denn
sjben vnd sibentzigk schüsslingen?" — „Da will ich hin in N. haws, da will ich
Tel reissen vnd pain prechen vnd plut lapffen ^), vnd auf dem fletz will ichs recht
besetzen vnd vntter dem dach ain gros geschray machen^. „Afel vnd äflin, ich
1) Zs. f. d Alt. 18, 80. 20, 20. 24, 65. 27, 308. 31, 103; Genn. 24, 73 und 311;
Ämeiger f K. d. d. Vorz. 1862, 234. 1873, 227 und 262. Sitzungsberichte der Wiener
Akademie. Bd. 42, 127
2) Eiter. 3) heihge Frau. 4) schlürfen^ trinken.
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174 Zingerle:
gepeut dir bey der weich fraw sand Amarey, das du hin farest vber mer mit den
siben kinden, mit den siben vnd sibentzigk schüsling, da fliessen drey prttnn, der
ein ist gat, der ander ist plnt, der dritt ist äflig; da peut ich dir in mit den siben
kinden, mit den siben vnd sibentzigk schuslingen. Des helff mir der vil gut Jhesum
Christum vnd sein mueter, das helff mir die weich fraw sand Amarey, das helff
mir alle die kindt, die im namen gotz gekrisembt vnd getauft sindt, das helff mir
der man, der dott vnd marter am stam des heiigen kreutz nam, im namen des
vater vnd des svn vnd des heiigen geist".
Bl. 9a. Pur den schlagk.
Nym ain federküs vnd legs auf ain drischeufel ') vnd leg den fus oder die
hant, daran du den schlag hast, auf das kUss vnd nym ain schlegelhagken in die
hant vnd heb die hagken mit der schneid in die hoch vnd sprich drey malen nach
einander: „Gott der her beschuff den tag, der teufel beschuf den schlag; der den
tag beschueff, der sey dir N. heut für den schlag gut, in nomine patris et fyiy et
spiritui sancto^. Als oft; du den segen sprichst, so mach zum lösten dreu creutz
über den schaden vnd zeuch die hagken von der hoch gemach mit dem ör auf
den fus. Probatum est.
Bl. 89c. Für daz fieber.
Ain hübsch kunst vor allere hande fieber.
Nym iii salvaypletter auff ainem stengel ains morgens vor der sunnen vnd
schreyb auff das ain blatt f pater f pax, auff das ander plat f filius f uita, auff
das dryt plat schreyb f Spiritus f sanctus sit tibi contra febres remedium amen.
Das du drey morgen vor der sunnen vnd alle male so nym iii pletter, dor noch
so sprich funff pater n oster vnd funff aue maria vnd ain gelauben.
Yerschiedene Mittel gegen das Fieber sind Bl. 115 zusammen-
gestellt: davon kommen in Betracht
Bl. 115a. Wiltu dem menschen helffen des fiebers ab, so schreib diso wort
auff ein priefel vnd heng ez dem menschen an den hals: Egressus Jhesus de
synagoga introiuit in domum Symonis. Socrus autem Symonis tenebatur magnis
febribus et rogauit illum pro ea. Staus super illam imperauit febri et dimisit
illam. Sic impero tibi, febris, in nomine patris et ftly et Spiritus sancti, ut deinceps
non prcsummas vexari hunc famulum dei N.
Bl. 115 b. Nym ain öpfel *) vnd taile den in drey tail vnd la sy doch haften
an einander vnd gib die tail drey morgen yetweders tail besunder cze essen, vnd
czu ainem tail (ll5c) sprich „Im namen des vaters increatus pater", czu dem
andern mal sprich „vnd des suns inmensus pater", czu dem dritten •) sprich „vnd
des heiligen gaistes etemus pater".
Idem.
Item nym drey farmpleter *) vnd schreib an ains „Dextera domini fecit virtutem",
an daz ander schreib „Dextera domini exaltauit me", an daz dritte schreib „Dextera
domini exaltauit virtutem".
Idem.
Item nym drey oblaten vnd schreib an daz erste „pater pax", an daz ander
„filius vita", an daz dritte „Spiritus sanctus est remedium" vnd schreib anderthalb
1) Schwelle. 2) Ms. öpfen. B) Ms. dritte. 4) farm Famkraut.
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Segen nnd Heilmittel. 175
an dem ersten „O crnx admirabilis^) an der andern „euacuacio rvlneris", an der
dritten „restauracio sanitatis^, ynd gib sy dem siechen menschen drey morgen.
Idem.
Item nym ain rinten Ton ainem prot vnd schreib daran f febris, omm
lande colenda, o languor sanitatis et gandy f Ascribendas nox pax max.
Bl. I I5d. Item nym wegrich, wo du den rindest steen. so sprich drey pater
noster stät vnd iii aue maria vnd mulle in czn puluer vnd gib ez dem fiebrigen
menschen czu trincken in warmem weine vnd darczu IX pfefiferkem.
Apfelschnitten, nur mit anderen Worten beschrieben, werden
nochmals, Bl. 123d, empfohlen.
FW aller slacht fieber. Nym ain apfel vnd sneid den in vier tail vnd schreib
an daz erste tail „In nomine patris Jesns, an daz ander „et fyli Nazarenns", an
daz dritte „et Spiritus sancti rex Judeorum". Daz vierde (124a) tail wirff hyn.
Bl. 116a. Für den vallenden siechtag.
Pur die vallende sucht. Du solt warten ^ der weile, so yn die sucht begreift,
so nym ain hyrssein ryemen *) vnd pint yn den vmb den hals vnd sprich „In dem
namen des vaters vnd des suns vnd des heyligen gaistes so pint ich hie den siech-
tnmb des menschen in disem knöpf, den ich daran chnüppfe". Vnd den selben
ryemen sol der mensch dem siechen nit ledigen ^) von dem paine vnd von dem
fleysche, hüncz daz *) er chöm, do man aineh toten begrabe, so sol man den riemen
ledigen ab des menschen halse vnd sol man dan den riemen mit dem toten be-
graben vnd sol der riem dem toten gelegt werden vnter sein Schulter, vnd wer
den riemen lediget, der sol sprechen: „In dem namen des vaters vnd des suns vnd
des heiligen gaistes begrab ich mit disem riemen den siechtumb dises menschen,
das (116b) yn der siechtumb nymmer berür vnd daz der leichnam am jüngsten
tag erstee". Mit den werten sol man den riemen begraben dem toten vnder die
schultern. Ist ainer da nicht, der den riemmen am ersten vmbpant, so mag yn
ain ander ledigen vnd begraben, alz hie mit werten geschriben steet.
Bl. 118a. Czu den czenden*).
Sant Peter sas auf ainem stain vnd hub sein wange in der hant. Do chom
vnser herre vnd sprach czu ym: „Peter, was hastu?" Da sprach sant Peter: „Herre,
die würm haben mir die czende durchgraben". Da sprach der herre: „Ich beswer
euch czende •) pey dem vater vnd pey dem sun vnd pey dem heiligen geist, daz
ez ') hinfur chainen gewalt mer habt, Petro sein czenden cze graben". Ayos, ayos,
ayos tetragramaton.
Bl. 120c. Wiltu daz czandswem pussen, so haiss dem, dem") da wee ist,
auf daz wang schreibn diso wort: rex, pax, nax in Cristo fllio suo.
Bl. 124c. Für mail •) in äugen.
Pur daz mail in den äugen. Sanctus Nicasius der heilig martrer gotes het
ain mail in den äugen vnd er versuchet, ob yn got dauon erledigen wolt, vnd
vnser herre erlediget yn dauon. Da pat er vnsem herren, wer seinen namen ob
im trüg oder hett, daz der selb erlost würd von allen mailen vnd prechen, wie die
1) Ms. warter. 2) Kiemen von Hirschhani 3) Ms. den s. mit Igur. 4) bis dass.
5) Pur die Zähne. 6) 1. würm. 7) ihr (Plural, vos). 8) Ms. de. 9) Flecken.
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176 Zingerle:
warn, vnd vnser herre erhöret yn. Also peswer ich dich, mail, pey dem lebentigen
got ynd pey dem heiligen got, daz dn verswindest von den äugen des dienere gois
N., du seyst swarcz, rot oder weiss. Christas mach dich hin gen, amen. Im namen
des Täters vnd sons vnd des heiligen gaistes, amen, ynd sprich V pater noster
vnd V aue maria in ynsers herm fünf wunden *).
Eine Reihe von Segen betrifft speciell die Frauen.
ßl. 8c. Pur die mueter").
„Ich peut dir, permueter, bey der macht vnd bey der heyligen gottes kraft,
das du dich legest vnd nit mer regest, dan regest du dich, so stirbt N., so legt
man euch pede in ain grab, da müst ir in ligen bis an den jüngsten tag^. Du
solt der frawen nabel stai^k in die hant nemen vnd den segen drey malen darüber
sprechen vnd als oft i pater noster. Der wundsegen ist auch gut darfur zu sprechen.
Bl. 129b. Czu der permuter.
Zu der permuter. In nomine patris et ftly et spiritus sancti amen. Ich peswer
dich (125 c) smercz der permuter pey dem vater vnd pey dem sun vnd pey dem
heiligen gaist f welherlay band du seyst, daz du dich nicht auf hebest vnd vnder
sich nicht lassest, sunder daz du dich an dein gewönliche stat fügest mit gemache
vnd mit fride, daz du an chainer stat dich verpergest vnd nicht müest') dise
dieme gotes N. Secundo te coniuro matricis dolor f per nomen dei f per primum
et nouissimum f et per principium et ftnem f per eum, qui erat t et qui est f et
qui ventarus est f et redeas ad locum tibi ordinatum a dco et non ab hac famula
dei N. amen. Czum dritten mal peswer ich dich, smercz der permuter f pey den
vnsprechenlichen namen vnsers herren Jhesu Christi f vnd pey allen gottes hailigen
t vnd pey der rainen junckfrawen Maria f vnd pey dem angstlichen jüngsten tag
f vnd pey allen wundern vnsers herrn Jhesu Christi f vnd pey aller heilichait der
heiligen kirche, daz du nicht berürest die dieren *) gotes t N. amen, sunder in
aller ru vnd fridc lassest irem schepfer dienen. Quarte coniuro te matricis dolor
t per omnes sanctos apostolos et ewangelistas f per patriarchas et prophetas n25d),
martires et confessores, virgines et doctores et viduas et per omnes sanctos et
electos dei f vt hanc famulam dei N. hanc litteram gestautem in nulla parte corporis
ledes ucl ofendas uel atemptare presummas famulam dei N. amen f Ayos o theos
t Ayos yskyros f Ayos atanatos f eleyse ymas. Sanctus deus f sanctus fortis f
sanctus inmortalis t miserere famule dei N t Saluator generis humani, qui secundum
voluntatem tuam transiturus interpellasti hanc famulam tuam N«, dolorem matricis
pacientero, exaudias N. per tuum dolorem, in quo positas eras in ara cmcis
ymolatus, nos a morte eterna liberasti, sie eciam libera famulam tuam N. a dolore
matricis, qui viuis ac regnas deus per omnia secula seculorum amen, t Sanet te
deus pater, qui te creauit f sanet te deus filius, qui pro te ymolatus est f sanet
te deus, qui pro te passus est f sanet te deas, qui pro te natus est f sanet te
deus, qui pro te resurrexit a mortuis t sanet te patemitas patiis f sanet te sa-
piencia nati f sanet te diuinitas spiritus sancti amen. Et benedictio dei patris et
fily et spiritus sancti descendat super te famulam dei N. f et manet tecum et
custodiat te a dolore matricis, cuiuscunque generis sit, amen.
Bl. 78 b. Puer den wetagen der muter. Schreib die nammenn an ein junck-
1) In dem Ms. fehlt in und herrn. 2) Gegen B&mmtterleiden. 8) bemühest,
plagest. 4) Dienie.
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Segen und Heilmittel. 177
fraw perment vnd las die frawenn alltzeyt pey ir tragenn: t ©1 t eloy f eloe f
anexi f andiiary f N. ron f compxmctary f ammenn.
Bl. 29d. Daz ain fraw ringklich^) nider chöm.
Das ein fraw ringklich ader leichtlich nyder komm, so soll mann disse wort
schreiben an ein zedel vnd lege sie der frawenn auff denn bauch:
De viro vir, de virgine virgo, vicit leo de tribu Inda, Maria peperit Christum,
Ellizabeth sterilis Johannem baptistam. Adiuro te, infans, per patrem et ftlium et
spiritum sanctum, si masculus es uel femina, vt exeas de wulua. Exinanite,
exinanite! Ynd wann das ktnt geboren ist, so soll njann alsbalde die zedel von
der frawenn leyb nemmenn mit den geschribnenn werten.
B. 75d. Willtu vorstellen der frawenn ir plummen^), so schreyb die
wort an ein zetel vnd lege es der frawenn auff das haupt: f per ipsnm f et cum
ipso et t in ipso.
Dazu hat ein späterer Leser, dessen Schriftzüge noch auf
das 15. Jahrhundert weisen, bemerkt:
quot est falsissimum et supersticiosum et quasi hereticum.
Bl. 122a. Den frawen.
Wen ain frawe ir weibplichait zu uil hat, so nym hirssein hom') geschabt,
mit wein temperiert vnd trinck des vnd nem dise puchstaben an ain prieflein ge-
schriben vnd leg ez auf die huffe: P. N. B. C. P. X. A. 0. P. I. L. in nomine
pairis et ftly et Spiritus sancti.
Idem den frawen.
Für der frawe plümlein, so des czu uil chumbt, so schreib daz gepet vnd iren
namen an ain prieff vnd leg es auf den nabel: wurm, wurmin, Phaton ....
Die äussere Blatthälfte, welche die Fortsetzung enthielt, ist
herausgeschnitten, ein Zeichen, dass das Weitere anstössig
schien.
Bl. 123a. Den frawen.
So ain fraw ain totes kint trait, so sol sy trincken ains ander weibes sptinne^)
vnd hab die kriechischen namen Vrium, ßurium, Pliaten, so wirt si erloset. So
sy dan erlost wirt, so prenn man die namen in dem fewr.
1) leicht. 2) Menstruation. 3) Hirschhorn. 4) Milch.
(Fortsetzung folgt.)
Z«it«cbrift d. Vereins L Volkskunde. 1891. 12
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178 Pralm:
Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg.
Von H. Prahn.
Yorbemerkung.
AU geborener Neumärker hatte ich von Jugend auf Gelegenheit, Land
und Leute in dem östlich von der Oder gelegenen Teile Brandenburgs
kennen zu lernen, zumal ich infolge einer weitverzweigten Verwandtschaft
und eines ausgedehnten Bekanntenkreises schon als Schüler in der Ferien-
zeit in fast alle Teile der Neumark, das Sternberger Land eingeschlossen,
kam. In den Jahren 1889 und 1890 nun habe ich an Ort und Stelle die
in nachfolgendem mitgeteilten Beispiele von Aberglauben aus dem Munde
des Volkes gesammelt. Ausserdem führte mich mein Weg nach Biesenthal
(Ausgangspunkt für Barnim), nach Beelitz, Fresdorf, Blankensee (für die
Zauche) und nach Baruth.
Die Gebräuche, bei denen ein Fundort nicht angegeben ist, sind mir
aus den drei genannten Gegenden bekannt geworden. Viele von den Be-
sprechungsformeln haben mir handschriftlich vorgelegen; sie sind in der
Sammlung mit einem * versehen.
A. An bestimmten Tagen im Jahr.
a) Am Christabend.
1. Nach Sonnenuntergang wird in der Zauche keine Milch, keine Butter, kein
Käse aus dem Hause gegeben aus Furcht, dass dann. das Vieh behext werden
könne. Man hält die Hexen dadurch fern, dass man um das Gehöft Dill streut.
Fresdorf. Blankensee.
2. Füttert man die Pferde mit Häcksel, zu dem man Stroh aus fremden Dächern
gestohlen bat, so bleiben sie im kommenden Jahr gesund. D öl zig. Schlanow.
Lorenzdorf.
3. Man schneidet von altem Käse die Kruste ab und streut sie in die Mitte
der Stube. Wer dort am meisten tanzt, erhält zuerst einen Mann. Bicsenthal.
b) In den Zwölften (25. Dezember bis 6. Januar).
1. Es wird kein Dang aus den Ställen entfernt, überhaupt nichts vom Hofe
auf das Feld gefahren. Fresdorf.
2. Wenn man Dung fährt, ermüden die Pferde (Woldenberg) oder die Kühe
bekommen Läuse. D öl zig.
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Glaube ond Brauch in der Mark Brandenburg. 179
3. Die Mädchen müssen abspinnen, sonst zersausen ihnen die Barschen das
Garn. Presdorf.
A. Wer spinnt, wird unrein, oder die Frösche fressen im neuen Jahr dem
Flachs die Knoten ab. Schlanow.
5. Wenn man spinnt, werden die Schafe verdreht. Sold in.
6. Kauft man Besen, so wird man reich. Biesenthal.
7. Im Woldenberger Kreise bestreut man das Vieh mit Asche, dann bekommt
CS keine Läuse.
8. Wenn in diesen Tagen zuerst ein Mann stirbt, so sterben im neuen Jahr
mehr Männer als Frauen. Meyenburg.
9. Hört man dumpfes Klopfen im Hause, so wird bald ein Sarg zugenagelt
werden. Biberteich.
10. Viele Sterne bedeuten ein fruchtbares Jahr. Fresdorf.
c) In der Sylvesternacht.
1. Die Obstbäume werden beschenkt, indem man sie mit Strohbändem um-
wickelt, in welche man kleine Münzen gesteckt hat. Warthebruch. In der Um-
gegend von Soldin verwendet man dazu Wurststroh, d. h. Stroh, auf welchem
selbstgefertigte Wurst gelegen, das also fettig geworden ist In der Zauche schiesst
man zwischen den Bäumen Flinten ab, um ihnen ein gesegnetes Neujahr zu
wünschen.
2. Wer während der Predigt vom Nachbarhofe Holz stiehlt, kann das ganze
Jahr hindurch aus dem Walde Holz holen, ohne dabei vom Förster betroffen zu
werden. Schlanow.
3. Punkt 12 Uhr soll man mit dem Handwerkzeug hantieren, dann hat man
im neuen Jahr reichlich Beschäftigung.
4. Wenn man in der Mittemachtsstunde auf dem Turm eine Fahne befestigt,
80 schlägt am andern Tage der Blitz ein. Biesenthal.
5. Jedes Haus hat ein Pfand für die Zukunft. Auf dem Dache sieht man
eine Wiege, einen Sarg, einen Kranz, eine Arzneillasche oder dergleichen. Königs-
berg. Hohen-Lübbichow.
G. Die jungen Mädchen laufen mit einer Pfannenkuchenmolle dreimal um das
Haus und dann in die Stube und gucken in den Ofen. Dort erblicken sie ihren
Zukünftigen. D öl zig.
7. Oder sie gehen, in ein Laken gehüllt, rücklings zur Hausthür hinaus, dann
sehen sie ihn auf der Dachfirst. Dölzig. «
8. Tritt man mit Lichtern in den Händen vor den Spiegel und ruft dreimal
den eigenen Namen, so sieht man die Zukünftige. Berlin.
9. Das Mädchen stellt auf den Tisch vor dem Bett eine Schüssel mit Wasser,
legt Seife, ein Handtuch und einen Apfel dazu und spricht: v^P^^^? Apfel, sage
mir, wer einst mein Gatte wird sein*'. Dann kommt der Zukünftige, wäscht sich
und geht ab. Biesenthal.
10. Auch erscheint der zukünftige Gatte, wenn das Mädchen ausser Brot und
Messer ein Lichtstümpfchen auf den Tisch setzt, das aber nicht länger als eine
Minute brennen darf („sonst ist die Seele zu lange vom Körper getrennt"). Der
Geist setzt sich dann auf den Stuhl vor dem Tisch, macht Bewegungen, als ob er
Brot austeile (event. Witwer mit Kindern) und muss bleiben, bis das Licht erlischt.
Landsberg a. W.
11. Die Mädchen schütteln den Zaun und sprechen:
1-2*
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180 Prahn:
Zäunlein, ich rüttle dich,
Zännlein, ich schüttle dich,
Was ist der Liebste mein?
Das erste Geräusch, das sie nun vernehmen, deuten sie auf den Beruf ihres Mannes.
Hören sie z. B. Peitschengeknall, so wird der Zukünftige Kutscher sein. Fragen
sie darauf: „Wer ist der Liebste mein?" so sehen sie ihn. Biberteich.
12. Bleibt über Nacht eine Waschleine auf dem Boden hängen, so stirbt im
neuen Jahr ein Bewohner des Hauses. Landsberg a. W.
13. Wer im kommenden Jahr sterben wird, hat beim Mondenschein keinen
Schatten. Meyenburg.
14. Wenn ein Sonntagskind durch das Schlüsselloch der Kirchenthür guckt,
so sieht es alle diejenigen Mitglieder der Gemeinde, die im neuen Jahr sterben.
Soldin.
15. Setzt man sich um 12 Uhr auf ein Grab, so kommen die Geister der Toten
und Lebendigen vorüber. Die Geister der Lebenden, die sich umsehen, sterben.
Biesenthal.
16. Der Pastor und der Küster gehen in die Kirche, die von 12 — 1 Uhr nachts
erhellt ist. Da sehen sie alle Gemeindemitglieder, die im neuen Jahr sterben
werden. Ein Pastor hat sich selbst gesehen und seinen Tod vorhergesagt, was
auch eingetroffen ist. Biberteich.
17. Mit dem Glockenschlage 12 löscht man die Lampen aus und zündet Spiritus
in einem Teller an. Dann sieht man, was einem im kommenden Jahr bevorsteht
Berlinchen.
18. Man soll einen schwarzen Kater, an dem kein weisses Haar ist, in einen
Sack stecken, diesen fest zubinden und hundertfach verknoten. Damit soll man
dreimal um die Kirche laufen und jedes Mal in die Kirchthür schreien. Dann er-
scheint der Teufel und fragt, was man zu verkaufen habe. Die Antwort lautet:
„Einen Dachhasen". Der Teufel nimmt den Sack und giebt dafür einen Thaler.
Nun aber muss man sich beeilen, um unter Dach und Fach zu kommen; denn
gelingt es dem Teufel, vorher den Sack zu öffnen, so erwürgt er den Betreffenden.
Der erhaltene Thaler ist ein Heckthaler; so oft man ihn auch ausgeben mag, er
kommt immer wieder zurück. Landsberg a. W.
19. Streut man Pferdeäpfel in den Tanzsaal, so entstehen viele Flöhe. Bie senthaL
d) Neujahrstag.
1. Man »soll den Hühnern das Putter in einen Reifen streuen, dann legen sie
die Eier nicht auf fremde Höfe. Baruth.
2. Wer als der letzte in die Kirche kommt, stirbt als erster im neuen Jahr.
Woldenberg.
3. Wer grosse Fische isst, bekommt grosses Geld.
4. Giebt man nichts aus, so verbraucht man im Jahr wenig.
e) Gründonnerstag.
1. Wenn man Brezeln isst, bleibt man vom Fieber verschont. Beelitz.
2. Ungesalzene Gründonnerstagsbutter heilt alle Wunden. Biesenthal.
3. Flachs wird an diesem Tage gesät. Dölzig. Woldenberg.
f) Charfreitag.
1. Wenn man Russ fegt, brennt der Schornstein nicht aus. Woldenberg.
2. Ehe die Sonne aufgeht, soll man die Nägel von Händen und Füssen kreuz-
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Glaube nnd Brauch in der Mark Brandenburg 181
weise abschneiden and zum Kreuzweg tragen, dann bekommt man keine Zahn-
schmerzen mehr. Baruth. Biesenthal.
3. Wer Fleisch isst, den beissen die Flöhe. Friedeberg.
4. Das Hechtstechen soll man unterlassen, denn man sticht doch nur Schlangen.
Schlanow. Woldenberg.
5. Wer näht, bekommt einen bösen Finger. Königsberg.
g) Ostern.
1. Am zweiten Ostertage schlägt man in der Neumark einander mit Osterruten
aus dem Bett, Die Geschlagenen werden oder bleiben gesund. Als Lohn für das
Schlagen giebt man ein Ei.
2. Schlägt man das Vieh, so wird es im Sommer von den Fliegen nicht
geplagt. Woldenberg.
3. Wenn man sich die Schuhe schmiert, bekommt man kein Ungeziefer.
Schlanow.
h) Walpurgis.
1. i^llgemeiner Gebrauch ist es, in der Walpurgisnacht die Thüren, besonders
die Stallthüren mit drei Kreuzen zu versehen. Dann können einem die Hexen
nichts anhaben und dem Vieh nicht das Gedeihen* nehmen.
2. In der Neumark machen sich die Kinder mit Kreide drei Kreuze auf die
Schahspitzen. Wer das nicht thut, wird von den andern auf dem Rücken bekreidet.
Auch bewirft man einander mit kleinen Heringen.
3. In der Zauche nagelt man Kreuzdorn auf Krippen, Futtertröge und Stall-
thürschwellen. Fresdorf. Blankensee.
4. In der Nacht werden Gurken und Kürbisse gesät. Die gehen dann so
schnell auf, wie die Hexen den Blocksbei^ hinaufreiten. Költschen. Hammer.
i) Marientag (2. Februar).
1. Man soll nicht flicken, sonst legen die Hühner Windeier. Dölzig. Wolden-
berg. Zielenzig.
k) Medardus (8. Juni).
1. Wenn man an jede Thür des Hauses das Wort „Medardus" schreibt, so
müssen die Battcn das Haus verlassen. Dölzig.
1) Johannistag.
1. Hölunderblüten, am Johannistage gepflückt, haben eine wunderbare Heil-
kraft. Dölzig.
2. Johanniskraut schützt den Käse vor Maden. Fresdorf.
3. Wenn die Mädchen 11 — 12 Uhr nachts ohne zu sprechen aus neun Blumen-
arten Kränze winden, so sehen sie im Traum ihren Zukünftigen. Lands b erg.
Woldenberg.
4. Die Mädchen ziehen aus einem Strohdach Halme heraus, bis sie einen
Halm mit einer Ähre trefl'en. Die Anzahl der Halme ohne Ähre ist gleich der-
jenigen der Jahre, die bis zu ihrer Verheiratung verstreichen werden. Sternberg.
5. Nachts fliegt ein Skorpion umher. Was er anrührt, vertrocknet. Költschen.
6. In der Mittemachtsstunde soll das Mädchen einen Kranz von Kleber (Klebe-
kraut, Galium) winden, während es dreimal um das Haus läuft und dabei spricht:
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182 Prahn:
„Klebekranz, ich winde dich.
Schätzchen, empfinde dich.
Wenn du willst der Meine sein.
Komm vor meinen Augenschein".
Dann erscheint der Zukünftige. Hat das Mädchen aber nuch dem dritten LTrahiuf
den Kranz nicht fertig, so wird es krank. Eulam.
B. Im Familienleben.
a) Liebe.
1. Drückt ein Mädchen einem jungen Manne Spinneneier an die Kleider, so
muss er bei ihr werben. D öl zig.
2. Dasselbe erreicht es, wenn es dem Greliebten eines ihrer Haare in dem
Essen giebt.
3. Oder wenn es ein Stück Zucker unter dem Arm durchschwitzt und dem
Gegenstand ihrer Liebe in den Kaffee thut.
4. Schreibt die Braut den Namen des Bräutigams auf die Rückseite der
Pendelscheibe, so hat jener keine Ruhe und muss zu ihr kommen. Dölzig.
5. Die Braut kann den Liebsten auch dadurch citieren, dass sie 12 Uhr nachts
dreimal gegen das Pussende des Bettes stösst und dabei spricht: „Im Namen der
heiligen Dreieinigkeit! N. N. du sollst nicht eher Ruhe haben, als bis du zu mir
gekommen bist". Landsberg.
6. Wenn das Mädchen ein Schweineherz mit Nadeln spickt und dann kocht,
so muss der Bräutigam zu ihr kommen. Biesenthal.
7. Dritte Personen können Liebe zwischen jungen Leute dadurch henorrufen,
dass sie ein Haar Ton dem Mädchen und eins von dem jungen Mann so zwischen
zwei Steine legen, dass der Wind damit spielen kann. Landsberg Dölzig.
8. Liebe wird ertötet, wenn man gebrochenes Herz (Pflanze?), Myrte und
Kreuzkraut in der Erde vergräbt unter dreimaligem Beteuern, dass die Liebe er-
storben sei. Woldenberg.
b) Hochzeit.
1. Der Bräutigam soll kein Hemd von der Braut annehmen, denn diese zieht
sich's vorher an und legt es, nachdem es der Mann gebraucht, mit den Ärmeln
kreuzweise in den Kasten. Solange es dort so liegt, hat die Frau die Herrschaft
im Hause. Biesenthal.
2. Die Braut schenkt ihm ein Hemd, der Mann ihr ein Kleid; dann bleiben
sie einander treu. .Költschen. Zielenzig. Dölzig.
3. Das Mädchen soll das Brautkleid nicht vor der Hochzeit anziehen, sonst
geht die Verlobung zurück. Auch soll sie nicht selbst an dem Kleide nähen,
sondern es von sieben jungen Mädchen anfertigen lassen. Landsberg. Dölzig.
Woldenberg.
5. Die Federn zu dem Brautbett erbettelt sich das Mädchen von Haus zu
Haus. Fresdorf.
6. Am Hochzeitsmorgen bindet die Braut dem Bräutigam beim Waschen die
Hemdärmel zusammen, dann bekommt sie in der Ehe keine Schläge von ihm.
Költschen.
7. Hat die Braut das Kleid angezogen, so muss der Bräutigam ihr die Taille
zuknöpfen, damit er ihr treu bleibe. Hammer bei Reitzenstein.
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Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. 183
8. Die Braut legt vor der Trauung Kranz und Handschuhe in den Hut des
Bräutigams, dann bekommt sie das Regiment im Hause. Fresdorf.
9. Wird die Hochzeit bei Vollmond gefeiert, so ist in der Ehe alles im vollen.
Woldenberg.
10. Wenn es der Braut in den Kranz regnet, so wird sie viel Ursache zum
Weinen haben.
11. Wer jemals eine Myrte baut,
Die wird im Leben keine Braut.
12. Sie soll keinen Perlenschmuck anlegen, denn Perlon bedeuten Thränen.
13. Im Warthebruch tragen die GKisto einen Rosmarinzweig im Knopfloch.
Eulam. Költschen.
14. Wenn HiU^ksel auf den Weg gestreut wird, so hat das Paar Unglück.
Biesenthal.
15. Dasselbe tritt auch ein, wenn ihm auf dem Wege zur Kirche ein Leichen-
zug begegnet
16. Die Braut steckt in den linken Schuh Geld, dann wird sie nie Mangel
daran haben. Sold in.
17. Sie hat Pimpemelle (Pimpinella sativa), Salz und Dill im Schuh, hält
während der Trauung den Puss über den des Mannes und spricht: „Ich trete auf
Pimpemelle, Salz und Dille; wenn ich rede, bist du stille'*. Dann bekommt sie
die Herrschaft über ihren Mann. Landsberg a. W.
18. Ln Warthebruch verstreut die Braut hinter dem Altar Salz und Dill und
spricht dabei: „Ich streue Salz und Dill, drum kann ich reden, was ich will**.
19. Geht das Paar nach vollzogener Trauung hinter den Altar um zu opfern,
80 umschreitet dabei die junge Frau ihren Mann; dann hat sie an jeder seiner
Seiten gestanden und ist ihm ganz angetraut, sie wird sich also in der Ehe nicht
über Untreue zu beklagen haben. Költschen.
20. Abgewiesene Freier verbergen während der Trauung vor der HausthUr-
schwelle einen Totenknochon. Berührt ihn die junge Frau mit dem Fuss, so wird
sie vom Unglück verfolgt. Woldenberg.
21. Bei dem Mahle darf der junge Ehemann seine Frau nicht bedienen, sonst
muss er es immer thun.
22. Die Frau soll vor ihrem Mann in das neue Heim treten und dabei dreimal
sprechen: „Ich bin der Wolf und du das Schaf''. Dann erhält sie die Herrschaft
im Hause. Berlin
c) Geburt.
1. Eine Schwangere soll sich nicht mit Toten beschäftigen, sonst erhält ihr
Rind eine Totenfarbe.
2. Sie soll essen, was ihr schmeckt, damit ihr Kind nicht wählerisch beim
Essen werde.
3. Sie darf ihren Zustand nicht verleugnen, weil sonst das Kind stumm sein wird.
4. Ist sie gelb unter den Augen, so wird sie eines Mädchens genesen.
5. Geht sie unter einer Waschleine hindurch oder kriecht sie durch einen
Zaun, so kann sie nicht gebären. Dölzig. Baruth.
6. Wenn die Wehen kommen, setzt man Erbsen über Feuer. Sobald diese
kochen, erfolgt die Geburt. Baruth.
7. Das Neugebome wird in ein leinenes Laken, nicht in die Schürze ge-
nommen.
H. Man giebt es zuerst der MuttiT zum Küssen.
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184 Prabn:
9. Beim ersten Besuch einer Wöchnerin gucken die Frauen, bevor sie das
Kind ansehen, in den Ofen. Költschen. Eulam.
10. Landwirte legen ein männliches Kind nach dem ersten Bade in den Scheffel,
damit es ein guter Landwirt werde, der viel Getreide aufmessen kann. Presdorf.
11. In den eisten neun Tagen darf die Wöchnerin nicht in den Spiegel sehen,
weil sie den bösen Geist darin sehen würde. Költschen.
12. Kleine Kinder soll man nicht messen, nicht durch das Fenster heben, auch
nicht über sie wegspringen, sonst wachsen sie nicht.
13. Zugleich mit einem Kinde darf weder ein Hund noch eine Katze auf-
gezogen werden, denn eins von beiden stirbt bald.
14. Die ersten Kinderschuhe werden aufbewahrt, weil sonst das Kind nicht
alt werden würde.
15. Das Kind darf nicht in den Spiegel gucken, bevor es ein Jahr alt ist, sonst
wird es eitel.
d) Taufe.
1. Die Patenbriefe müssen gleich nach Empfang gqpffnet werden, damit das
Kind früh und leicht sprechen lerne. Fresdorf.
2. Auf die Hausthürschwelle, die man mit dem Taufkinde überschreitet, legt
man eine Bibel oder ein Gesangbuch, dann wird der kleine Erdenbürger recht
fromm. Presdorf.
3. Schüttelt man das Taufkind, so erhält es viele Kleider. Woldenberg.
4. Werden unmittelbar nach einander mehrere Kinder getauft, so drängen
sich die Paten nait Mädchen vor; denn wenn die Mädchen nach den Knaben getauft
würden, so würden sie später einen Bart erhalten. Dölzig. Költschen.
5. Wenn die Person, die das Kind nach Hause trägt, recht schnell geht, so
lernt das Kind bald laufen. Landsberg.
e) Tod.
1 . Man kann sicher erfahren, ob ein Kranker sterben werde oder nicht. Wenn
man nämlich in das Krankenzimmer tritt, soll man folgendes bei sich sprechen:
Ich stehe dir armen Sünder zu Füssen;
Rühre deine Füss' imd Hände,
Oder es geht mit dir zu Ende.
Rührt sich der Kranke dann, so wird er seine Krankheit überstehen. Landsberg.
2. Wirft der Maulwurf in der Nähe des Gehöfts seine Hügel auf, so deutet
das auf einen Todesfall; je näher dieselben sind, desto schmerzlicher. Fresdorf.
3. Berstet das Brot im Ofen, so steht der Familie ein Todesfall bevor.
Sternberg.
4. Ein zirpendes Heimchen im Hause kündet den Tod eines Familienmitgliedes
an. Soldin.
5. Dasselbe bedeutet eine weisse Kartoffelstaude auf dem Felde. Wird diese
aber später grün, so genest der Kranke. Biesenthal.
6. Hat geronnenes Schmalz eine Vertiefung, so stirbt jemand. Biesenthal.
7. Nachzehrer fliegen als Fledermaus durchs Fenster. Sie treten auch als
lebende Menschen wieder auf und verheiraten sich. Wenn einem Manne mehrere
Frauen sterben, so ist er sicherlich ein Nachzehrer. Biberteich. Solche Männer
haben eine weisse Leber. Baruth.
8. In Landsberg a. W. erzählt man sich, dass die Leichenwäscherinnen in
ihrer Wohnung ein Poltern hören, bevor sie zu einem Toten gerufen werden.
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Glaube und Braach in der Mark Brandenburg. 185
9. Geht die Stubenthür von selbst auf, so tritt der Geist eines Verstorbenen
ins Zimmer.
10. Ist jemand gestorben, so erscheint sein Geist bei den Verwandten, schlägt
gegen die Thür, geht schlürfend auf und ab, die Uhr bleibt stehen.
11. Einen Sterbenden soll man nicht bejammern, sonst hat er einen schweren Tod.
12. Wenn man auf eine Leiche Thränen fallen lässt, so hat sie keine Ruhe
im Grabe.
13. Den Tod des Hausvaters soll man den Tieren mitteilen, weil sie sonst
nicht gedeihen würden, und den Bäumen, damit sie nicht unfruchtbar werden.
14. Den Spiegel im Sterbezimmer verdeckt man, weil man sonst den Sarg
zweimal sehen würde, und das bedeutet einen zweiten Todesfall im Jahr. Presdorf.
15. Der Sarg wird mit dem Pussende voran aus dem Hause getragen.
16. Die Stühle, auf welchen der Sarg gestanden, muss man umlegen, sonst
kommt der Tote wieder. Woldenberg.
17. Ist eine Prau im Wochenbett gestorben, so setzt man den Sarg auf dem
Wege dreimal nieder, damit die Verstorbene Ruhe habe. D öl zig.
18. Wer Geld vergrabem hat, erscheint solange, bis dasselbe von jemand ge-
funden worden ist. Biesenthal.
19. Wer, obgleich er nicht zum Trauergefolge gehört, hinter dem Zuge her
fahrt und wer lange in die Gruft sieht, stirbt bald. Biesenthal. Zielenzig.
20. Was dem Toten gehört, darf man ihm nicht nehmen, z. B. Blumen vom
Grabe, Blätter von Kränzen. Das würde ihm Unruhe machen.
G. Bei landinrirtschaftlichen Verrichtungen.
a) Melken.
1. Wenn Kühe im Stall keine Milch gehen, so hat eine Hexe sie gemolken;
wenn sie auf der Weide sind, die Unterirdischen. Baruth.
2. Ist eine Kuh berufen, sodass sie blaufleckige Milch giebt, so soll man eine
Erbsichel ins Peuer legen, bis ihre Spitze glühend ist. Werden nun mit der
glühenden Spitze drei Kreuze in die Milch gemacht, so ist das Berufen gehoben.
Dölzig.
3. Ziest (stachys) gekocht, dreimal den Namen Gottes gesagt und mit dem
Thee das Euter der Kuh bespritzt, hilft gegen das Berufen. Dölzig.
4. Schlagen die Kühe beim Melken, so soll sich die Magd mit dem nackten
Hintern auf den Melkschemel setzen, dann werden die Tiere ruhig stehen.
Sternberg. Presdorf.
b) Buttern.
1. Damit die Hexen beim Buttern die Zahl der Reifen des Gefässes nicht
zählen können, wird eine dünne Schnur um dasselbe gebunden. Blankensee.
2. Bohrt man Kreuzdom in das Gefäss, so ist es vor Hexen gesichert
Blankensee.
3. Buttert es schlecht, so stellt man das Pass auf zwei Stricknadeln, die
kreuzweise über einander liegen. Dölzig. Schlanow.
c) Backen.
1. Wenn man eine Maulwiu'fsgrille totschlägt, gerät das Backen. Zielenzig.
2. Das erste Brot, das in den Ofen geschoben wird, muss bekreuzt und der
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186 Prahn:
Backtrog uingestülpt werden, wenn das Backen geraten soll. Lorenzdorf.
Wandern.
3. Bäckt man am Vierteljahrstage, so vertrocknet alles, was vom Ranch ge-
troffen wird. Woldenberg.
4. Wenn jemand während des Backens vor dem Ofen den Urin lässt, so wird
das Brot klamm. Fresdorf.
d) Säen.
1. Manche Gartengewächse müssen am Gründonnerstage gesät oder gepflanzt
werden, Lein an einem Freitage. Schlanow.
2. Rartoffeln sollen nicht Montags gelegt werden, sonst werden sie madig.
Fresdorf.
3. Wenn Steinbock und Krebs im Kalender stehen, werden keine Hülsenfrüchte
gesät, weil sie dann nicht weich kochen würden. Fresdorf. Blankensce.
Stangenhagen.
4. Begegnet man auf dem Wege zum Zwiebelsäen einem bärtigen Mann, so
werden es lauter „Männer" (lange Zwiebeln). Schlanow.
5. Im Zeichen des Krebses darf man nicht Kohl- oder Mohrrüben säen, sonst
bekommen sie viele Füsse; wohl aber Kartoffeln. Woldenberg.
6. Erbsen muss man am hundertsten Tage des Jahres säen, dann bringen sie
hundertfältige Frucht. Schlanow.
7. Ist die Roggepsaat ausgestreut, so geht der Sämann dreimal um den Acker,
legt an jeder Ecke ein Häufchen Erde auf und spricht dabei etwas; dann bleibt
die Saat vor Krähen, Tauben und Ungeziefer bewahrt. Soldin.
8. Wenn Leinsamen gesät werden soll, wirft man den Beutel in die Höhe;
so hoch der Beutel kommt, so hoch soll der Flachs werden. Soldin.
9. Hirse wird nach Sonnenuntergang gesät. Man trägt dabei einen alten Hut
und hat drei Körner unter der Zunge. D öl zig.
10. Gerste muss man nach Sonnenuntergang säen und vor Sonnenaufgang
eggen. Nimmt man dabei einige Kömer in den Mund und streut sie dann an den
Rand des Ackers, so sollen Sperlinge und Hühner nicht kommen. Dölzig.
11. Beim Flachssäen soll man Eier essen und die Schalen auis Feld werfen.
Zielenzig.
12. „Ich säe diesen Samen
Für mich und die Armen
Hier in Gottes Namen.*' Biberteich.
13. Wenn die Leute von der ersten Aussaat nach Hause kommen, w^erden sie
mit Wasser begossen, damit das Getreide wachse. Schlanow. Wandern.
e) Ernte.
1. Holt man Bartholomäi (24. August) zum ersten Male neue Kartoffeln vom
Felde, so trägt sie der „kleine Mann" mit der Moll (Mulde) wieder weg. (Um
diese Zeit setzen nämlich die Knollen an und das macht der kleine Mann.)
Schlanow.
2. Auf dem Felde wird eine Strohpuppe angefertigt, mit bunten Bändern ge-
schmückt und auf eine Harke gesteckt, die wiederum in die Erde gestossen wird.
In einiger Entfernung von der Harke wird eine Garbe niedergelegt, vor der sich
die jungen Leute in einer Reihe aufstellen. Auf ein gegebenes Zeichen laufen sie bis
zur Garbe und springen darüber. Wer dabei der letzte wird, muss die Strohpuppe
tragen, „er hat den Alten". Er muss sie unter Hersagen eines Gedichts dem
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Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. 187
Gatsherm überreichen. — Ist der Roggen eingefahren, so wird der Erntekranz
gefeiert Dazu werden drei Fahnen gemacht und eine Erntekrone, mit Goldpapier
verziert. Ein junges Mädchen trägt einen Teller mit Rosmarin-Sträusschen, die
mit bunten Bändern oder Goldschaum bewickelt sind. Die Krone wird dem Guts-
herrn und dann der Frau aufgesetzt und dabei ein Gedicht hergesagt; die Sträusschen
werden nach Belieben verteilt, und es giebt dafür Trinkgelder. Dölzig.
3. Früchte von einem Obstbaum, der zum ersten Male trägt, muss man vom
Baum ab in einen Sack thun und ins Haus tragen, dann trägt er üeissig. Meyenburg.
4. In der Neumark lässt man dem Baxim die Erstlingsfrucht.
f) Viehkauf.
1. Beim Einkauf des Viehes trägt man Salz und Dill in der Westentasche.
Presdorf.
2. Vor die Thürschwelle des Stalles, in den das neuerworbene Tier geführt
werden soll, legt man eine Axt und einen Besen, dann bleibt es vor Krankheiten
bewahrt. Soldin.
3. Man zieht das Tier rückwärts in den Stall. Warthebruch. Költschen.
4. Den Rindern sägt man ein Stück vom Hom ab und heftet es mit einer
Nadel an den Futtertrog. Woldenberg.
5. Bevor ein neugekauftes Stück Vieh in den Stall gebracht wird, führt man
die vorhandenen Tiere auf den Hof und bestreut den Weg vom Thor bis zur Stall-
thür, die Lagerstätte und die Ecken des Stalles mit Salz. Der Führer muss sich
im Hause satt essen, sonst gedeiht das Tier nicht. Baruth.
6. Wenn ein Viehmädchen in einen neuen Dienst tritt, steckt ihr die Haus-
frau einen bleiernen Ring auf den Zeigefinger der rechten Hand, dann wird das
Putter, das sie einrührt, nahrhaft. Verlässt die Magd den Dienst, so muss sie
diesen Ring im Stalle vergraben, damit das. Vieh sich nicht um sie gräme. Baruth.
g) Haustiere.
1. Neugeborne Kälber bestreut man mit Salz imd Dill, dann können sie nicht
behext werden. Fresdorf.
2. Das Entwöhnen junger Tiere von der Mutter geschieht nur, wenn ein gutes
Zeichen im Kalender steht. Dölzig.
3. Ist es Lichtmess dunkel, so giebt es viele Gänse. Schlanow.
4. Kommt ein Fremder, während die Gänse brüten, essend in das Haus, so
kriechen die jungen Tiere nicht aus. Schlanow.
5. Wenn ein Pferd zum ersten Male angespannt wird, so spricht man: Dieses
Joch sollst du tragen, wie unser Herr Jesus Christus sein Joch getragen hat.
J. N. G. Biesenthal.
6. Will ein Pferd beim Aufschlagen der Hufeisen nicht stehen, so stelle man
sich vor dasselbe, sehe ihm fest in die Augen und spreche:
Satan, halt mir dieses Tier,
Ich gebe dir Leib und Seele dafür. Königsberg.
h) Ungeziefer.
1. Hat das Vieh Ungeziefer, so reibt man zwei Steine aneinander warm, wirft
sie über die Tiere weg und trägt sie dann auf den Acker. Biesenthal.
2. Eine ungerade Anzahl lebender Wanzen, in Papier gewickelt, in einen
Sarg zu Füssen des Toten legen. Sold in.
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188 Prahn:
3. Ratten vertreibt man, indem man am Tage Medardi an alle Thüren des
Hauses das Wort „Medardus*' sehreibt. Dölzig.
4. Oder indem man am Sonntag während des Läutens um das Haus läuft,
mit einer Birkenrute an jede Thür schlägt und dabei ausruft: Hallo, hallo, zur
Kirche! Zielenzig.
i) Holzstehlen.
1. Wenn man einem andern den Spannnagel oder die Linse entwendet und
in den eigenen Wagen steckt, so kann man getrost zum Holzstehlen ausfahren;
man wird dabei nicht ertappt. Dölzig.
2. Man schlägt den ersten besten Baum um und steckt den ersten Spahn
davon in die Tasche, so ist jnan für den Förster unsichtbar. Dölzig.
3. Wenn es gelingt, am Neujahrstage während der Predigt vom Nachbarhofe
Holz zu stehlen, der kann das ganze Jahr hindurch aus dem Walde Holz holen,
ohne dass er dabei vom Pöreter betrofifen wird. Schlanow.
4. Hat der Holzdieb einen Baum umgehauen, so setzt er seine Mütze auf den
Stumpf, dann sieht ihn der Förster nicht Schlanow.
5. Wer Zeisigeier und Farrenkraut bei sich trägt, kann sich nach Belieben
unsichtbar machen. Biesenthal.
6. Besprechungsformel: Jäger, ich bin hier und du bist dort. Jäger, und du
bleibst fort. Biesenthal.
k) Diebessegen.
1. Um sein Land vor Dieben zu sichern, geht der Hausvater um das Gehöft
oder um den Acker und spricht: „Joseph und Maria gingen in ein fernes Land
und führten ihr Kindlein Jesus an der Hand. Da kamen Diebe und wollten es
stehlen, und Maria sprach: Joseph, bind, bind! Worauf Joseph sagte: Ihr sollt
stehen wie ein Stock und zählen die Sterne am Himmel. Im Namen — Geistes".
(Nicht Amen.) Er muss mit dem Spruch gerade an der Stelle zu Ende sein, an
der er angefangen hat. Morgens geht er hinaus und glaubt einen etwaigen Dieb
vorzufinden, der nicht über die geschrittene Stelle hinaus kann. Wenn er „Amen"
sagt, ist der Dieb frei. Sagt ers erst am zweiten Morgen, so bleibt der Dieb
stehen und wird schwarz. Muss er gar bis zum dritten Morgen stehen bleiben,
so zerfällt er in Asche. Zielenzig.
D. Yerschiedenes.
a) Glück und Unglück.
1. Wenn man einem Maikäfer den Kopf abbeisst, so ist einem das Glück hold.
2. Wer eine Katze ersäuft, verliert sein Glück.
3. Der Kartenspieler hat Glück, wenn er eine abgebissene Maulwurfspfote bei
sich trägt. Zielenzig. Landsberg.
• 4. Er bringt das Glück auf seine Seite, wenn er seinen Stuhl wendet.
5. Eine Kröte im Keller bringt dem Hause Glück.
6. Geht der begleitende Hund auf der linken Seite und verrichtet er hier
seine Geschäfte, so hat der Jäger Glück. Költschen.
7. Nach Sonnenuntergang soll man keinen Kehricht über die Thürschwelle
bringen. Biesenthal.
8. Ein Schütze erhält einen unfehlbaren Schuss, wenn er vorher nach einer
geweihten Oblate seh i esst. Hammer.
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Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. 189
9. Wenn man zwischen zweien hindurchgeht, nimmt man ihnen das Glück.
10. Elster- und Krähengeschrei, sowie das Krähen der Henne vor der Thür
bedeuten Unannehmlichkeiten im Hause. Dölzig. Eulam. Wandern.
11. Wäscht sich die Katze und sieht gleich darauf jemand an, so stehen diesem
im Laufe des Tages Unannehmlichkeiten bevor, Kindern Schläge.
12. Findet man morgens einen Strohhalm mit einer Ähre, so deutet das auf
Herrenbesuch, ohne Ähre auf Damenbesuch. Angenehm ist der Besuch nur, wenn
der Strohhalm auf dem Sofa liegt.
13. Wenn man dem Neumonde drei Tage hintereinander je drei Knickse macht,
so erhält man ein Geschenk. Landsberg.
14. Liegt das Brot auf dem Bett, so ruht die Arbeit.
15. Legt man ein Brot so auf den Tisch, dass es über den Rand ragt, so
bricht bald darauf eine Krankheit in der Familie aus.
16. Wenn es mit dem Rücken auf den Tisch liegt und es kommt eine fremde
Person ins Zimmer, so nimmt diese das Glück mit hinaus.
17. Die Landleute verleihen nie ein ganzes Brot, sondern schneiden vorher ein
Stück davon ab; dann bleibt ihnen ihr Glück. Eulam. Biesenthal.
18. Das Brot darf ihnen nicht ausgehen.
19. Der letzte Bissen hat die grösste Kraft.
20. Eine angebissene Brotschnitte soll man nicht einem andern geben, sonst
erzürnt man sich mit ihm.
21. Man duldet es nicht, dass ein Fremder sich die Cigarre über der Lampe
anzündet, sondern bietet ihm ein Streichholz. Er würde das Glück aus dem Hause
tragen. Landsberg.
22. Man soll nichts verleihen, sondern verkaufen, wenn man auch das Geld
nicht sofort erhält.
23. Für eine geschenkte Stecknadel soll man sich nicht bedanken, sonst zer-
sticht man die Freundschaft.
24. Die Wäschenäherinnen versprechen sich für jedes Stechen mit der Nadel
einen Kuss.
25. Verliert das Mädchen das Strumpfband oder geht ihm das Schürzenband
auf oder lässt es sich durch einen Mann den Ring vom Finger ziehen, so verliert
es bald die Jungfemschaft.
26. Fällt die Gabel herunter und bleibt sie in der Diele stechen, so deutet das
auf Besuch.
27. Hat man bei Tisch einen Löffel nicht benutzt, so isst der Teufel damit.
Soldin.
28. Wer abends im Bett isst, dem beleckt der Tod den Mund. Landsberg.
29. Die Thür soll man nicht zuschlagen, sonst wirft einem der Teufel die
Himmelsthür vor der Nase zu.
30. Wenn Kinder mit Steinen spielen, so giebt es bald Krieg.
31. Schaukelt man eine leere Wiege, so nimmt man dem Kinde die Ruhe.
33. Dem Abdecker, der ein gefallenes Stück Vieh geholt hat, wirft man einen
Stein nach, damit er nicht wiederkomme. Költschen. Hammer.
b) Tagwählerei.
1. Am Dienstag, Donnerstag oder Sonnabend wird in der Neumark keine
grössere Arbeit begonnen.
2. Verlässt ein Kranker oder eine Wöchnerin das Bett zum ersten Male an
einem Sonntag, so tritt ein Rückfall ein. Lands berg. Woldenberg.
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190 Prahn:
3. Hat der Quatember eine hohe Datumszahl, so wird das Getreide teuer.
Presdorf.
4. Niest man nüchtern am Sonntag, so deutet das auf angenehme Gesellschaft,
am Montag auf ein Geschenk, am Dienstag auf ein Getränk, am Mittwoch auf
einen Brief, am Donnerstag geht alles schief, am Freitag auf Glück, am Sonnabend
geht manches zurück. Sternberg. Baruth.
c) Alpdrücken (Mahre).
Man schützt sich dagegen, d. h. die Frau denkt nicht an einen:
1. Wenn man sein Taschenmesser halb zugeklappt unter das Kopfkissen legt.
Bicsenthal.
2. Wenn man die Schuhg so vor das Bett stellt, dass sich ihre Spitzen be-
rühren. Dölzig.
3. Wenn man seinen Bruder beim Taufnamen ruft. Dölzig.
d) Gewitter.
1. In ein Haus, auf dem ein Storch oder an dem eine Schwalbe baut,
schlägt der Blitz nicht ein.
2. Während eines Gewitters soll man Feuer auf dem Herd unterhalten.
3. Den Beter verschon ich, den Schläfer lass ich ruhen, den Esser schlag
ich tot.
4. Blitzbrand kann man nur mit dicker Milch löschen. Landsberg. Biber-
teich.
5. Als Schutz gegen den Blitz befestigt man am Giebel des Hauses die Homer
eines Ziegenbockes oder aus Holz geschnittene Pferdeköpfe. Sternberg. Breesen.
e) Feuer.
1. Wer Feuer segnet, muss sich sogleich in ein Wasser und wäre es auch
nur in eine Wassertonne retten, sonst schlägt der Peuerstrahl nach ihm^ und ver-
sengt ihn.
Besprechungsformeln :
2. Bist willkommen, du feuriger Gast.
Greif nicht weiter, als was du hast.
Das zähl ich dir, Feuer, zu deiner Buss. Fresdorf.
3. Ich gebiete dir, Feuer, du wollest legen deine Glut,
Bei Jesu Christi teurem Blut,
Das er für uns vergossen hat
Für unsere Sund* und Missethat. Fresdorf
4. Brand, fall in Sand,
Fall in Fahrweg,
Fall ganz und gar weg. Bicsenthal.
T). Brand, fall in Sand,
Brenn nicht innenwärts,
Brenn auswärts. Landsberg.
f) Wind.
1. Die Schiffer dürfen bei ungünstigem Winde nicht nähen, vor allen Dingen
nicht am Segeltuch, sonst nähen sie den Wind fest. Warthe.
2. Manche Schiffer können durch gewisses Pfeifen den Wind aus der ge-
wünschten Gegend her^^orlocken. Warthe.
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(jlaube und Brauch in der Mark Brandenburg. 191
3. Wind macht man, wenn man einen alten Besen verbrennt. Cöpenick.
g) Wetter.
1. Die Frauen verschaffen sich gutes Wetter zum Wäschetrocknen, wenn sie
zuerst die Unterhose des Mannes aufhängen. Berlin.
• h) Tiere.
1. Schwarze Katze und schwarzes Huhn soll man nicht aus dem Hause thun.
Biesenthal.
2. Eine schwarze Katze, die um Mittemacht über den Weg läuft, soll man
nicht anreden oder stossen, denn sie ist ein Geist. Zielenzig. Wepritz. Hammer.
3. Bestreicht man die eigenen Augen mit den Thränen eines Hundes, so sieht
man Geister. Woldenberg.
4. Wird man von einem Wiesel gebissen, so lebt man noch soviel Jahre,, als
Zahne an der Wunde zu sehen sind. Zielenzig.
5. Gräbt man eine Kröte aus, so kommt man bald ins Kindelbier. Dölzig.
6. In der Zaucho spiesst man jede^ Kröte, deren man habhaft werden kann,
mit der Mistgabel auf und steckt letztere verkehrt in den Misthaufen. Presdorf.
Blankensee.
E. Krankheiten.
I. Sympathetische Heilmittel.
a) Abzehrung.
1. Das kranke Kind wird in einen mit Wasser gefällten Kessel gesetzt, der
über gelindem Feuer steht. Sobald das Wasser warm wird, rührt die Mutter mit
einem Holzstabe darin. Darauf erscheint eine andere Frau in der Küche und fragt:
gWas kocht Ihr?" Die Antwort lautet; „Dörrfleisch, dass es soll dick werden".
Frage und Antwort müssen dreimal erfolgen. Zielenzig.
b) Rheumatismus.
1. Man soll eine Kartoffel bei sich tragen. Berlin.
2. Der Wunderdoktor bindet unter Hersagen eines Spruches dem Leidenden
die Hände auf dem Rücken mit einem Strick zusammen, der nicht eher gelöst
werden darf, als bis der kluge Mann über die Grenze ist; sonst verfällt er selbst
in die Krankheit. Landsberg.
c) Kropf.
1. Eine gefundene Flintenkugel wird pulverisiert und, in Seidenband gewickelt,
um den Hals getragen. Nach einigen Wochen wird der Kropf mit einer Toten-
hand vom andern Geschlecht bestrichen und die Kugel dem Toten mit ins Grab
gegeben. Madlitz.
d) Krätze.
1. Der Kranke wird in einen Mehlsack gesteckt. Lands borg.
e) Fieber.
I. Man bekommt das Fieber nicht, wenn man am Gründonnerstage Brezeln
isst. Beelitz.
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192 Pralin:
2. Man „isst das Fieber auf", indem man sein Lieblingsgericht in Übermass
geniesst.
3. Auf Walnussblätter schreibt man die Worte: „Gott sei mir gnädig. Gott
helfe mir", und giebt die Blätter dem Kranken, der sie ungelesen essen muss.
Presdorf.
f) Milz.
1. Wenn einen die Milz sticht, soll man einen Stein aufheben, dreimal darauf
spucken und ihn dann an seinen früheren Ort legen. Landsberg Dölzig.
Schlanow.
g) Gerstenkorn.
1. Wer einen Fusssteig verunreinigt, bekommt ein Gerstenkorn.
2. Man rertreibt es, wenn man dreimal stillschweigend durch ein Astloch im
Zaun sieht. Wartheb ruch.
3. Oder wenn man durch ein Reibeisen sieht. Barath.
h) Schnupfen.
1. Man verliert ihn, wenn man beim Essen die Gabel so legt, dass die Zinken
auf die Thür weisen. Biesen thal.
2. Man soll ohne die Gegenwart eines anderen in die Ölkanne gucken. Baruth.
i) Warzen.
1. Wenn man Wasser trinkt, von dem Hühner getrunken haben, erhält man
Warzen.
2. Die Warzen zählen, ebenso viele Knoten in einen Strohhalm machen und
diesen unter der Dachtraufe vergraben. Dasselbe mit einer Schnur.
3. Man stiehlt ein Stück Fleisch, drückt es auf die Warzen und lässt es von
einem Hunde fressen.
4. Auf Hühneraugen drückt man eine Erbse und wirft diese über den Kopf
weg in einen Brunnen. Jedoch soll man sich eiligst entfernen, damit man nicht
das Aufschlagen der Erbse auf das Wasser vernehme. Woldenberg.
k) Wunde.
L Man bestreicht sie dreimal mit einer Weidenrute, die man darauf in ein
fliessendes Gewässer wirft. Biesenthal.
2. Die Hand, in der ein Maulwurf verendet ist, heilt alle Wunden. Dölzig.
1) Bettnässen.
1. Während es zur Kirche läutet, soll der Kranke in eine Brückenbohle ein
Loch bohren und durch dieses den Urin lassen. Dölzig. Bernstein.
2. Der Kranke soll junge gebratene Mäuse oder die pudenda eines Schweines
essen. Lands b erg.
3. Man wird geheilt, wenn man in ein offenes Grab uriniert.
m) Krämpfe.
1. Von drei Fahnen aus dem Zeughause Stücke abschneiden, darauf eine un-
gerade Anzahl Tropfen Blut von einem schwarzen Kater thun und am Charfreitage zu-
sammen mit einer ungeraden Anzahl Eierschalen dreimal kochen. Biesenthal.
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Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. 193
n) Blatarmut
1. Man zieht der Kranken mittelst einer Stopfnadel einen WoUfaden dnrch
das Ohrläppchen und vergräbt ihn unter einer Gosse. Berlin.
o) Schwindsucht.
1. Wer ins Feuer speit oder ein Katzenhaar verschluckt, erhält die Schwind-
sachi Landsberg. Biesenthal.
p) Zahnschmerzen.
1. Wenn man während eines Gewitters isst, bekommt man hohle Zähne.
2. Stösst man ein kleines Kind mit dem Munde auf den Teig, so zahnt es
bald. Sternberg.
3. Wenn ein Kind leicht die Zähne bekommen soll, muss man es dreimal mit
dem Munde auf einen Schafbock stossen, wenn die Tiere abends von der Weide
heimkommen. Meyenburg.
4. Hat ein Kind einen Zahn verloren, so soll es ihn über den Kopf werfen
und dabei sprechen : Mus, ick gew di en holten Tähn, giw mi en knökem weeder.
Meyenburg.
5. Wer von der Stelle isst, an der Mäuse das Brot benagt haben, bekommt
keine Zahnschmerzen.
6. Zahnschmerzen vergehen für immer, wenn man am Charfreitage, ehe die
Sonne aufgeht, die Nägel von Händen und Füssen kreuzweise abschneidet und sie
zum Kreuzweg trägt. Biesenthal. Baruth.
7. Moiigens nach dem Waschen soll man sich zuerst die Hände abtrocknen.
8. Den schmerzenden Zahn soll man mit Brot reiben und dieses in einen
Ameisenhanfen werfen. Biesenthal.
9. Auf dem Kirchhof Erbsen zerbeissen imd sie in ein frisches Grab werfen.
Landsberg.
II. Hellsprüche.
a) Kose.
1*. Die Rose und die Weide,
Die standen beide im Streite;
Die Weide, die gewann,
Die Rose, die verschwand. Landsberg. Zielenzig.
2. Die Rose hat in diese Welt
uns Gott als Königin gesandt
Und über ihr das Sternenzelt
Als Krönungsmantel ausgespannt.
Rose t I^ose f Rose f weiche.
Flieh auf eine Leiche,
Lass die Lebenden befreit
Von nun an bis in Ewigkeit. Königsberg.
3, Rose, du bist von Erde nnd sollst zu Erde werden, wovon du genommen
bist Biesenthal.
b) Flechte.
1*. Ich streiche deine Flechte,
Das thu ich dir zum Rechte.
Zcitschrilt d. Verein« £. Volkskunde. 1891. 18
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194 Prahn:
Sie soll weichen,
Drum mas8 ich streichen.
Jesns Christus, Gottes Sohn,
Wird dir davon helfen schon. Zielenzig.
2*. Flechte, du sollst dich mit der Asche verbinden,
Flechte, du sollst über das rote Meer verschwinden,
Flechte, du sollst nicht mit der Asche kommen wieder. Landsberg.
c) Brand.
1*. Unser Herr Jesus Christus ist geboren in Bethlehem, erzogen in Nazareth,
gekreuziget in Jerusalem, die drei sind wahr, unser Herr Jesus Christus nahm
die schönen Jungfrauen an der Hand, besprach die Schwulst und auch den Brand
und auch die Schmerzen. Dölzig.
2. Hoch ist der Himmel,
Kalt ist der Nebel,
Kalt ist die Totenhand,
Damit vertreib ich diesen Brand. Biesenthal.
3. Ich bespreche diesen Brand in Kraft Gottes:
Brand, fahr aus wie der Wind,
Dass dich niemand find. Königsberg.
4. Als ich über den Jordan ging.
Fand ich eine Totenhand,
Damit still ich den Brand. Biesenthal.
5*. Brand, da ich dich fand.
Sollst du versöhwinden.
Wie der Tau im Grase,
Wie der Tote im Grabe. Landsberg. Zielenzig.
d) Fieber.
1. Nussbaum, ich komme zu dir.
Nimm die siebenundsiebzig Fieber von mir. Fresdorf.
e) Rheumatismus.
1*. Guten Morgen, Frau Ficht,
Ich bring dir meine Gicht.
Ich hab sie getragen bis auf den heutigen Tag
Und du sollst sie tragen bis an den jüngsten Tag. Schlanow.
2. Am flicssenden Wasser, das Gesicht nach der Mündung gerichtet, drei
Löffel Wasser trinken, den Löffel über den Kopf werfen und fortgehen, ohne sich
umzusehen. Dabei sprechen:
Wassermann, ich klag es dir;
Die reissende Gicht veiigehe mir. Schlanow.
3*. Guten Abend, Fichte,
Nimm mir meine Gichte.
Rheumatismus und auch Reissen
Soll aus meinem Körper weichen. Zielenzig.
f) Beinverrenkung.
1. Du hast dein Bein verrenkt.
Jesus Christus ward ans Kreuz gehängt.
Thut ihm sein Henken nichts,
Thut dir dein Verrenken nichts. Biberteich.
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Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. 195
g) Herzspannen.
I*. Herzspannen rühr dich, Schorf kuchen verlier dich. Zielenzig.
2. Herzspannen von der Kippe
Wie das Kind von der Krippe. Fürstenberg.
h) Blutstillen.
1*. Es gingen drei Jungfern wohl über das Feld.
Die eine hiess Brunhille,
Die andere hiess Blutstille,
Die dritte hiess Blutstillestand. Landsberg.
2. Selig ist der Tag,
Selig ist die Stunde,
Selig ist die Wunde,
Selig, was ich sag.
Du sollst nicht bluten, nicht schwären.
Nicht wehe thun, nicht zehren. Beelitz.
3* Unser Herr Christus ward verwundet
Durch sein bitter Leiden.
Seine Wunden schwollen ihm nicht,
Sie schworen ihm nicht,
Sie thaten ihm gar nicht weh.
Soll es diesem Menschen auch nicht weh thun. Königsberg.
4. In Christi Grarten steht ein Baum,
Er hat geblüht und blüht nicht mehr.
Blut stehe still und lauf nicht mehr. Biesenthal.
5». Blut, stehe stille.
Denke, das ist Gottes Wille.
Halte feste wie ein Stein,
Dass alles möge beisammen sein. Zielenzig.
6*. Tief ist die Wunde,
Heilig ist die Stunde,
Heilig ist der Tag,
Wo die Wunde geschehen mag.
Du sollst nicht weiter schwären.
Bis die Mutter Gottes wird ein Kind gebären. Zielenzig.
7*. Es kamen drei Jungfrauen von der Sündflut her.
Die eine sprach: es ist gut;
Die andere sprach: es ist gut;
Die dritte besprach die Wehklage und das Blut. Madlitz. Zielenzig.
i) Darmgicht.
1. Ein Zettel mit der bekannten Sator-Formel wird um den Hals gehängt.
Fresdorf.
k) Würmer.
1*. Jerusalem, du heilige Stadt,
Da Jesus Christus gekreuziget ward.
Er hat vergossen Wasser und Blut,
Das ist auch für euch Würmer gut. Königsberg.
2*. Im Namen Gottes etc. Dies thu ich für euch alle und lass euch dampfen
zur Ruh. Dölzig.
13»
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196 Prahn.
1) Knacken im Ellenbogen.
1. Ich stecke meine Hand durch die Lehmwand
Und bitte flir mein Quarrband. Woldenberg.
m) Schlangenbiss.
1*. Da nnser Herr Christus sprach,
Da mich der böse Wurm stach. •
Hätt' Christus nicht gesprochen,
Hätt* mich der böse Wurm nicht gestochen. Röltschen.
n) Warzen.
1. Lieber Mond, ich sehe deine zwei Spitzen.
Wenn ich die dritte sehe, soll meine Warze verschwitzen. Landsberg.
Schlanow.
2. Was ich sehe, das ist eine Sünde.
Was ich fühle, das verschwinde.
o) Zahnschmerzen.
1* Ich grüsse dich, du helles Licht (Vollmond)
Pur die Zahn und für die Gicht,
Für die roten Würmelein,
Die in meinen Zähnen sein. Landsberg.
2*. Rauschendes Wasser, ich komme zu dir.
Das Keissen der Zähne bring ich dir.
Mich hat es gerissen Tag und Nacht,
Dich mög^ es reissen bis ins tiefe Meer hinab. Zielenzig.
p) Berufen.
1. Zwei böse Augen haben dich gesehn.
Zwei gute sollen dich wiedersehn. Dölzig.
2. Zwei schlimme haben dir es angethan.
Zwei gute werden dir's benehmen. Landsberg.
q) Verfangen.
1*. Hast du dich verfangen im Wasser,
So hilft Marien Vater;
Hast du dich verfangen im Futter,
So hilft Marien Mutter;
Hast du dich verfangen im Wind,
So hilft Manen Kind. Meyenburg. Landsberg. Presdorf.
2*. Der liebe Gott woll helfen,
Dass es besser werde.
Wie gewonnen.
So zerronnen.
Wie der Tau im Grase,
So die Kuh (das Pferd) im Grabe. Lands berg
3. Christus hangt,
Christus ist los.
Nun bist du dein Verfangen los. Presdorf.
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Volkssegen ans dem Böhmerwald. 197
4. Du hast dich verfangen,
Jesus Christas ist gehangen.
Jesus Christas ist vom Kreaz genommen,
Da wirst die Krankheit bald überkommen. Königsberg.
r) Gegen bissige Hunde.
1*. Maria ging in einen Grund,
Behielt den Namen Gottes in ihrem Mund
Und schlug damit den bösen Hund. Königsberg.
2. Hxmd, du hältst deinen Mund
Und deine Zahn',
Und lass mich gehn. Biesenthal.
B*. Als Mutter Maria geboren war
Und als sie den ersten Hund sah,
Da sprach sie: Hund sei stille,
Gottes Wille, Gottes Wille. Landsberg.
Volkssegen aus dem Bölimerwald,
Von J. J. Ammann in Krummau.
Unter dem noch stark verbreiteten Aberglauben des Böhmerwaldes
stehen allem voran die Segensformeln, die heute noch im Volke gegen die
Terschiedensten Krankheiten und Leiden bei Menschen und Tieren in An-
wendung sind. Die Anwendung der Segensformeln von Seite des Volkes
ist hier fast noch allgemein, die Besprechung selbst geht häufig nur von
einzelnen Eingeweihten, Männern und Weibern, aus, die mit Eifersucht
tmd abergläubischem Sinn ihre Formeln und die Kunst der Anwendung
hüten. Sie glauben, der Segen verliere für sie seine Kraft, wenn er nicht
geheim gehalten, wenn er andern mitgeteilt werde. Überhaupt soll der
Segenkundige in seinem Leben nur einem seine Kunst beibringen; das
Gebot der Weiterverbreitung findet sich nur bei einzelnen neueren Segen
imd ist gewiss nicht im Sinne der alten Zeit. Merkwürdig ist auch der
Aberglaube der Leute des Böhmerwaldes, dass nicht jeder, der die Segen-
sprüche kennt, schon beföhigt ist, dieselben wirksam anzuwenden. Ein
rechter Besprecher empfängt seine Weihe aus einem besondem geheimnis-
vollen Brauch. Wenn nach schwerer Winterszeit die Bächlein, vom Eise
befreit, wieder munter durch das frische Grün rieseln und aller Orten die
Blumen hervorlocken, dann hat ein Besprecher auf seinen Wegen die
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198 AmmanTi:
Augen oflFen, ob er nicht an Bachesrand oder in sumpfiger Wiese eine
Osterblume (d. i. die gelbe Dotterblume, Caltha palustris) bemerke. Sowie
er nämlich im Frühling die ersten Osterblumen antrifft, lässt er sich vor
der Blume auf ein Knie nieder, legt den Hut neben sich auf den Boden
und spricht, während er die Blume mit zwei Fingern abreisst:
Grüas di God ^), du Osterbluam! — I brock di o(b), — Du bist für
neuloi (neunerlei) Neid und .... — .... Augstoi (Augstall ■). — Du bist
nid für neune, — Nur für achte, — Nid für achte, — Nur für siebne, —
Nid für siebne, — Nur für sechse, — Nid für sechse, — Nur für fünfe,
— Nid für fünfe, — Nur für viere, — Nid für viere, — Nur für drei, —
Nid für drei, — Nur für zwei, — Nid für zwei, — Nur für eins, — Nid
für eins, — Du bist für keins!
Diesen Spruch wiederholt der Besprecher auch beim Pflücken der
zweiten und dritten Osterblume. Es werden so im ganzen entweder drei
oder neun Osterblumen gebrockt. Die abgebrockten Blumen nimmt er
nun zwischen seine Hände und reibt sie, wobei er ein Vaterunser betet.
Die Osterblumen trägt er alsdann nach Hause und bestreicht daheim damit
Vieh oder Menschen, die er vor dem Bösen bewahrt wissen will. Beim
Bestreichen wird häufig nochmals ein Vaterunser gebetet. Erst nach dieser
vorbereitenden, einweihenden Handlung ist ein Besprecher mit der nötigen
Macht ausgestattet, die Besprechungen so lange wirksam vorzunehmen, bis
die Osterblumen in dem darauf folgenden Jahre wieder blühen.
Femer darf für das Besprechen nichts verlangt werden •), sonst hilft
es nicht; wohl aber darf der Besprecher das, was man ihm unaufgefordert
und freiwillig giebt, annehmen.
Die ältesten, schönsten Segen bei allen Völkern laufen über in Gebete,
welche bei Opfern hergesagt wurden *). Die ältesten Segen des deutschen
Volkes reichen mindestens in jene Zeiten zurück, in denen das Volk noch
gläubig an seiner Naturreligion und den selbstgeschaffenen Göttern hing.
Vielleicht sind die alten Segensformeln vielfach nichts anderes als zu
Formeln erstarrte Gebete aus heidnischer Zeit. Mit dem Christentum treten
dann für die heidnischen Gottheiten Gott, Christus, Maria, die Apostel und
die Heiligen ein "). Ja wir bemerken, dass selbst bis ins 18. Jahrhundert
herauf die Verbreitung der Segen und das Vertrauen auf die wunderbaren
Heilsprüche im Volke noch allgemein anhält. In eben diesem Masse voll-
zieht sich aber auch eine Wandlung in Form und Inhalt. Die Segen
werden, obwohl sie sich auch in gereimten Sprüchen mündlich und schrift-
1) 6 sprich = ou, e - ei.
2) Die Blähkrankheit des Viehes.
8) Vgl. Grimm Myth. 976.
4) Vgl Gr. Myth. H. 1033.
5) Vgl. Haupts Zs. I, 143 f. Fr. Schönwerth, Sitten und Sagen aus der Ober-
pfalz lU, 198.
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Volkssegen aus dem ßöhmerwald. 199
lieh fortpflanzten, besonders in prosaischer Form weiter ausgesponnen.
Waren sie früher für einzelne gegenwärtige oder vorauszusehende Übel
eingerichtet, so werden nun Segensformeln gebildet, die gleich für alles
Mögliche Hilfe und Rettung versprechen. Indessen haben sie sich in der
Form von den alten Segen noch nicht ganz losgemacht, sie sind durch Zu-
sätze vermehrt und in ihrer Wirksamkeit verallgemeinert worden. Zuletzt
endlich sehen wir sie, ihrer alten Wunderkraft beraubt und des geheimnis-
Tollen Äussern vielfach entkleidet, in der religiösen Anschauung des Volkes
aufgehen. Der alte geheimnisvolle Formelkram ist in den gewöhnlichen
Hanssegen, die wir in jedem Hause auf dem Lande finden, bereits ver-
blasst. Der Aber- und Überglaube ist verschwunden, der christliche Haus-
segen macht Anspruch auf einen werkthätigen Glauben. So scheinen denn
die Segen in ihrer Entwicklung aus reiner religiöser Anschauung ent-
sprungen und mit Übertragung auf die christliche Religion wieder zu
ebenso reiner religiöser Anschauung zurückgekehrt zu sein.
Wer nun in einem urwüchsigen Volke, wie das des Böhmerwaldes ist,
nach Volkssegen forscht, wird noch Formeln aller Art finden. Denn das
Volk will nicht nur gegen Böses und Übles in der Zukunft gefeit sein,
es will besonders auch von gegenwärtigen Leiden und Krankheiten be-
freit werden, selbst Beschwörung und Zauber wird angewendet, um von
Übeln loszuwerden oder das wankende Glück zu befestigen.
Nach diesen Gesichtspunkten möchte ich denn auch die folgenden
Segen teilen in:
L Heilsprüche für Menschen und Tiere *), und zwar gegen äussere
und innere Krankheiten, die den Menschen oder seine Haustiere bereits
befallen haben. Diese haben noch vielfach altertümlichen Charakter, einige
davon sind Beschwörungen, einige zeigen aber auch schon den Übergang
«1 den kirchlichen Gebetsformeln.
n. Beschwörungs- oder Zauberformeln, bei denen durch die
Kraft des Spruches in zauberhafter Weise, auch durch Gebet die geheime
oder offene Macht böser Menschen, Tiere, auch der Natur gelähmt oder
besiegt wird. So wird gar vieles im Volke auf Neid zurückgeführt, was
sich durch Beschwörung oder Zauberspruch beheben lässt; ebenso kann
man auf solche Weise einen bissigen Hund, einen Feind, ein Gewitter
und dergleichen beschwören.
in. Kirchliche Segen und Gebete gegen Böses und Übles im
allgemeinen. Hier haben wir schon mannichfaltigero Formen, überall aber
wird noch wunderbare Hilfe erwartet, wenn man den betreffenden Segen
betet oder auch nur bei sich trägt. Die Wirkung erstreckt sich nicht so
sehr auf wirklich vorhandene Leiden oder Krankheiten als vielmehr auf
ktinfkige mögliche aller Art.
1) Auch bei Tierkrankheiten walten Geister, Gr. Myth. 973.
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200 Ammans :
Die Anwendung aller dieser Yolkssegen verlangt überdies eine be-
stimmte Handhabung und formgemässe Ausführung von Seite des Be-
sprechers. Manche Segen werden von jedem Beliebigen, der sie kennt,
selbst ausgeführt, andere wieder nur von Eigenen Besprechern, womit in
der Regel dann auch mehr Formwesen verbunden ist. Ich habe dies, wo
es zu erfragen war, bei den einzelnen Segen angemerkt, nur bei den kirch-
lichen Segens- und Gebetsformeln ist noch die Art der Ausführung be-
sonders zu beachten. Schon da sie allgemeinerer Natur sind, werden sie
auch allgemeiner verwendet. Fast jeder Bauer oder jede Bäuerin besass
hier früher und besitzt auch vielfach heute noch einen oder mehrere Segen
dieser Art. Bevor er oder sie dann in der Frühe in den Stall geht, wird
der Segen unter der Hausthüre oder unter dem „Passthörl** (Verbindungs-
thürchen zwischen Haus und Stall) stehend gebetet. Diese Segen sind
nämlich häufig auf fliegende Blätter gedruckt, meist aus dem vorigen Jahr-
hundert, aber sind auch geschrieben, und enthalten neben gewissen Zeichen
und Charakteren Gebete, welche von den Bauersleuten in obiger Weise
an bestimmten Tagen des Monats gebetet werden. Diese bestimmten
Tage sind die ünglückstage, deren jeder Monat etliche hat. Drei Tage
des Jahres sind ausgesuchte ünglückstage, nämlich der 1. April, an welchem
Judas der Verräter geboren wurde, der 1. August, an welchem der Teufel
vom Himmel geworfen wurde und der 1. Dezember, an dem Sodoma und
Gomorha von der Erde vertilgt wurde. Die ünglückstage der einzelnen
Monate sind: 1. 2. 6. 11. 17. 18. Jänner, 8. 16. 17. Februar, 1. 12. 14.
15. März, 3. 15. 17. 18. April, 8. 10. 17. 30. Mai, 1. 7. Juni, 1. 5. 6. Juli,
1. 3. 18. 30. August, 15. 18. 30. September, 15. 17. Oktober, 1. 7. 11. No-
vember, 1. 7. 11. Dezember. Wer an solchen Tagen geboren ist oder
heiratet, ein unternehmen beginnt oder eine Reise antritt, der fährt nie gut.
Ebenso oder noch gefürchteter sind die Losnächte. In den Los-
nächten, treiben die Hexen und allerhand andere böse Geister ihren Spuk,
und Haus und Hof müssen durch heiligen Brauch vor ihrem Zauber be-
hütet werden. Man schreibt mit geweihter Kreide an Thüren und Geräte
drei Kreuzzeichen, man räuchert in Wohnung und Stall mit geweihtem
Kauchwerk, man besprengt die Räume mit Weihwasser und giebt dem
Vieh Weihsalz auf Brot. Ängstlich hütet in solchen Nächten jeder sein
Haus, denn in Losnächten auf freiem Felde zu wandeln ist ein Wagnis
auf Leben und Tod; sicher kann man sich nur „unter den eigenen Dach-
tropfen" fühlen. Die Losnächte sind: vor Andreas (29. November), vor
Barbara (4. Dezember), vor Thomas (20. Dezember), die Christnacht
(24. Dezember), die Sylvesternacht (31. Dezember), Feistrauchnacht
(5. Jänner) ^).
Das Volk wähnt sich stets von Unheil und Bösem umlauert, daher die
1) Vgl. Simrock, Myth. S. 572.
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Volkssegen aus dem Böhmerwald. 201
Vorliebe für derlei Hilfsmittel. Da diese Segen meistens lang sind und
mehrere Grebete oder Teile enthalten, vergleiche den Tobiassegen, so wird
gewöhnlich der Segen auf 2—3 Tage mit je einem Gebet verteilt, darauf
wiederholt oder auch ein zweiter verwendet. Solche Segen sind im voraus
gut für Hexerei, Zauberei, Hagel, Blitz, Donner, Wasser- und Feuersnot,
für bösen und gäben Tod, für schwere Leibeskrankheiten, bei schweren
Entbindungen, gegen Mörder und Diebe, gegen jedes Gewehr und Ge-
Bchoss u. s. w. Die Wirkung empfindet, wer sie betet, mit sich trägt oder
auch sich auflegt; auch am Abend werden sie gebetet, denn Segen werden
insbesondere am Morgen und Abend gesprochen. (Grimm Myth. Nachtr.
zu 1023).
Die Anwendung der Segen bezeichnet das Volk mit „ansprechen",
„prauchen*', auch „wenden", weniger volkstümlich ist „beschwören". Der-
jenige, welcher ^angesprochen" oder „praucht" wird, ist „b'schrien" oder
„anb'schrien", auch in besonderen Fällen „vemeidet". Vgl. Grimm
Myth. 864. 1027 und Nachtr.
In den Anmerkimgen werde ich auf die verwandten Fassungen der
wichtigsten Segensammlungen kurz verweisen, um damit den Zusammen-
hang dieser Volkssegen aus dem Böhmerwald mit denen vieler anderer
deutscher Länder anzudeuten und für eine eingehende wissenschaftliche
Behandlung näherzurücken.
I. Heilspr&che f&r Menschen nnd Tiere.
A. Gegen äussere Krankheiten.
1. Gegen Weren*) am Auge,
(aus Knunmau und vielen andern Orten des Böhmerwaldes).
Man macht dreimal den folgenden Spruch und fährt jedesmal mit der Faust
über das Äuge.
Weren, Weren, — Lass dich scheren,
Oder ich scher' dich — Mit einer Trogscheren ^) 1
Statt der Drohans^ mit der Trogscheren nehmen die Leute auch einen Löffel
und fahren damit dreimal über die Weren, wobei sie jedesmal den Sprach machen.
Oder noch kürzer in einem ähnlichen Falle:
Wer etwas im Auge hat, der spreize mit den Fingern das andere Auge anf
und spacke dazu aas, so geht der fremde Gegenstand heraus.
2. Gegen Blattern in den Augen (aus Salnaa;.
Man spreche:
Was traget die Mutter Gottes auf ihren Armen? —
Das liebe Jesalein, welches die Blattern vertilgen and vernichten kanni
Darauf verschwinden die Blattern.
1) Weren = Blutgesch WUT im Aogeuliede, sogenanntes Gerstenkorn. Schmeller,
Bayr. Wörterb. II, 1002.
2) Trogscheren = Schereisen, womit der Bäcker den Trog aasscharrt; scheren von
scherren. S ehm. I, 451 und 52.
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202 Ammaimt
3. Gegen Zittere eh (Flechte) (aus Wallern).
Man mache auf die Stelle, wo dieser Hautausschlag ist, dreimal mit der ge-
öffneten Spanne von Daumen und Zeigefinger das Kreuz, wobei man die Hand
jedesmal so dreht, dass die Linie zwischen Daumen und Zeigefinger nach der
Drehung in Kreuzform zu stehen kommt. Dazu spricht man:
Unsem Herr Gott seine heilige fünf Wunden
Haben nicht geeitert und nicht geschwiert.
Es helfe Gott Vater, Gott Sohn und Gott hl. Geist.
Darauf bläst *) man dreimal in derselben Kreuzform über die Stelle weg.
Das ist aber beim abnehmenden Mond '*) zu machen, und zwar dreimal übern Tag,
d. i. jeden andern Tag; auch darf man sich in dieser Zeit nicht nass machen.
Gegen „Ziedra"') (aus Christianberg).
Zitteroch spricht das Volk auch Ziedra. Wer an Ziedra leidet, benetze den
Zeigefinger der rechten Hand mit Fensterschweiss (d. i. mit dem Feuchten angelaufener
Fenster) und fahre an der Aussenseite der Flechte rund herum und spreche dazu:
Wilder Ziedra, wilder Ziedra, wilder Ziedra! — Mach dich nicht breit, — Die
Juden essen am Freitag Fleisch *), — und wenn sie keins haben, — So essen sie
dich zusammen.
Dann mache man über die Flechte von oben herab 8 Kreuzzeichen und spreche
dazu: Im Namen u. s. w.
4. Gegen Krätze (aus Mugrau).
Man gehe bei mondheller Nacht ins Freie und lasse den Mond auf die Hand
scheinen. Dazu sagt der Besprechcr:
Was ich sehe, das ist Sünde, — Was ich greife, das verschwinde!
Er fasst dabei die Hand des Krätzigen, betet einige Vaterunser, zuletzt: Im
Neunen u. s. w.
5. Gegen die Warzen (aus verschiedenen Orten).
Der Besprecher nimmt ein Stück Speck und schmiert unter folgendem Spruch
damit die Warzen ein:
Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit schmiere ich euch ein. Entfernet
euch im Namen u. s. w. Amen.
Das Schmieren hat bei abnehmendem Mond zu geschehen. Nach dem Schmieren
gräbt er das Stück Speck unter den Dachtraufen des Hauses ein. Sowie der Speck
verfault ist, müssen auch die Warzen verschwunden sein.
Von manchen Leuten wird das Stück vorerst in Erbsen gesotten und dann
geschmiert
Man reibt die Warzen auch mit dem Totenbein eines Menschen, legt es an
demselben Ort^ wo man es aufgenommen, wieder nieder und geht, ohne nach dem-
selben umzuschauen, davon, so verschwinden die Warzen.
1) Der Hauch des Mundes hat heilende Kraft, vgl. Gr. Mjth. Nachtr. zu 973.
A. Birlinger, Aus Schwaben, 1, 441. Zs. f. deut. Myth. IV, 118—19, 416, 973.
2) Zunehmender sowohl als abnehmender Mond gelten als heilbringende Zeit, vgl.
Gr. Myth. 596—96. Kuhn, Westf. Sag. H, 192.
3) Vgl. Schm. n, 1164. Gr. Myth. Nachtr. zu 971.
4) Vgl. Schönwerth III, 267, 26. Birlinger, Aus Schwaben I, 446.
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YolkssegeD ans dem Böhmerwald. 203
Eine andere Formel gegen die Warzen:
Hörst du fUr einen Verstorbenen Begräbnisläuten, so stelle dich an ein fliessen-
des Wasser, wasche jene Stelle, wo du die Warzen hast, und sprich dazu:
Jetzt läutet man zu einer Leich', — Und was ich wasch, das weich'!
Im Namen u. s. w. Amen.
Oder man zähle auch an einem Freitag, wenn der Mond abnimmt, die Warzen
bei Menschen oder beim Vieh und mache dann in einen Zwimfaden so viele
Knoten, als vorher Warzen gezählt worden. Darauf zähle man von der betreffenden
Zahl an rückwärts bis und grabe dann den Zwimfaden unter der Dachtraufe ein.
Sowie er verfault ist, sind auch die Warzen versch\^iinden.
Vgl. Panzer, bayr. Sagen 2, 305. E. Meier, Schwab. Sagen, S. 518. Zs.
f. deut. Myth. IV, 115.
6. Gegen den Wurm am Finger (aus Höritz).
Beschwörungsformel.
Wurm, ich beschwöre dich bei dem heiligen Tagl
Wurm, ich beschwöre dich bei der heiligen Nacht I
Wurm, ich beschwöre dich bei den fünf Wunden!
Wurm, ich beschwöre dich bei den heiligen drei Nägeln Christi!
Wurm, ich beschwöre dich bei der Kraft Gottes!
Du seiest gleich grün, blau, weiss, schwarz oder rot,
Dass du liegest in dem Finger tot.
Das sei dir zur Busse gezählt!
Im Namen u. s. w.
Diese Formel ist dreimal zu sagen und bei jedem der höchsten Namen über
den wehen Finger hinwegzublasen *).
Vgl. MSD' XLVII, 2 und Anm. E. Meier, Sagen No. 464. 465. Grimm Myth.
968 und Nachtr. zu 967 und 1043 und Anh. XV., XXVIII., XXLX. Kuhn in
Zs. f. vergL Sprachforschung XUI, 135 f. Birlinger, Aus Schwaben 1, 444—45, 461.
7. Gegen starke Blutung, das Blut zu stillen.
Man halte mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Blutung
ab und spreche dreimal nacheinander:
Blut rinn und rinn nimmer — Unser Herr Gott ist gestorben und stirbt nimmer.
Glückselige Wunden, — Glückselige Stunden,
Glückselig und heilig ist der Tag, — Wo die hl. Jungfrau Jesum Christum geboren hat.
Darauf ein Vaterunser und das Kreuzzeichen über die Wunde: Im Namen u. s. w.
Amen.
Andere Formel, dreimal zu sprechen:
Es sind drei glückselige Stunden in diese Welt gekommen. In der ersten
Stund' ist Gott geboren, in der andern Stund' ist Gott gestorben, in der dritten
Stund' ist Gott wieder lebendig worden. Jetzt nenne ich die drei glückseligen
Stunden #nd stille dir N. N. damit das Gliedwasser und das Blut, dazu heile ich
dessen Schaden und Wunden Im Namen u. s. w.
Vgl. MSD'IV, 6. XLVII, 1 mit Anm. S. 460 f. Grimm Myth., Anh. XXXH.
Zs. f. Volkskunde von Veckenstedt, II, 4 S. 163. Schönwerth III, 234—35.
Kuhn WS. n, 197 f. A. Birlinger, Aus Schwaben I, 442.
1) Vgl. I. A. 8.
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204 Ammaufi :
Auch gegen Nasenbluten
spricht man in Polletitz:
Blut rinn und rinn nimmer,
Unser Herr Gott ist g'storben und stirbt nimmer.
8. Gegen Schwieren von Schnittwunden (aus Mistelholz).
Wenn man sich eine Schnittwunde beigebracht hat, so halte man sie mit dem
Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu und spreche:
Glückselige Wunden, — Glückselige Stunden,
Glückselig und heilig ist der Tag, — Wo die hl. Jungfrau Jesum Christum geboren hat
Darauf bete man ein Vaterunser und mache mit dem Daumen über die Wunde
einmal das Kreuz: Im Namen u. s. w. Amen.
Vgl. E. Meier, Sagen aus Schwaben 1, 526. Zs. f. Volkskunde von Vecken-
stedt U, 9. S. 359, 4.
Andere Formel (aus Höritz):
Heilsam ist die Wunde,
Heilsam ist die Stunde,
Dass nicht geschwiert und nicht gebiert '),
Bis die Mutter Gottes ihren ersten ') Sohn wieder gebiert.
Im Namen u. s. w.
9. Gegen Geschwulst gewisser Körperteile (aus Lagau).
Es war eine Jungfraun, — Die wollte eine Geschwulst beschaun.
Sie ist heiss, — Sie sticht heiss.
Geschwulst steh stiU, — 'S ist Gottes WiU'.
Man mache über die Geschwulst drei Kreuzzeichen und spreche dazu: Im
Namen u. s. w.
Vgl. Grimm Myih. Anh. XXXII. Kuhn WS. U, 212. Aus Schwaben I, 469.
In Zs. f. Volkskunde v. Veckenstedt II, 4 S. 162, 5 werden drei Jungfrauen genannt.
Dazu stimmt mehr eine andere Formel aus Pramhof (bei Hohenfurt) gegen
Harnwinde, die lautet:
Es sitzen drei Jungfrauen auf einem Marmorstein,
Die eine spinnet grob, die andere fein,
Die dritte spinnt ein Inwindel •)
Fürs Hamwindel.
Es helfe dir Gott Vater u. s, w.
Diese Formel ist dreimal zu sprechen und auf Menschen und Tiere anzuwenden.
Vgl. zu drei Jungfrauen auch: Birlinger, Aus Schwaben I, 447.
1) Der vorletzte Vers scheint verderbt. Er soll wohl lauten:
„Dass nicht geschwillt und nicht geschwiert'',
aber auch die ganze Formel scheint gekürzt, vergleiche Zs. f. Volkskunde vo^Vecken-
stedt II, 9 S. 3Ö9, 4. Kuhn WS. II, 197 und 214. Birlinger, Aus Schwaben I, 442.
2) In einem Aargauer Segen von Bochholtz in Zs. f. deut Mjth. IV, 114 heisst es
am Schlüsse:
„wo die Mutter Gottes ihren zweiten Sohn gebären mag^,
während der übrige Teil des Segens gänzlich abweicht.
8) Einwickeltnch.
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Yolkssegen ans dem Böhmerwald. 205
Gegen Geschwülsten
sagt man in PoUetitz:
Schaden, da sollst nicht schwären, haben unseres Herrgotts Wunden auch
nicht geschwärt.
Wer an Hamwinden leidet, was bei den biertrinkenden Bauern im Böhmer-
wald häufig der Fall ist, nimmt ein Messer vom Tische und verlässt damit die
Stube. Draussen macht er mit dem Rückenteil des Messers über den massgebenden
Körperteil dreimal das Rreuzzeichen und er ist geheilt. Sehr häufig in Anwendung.
Vgl. Schönwerth III, 254.
„Ung'send" (Entzündung)
wird in Ruschwarda folgendermasse besprochen:
Der Besprecher macht ein Kreuz über das üng'send, betet einige Vaterunser
und sagt nach jedem: „Unseres Herrgotts heilige Wunde am ... . (hier wird der
entzündete Körperteil genannt) war früher auf der Welt als das Ung'send".
10. Gegen Frosch') (Auswuchs im Gesicht oder am Hals bei Menschen oder
Tieren) (aus Mistelholz).
Frosch kriech aus! Gott gebs, dass du nicht länger bleibst, bis hinter der
Essenszeit. Im Namen u. s. w.
11. Gegen Schäl') (Drüsengeschwulst). Beim Vieh anzuwenden, aus Mistelholz.
Wenn eine DrtLse beim Vieh aufzubrechen droht, so holt man eine Schindel
Tom Dache und streicht^) damit stark über die Schäl und spricht:
Schäl vergeh und brich nicht auf, da dir die Schindel vom Dach ge-
nommen ist und dir berieben I So helfe dir Gott u. s. w. ohne Amen.
Ein Vaterunser, dann wirft man die Schindel in das Feuer.
Über Vernichtung der Schindel vgl. Gr. Myth. 1040 und I. B. 8 gegen Nerven-
fleber. Über die Heilkraft des Feuers vgl. Gr. Myth. 975.
12. Gegen das Boanwächs*) (harte Beule). Beim Vieh anzuwenden, aus
Mistelholz.
Hat ein Tier durch einen Schlag auf einen Knochen ein Boanwächs davon-
getragen, so ziehe man aus der Mauer einen Stein (wie gegen Pinkel), oder noch
besser nehme man einen gefundenen Eisenring oder irgend ein Stück Eisen, das
etwa auf dem Felde vom Pflugsee (Spitze) ans Tageslicht befördert wurde •), und
reibe damit das Boanwächs, sprechend:
Boan wachs und wachs nimmer.
Unser Herr Gott ist gestorben und stirbt nimmer.
1) üng'send = Ungesund, im mhd. stm. - Krankheit; das Verwundetsein. Bei
Schmeller H, 807.
2) Bei Schmeller in dieser Bedeutung nicht zu. finden, dürfte von der Ähnlichkeit
zwischen dem Tiere und solchem Auswuchs hergenommen sein.
3) VgL Schmeller H, 394 und Leier Mhd. W. IT, 688 f., aber nicht in dieser Be-
deotong; wohl von der Ähnlichkeit zwischen Schale und solcher Geschwulst hergenommen.
4) Vgl. Gr. Myth. 975: Viel vermag streichen und binden.
5) VgL Schmeller n, 838: Beinwachs = geschwulstiger Auswuchs der Knochenmasse.
DWb. I, 1386, 1388.
6) Sch5nwerth HI, 255.
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206 Ammann: *
Darauf mache man mit dem Stein oder Eisen das Kreuzzeichen darüber und
bete ein Vaterunser. Den Stein steckt man wieder in die Mauer ')» das Eisen aber
wickelt man in Leinen und steckt es wieder in die Tasche, denn das soll niemand
sehen.
Vgl. MSD> IV, 7.
13. Gegen PinkeP). Beim Vieh anzuwenden. Aus Lagau.
Wenn ein Ochs oder ein Rind pinkelartige Anschwellimgen hat, so lege man
die Hand yerkehrt auf den Pinkel und spreche:
Gott Ton Gott,
Sei Gott,
Herr Himmel und der Erde!
Darauf bete man fünf Vaterunser unter dem heitern Himmel, imd zwar so im
Monat viermal. BHirs zweite: Nehme man einen Schupfenstein aus der Mauer, wo
das nämliche Stück Vieh angebunden ist, und umfahre den Pinkel dreimal, schliess-
lich stecke man den Stein wieder hinein, wo man ihn herausgezogen hat und bete
drei Vaterunser und Aremaria. Dies soll im Monat viermal geschehen.
B. Gegen innere Krankheiten.
1. Gegen Würmer im Leibe (aus Höritz).
Petrus und Jesus fuhren auf den Acker, ackern drei Furch, ackern auf drei
Würmer. Der eine ist weiss, der andere ist schwarz, der dritte ist rot: Hiermit
sind dem N. N. alle seine Würmer tot. Im Namen u. s. w.
Diese Formel ist dreimal zu sprechen.
Vgl. MSD"^ IV, 5. XLVII, 2 und S. 466. E. Meier, Sagen Nb. 464. 465.
Über den erzählenden Eingang dieses Segens vergleiche hier u. a. a. 0. Grimm
Myth. 1042 und Nachtr. ; besonders vergleiche auch Anh. XLIII, wo sich gegen
Wurm am Finger fast dieselbe Fassung wie hier findet. Schönwerth IE, 250
bis 251. Kuhn WS. H, 207. Zs. f. deut. Myth. IV, 111—12. Birlinger, Aus
Schwaben I, 444—45, 459.
2. Gegen Kolik (aus Höritz).
Ein alter Schurrenkopf'), — Ein alter Leibrock,
Ein Glas voll Rautenwein, — Bärmutter*) lass dein Grimmen seini
Im Namen u. s. w.
Die Formel ist dreimal zu sagen.
3. Gegen Zahn- und Kopfschmerzen*) (aus Höritz).
Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du aus des N. N. Leibe
1) Kuhn, WS. n, 194.
2) Vgl. Schmeller I, 394: Pmkl = Geschwulst.
3) Vgl. Zs. f. deut Myth. IV, 109, wo in derselben Fassung „schorenschopf" = Dünger-
stÄtte überliefert ist Vgl. auch E. Meier, Sagen No. 481.
4) Vgl. Gr. Myth. %9 und Zs. f. deut. Myth. IV, 109.
5) Vgl. Gr. Myth. Nachtr. zu 970. Birlinger, Aus Schwaben I, 448.
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Yolkssegen ans dem Böhmerwald. 207
gehest und ihm so wenig schadest, als es Christas dem Herrn am heiligen Kreuze
geschadet hat. Das befiehlt dir Gott Vater, Sohn und heiliger Geist.
Diese Formel ist dreimal zu sprechen.
4. Gegen den Rotlauf (aus Höritz).
Ich ging durch einen roten Wald, und in dem roten Wald, da war eine rote
Kirche, und in der roten Kirche, da war ein roter Altar, und auf dem roten Altar,
da lag ein rotes Messer. Nimm das rote Messer und schneide rotes Brot! Im
Namen u. s. w.
Zum erzählenden Eingang vergleiche I. B. 1. Zu Brotmesser Gr. Myth.
AiülXXXVL Zu rot Gr. Myth. 982 und 967 und Nachtr. Kuhn WS. II,' 209.
Dieselbe Passung siehe in Zs. f. deut. Myth. IV, 104. Birlinger, Aus Schwaben 1, 446.
Eine andere Formel:
Unsere liebe Frau geht über eine grüne Wiese, begegnet ihr eine rote Rose.
Wo gehst hin? Geh aus dieser Person I Geh auf hohe Bühel und Berge, auf
hohe Roan und Dom und ins rinnende Wasser I Im Namen u. s. w.
Vgl. Gr. Myth. 975 und 1041—42 und Nachtr. zu 1042.
Eine andere Formel aus Polletitz:
Einst ging der Herr Jesus auf einer grünen Wiese umher. Es begegnete ihm
eine rote, blaue und weisse Rose. „Wo gehst du, blaue, weisse xmd rote Rose
hin?" „In den Kopf des N." „Was wirst du dort machen?" „Stechen, brennen
und brechen". „Lass seinen Kopf in Ruh, geh auf die Berge xmd Felsen und in
die Thäler und Wälder. Dort breche, steche und brenne! bis du damit zuende
bist, wird unterdessen der jüngste Tag.
Vgl. zu drei Rosen: Birlinger, Aus Schwaben I, 443.
5. Gegen Schwindel und Schwinden (aus Mistelholz).
Helfe unser Herr! Seine Wunden haben nicht geschwiert und nicht geeitert.
Fleisch und Blut,
Haut und Bein
Steh wie Stein!
Helfe Gott Vater, Gott Sohn und Gott heiliger Geist!
Vgl. Grimm Myth. Bemerkung zum 2. Merseburger Zauberspr. 1030 und
Nachtr. Birlinger, Aus Schwaben I, 442.
Oder die Formel:
Schwindbein, streich dich mit dem Schienbein!
Wenn du nicht gleich ausgehst.
So streich ich dich mit dem Schienbein!
Helfe Gott Vater, Gott Sohn und Gott heiliger Geist!
Oder die Formel:
Schwindel, Schwindel, du thust schwindeln, — Du sollst aber nicht schwindeln!
Du hast Fleisch und Blut, — So wie xinser Herrgott in' Himmel fahren thut.
Im Namen u. s. w. ohne Amen.
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208 Ammann:
6. Gegen die englische Krankheit (ans Höritz).
Im Namen u. s. w.
ünterwnchs *)» Answnchs, Herzgesperr '), .englische Krankheit geh von dem
N. N. weg, wie Christus von seiner Krippe gegangen ist Nun weiss ich
f(ir gewiss, dass du wieder gesund wirst. Jesus gab dem Pejrus solche
Macht, dass der lahme Bettler Lazari ward wieder gesund und gerade.
7. Gegen den kalten Brand (aus Höritz).
Ohristus, der Herr, ging über Land. Es begegnete ihm ein kaltes Gesicht.
Christus der Herr sprach: „Wo willst du hin, kaltes Gesicht?" Das kalte Gesicht
sprach: „Ich will in den Menschen fahren." Christus der Herr sprach: „Was
willst du in dem Menschen thun?" „Sein Bein brechen, — Sein Fleisch essen, —
Sein Blut trinken". Christus der Herr sprach: „Kaltes Gesicht, das sollst du nicht
thuni Erbsen musst du brechen, — Kieselsteine musst du essen, — Aus emem
Brunnen musst du trinken, — Darin musst du versinken*)!" Im Namen u. s. w.
Vgl. Gr. Myth. 1042. Nachtr. zu 1043. Wolfsthurner Segen oben S. 173.
Kuhn WS. II, 203. Zs. f. Volkskunde von Veckenstedt U, 4 S. 161, 2: „unser
lieber Herr Jesus Christ ging über Land" . . . ebenda S. 162, 6. 5 8. 200, 9. Auch
der Hohenfnrter Peuersegen, vgl. Zs. f. d. A. beginnt: „Unser Herr Jesus Christus
gieng vber landt, — Er trueg ain prinnenten prandt — in seiner handt" .... vgl.
Gr. Myth. Anh. XXIV. Vgl. auch Aus Schwaben I, 448—49 (Gichtsegen), 443,
459, 463.
8. Gegen Nervenfieber (aus Rosenbei^).
Der Besprecher schreibt auf ein Stückchen reines, noch ungebrauchtes Papier
folgende Worte:
Das Fieber und der Schuss — Senke sich in den Plussl
Die Schmerzen und die Pein, — Sollen heraus und nicht hinein!
Im Namen u. s. w. Amen.
Dieses Papierstück bindet *) er dann dem Kranken an einem noch ungebrauchten
Zwimfaden um den Hals. Dasselbe hat er 9 Tage lang so zu tragen, am 10. aber
nimmt er es ihm ab und trägt es früh vor Sonnenaufgang in ein fli essendes Wasser *).
Da wird die Krankheit gut verlaufen.
9. Gegen Fraisen (aus Hohenfurt, PoUetitz).
Ich verdanke diese Formel meinem Freunde Prof. A. Gstirner in Krummau,
ebenso den Keisesegen. Beide stammen aus der Hohenfurter Gegend.
Im Namen u. s. w. Amen.
Das wolle Gott der Herr Jesus Christus heut auf diesen Tag, auf dass ich
alle siebenundsiebenzig Frais töten möge (mag?). Ich töte durch Gottes grosse
1) Wohl dasselbe wie »miterwachs" in Zs. f. deut Myth. IV, 108 gleich ünterwacbsen-
sein (scrophulöse Anschwellung der Rippen). In der That hat eine zweite Fassung aus
PoUetitz die Lesung „ünterwachs".
2) Vgl. Gr. Myth. 970—71 und Nachtr.
3) Zu diesen Reimen und versinken im Wasser vgl. Gr. Myth. 978. Zs. t Volkskunde
V. Veckenstedt H, 4 S. 161, 8 und insbesondere Zs. f. deut. Myth. IV, 106.
4) Vgl. streichen und binden. Gr. Myth. 975.
5) Vgl. Gr. Myth. 1040. Zu „vor Sonnenaufgang'* vgl. Anh. XXXV. Zu 9 Tage um
den Hals tragen vgl. Zs. f. Volksk. von Veckenstedt H, 9 S. 862.
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Yolkssegen ans dem Bdhmerwald. 209
Macht, den heiligen Namen Christi alle siebenundsiebenzig Frais; reissende Frais,
rote Frais, abdorrende Frais, zitternde Frais, kalte Frais, fallende Frais, geschwollene
Frais, spritzende Frais, stille Frais, schreiende Frais, wütende Frais, schwitzende
Frais, gestossene (stossende) Frais Ich wende dirs N. N. durch Gott den
Herrn Jesu Christi und durch seine heilige fünf Wunden. Ich wende dirs N. N.
durch sein heiliges Sakrament. Ich wende dirs N. N. durch Gott, unsern Herrn
Jesu Christi seine heilige Hände und Füsse. Ich wende dirs N. N. durch seine
heilige Pforten des Himmels. Aus der Gnade Gottes Geschöpfe, durch den lieben
Namen Jesu Christi, dass ich euch yerbiete (ich gebiete) alle siebenundsiebenzig
Frais!
Ich wende dirs N. N. durch alle Berg und Thal.
und durch die lliessenden Wasser ab.
Auf dass der Leib ruhen und rasten mag
Bis auf den jüngsten Tag,
Darin unser lieber Herr Jesu kommen wird und auferwecken die Lebendigen
und die Toten durch die Verdienste, da er sein heiliges Haupt geneigt und seinen
Geist aufgegeben. Das helfe dir N. N. Gott der Vater, der dich erschaffen hat,
und der Sohn, der dich erlöset hat, und Gott der heilige Geist, der dich in der
Taufe geheiliget hat. Amen.
Zu siebenundsiebenzigerlei Krankheit vergleiche Kuhn in Zs. f. vergl. Sprach-
forschung XIU, 128.
10. Gegen Gicht (aus Krummau).
Der Besprecher fasst die rechte Hand des Kranken und spricht, indem er ihn
beim Namen nennt:
N. N. ich begreife deine rechte Hand in Gott des Vaters und des Sohnes imd
des heiligen Geistes. .Da wird dir gewendet mit dem gekreuzigten Heiland.
N. N. ich begreife deine Gicht, die Markgicht, Beingicht, Adergicht, Blutgicht,
Pleischgicht, so wirst du gewendet werden durch Jesum Christum.
N. N. glaube du, dass Christus am Kreuze gestorben ist Glaube du N. N.,
dass er die dornene Krone auf seinem heiligen Haupte trug und mit einer Lanze
gestochen wurde. Er trug das schwere Kreuz, fiel dreimal auf sein Angesicht,
wurde mit drei Nägeln geschlagen. So begreife N. N. diesen Schmerz! Welchen
Schmerz, welchen Schmerz empfand er! Wie du in deiner Markgicht
Pleischgicht, so wirst du gewendet werden.
Wie Petrus und Johannes kamen vor die Tempelthüre, da sass einer an dem
Wege, welcher sprach: „Brüder, erbarmet euch meiner!" Da sprach Johannes:
flWas willst du, dass ich gebe?" Petrus sprach: „Geld und Gut habe ich nicht,
steh auf in Jesus Namen!"
Im Namen u. s. w.
Zu den verschiedenen Gichtarten vergleiche Gr. Myth. 967 f. und Nachtr. Bir-
linger, Aus Schwaben I, 448—49.
Eine andere Formel gegen Gicht (aus Höritz).
Im Namen u. s. w.
Ich N. N. beschwöre dich Gesicht oder Gicht bei den heiligen fünf Wunden
and beim unschuldigen Blut meines Herrn Jesu Christi, welches aus seinen heiligen
fünf Wunden ims Menschen auf Erden zu Gott geflossen ist. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich Gesicht oder Gicht beim jüngsten Gericht und beim bittem
Zeitschrift d. Vereins f. Volkskunde. 1891. 14
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210 Ammauii:
Urteil, das Gott über alle Menschen und Sünder und Sünderinnen erteilt, dass du
mir am Gehirn, an den Angen, an den Schultern, am Rücken, am Herzen, an den
Lenden, an den Waden, an den Füssen, an den Zehen und an allen Gliedern meines
ganzen Leibes (nicht schadest). Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich Gesicht oder Gicht durch die drei Nägel, welche Jesu
Christo durch seine heiligen Hände und Püsse geschlagen worden, bei den Heiligen,
die auf beiden Seiten des Kreuzes unseres Erlösers Jesu Christi bei seiner Kreuzigung
standen, nämlich der seligsten Jungfrau Maria, des heiligen Johannes und aller
Heiligen, die bei der Kreuzigung unseres Herrn Jesu Christi zugegen waren. Im
Namen u, s. w.
In diesem Vertrauen hoffe ich, Gott werde yon mir durch die Fürbitte der
heiligen Barbara, wenn es zu meinem Seelenheile erspriesslich ist, die Gicht ab-
wenden und alles Gute erteilen. Ach, ich bitte dich, o gütigster Herr, dass du
mich von dieser Krankheit des Gesichtes oder Gichtes erlösest.
Ich bitte dich durch die Stricke, Bande und Nägel, mit welchen unser Erlöser
gefangen, gebunden und an das Kreuz genagelt worden, dass er im Namen u. s. w.
seinen Martern zu Liebe mir und allen Menschen diese Gnade verleihe. Im
Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich Gesicht oder Gicht, dass du abweichest bei der göttlichen
Liebe (?) im Himmel und auf Erden. Im Namen u. s. w.
Es weiche von mir jede Art dieser Krankheit, es sei das kalte Gicht, das
laufende Gicht, das brennende Gicht, das rcissende Gicht, das tobende Gicht, das
fliegende Gicht, das Lendengicht, das Seitengicht, die siebenandsiebenzig Gichter,
dass sie mir an meinem ganzen Leib nicht schaden. Dazu helfe mir die göttliche
Kraft, mit welcher Jesus Christus seinen Martertod am Kreuze gelitten, in seinem
Grabe, in welchem er selbst gelegen und von da glorreich erstanden ist und das
menschliche Geschlecht erlöset hat. Liebster Herr und Heiland! Mache mich
gesund an Leib und Seele! Das werde wahr! Im Namen u. s. w.
Wer ein Gesicht oder Gicht hat, der komme und wende sich zur Rückerinnerung
des Lebens Jesu Christi und an den Namen Jesus Nazarenus Rex ludaeorum.
Wer es liest oder gelesen hat, er sei unser Feind oder Freund, Bruder oder
Schwester, und dieses Gebet bei sich trägt und sich nach dem Inhalt desselben
einrichtet, wird von Gesicht oder Gicht befreit und keineswegs davon befallen
werden.
Denn der nächtlichen Tod am Stamme des Kreuzes gelitten hat, war unser
liebster Herr Jesus Christ. Dieser ist der Herr Himmels und der Erde. Er
würdigt sich uns zu helfen und das Gesicht oder Gicht von uns abzunehmen, dass
wir es nicht bekommen oder uns gänzlich zu bewahren. Man bete, solange man
lebt, alle Tage zu Ehren des geliebten Jesu Christi fünf Vaterunser und fünf
Avemaria nebst dem Glauben.
Vgl. Grimm Myth. Anh. S. 497. XIH.
Eine andere Formel gegen Gicht (aus Mistelholz),
die aber mehr nur in der Form als im Inhalte von der vorausgehenden ver-
schieden ist:
Im Namen u. s. w. ohne Amen.
Ich beschwöre dich du Gesicht oder Gicht bei dem unschuldigen Blut unsers
Herrn Jesu Christi. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich du Gesicht und Gicht bei dem bitteren Ort, bei dem
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Volkssegen aus dem Böhmerwald. 211
jüngsten Gericht, dort werden alle Sünden erteilt (verurteilt) werden. Ich beschwöre
dich du Gesicht und Gicht durch die Stricke und Banden. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre u. s. w. bei den heiligen fünf Wunden, die der Herr Jesu
Christ für mich und dich empfangen hat. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre u. s. w. durch die Kraft des heiligen Grabes, wo der Herr
Jesus Christus selber darinlag. Im Namen u. s. w.
gütiger Herr, ich bitte dich, du wollest dich nicht weigern, wollest ihn er-
lösen von dieser Krankheit, von der kalten Gicht, von der laufenden Gicht, von
der brennenden Gicht, von der reissenden Gicht, von der fliegenden Gicht, von
den sieben Gichten, von den siebenundsiebenzig Gichten. Liebster Heiland und
Herr mache ihn gesund an Seel und Leib! Das werde wahr! Im Namen u. s. w.
Man zähle nun von 77 zurück bis 0. Ich beschwöre dich, du Gesicht und
Gicht durch Christi Geburt. Ich beschwöre dich du Gesicht und Gicht durch die
heilige Wandlung. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich, du Gesicht und Gicht durch dein Kreuz und» Marter, so
Jesus Christus auf Erden ausgestanden hat. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich, du Gesicht und Gicht bei den Nägeln, die Jesus Christus
durch seine heiligen Hände und Püsse durchgeschlagen wurden. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich, du Gesicht und Giclit durch dein heiliges Kreuz und
durch die Fürbitte der seligsten Jungfrau Maria und des seligsten Johannes, und
alle, die bei dem heiligen Kreuz gestanden sind, wollen dich erlösen von dieser
Krankheit, von der kalten Gicht, von der laufenden Gicht, von der brennenden
Gicht, von der reissenden Gicht, von der fliegenden Gicht, von den sieben Gichten,
von den siebenundsiebenzig Gichten.
Ich beschwöre dich, du Gesicht oder Gicht bei dem Sohn Gottes und bei der
heiligen Wandlung unsers Herrn Jesu Christ, bei den heiligen fünf Wunden
unsers lieben Herrn Jesu Christ. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre dich, du Gesicht oder Gicht bei dem jüngsten Gericht, bei
dem lebendigen Gott, dass Gott sein heiliges Leiden wegen uhs Menschen auf
Erden litt. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre u. s. w. bei den Martern unsers Herrn Jesu Christ. Ich be-
schwöre u. s. w. bei den vier Menschen, die auf Erden standen, als die wahre
Mutter Gottes Maria samt Elisabeth, samt Johannen und Jakoben. Die sprachen
zusammen, weil unser lieber Herr Jesu gefangen, gebunden, gegeisselt, gekrönt,
mit drei Nägeln an das schwere Kreuz geschlagen worden ist, darum stirbt er für
uns Sünder und Sünderinnen und für die ganze Christenheit. Im Namen u. s. w.
Ich beschwöre u. s. w. durch die Kraft Gottes, die du im Himmel und auf
Erden hast, dass. die Gesicht und Gicht ihr keinen Schaden mehr thut an Augen,
Zähnen, Kopf, Händen und Füssen, Schultern und Lenden, Bauch und Rücken,
und alles, das auf Erden ist, kommt zu dir um Hilfe. Im Namen u. s. w.
Eine kurze Formel gegen Kaltvergift (Kaltgicht)
ist in Polletitz im Gebrauch:
Jesus ging aus auf allen Wegen und Strassen, es begegneten ihm 77 Gichten
und das Kaltvergift. Jesus sprach: Stehet still und gehet aus!
Noch eine Formel aus Polletitz gegen Gicht:
Ich lege meine sündige Hand auf deinen Leib und spreche dich mit dem Wort
Gottes an durch Jesum Christum sein schweres Kreuz, durch die eisernen Nägel,
durch seine Schmerzen, dass N. diese Schmerzen ganz vergehen, Schwindel und
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212 Ammann:
kalte Gicht, und gleich aufhören, wie die Steine zu wachsen nach Christi Geburt
aufgehört haben. Ich spreche dich (Gicht) von Fleisch und Blut, von Mark und
Bein hinweg, weiter lass ich dich nicht. Du musst dich verlieren auf ewige Zeit,
wie sich der Teufel nach der Auferstehung Christi verloren.
Eine andere Formel gegen Gicht und Rheumatismus (aus Krummau).
Wer an Gicht oder Rheumatismus leidet, gehe 3 Tage nacheinander am
Morgen vor Sonnenaufgang zu einem Holunderbaum *) und spreche, während er
ihn anfasst:
Holunder, ich habe die Gicht, — Und du hast sie nicht.
Nimm mir sie ab, — Dass ich sie nicht habM
Im Namen u. s. w.
Vgl. Gr. Myth. Anh. XLIV.
Oder man gehe im Frühling vor dem Aufgang der Sonne zu einem Baum,
ergreife einen seiner Äste mit der rechten Hand 2) und spreche dazu:
Nimm von mir alle schwere Last,
Das Reissen, Schwinden und die Gicht;
Dies alles sollst du haben und ich nicht.
Das zähle ich mir zu gute').
Im Namen u. s. w.
Vgl. Gr. Myth. Nachtr. zu 1043.
11. Gegen Augstall*) (Blähen) beim Vieh (aus Mistelholz}.
Gegen diese beim Vieh häufig auftretende Krankheit giebt es eine ganz kurze,
bequeme Segensformel, an deren Ursprung sich aber eine ganze Geschichte knüpft.
Man spricht nur:
Die Ehre sei Gott dem Vater u. s. w.
Angstall vergeh, der Herr unter dem Wagen hats geschafft!
Dazu wird folgende Geschichte erzählt:
Es war schon spät in der Nacht, als einst Jesus mit Petrus in ein Haus kam
und um Nachtherberge anhielt. Auf wiederholtes Bitten hin sagte der Hausherr
mürrisch: „Nun schaut, dass ihr in die Schupfen hinüberkommt, und legt euch
wo aufs Stroh!" Da sagte Jesus zu Petrus, er wolle den Leuten für ihre Un-
freundlichkeit einen Possen spielen. Darauf ging er in den Stall und sprach:
,,Alles Vieh soll voll werden!" Dies geschah. Als nun die Leute in den Stall
kamen, da sahen sie voll Entsetzen, dass alles Vieh stark angelaufen war, und sie
erhoben darob ein unsägliches Jammern und "Weinen. Das rührte den mitleidigen,
weichherzigen Petrus so, dass er vor seinem Herrn auf die Knie niederfiel und
bat, er möge sich doch der Unglücklichen erbarmen. Jesus aber entgegnete, er
1) Vgl. Gr. Myth. 979 und Nachtr. zu 1015. Kuhn WS. U, 205. Zs. f. deut
Myth. IV 107.
2) Vom Übertragen der Krankheiten auf Bäume vgl. Gr. Myth. 979. Kuhn WS. H, 205.
3) Zu gute gleich wie zu busse (zur Heilung, zur Besserung), vgl. Gr. Myth. 866.
Anh. XXX. In einem Hohenfurter Segen heisst es: ^buzzet mir des riten" . . . . ,tv du
des riten bvz*" (Zs. f. d. A.). Vgl. auch die Formel unter II, 4 und I, 6.
4) Vgl. Schmeller Bayr. Wb. I, 50. II, 747 und 749: Rinderkrankheit, aber an-
derer Art als hier.
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Yolkssegen ans dem Böhmerwald. 213
solle sie nur eine Zeitlang jammern lassen. Als der Jammer aber immer grösser
wurde und Petrus abermals den Herrn bat, da gab Jesus dem Drängen endlich
nach und sprach zu Petrus: „Geh hinein in den Stall tmd sprich: Augstall
geh weg, der Herr unter dem Wagen hats geschafft!" Petras that, wie ihm der
Herr befohlen hatte, und alles ward sofort wieder gesund.
Efne andere Passung erhielt ich aus Pramhof, wonach Christus als Wanderer
yerkleidet bei einem geizigen Bauer um Nachtherberge ansucht, und in den Hof
unter einen Wagen verwiesen wird. Das Vieh wird in der Nacht krank, der
schlecht behandelte Wanderer wird in der Not befragt und rät folgenden Spruch an :
Augstall geh von dem Rind, — Der Herr hat's befohlen.
Der unter dem Wagen liegt, — Auf dem rauhen Ranzen,
Auf dem rechten Ohr. — Es helfe dir Gott Vater u. s. w.
Als der Bauer über jedes Rind diesen Spruch gemacht hatte, verschwand die
Krankheit, welche keine andere war als Augstall. Der Segen kann von einem
Mitglied des Hauses vorgenommen werden, besser ist es aber, wenn dies ein
Fremder besorgt.
Eine andere Formel gegen Augstall (aus Malsching).
Man spricht dreimal Christus
Christus ist gehauen worden, Christus ist gefunden (?) worden, Christus ist ge-
schlagen worden, ist mit einem scharfen Schwert durchstochen worden, und rann
nichts heraus als Wasser und Blut. Sind 77 Augstall für das Rauschet, fUr das
Reisset, für das Rennet und für Blutaugstall. Es helfe dir Gott Vater u. s. w.
ohne Amen.
So oft man diese Worte gesprochen hat, betet man ein Vaterunser und Ave Maria.
Vgl. Gr. Myth. Anh. XXXVIII. Joseph und Gardian gegenüber Jesu.
Eine andere Formel gegen Augstall (aus Mistelholz).
Dazu ist vor allem eine Peitschenschnur notwendig, die man zufällig gefunden
hat. Wer nämlich auf dem Wege die Schnur von einer Peitsche, die ein Hirt
oder Fuhrmann weggeschnalzt hat, findet, steckt sie bedächtig ein und bewahrt
sie sorgfaltig auf. Wenn dann ein Stück Vieh von Augstall heimgesucht wird,
so holt man jene Schnur hervor und bindet damit das Tier um die Mitte des
Leibes, so dass die Schnur über den Hummellucken (d. s. die Magenhöhlen) zu
stehen kommt. Nun legt man auf jede Hummellucke eine Handfläche und beginnt
nach abwärts zu streichen und zu reiben und, nachdem man schon vorher das
Kreuzzeichen ohne Amen gemacht hat, fährt man weiter:
Hast du das Augstall von Wind und Kälte kriegt, so helfe dir die seligste
Jungfrau Maria, dass das Augstall in einer Viertelstunde oder in fünf Minuten
wieder vergeht. So wahr als die Osterblume gewachsen ist und ich sie gebrockt
habe, so reib ich dich für das Augstall, das du jetzt von Wind und Kälte erhalten
hast So helfe dir und mir Gott u. s. w. ohne Amen- Nun betet man ein Ave-
maria, wobei man den Schweif des Tieres dreimal nach rückwärts über den
Rücken zieht.
Manche zählen auch noch von 9 zurück bis 0, wie dies beim Brocken der
Osterblume geschieht (S. 198). Viele geben dem Vieh nach der Besprechung ein Brot,
das mit Salz bestreut ist und worauf wieder eine Schnitte Brot gelegt ist, zu fressen.
Dies geschieht besonders auch, wenn das erstemal auf die Weide getrieben wird.
Vgl. Zs. f. deut. Myth. IV, 116. 117.
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214 Ammann.
Eine andere Formel gegen Augstall (aus Höritz)
ist auch das Zurückzählen:
Augstall giebts 77 — Augstall giebts 76 u. s. w. bis ... ., — Augstall giebts
einen, — Augstall giebts keinen.
So wird dreimal heruntergezählt, schliesslich: Im Namen u. s. w.
Oder man spricht (aus Mistelholz): Im Namen u. s. w.
Sei gegrüsst du Blümlein im Namen der allerheil igsten Dreifaltigkeit: Im
Namen u. s. w.
Augstall sind 72 (oder auch 77), — Es sind nicht 72, — Es sind nur 71 u. s. w.
Es ist nicht 1, — Es ist gar keins. Im Namen u. s. w.
Eine andere Formel gegen Augstall (aus Priethal).
Auch in Priethal sucht man die Heilkraft durch Gewinnung der Dotter- oder
Osterblume (Schmälzbleaml) zu erlangen (Vgl. oben S. 198). Auf die erste Dotter-
blume, die man im Frühjahr vor Georgi (Jurgi) sieht, muss man schnurgerade
losgehen, ohne zur Seite zu sehen. Vor der Blume kniet man nieder und spricht:
Grtias di Gott, schön's Blümelein, — Wer hat di kloat (gekleidet),
Wer hat di baut (angebaut), — Wer hat di g'haut (mit dem Karst)?
Gott Vater hat di kloat, Gott Vater hat di baut, Gott Vater hat di g'haut. —
Dann pflückt man die Blume und reibt damit die Hand ein bis zu den Gelenken;
dadurch erhält sie die Heilkraft. Soll nun ein Tier von Augstall befreit werden,
geht man unbedeckten Hauptes hin, macht über dasselbe das Kreuzzeichen und
fährt dann mit beiden aneinanderliegenden Handflächen über den Rücken des
Tieres hinweg zum Schweif und spricht dreimal:
Rindl (z. B. Falbl) — Wer hat dir g'schad't?
Herr oder Frau? — Dirn oder Knecht?
Kind' oder andre böse Leut? Ich treib di z'ruck in ihren Leib!
Es helfe dir Gott Vater u. 's. w., (aber erst beim drittenmal) Amen.
^
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Kleine Mitteilungen. 215
Kleine Mitteilungen.
YolksüberUeferungen aus Eisenerz in Obersteiermark ^).
Die wilde Jagd ('s wilde Gjoad) fährt ellbogenhoch über der Strasse daher.
Der Wagen hat hohe Räder und breite klingende Achsenscheiben. Fahrleute sind
die Teufel, die Pferde kohlschwarz mit langen Mähnen, stossen Funken aus den
Nasen. Auf dem Wagen befinden sich verdammte Seelen. Die Pferde sind eben-
falls Seelen. Man kann sich davor retten, wenn man sich geschwind in die
rechte Wagenleise legt. Wenn sie in Wäldern hauset, hört man Fluchen und
Jammern; fährt sie über Felsen herab, so bleibt eine feurige Bahn zurück. Sie
lässt die Pferde öfter bei Schmieden beschlagen, wärend alle schlafen. Sie kann
hausen von der Abenddämmerung bis Mitternacht. Weil sie ein Papst vor beiläufig
70 Jahren verbannte, hört man von ihr jetzt nicht mehr; doch soll die Bannung
wieder einmal aufhören.
Kaiser Rotbart sitzt im üntersberge (bei Salzburg) an einem steinernen
Tisch; sein Bart wächst bis zum jüngsten Tag dreimal um den Tisch herum.
Ein Schafhirt fand einst den Eingang in den Berg und er sah den Kaiser von
Rittern bewacht am Tische schlafen und den Bart schon zweimal herumgewachsen.
Kaiser Rotbart wird den Antichrist schlagen.
Freimannsloch sei eine Höhle auf einer Alp an der Grenze von Salzburg
und Steiermark, welche aber von einer Klöchachstaude (Zwergkiefer) am Eingange
verborgen sei. Nur Leute, welche in gewissen Himmelszeichen geboren sind,
könnten an gewissen Tagen und gewissen Stunden in das Loch gelangen. Im
selben befinden sich drei Abteilungen. In der ersten ist ein sich regendes Toten-
geripp, in der zweiten drei Wolfshunde, in der dritten ist Freimann selbst an
einem Tisch, vor sich ein grosses Schwert, um den Tisch neun Geldfässer. Wer
sich vor dem Geripp nicht fürchtet, den werden die Hunde durchlassen, und wer so in
die dritte Abteilung gelangt, erhält von Frei mann, wenn er ihm eine rechte
Antwort giebt, Geld. Benimmt er sich aber nicht so, wie es ihm gefällt, so wird
er von ihm enthauptet.
Versteinte Alben (Grimm ing) war einst eine grasreiche Alpe. In üeber-
mat haben die Sennen mit Butter Kegel geschoben und so wurde zur Strafe die
Alpe in eine schreckliche Sleingruppe verwandelt.
Die verschniebne Alben (Dachstein) war eben so grasreich. Die Sennen
düngten die Alpenmatten mit Milch, und aus Strafe wurde es nicht abba (schneefrei).
Kasofen in Bretstein, wo die Sennen mit Käse mauerten und deswegen der
Berg in eine Kalksteingruppe verwandelt wurde.
Der Teufel hat Rossfüsse, lange Ohren, nach hinten gedrehte Hörner und
einen Schweif; jauchzet sehr gern, kann aber, wie das Volk sich ausdrückt, nicht
überijutzen (hinüberjauchzen). Er kann sich auch in einen Bock, Hahn (aber
ohne Sporen), in ein schwarzes Pferd, Buhu, Schoffitl (Totenkäuzchen), Haber-
geis s (wäre ein Vogel mit drei Füssen und der ihren Ruf spottet, der erhält
von ihr zur Nachtzeit Besuch), Katze (mit nur drei weissen Haaren) u. s. w.
1) Ich gebe diese Mitteilungen unverändei-t, wie ich sie vor länger als dreissig Jahren
aus Eisenerz erhalten habe. K. Weinhold.
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216 Weinhold:
wandeln. Auch hält er sich überhaupt bei diesen Tieren gern auf. Sehr gern
verwandelt er sich aber in einen Jäger. Er hat eine schnofelnde Sprache.
Schratl ist ein kleines Männlein mit grüner Jacke, einem runden Hütlein,
worauf eine Hahnenfeder fortw^ährend winkt. Er kann von den Menschen zu
Diensten gezwungen werden; besonders versteht er es, Geld herbeizuschaffen.
Wenn jemand Geld verloren hat, setzt er sich unsichtbar darauf, dass es nicht
wieder gefunden werden kann. Er kann auch Geld brüten. Ist eine Abstufung
der Teufel.
Berggeist beherrscht die Metalle. Er kann sehr viele Gestalten annehmen.
Gewöhnlich aber sei er ein blassgelbes Männlein mit grauen Augen und mache die
Adern der Erze unzugänglich. Öfters ist er gestaltet wie ein grauer Widder, wie
ihn einst ein Hirt im Schottloch auf einer Alpe gesehen. Das Schottloch sei mit
einer schweren eisernen Pallthür verschlossen und die Thür nur ganz ausser-
ordentlich begnadigten Leuten sichtbar. Ein Hirte habe einst sie aufgefunden,
und den Hammer, der daran befestigt wäre, zu seinem Ergötzen oft auffallen
lassen, so dass er im Berge einen hellen klingenden Wiederhall hörte. Plötzlich
sei die Thür aufgesprungen und ein grauer Widder sichtbar geworden, der den
Hirten gefragt hätte, was er wolle. Der Hirt aber konnte vor Furcht nicht ant-
worten. Ein Edelstein, wovon es in der Höhle eine Menge gegeben hätte, wäre
sein Geschenk geworden. Berggeist liebt graue Farbe.
Wassergeist (Bachhaggel) ist ein alter Mann mit einem schneeweissen
Bart und einer Stange mit eisernem Haken (Griesspeil). Mit diesem Haken zieht
er die am Ufer spielenden oder schlafenden Kinder ins Wasser zu sich hinein. Kinder
sucht man durch Erzählen vom Bachhaggel von den Bächen und Wässern
fern zu halten.
Wildfrauen halten sich in Felsenhöhlen auf, es sind Frauen von ganz
schneeweisser Hautfarbe und roten Haaren. Öfters singen sie wunderschön, öfters
hört man sie waschen. Ein Bauer, der einst sein Feld pflügte, hörte und sah sie
in der Nähe waschen; er ging zu ihnen (sonst fliehen sie die Leute) und verlangte
neckend, sie möchten ihm doch auch einmal ein Hemd waschen, was sie wirklich
thaten. Sie gaben ihm zugleich einen Laib Brot, den sie gebacken hatten. Sie
nahmen bisweilen bei den Menschen Dienst an, ohne dass man wusste, sie seien
Wildfrauen. Sehr viele Höhlen zeigt man als einstige Wohnungen der Wildfrauen.
Andre Jungfrauen giebt es, die in Alpenteichen wohnen. Zur Sommers-
zeit an schönen Tagen singen sie, worauf dann Nachmittags grosses Gewitter
entsteht. Zur Winterszeit halten sie sich in den Sennenhütten auf, in welchen
man dann, wenn sie im Frühjahr wieder bezogen werden, die Spuren auf dem
Herde sehe.
Perchtl, ein Weib, hält sich gerne auf, wo die Spinnräder und Rocken
aufbewahrt sind. Sie lehrt öfters die fleissigen Kinder spinnen. Am Ghristtag-
Abend (Häligabnd) geht sie zur Dämmerungszeit in allen Zimmern der Häuser,
in den Heuböden u. s. w. umher, und wenn sie dieselben nicht reinlich ausgekehrt
findet, sammelt sie den Kehricht und näht denselben der nachlässigen Dirn in den
Bauch. Sie ist an diesem Abend mit einem Besen, Schere und Nadel ausgerüstet.
Junge Dirnen werden Heiligabend mit dieser Erzählimg zur Reinlichkeit und zum
Fleisse angeeifert.
Trud, ein Weib, das die Leute im Schlafe drückt. Sie hätte nur einen Puss,
einen hutschelnden Gang, weshalb sie von manchen schon in ihrem Nahen erkannt
worden sei.
In Zeiring, wo man jetzt noch auf Blei und Eisen baut, war einst eine
reiche Sübergrube. Die Leute waren wegen des grossen Reichtums sehr über-
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Kleine Mitteilungen. 217
mötig geworden, so dass es den Bergknappen nicht mehr genügte mit silbernen
Kegeln und Kugeln zu spielea, sondern sie enthaupteten einen Knaben und
bedienten sich seines Hauptes als Kugel; dieses sei an einem Sonntag geschehen.
Montag morgens, als die Knappen in die Gruben stiegen, seien die Decken ein-
gebrochen und ein altes Weib, die Grossmutter des Knaben, die mit den silbernen
Kegeln erschlagen worden, habe in diesem Augenblick im Markte auf dem Platze
eine Maass Mohnsamen ausgestreut und gesagt: „So viel Mohnsamen, so viel
Jahre kein Bergsegen I" Auch sei am selben Tag die Kirche, worin sich zwei
lebenagrpsse silberne Apostelstatuen befanden, versunken. Der Silberberg sei voll
Wasser und werde einmal den .Markt wegschwemmen.
Ein Zweig von einem weissen Elxenbaum (Prunus padus), der vom Papst
geweiht sei, zeige die Schätze in den Bergen an, indem er sich mit der Spitze
dahin drehe. Auch könne man sich durch ein Kreuz von weissem Elxenbaumholz
Tor dem Zorn des Berggeistes wahren.
Die Katzen und Schlangen sinnen täglich neunmal darauf, dem Menschen
das Leben zu nehmen, der Hund und die Eidechse, es zu retten.
Wenn ein Hahn neun Jahre alt geworden, lege er ein Ei, welches, wenn
es ins Wasser kommt, einen Lindwurm hervorbringt.
Im Wilden See auf einer Alpe (Hochwand) bei Oberwölz sei vor Zeiten
ein Lindwurm gewesen. Er sei durch ein Auerhahnei entstanden. Er zog alles
Vieh in der Nähe durch seinen Hauch an. Wenn er hungrig war, brüllte er,
dass die Berge zitterten. Immer waren die Leute in grosser Angst, er möchte
einmal durchbrechen und die ganze Gegend verwüsten, aber zum Glücke sei er
von zwei einsinkenden Felsen erdrückt worden. Ein andrer Lindwurm war in
einem Alpenteiche bei Zeiring (Pusterwald). Als er einmal aus dem Teiche
brach, warf er einen grossen Graben aus und schleuderte die Steine eine halbe
Stunde weit um sich. Zwischen Knittelfeld und Judenburg sei ein grosser See
gewesen, in welchem ebenfalls ein Lindwurm hausete. Als einst der See versiegte,
kamen die Anwohner mit Knitteln herbei und erschlugen ihn. Das Feld wurde
wegen der vielen umhergeworfenen Knittel Knittelfeld genannt; die Stelle, wo
der Lindwurm lag, hiess man Lind. Nach 50 Jahren noch wären die Lindwurm-
rippen ein Unterstand des Weideviehes gewesen.
Anf der Alpe Grewenzen bei St. Lambrecht befindet sich ein Loch, welches
von vielen für einen Gang zur Hölle angesehen wird. Es geht die Sage, es
habe dort ein Hirte einmal den Ruf vom Höllenthor vernommen „Macht auf, es
kommt der Richter von Neumarkt I" Auch habe auf derselben Alpe einmal ein
Bauer Samstag Abends, als er sein Vieh besehen ging, mit zwei Teufeln Kegel
geschoben und diesen Teufeln mit einem Frauenbild — Zwanziger das ganze Geld
abgewonnen, so dass er es mit einem Karren heimgeführt hätte.
Zauberer gehen am Pfingstsonntag mit den übrigen Leuten opfern (sie
gehn in Opfer). Die Zauberer schieben die schweren Gewitterwolken und entladen
sie dorthin, wo sie Schaden anrichten wollen. Hexen hätten säbelbeinige Füsse
(seien krahschinkat), rote Haare, nur zwei Zähne u. s. w.
Der Alp (= Schab, die kleineren = Besen) sei der Teufel und zeige sich
Torzüglich gern den fluchenden und liederlichen Burschen. Einst soll er einen
Wallfahrer, der schlecht gebeichtet hatte, gepackt und durch die Luft getragen
haben ; des Wallfahrers weithin wehender Rock sei allem zuschauenden Volk eine
schreckliche Mahnung gewesen.
Wer am Sinewendtag (Sun wendtag = St. Johannistag) um Mittag den Samen
von weissem weiblichem Farrenkraut sammelt und in seine Schuhe legt, kann sich
unsichtbar machen. Wer sich den ganzen Leib mit Fledermausblut einreibt, auch
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218 Weinhold:
sich drei Tage lang yon Fledermaxisherzen nährt, macht sich gefroren (un-
verwundbar.)
Pferde, welche an den Vorderfüssen keine Narben haben, seien Teufel.
Ein jeder Mensch hätte am Himmel für sich einen Stern. Wenn der Stern
(Sternschnuppe) herabfällt, stirbt der betreffende Mensch.
Zu Weihnachten unterhalten sich yorzügUch gern die Greister mit den Tieren.
Am Christagabend zu Mittemachtszeit könne man das Rindvieh, die Schafe
und Pferde, alle imter einander sprechen hören. Zur Mettenzeit aber höre man
in den Ställen auch die Teufel im Zwiegespräch mit dem Vieh.
Wer in den drei heiligen Weihnachtsnächten (Christnacht, Neujahrsnacht,
hl. drei Königsnacht) wache, der erhalte die Gabe des ünsichtbarseins; doch werde
er in der letzten Nacht vom Teufel sehr angefochten, und er könne sich vor ihm
nur durch ein Kreuz vom Holze eines weissen Elxenbaums, der am St. Johannis
des Täuferstag noch blühte, retten.
Totenbahrziehen besteht darin, dass um eine Kirche, die drei Thore und
rund heruni einen Preithof hat, der zuletzt Verstorbene aus dem Grabe ausgescharrt
imd auf einer Bahre dreimal zwischen 1 1 und 12 Uhr nachts herumgezogen wird.
Einer muss ziehen, ein anderer aber mit einer weisselsenbaumenen Ruthe mit drei
Knospen fortwährend einhauen. Teufel setzen sich auf die Bahre, deshalb man
selten drei mal herumfahren könne. Wenn nicht Schlag zwölf die Arbeit voll-
bracht ist, werden die Leute zerrissen; wenn sie aber vollbracht wurde, werde ihnen
der Leichnam des Gezogenen mit Geld aufgewogen. Nur einer sei erst dem Teufel,
nachdem er die Arbeit noch nicht vollendete, über die PVeithofsmauer entflohen;
jedoch habe er dabei durch des Teufels Krallen seinen Rockzipfel eingebüsst
Wenn jemand stirbt und sein Leichnam ist weich und sehr biegsam, so sei
dies ein Zeichen, dass bald jemand aus demselben Hause sterbe.
Wenn einer gestorben ist, pflegt man die Zimmerthür zu öffnen, damit die
Seele herauskönne. Das Todesröcheln deute den Kampf mit den bösen Geistern.
Die Geister der Verstorbenen könnten sich den Menschen auf der Erde
zeigen. Die Verdammten wären von schwarzem Angesicht und oft in feuriger
Kleidung, die Seligen wären von bleichem Angesicht. Diese Geister wären
betastbar und ganz kalt, werfen aber keinen Schatten.
Besonders gerne kommen die Geister der Prozessführer auf die Erde zurück.
Sie erscheinen gerne den Hausleuten in den Ställen, Heuböden, Kammern, oder
beunruhigen sie im Schlafe. Von einem solchen Hause sagt man: es thuat
oniwägeln = es ist nicht ledig, es geistert. Bisweilen raufen die Geister der
Verstorbenen, die Prozess geführt auf der Erde. Dann gehen Funken vom An-
gesicht imd ihre Tritte sind in der Erde kennbar. Der Anspruch an die zur
Nachtzeit beim Bette erscheinenden Geister ist: „Ich und alle guten Geister loben
Gott den Herrn, sag an, was ist dein Begehren? Bist du ein guter Geist, so helf
ich dir, bist du ein böser Geist, so flieh von mir."
Die Seelen ungetaufter Kinder werden AfTen, nach andern Wildfrauen.
Vorzeichen des Weltendes sind: Es werden mehr Mädchen als Knaben
geboren; Religionskrieg; Ende der deutschen Kaiser (jetzt österreichischen, der immer
noch (vor 1871) deutscher Kaiser genannt wird); Krieg vom Gebirge längs den Flüssen
abwärts (von der Schweiz = Schweinz); Antichrist, der dort geboren wird, wo das
Paradies einst war. Dann wird alle Ordnung aufhören und nur auf den Gebirgen und
Thälem wird man noch sicher sein. In den Thälem vnrd man jauchzen, auf
dem Land (Flachland) wird man Blut schwitzen. Die Wälder werden ausschauen
wie ein geflickter Bettlerrock. Dort und da nur wird ein altes Mutterl bei einem
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Kleine Mitteilungen. 219
grossen Kornfeld schneiden. Der Papst geht znm Antichrist über. Der letzte
Papst wird Petras heissen und der dreihunderste sein, er wird mit Kaiser Rotbart
den Antichrist Vertreiben. Zuletzt wird die Welt verbrennen.
Weisse Hausmäuse sollen Seelen sein, daher sie nicht sollen getötet werden.
Wenn man sich morgens nicht wäscht, begleitet einen der Schutzengel nur
bis 9 Uhr, dann hat der Teufel die Vorhand.
Einen Fliehenden verraten, werde in der Hölle mit heisse Steine lecken
bestraft, wie das Lügen.
Im Jahre gebe es 32 Unglückstage. Wenn man Jemanden Montags Vormittag
besucht, bringe man ihm Unglück ins Haus. Wenn man bei einem Besuche das
Haas der Besuchten schnell wieder verlässt, so nimmt man ihnen den sanften Schlaf.
Wenn man zu Weihnachten im Zorn die Thüren sehr laut zuschlägt, hätte
man sich im Sommer vor dem Blitz zu fürchten.
Zu Weihnachten mondhelle Nächte, zu Ostern lichte (leere) Stadel.
Leute, welche an einem Sonntag, wo eben Neumond eintrat, geboren sind,
hätten einige prophetische Gaben und würden weit mehr als andre von den
Geistern angefochten.
Sitten und Gebräuche bei Sterbeföllen in Heiderich
(Reg.-Bez. Dusseldorf).
Mitgeteilt von Carl Dlrkseii.
Sobald in Meiderich jemand stirbt, werden die Notnachbarn davon in Kenntnis
gesetzt. Notnachbam heissen die nächsten Hausnachbarn, doch können auch andere
nahe wohnende Familien dazu genommen werden. Die Notnachbam sind durch
stilles Abkommen verpflichtet, sich in allen freudigen und ernsten Ereignissen des
Lebens treu zur Seite zu stehen und hilfreiche Hand zu leisten.
Bei einem Todesfalle haben sie nun zunächst die Trauerbotschaft den übrigen
Nachbarn, zu welchen man die Bewohner der nächsten 12 bis 15 Häuser rechnet,
zu übermitteln. Sämtliche Nachbarfraaen versammeln sich darauf im Sterbehause,
um die Arbeiten unter sich zu verteilen. Es steht ein- für allemal fest, dass die
Notnachbam das Waschen mid Ankleiden der Leiche, das Einsargen und das
Bedienen bei dem nach dem Begräbnis stattfindenden Kaffeetrinken zu besorgen
haben; Pflicht der übrigen Nachbarn dagegen ist, den Verwandten und Bekannten
des Verstorbenen, auch den auswärts wohnenden, die Nachricht persönlich und
mündlich zu überbringen und dieselben zum Begräbnis einzuladen. Da hier nicht
selten 100 — 150 Haushaltungen geladen werden, die, abgesehen von den auswärtigen,
oll in verschiedenen Teilen des über eine halbe Quadratmeile umfassenden Ortes
zerstreut wohnen, so bestimmen die Frauen unter sich durchs Los, welche Ein-
ladungen jede einzelne zu machen hat. Die Lose sind gleich nach dem Eintritt
des Sterbefalle^ von den Anverwandten geschrieben worden. Ist die Zahl der ein-
zuladenden Personen eine verhältnismässig geringe, so dass nicht sämtliche Nachbar-
frauen in Ansprach genommen zu werden brauchen, so lässt man einige Zettel
nnbeschrieben und sind die Personen, welche diese ziehen, von jeder Dienstleistung
befreit.
An dem Leichenzuge nehmen auch die Frauen, tief in Schwarz gekleidet und
das Qesicht mit einem über den Kopf geschlagenen Tuch fast ganz verhüllt, teil.
Am offenen Grabe hält der Pfarrer nach Einsenkung des Sarges eine kurze Leichen-
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220 Schwartz: Nachtrag.
rede. Im unmittelbaren Ansehluss daran findet in der Kirche ein Gottesdienst
statt. Nicht nur während des Gebetes, sondern auch während der Predigt, halten
die nächsten männlichen Anverwandten den Kopf bedeckt. Die Kopfbedeckung
besteht in der Regel in einem hohen Cylinderhut. Nach Beendigung der kirch-
lichen Feier gehen sämtliche Leute, die am Leichenzuge teilgenommen haben,
zum Sterbehause zurück, um sich hier oder in einem der Nachbarhäuser, seltener
in einem Wirtshaussaale, mit Kaffee und Weissbrot bewirten zu lassen. Am darauf
folgenden Tage findet ein zweites Kaffeetrinken für die Nachbarn und am dritten
Tage ein nochmaliges Kaffeetrinken für die Notnachbarn statt. — Das Grabmachen
und das Läuten haben die Nachbarn zu besorgen, übertragen jetzt aber diese
Thätigkeiten gewöhnlich dem Küster gegen den dafür festgesetzten Lohn. Von
einem alten Meidericher wird mir mitgeteilt, dass die Nachbarn ehedem auch den
Sarg zu bezahlen hatten, eine Einrichtung, welche offenbar aus der Zeit stammt,
in welcher es hier noch keine Sterbekassen gab.
Ziemlich allgemein herrscht hier und auch im Nachbarorte Beeck der Gebrauch,
kurze Zeit nach der Beerdigung die Grabhügel oben abzuplatten, denselben die
Gestalt eines umgekehrten, kiellosen Bootes oder Kahnes zu geben und die Seiten
mit schwarzen und weissen Kieselsteinen zu bedecken. Grade die alten Meidericher
Familien stellen ihre Gräber auf diese Weise her. In dem zwischen Rhein, Ruhr
imd Emscher gelegenen Meiderich gab es von je her ziemlich viele RheinschiCfer.
Ein kleiner Nachtrag
zn dem ersten Artikel der ,,Yolkstumliclien ScUaglicliter^^
Von Wilhelm Schwartz.
In meinen Papieren finde ich noch zufällig eine Notiz, die mir s. Z. der ver-
storbene, in anthropologischen Kreisen wohl bekannte Amtsgerichtsrat Rosenberg
in Berlin, früher Staatsanwalt in Bergen a. Rügen, aus seiner Amtsthätigkeit an
letzterem Orte mitgeteilt hat, nämlich eine „volkstümliche Reisebeschreibung
in nuce", die er wörtlich einem Briefe entnommen hatte, welcher von einem
Handwerker an seine Geschwister zu Bergen bei einer gemeinsamen Erbschafts-
regulierung geschrieben war, nachdem er 14 Jahre (I) nichts von sich hatte hören
lassen.
Ich gebe den betr. Brief als einen kleinen Nachtrag zu dem ersten Artikel
der „volkstümlichen Schlaglichter" (s. oben S. 17 ff.), da er höchst charakteristisch
zeigt, wie ein Bild, das halb Europa umfasst, bei kleinem Horizont und kleinen.
Interessen zusammenschrumpft.
Der Brief lautete: „Geliebte Geschwister, jetzt will ich euch auch ein wenig
von meinen Reisen unterhalten, ich glaube, es wird euch recht angenehm sein.
Meine Reise in Dänemark, die war voller Unannehmlichkeiten, im Mäklen-
burgischen und Hanövrischen war es freundlich und etwas angenähmer. Sachsen,
Baden, Würtemberg, Baiem, Oestreich, Ungarn, an der Schweitz, am Rhein, ist
es schön und hat mir sehr da gefallen, Fohlen, Böhmen, Hessen hat es mir nicht
gefallen. Nun bin ich 12 Jahr von einem Ort und Stadt zum andern gereist, bis
ich endlich mein Brod gefunden habe, jezt heisst es ruhe aus von deinen Reisen
und arbeite fleissig, dann wirst du Brod haben bis an dein Ende. Jasper.
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Bücheranseigen. 221
Bücheranzeigen.
Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache.
Gesammelt auf Veranstaltung der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich
unter Beihilfe aus allen Kreisen des Schweizervolkes. Herausgegeben
mit Unterstützung des Bundes und der Kantone. Bearbeitet von
Fr. Staub, L. 'Tobler und R. Schoch. FrauenfeM. Verlag von
J. Huber. 1890. XIX. Heft (des 2. Bandes 10. Heft). 4^
Von dem grossen schweizerdeutschen Wörterbuche liegt das 19. Heft vor, das
von huppen bis Hirt reicht auf Bogen 94—103. Es ist wie alle vorangehenden
ein Beweis des gewaltigen Materials, welches der Ausarbeitung zu Grunde liegt,
nicht minder aber der Sorgfalt und der Hingebung der Herausgeber, die seit Jahren
ihre beste Kraft für das vaterländische Werk eingesetzt haben. Im Frühjahr 1881
erschien das erste Heft, nachdem das Werk seit 1862 durch eine von der Anti-
quarischen Gesellschaft in Zürich eingesetzte Kommission unter Leitung von
G. V. Wyss und H. Schweizer-Sidler und unter grossartiger Beteiligung aller
Stände, Geschlechter und Lebensalter vorbereitet worden war. Friedrich Staub,
Ludwig Tobler, Rudolf Schoch sind als die eigentlichen Bearbeiter des
StofTes zu rühmen, dessen Veröffentlichung durch Unterstützung des Bundesrates
wie der Kantonregierungen erleichtert wird.
Über die Art der Bearbeitung wurden reifliche Beratungen gepflogen, und
durch Berichte, Proben und Frageblätter bei allen, die sich für Dialektforschung
interessieren, auch ausserhalb der Schweiz die Teilnahme hervorgerufen. Hunderte
Ton hilfreichen Genossen wurden so herangezogen. Über Ziele und Schranken
des Werkes ward man sich völlig klar. Das Idiotikon beschränkt sich auf das
Gebiet der deutschen Schweiz. Die ältere schweizerdeutsche Litteratur wird gleich
der lebenden Volkssprache herangezogen. Gesammelt werden alle Ausdrücke des
Schweizerdeutsch, welche der neuhochdeutschen Schriftsprache der Gegenwart gar
nicht angehören, oder in Form oder Bedeutung von ihr abweichen; ferner alle in
der deutschen Schweiz eingebürgerten Fremdwörter; die Eigennamen, deren appel-
lative Natur noch erkennbar ist; endlich die Kosenamen der Personen. Aus-
geschlossen bleiben nicht bloss die eindringenden Wörter aus fremden Sprachen,
sondern auch die aus der hochdeutschen Schriftsprache immer stärker herein-
strömenden Ausdrücke und Wendungen. Lieder und Sagen, Sprichwörter und
Rätsel, Sitten und Gebräuche, der Aberglaube, werden nur so weit aufgenommen,
als sie zur Worterklärung notwendig herbeigezogen werden müssen.
In Bezug auf die etymologische Erklärung liessen sich die Bearbeiter mit
Recht daran genügen, die Schweizer Wörter auf den mittelhochdeutschen oder alt-
hochdeutschen Stand zurückzuführen. Die Reihenfolge der Worte bestimmte das
von J. A. Schmeller in seinem überall vorbildlichen Bayerischen Wörterbuch an-
gewandte System, wonach das konsonantische Gerippe der Hauptsilbe massgebend
ist Die phonetische Bezeichnung der mundartlichen Laut- und Wortformen ward
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222 Stoh:
mit weiser Mässigung gewählt und, natürlich nicht zum Beifall derer, welche in
möglichst künstlichen phonetischen Alphabeten den ganzen Inbegriff aller Weisheit
und Gelehrsamkeit sehen, eine immerhin noch ziemlich bunte Zeichenreihe für die
Vokale und die Konsonanten aufgestellt.
So ist denn nach bester Vorbereitung und Überlegung seit zehn Jahren das
Schweizerische Idiotikon an das Licht getreten, eine Ehre für alle dabei thätigen
Männer, ein wertvoller Besitz der deutschen Schweiz. Auch in diesen alemannischen
und burgundischen Gauen bröckelt jährlich von den nationalen Eigentümlichkeiten
ein Stück ab, und die Auflösung wühlt an den Grundlagen der Mundarten „heim-
lich und darum so sicher". Die Herausgeber wissen das am besten und wissen
auch, dass dieser Naturprozess unaufhaltsam vor sich geht. „Die vernünftige
Aufgabe liegt deshalb darin, dass man einen so bedeutenden Dialect nicht hin-
sterben lasse, ohne ihm ein würdiges Denkmal zu setzen, dass man ihn in letzter
Stunde noch nutzbar mache, namentlich für die Schule, und dass man ihn der
Wissenschaft rette". Wir Deutsche haben gleich den Schweizern für das Werk
zu danken und uns desselben hoch zu freuen. Möge es rüstig weiter schreiten,
und den treuen Arbeitern die Vollendung als bester Lohn vergönnt werden!
K. Weinhold.
Chr. Schneller. Tirolisehe Namenforschungen. Orts- und Personen-Namen
des Lagerthaies in Südtirol. Mit einem Anhang und einer Karten-
skizze. Lmsbruck. Wagn ersehe Universitäts- Buchhandlung. 1890.
XIV. und 373 S. 8°.
Die hohe Bedeutung und einschneidende Wichtigkeit, welche die Forschung
auf dem Gebiete der geographischen Namenkunde für die Geschichte der einzelnen
Völker, namentlich in ihren vor jeglicher Geschichte liegenden Anfängen hat, von
denen wir gar oft nur durch die ausdauernde Zeugschaft der an Bergen imd Flüssen,
Grund und Boden mit Zähigkeit haftenden Namen Kunde haben, ist heutzutage
allseitig anerkannt. Ebenso unzweifelhaft fest steht aber auch, dass nur die exakte
historische Methode, die ja allen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zu
Grunde gelegt werden muss, unanfechtbare Ergebnisse auf diesem Felde der
Forschung zu erringen vermag. Wie die Geschichte der Sprache nach bestimmten
Gesetzen verläuft, deren Wirksamkeit nur durch den Einfluss sie durchkreuzender
psychischer Faktoren gestört wird, so ist es auch die Aufgabe des Namenforschers
gewissermassen die Geschichte der geographischen Namen zu schreiben und im
engen Anschluss an die lautgesetzlichen Besonderheiten des Sprachgebietes, welchem
sie angehören, zu ihrer Deutung vorzudringen. Unter den oben erwähnten psychischen
Faktoren scheint mir bei der Namenforschung von besonderem Belange die volks-
etymologische Umdeutung, die nachweisbarermassen gerade beim Einzug einer
anderssprachigen Bevölkerung in ein bereits kultiviertes Gebiet stattgefunden hat,
dessen Bewohner die Sprache der einwandernden Sieger annehmen mussten, wie
es z. B. bei den Bewohnern Tirols der Fall gewesen ist, gegenüber den Römern
und später den Baiuwaren und Alamannen.
Die tirolische Namenforschung hat eigentlich bekanntennassen ihren Haupt-
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Bücheranzeigen. 223
begründer an L. Stenb gehabt, der freilich mit seiner Etrusker-Hypothese den
falschen Weg der Deduktion einschlug und, wie auch der Verfasser unseres Buches
herrorhebt, allmählich selbst mehr und mehr Bausteine von seinem räto-etruskischen
Bau abbröckeln sehen und sich der Deutung aus dem Romanischen in die Arme
werfen musste. Mag Steub auch gar manche mehr kühn hingeworfene als sprach-
gesetzlich begründete Deutung von Ortsnamen aufgestellt haben und namentlich in
methodischer Durchforschung des Stoffes zu wenig eindringlich gewesen sein, er
hat doch ganz unbestreitbare Verdienste auf diesem Gebiete, die jeder Unparteiische
ebenso anerkennen sollte, wie es der Verfasser unseres Buches thut, der mit un-
gleich besserer wissenschaftlicher Ausrüstung als Steub und namentlich mit voll-
kommener Beherrschung der Idiome des italienischen Tirol an sein Werk ge-
gangen ist. Auch möchte ich Steubs räto-'etruskische Hypothese nicht in die
Rumpelkammer werfen, wie ich am anderen Orte auszuführen gesucht habe ^), und
auch andere Gelehrte, wie der tirolische Geschichtschreiber J. Egg er und die
Sprachforscher E. Windisch (Gröbers Grundriss der romanischen Philologie)
and C. Pauli (Altitalische Forschungen I) annehmen. Freilich viel von rätischen
Namen wird sich durch die Stürme der Zeiten wohl kaum in unsere Tage her-
über gerettet haben.
Schneller, der sich durch zahlreiche Arbeiten wesentliche Verdienste um die
Erforschung seines Heimatlandes erworben hat — ich nenne die folgenden: „Studi
sopra i dialetti del Tirolo italiano" (Programm von Rovereto 1865), „Über die
volksmundartliche Litteratur der Romanen in Tirol (Programm von Innsbruck
1869), „Die romanischen Volksmundarten iu Südtirol", „Skizzen und Culturbüder
aus Tirol" (darin unter anderem auch „Über Ursprung und Fortgang der rätischen
Namenforschung"), „Streifzüge zur Erklärung tirolischer Ortsnamen"* (Bote von
Tirol 1870) — hat in dem vorliegenden Buche zunächst allerdings nur die Namen
des Lagerthaies, das sich von Calliano - Gamiga bis an die österreichisch-
italienische Grenze erstreckt, behandelt, dabei aber eine so grosse Anzahl von
Ortsnamen aus dem übrigen Tirol herangezogen, dass sein Buch ohne Zweifel als
das „Grundbuch" für die Weiterentwicklung der tirolischen Namenforschung be-
zeichnet werden darf, soweit die Namen deutschen oder romanischen Ursprungs
sind ^). Um dem Leser einen Einblick in den reichen Inhalt unseres Buches zu
verschaffen, sei kurz erwähnt, dass im ersten Teile die Ortsnamen des Lagerthaies,
das nach Schnellers scharfsinnigen und interessanten Ausführungen von einem
Standlager der Langobarden seinen Namen erhalten hat, in 479 Nummern behandelt
werden, während ein zweiter Teil die altinschriftlichen und mittelalterlichen Per-
sonennamen des Lagerthaies mit ihren in den Schreibnamen noch heute fortlebenden
Nachfolgern beibringt. In einem Anhang unterzieht Schneller die Deutungen
mehrerer Ortsnamen, die der italienische Professor B. Malfatti in einem im
1) „Die Urbevölkerung Tirols**, Vortrag gehalten am 13. Februar 1886 und mit reich-
lichen Litteratumachweisen abgedruckt im Tiroler Boten, Jahrgang 1886, Nr. 105—108
und „Räto-etruskisches", ib. 1890, Nr. 299.
2) Auch das Slavische fehlt nicht. Über slavische Namenreste in Oberpusterthal
Tgl. die beiden verdienstlichen Programme von A. Unterforcher (Leitmeritz 1889 und
Eger 1890). Über Slavismen in der Sprache vgl. H. J. Bidermann in „Forschungen
zur deutschen Land*is- und Volkskunde von ür. R. Lehmann" I, Heft 7, S. 472 f. (84 f.).
Übrigens dürfte auch das Illyrische in einigen Resten vertreten sein, wobei allerdings
kein Gewicht darauf zu legen ist, dass das Baiuwarische in dem Worte mem manz (un-
fruchtbare Kuh) wirklich ein Lehnwort aus dem llljrischeu hat, wie neuestens zu ersehen
ist ans G. Meyer Etymologisches Wörterbuch der albanesischen Sprache, S. 276.
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224 Stok:
„XIII. Annuario" der „Societa degli Alpinisti Tridentini*' erschienenen „Saggio di
Toponomastica Trentina" aufgestellt hat, einer zwar ablehnenden, aber, wie mir
scheint, gerechten Kritik nnd bietet bei Besprechung des Ortsnamens Pergine,
wozu übrigens auch die Bemerkungen von Götzinger im „Literaturblatt für ger-
manische und romanische Philologie", Jahrgang 1890, Sp. 461, zu vergleichen
sind, auch eine ausführliche Auseinandersetzung über die Ortsnamen auf -eiw,
z. B. Wattens, Tirfents, Fritzens u. s. w., die als Genetive von Personennamen
erklärt werden *).
Es ist nicht Sache dieses Referates, auf die Deutungen im einzelnen ein-
zugehen. Jedoch darf ich wohl hervorheben, dass die meisten sich des Beifalls
der sachverständigen Forscher zu erfreuen haben werden. Dass Schneller mit
Recht bei diesen Deutungen ein Hauptgewicht auf die Herleitung von Personen-
namen gelegt hat, ist schon von anderer Seite hervorgehoben worden; was aber
auch denjenigen, die von Appellativen hergeleitet werden, einen besonderen Wert
verleiht, ist der Umstand, dass sie sich durchaus auf die genaueste Kenntnis von
Land und Leuten stützen und also nicht der unbedingt notwendigen Grundlage ent-
behren, wie dies bei Namendeutungen dieser Art nicht selten der Fall ist *). Eine
besondere Freude hat Schneller seinen Stammesgenossen gemacht durch die An-
führung von Hunderten von Ortsnamen deutschen Ursprungs aus Gegenden, in
denen längst jeder deutsche Laut verklungen ist, die aber ein ebenso sprechendes
Zeugnis ablegen für die weite Ausbreitung unserer Stammesgenossen nach dem
Süden, wie dieses auch der körperliche Habitus gar mancher unserer welschen
Landesbrüder thut, die einen viel mehr germanischen Typus aufweisen, als dies
bei einer sehr grossen Zahl der diesseits des Brenners wohnhaften Landeskinder
der Fall ist.
Zum Schlüsse seien mir noch zwei Berichtigungen gestattet. Werm ich eine
Bemerkung S. 272 richtig verstanden habe, soll sich der Name „Goten" an ein
angebliches GAÜD anlehnen. Ich weiss nicht sicher, ob Schneller auch hier
Förstemann zum Gewährsmann hat, da mir dessen Namenbuch im Augenblick
nicht zugänglich ist. Jedenfalls aber hat die Anknüpfung des Namens an got
gitUan („die ausgebreiteten") viel mehr für sich. Ich verweise der Kürze halber
auf F. Wrede, Über die Sprache der Ostgoten in Italien (Quellen und Forschungen
zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, 68. Heft S. 44). S. 324
ist irrigerweise ein etruskisches Insna citicrt; gemeint ist offenbar das altlateinische
losna\ vgl. die Litteratur darüber in meiner lateinischen Laut- und Formenlehre.
2. Aufl. (I. Müller, Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft. 2. Band)
Seite 310».
Innsbruck. Fr. Stolz.
1) Schneller scheint entgangen zu sein, dass schon Biezler in dem Aufsatze ^Die
Ortsnamen der Münchener Gegend" (44. Band des Oberbayerischen Archivs) unter Ver-
weisung auf Lohmeyer, Beiträge zur Etymologie deutscher Flussnamen 191 dieselbe
Deutung vorgebracht hatte.
2) Man vergleiche darüber eine treffende Bemerkung von C. Pauli „Eine vorgriechische
Inschrift auf Lemnos" S. 53 f.
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fiücheranseigen. 225
Deutsche Yolkssehauspiele. In Steiermark gesammelt. Mit Anmerkmigen
und Erläuterungen nebst einem Anhange: Das Leiden Christi — Spiel
aus dem Gurkthale in Kärnten. Herausgegeben von Dr. Anton
Sehlossar. Halle. Max Niemeyer. 1891. Zwei Bände. VHI.
343 S. und 404 S 8^
Herr Dr. A. Schlossar in Graz, der sich um Kulturgeschichte und Volks-
kunde der Steiermark seit längerer Zeit verdient gemacht hat, veröffentlichte in
den beiden Bänden, die wir hier anzeigen, volkstümliche Schauspiele aus steirischen
Qoeilen. Ein kärntisches Passionsspiel ist beigegeben.
Die Spiele sind folgende: I. Band. Das Paradeisspiel. Das Schäferspiel (vom
guten Hirten). — Das Krippelspiel. Die Geburt Christi. — Das Leiden Christi.
— Das Nikolausspiel. — Genovefa. — U. Band: Judith und Holofemes. — Hir-
landa. — St. Barbara. — Susanna. — Der bayrische Hiesel. — Der gefoppte Geiz-
hals. — Ein Nachspiel. — Das Leiden Christi.
Also geistliche Spiele der Gattung, auf welche ich zuerst in meinen Weih-
nacht-Spielen und Liedern aus Süd-Deutschland und Schlesien (Graez, 1853)
die litterarische Forschung aufmerksam gemacht habe; femer ältere biblische Dramen
(Judith, Susanna), moderne Dramatisierungen legendarischer und weltlicher Stoffe,
und Reste von Fastnachtspielen.
Der Text ist sehr verwarlost, denn er fliesst aus jungen Abschriften, welche
von Landleuten gemacht sind aus Copien, die in unbestimmbarer Reihe gleicher
Abschriften auf irgend ein gedrucktes oder geschriebenes Original zurück-
leiten. Herr Schlossar hat sich bemüht, hier und da Korrekturen vorzunehmen;
aber ein jeder, der mit solchen Spiel- oder Liederhandschriften aus dem Volke
zu thun hatte, weiss, wie nur im seltensten Falle sichere Herstellungen zu erreichen
sind. In den Anmerkungen hat Herr Schlossar auch über die Herkunft der
Handschriften und über die Stoffe und ihre Litteratur Mitteilungen gemacht, ohne
indessen auf Untersuchungen einzugehn.
Dazu ist auch hier leider kein Raum, obschon manches dazu verlockte, wie
z. B. das Nikolausspiel. Ich muss mich begnügen, einige allgemeinere orientierende
Bemerkungen zu machen.
Pur die geistlichen Spiele des evangelischen Festcyclus — Weihnachten,
Ostern — leiten die noch im Volke überlieferten Texte auf das 16. oder 17. Jahr-
hundert : Reformation und Gegenreformation. S c h r ö e r zuerst hat in seinen deutschen
Weihnachtspielen aus Ungern (Wien 1858. S. 162 ff.) auf die Beziehungen des
Oberuferer Weihnachtspiels zu Hans Sachsens biblischen Dramen aufmerksam
gemacht, ebenso auf Berührungen mit den Edelpöckschen und Berliner ^ondoschen)
Weihnachtskomödien. Dann ist Aug. Hartmann in seinem Weihnachtspiel und
Weihnachtlied in Oberbayern (München 1875. S. 12—17) und in seinen Volks-
schauspielen (Leipzig 1880. S. 49 ff.) weiter darauf eingegangen. Durch die
Meistersingerschulen, die in manchen Orten das Theaterprivilegium erhielten tmd
sich in Spielgesellschaften umwandelten, wie die Oberuferer Singer noch bis über
die Mitte unseres Jahrhunderts bezeugt haben, wurde das Fortlebea der alten dra-
matischen Stoffe und Erzeugnisse, alter dramatischer Kunst und Art vermittelt, und so
erklären sich auch die in die Schlossarsche Sammlung aufgenommenen Judith-
nnd Susannatexte nach Abschriften des 18. Jahrhunderts.
Neben den Singschulen kommen die freien Spielgesellschaften in Betracht, die
im südlichen Deutschland von Ungarn bis in die Schweiz seit dem 16. Jahrhundert
in Städten und Dörfern bestanden und bis in die Gegenwart in den östeiTcichischen
Zeiucbrift <L Vereins f. VoUskande. 1891. 15
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226 WeinhoM.
nnd baierischen Landen gelebt haben: am freudigsten im Tiroler Unterinnthal,
wo bis vor wenig Jahrzehnten noch in vielen Dörfern zunftartige Spielergesell-
schaften in einfachen Bretterhütten, welche dafür gebaut waren, die durch viele
Geschlechter ererbte Kunst übten, und sowohl alt überkommene, pietätvoll ge-
wahrte, als auch neue, unter ihnen selbst entstandene Stücke aufführten. Auf
solchem Grunde ruht auch das weltbekannte Oberammergauer Passionsspiel,
dessen Geschichte Aug. Hartmann (das Oberammergauer Passionsspiel in seiner
ältesten Gestalt. Leipzig 1880) urkundlich aufgeklärt hat. Es beruht einerseits
auf treufromm festgehaltener alter Überlieferung, andererseits auf den zu rechter
Zeit vollzogenen Umarbeitungen tüchtiger Geistlicher des 18. und 19. Jahrhunderts.
Denn nur solche Teilnahme konnte in den katholischen Ländern unsers Südens
die geistlichen alten Spiele vor Zersetzung und Vernichtung schützen. Wir können
dieselbe seit Anfang des 17. Jahrhunderts wahrnehmen. Beweise sind die vier
Weihnachtspiele meiner Handschrift, welche nach Aug. Hartmanns Funden
möglicherweise in dem Salzburgischen, vielleicht im Kloster Seeon gedichtet sind *);
femer die wohl aus selber Zeit stammenden Münchencr geistlichen Spiele,
welche Hartmann Volksschauspiele 422 ff. bespricht. Das Paradeisspiel samt dem
Spiel vom guten Hirten, dessen in Obersteiermark weit verbreiteten Text') ich in
meinen Weihnachtspielen veröffentlichte, wozu dann Schröer und nun Schlossar
andere aber verwandte Niederschriften drucken Hessen, ist ein neuer Beweis
jener fördernden Teilnahme dichterischer und verständiger Priester, die leider
mit Ausnahme von Oberammergau nun erloschen ist.
Die weltlichen Stücke blieben wilde Reiser, an denen nur ab und zu eine
Schere einen meist verbildenden Zuschnitt nach der Mode vollzog. Auch die halb
legendarischen, halb romanhaften, der Barockzeit angehörigen Dramatisierungen
der Genoveva- und Hirlanda-Bücher kamen nur in die Zucht der Puppenspieler
und sind ein Gemisch von Staatsaktion, Ritterstück und Hanswurstiade. Die
Schlossarsche Sammlung hat Genoveva und Hirlanda, dazu als Auszug einer
Puppenkomödie den Matthias Klostermaier, genannt bairischen Hiesl, wie die Ver-
gleichung mit dem Text in den Deutschen Puppenspielen von Kralik und
Winter (Wien 1885) auf einen Blick zeigt.
Dem Bauerntheater sagte dieser Stil durchaus zu. Auch dafür können wir
die Mander vom Innthal als Zeugen heranziehen. Auf dem Bauemtheater zu Pradl
wird noch jetzt in diesem und in noch altertümlicherem Stil mit Ehmhold und
Hanswurst, mit Teufel und Schutzgeistem agiert, wenn auch das Moderne, aber
keineswegs das Bessere sich daneben eindrängt.
Aus Baiern, Salzburg imd Tirol sind auch die Namen von Dichtem für das
Bauemtheater und die ländlichen Spielgesellschaflen noch aus diesem Jahrhundert
bekannt : ihrem Stande nach verdorbene Schüler, Holzknechte, Schiffer, Salinenarbeiter
und dergleichen. Eine alte Bäuerin spielte und dichtete vor Kurzem noch in hohem
Alter zu Hötting im Innthal. Ritter- und Räuberstücke, Heiligengeschichten,
Scenen in Art der alten Pastnachtspiele gingen oder gehn über die Bühne
(A. Hartman n Volksschauspiele 338 ff.). Bei der Freude des Volkes an diesen
Unterhaltungen kann man nur wünschen, dass Versuche, diesen Bühnen bessere
und doch zugleich echt volkstümliche Kost zu geben, wie ein junger Tiroler Dichter,
Franz Lechleitner sie in seinen drei Bauernspielen (Eisenach 1890) ver-
öffentlicht hat, Nachfolge finden. K. Wein hold.
1) Vgl. meine Weihnachtspiele, S. 175—185. A. Hartmann Weihnachtlied 19. Volks-
schauspiele 98. 103. 143.
2) Ausser der Vordemberger Handschrift kenne ich ganx oder sehr nahestehende
aus Judenburg, TragOBs und Ailenz.
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BücheraDzeigen. 227
Krauss, Friedrich 8., Orlovic, der Burggraf von Raab. Ein moham-
medanisch-slayisches Gnslarenlied aus der Hercegovina. Freiburg im
Breisgau. Herder 1889. VHI, 128 S.
Der wohl bekannte Forscher auf dem Gebiete südslavischen Volkstums, welcher
in den Jahren 1884 und 85 im Auftrage weiland des Kronprinzen Rudolf Bosnien
and das Herzogsland bereiste, um ethnographische Erhebungen zu pflegen, giebt
hier aus dem reichen Schatze seiner Sammlungen eine Probe. Der Inhalt des
Liedes, welches dem V. durch den Guslaren Hasan Sasiö gesungen wurde, ist
kurz folgender: OrloTic, der Burgherr von Raab, unternimmt einen Zug libers
adriatische Meer ins Feindesland Italien hinüber, um seinen auf der festen Burg
Arsan im «Kerker schmachtenden Freund und Stammesgenossen zu befreien. Es
gelingt ihm, in der Verkleidung eines Malteserritters durchs feindliche Gebiet sich
hindurchzuschwindeln. Er weiss schlau, den Burggrafen von Ar- an zu ködern,
findet bei ihm auf der Burg Aufnahme und entfühi-t ihm die Tochter samt dem
kostbaren Gefangenen. — Dieser einfache StofT erregt durch die äusserst geschickte
Weise, mit welcher der Mohammedaner die für ihn so schwierige Rolle eines
geistlichen Ritters durchführt, unser höchstes Interesse. Nach einer ausführlichen
Einleitung giebt Krauss den Text des Liedes in der Ursprache und daneben die
deutsche Übertragung. Bietet das Lied an sich schon dem Forscher volkskund-
liches Material die Fülle, so wird dasselbe noch bereichert durch die Bemerkungen
Rrauss', welche in den sorgfältig ausgearbeiteten Anmerkungen niedergelegt
sind. Besonders interessant erscheint der Nachweis, dass die mohammedanisch
slavische Frau, besonders die Frau des begüterten Adligen, social unvergleichlich
hoch über der christlichen Mitschwester, der Serbin, Kroatin und Bulgarin steht.
Den Schluss des gut ausgestatteten Büchleins bildet ein Sachregister. — - Die ge-
lieferte Piobe ist volkskundlich von so hirvorragendera Werte, dass wir mit Spannung
einer Gesamtausgabe der von Krauss gesammelten Guslarenlieder entgegen sehen.
IT. Jahn.
Ulirieh, H., Sagen der mittleren Werra, der angrenzenden Abhänge des
Thüringer Waldes, der Vorder- und der Hohen Rhön, sowie aus dem
Gebiete der fränkischen Saale, gesammelt von. Ch. Ludw. Wucke.
Zweite, sehr vermehrte Auflage mit biographischer Skizze, Anmerkungen
und Ortsregister. Eisenach. Kahle 1891. XV, 531 S.
Im Jahre 1864 gab Wucke zwei Bändchen Sagen heraus, die er selbst dem
Volksmimde in dem Werrathale von Meiningen bis Vacha entnommen hatte. War
die Sammlung auch für das grössere Publikum berechnet, so enthielt sie immerhin
brauchbares Material und übertraf die Arbeiten Bechsteins und Heusingers,
die sonst für die dortige Gegend in Betracht kommen, um ein Bedeutendes. Nach
dem Erscheinen seiner Sammlung arbeitete Wucke rüstig weiter und brachte auch
eine sehr beträchtliche Anzahl neuer Sagen aus gleichem Gebiete, wie aus anderen
Teilen seiner engeren Heimat zusammen, konnte aber wegen seiner körperlichen
Hüflosigkeit (er war blind) zu einer Veröfifentlichung des gehobenen Schatzes
nicht gelangen.
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228 Ja*»^:
Es ist nun das grosse Verdienst Ullrichs, dass er sich nach dem am
1. Mai 1883 erfolgten Tode Wuckes des handschriftlichen Nachlasses annahm
tmd dem Verstorbenen jetzt durch die Herausgabe der 2. Auflage ein würdiges
Denkmal gesetzt hat. Die erste Sammlung umfasste im ganzen 443 Sagen, die
von Ullrich besorgte zweite nicht weniger als 833. Das neu Hinzugekommene
ist zugleich an wissenschaftlichem Wert ungleich höher anzuschlagen, als das
frühere, da Wucke sich später von der geistigen Bevormundung durch den mit
ihm befreundeten Bech stein losgemacht zu haben scheint. Ein vorgesetztes
Sternchen macht dem Leser das neu Aufgenommene deutlich erkennbar. Neu
hinzugefügt sind femer seitens des Herausgebers am Fusse jeder Sage Angaben
darüber, ob die Sage auch schon von anderen aufgezeichnet ist. Dadurch wird,
wie Ullrich mit Recht hervorhebt, festgestellt, dass Wucke, wo er Vorgänger
gehabt hat, in der Begel die volkstümlichere, treuere Passung bietet. Wucke
hatte sich aber auch redlich bemüht, in die Geheimnisse der Volksseele einzudringen.
Wir schliessen die Besprechung mit der Schilderung, welche er von seiner Art,
Sagen zu sammeln, im Vorwort zu der 1864 erschienenen Ausgabe gemacht hat,
da dieselbe manch wertvollen Fingerzeig für jeden Sammler volkstümlicher Über-
lieferungen bietet: „Es ist nicht leicht", so sagt er, „was Volkssagen betrifft,, das
Zutrauen der Landbewohner zu gewinnen; sie sind misstrauisch und fürchten, von
dem sogenannten Gebildeten zum besten gehabt zu werden. Und wenn auch ein
guter Teil derselben noch fest an den Inhalt der Sagen glaubt, so ist man doch
meist ängstlich bemüht, den Schein des Glaubens zu vermeiden, weil man fürchtet,
durch den Sagensammler biossgestellt oder wohl gar auf irgend eine Weise ver-
dächtigt zu werden. Ehe der Verfasser seine bezüglichen Wanderungen antrat,
suchte er sich wo möglich genaue Kenntnis des zu sondierenden Terrains zu ver-
schaffen und über etwa vorhandene Burgruinen, Denkmäler, alte Bäume, Seen
und Quellen und dergleichen eingehende Kunde zu erwerben. Hauptsächlich
forschte er nach solchen Leuten: Greisen, Hirten, Waldhütern, Kräuterweibern,
welche ihm die gewünschten Mitteilungen zu machen imstande schienen. Sodann
näherte er sich denselben, in ihre Sphäre niedersteigend, vertrauensvoll, suchte sie
bei ihrer Berufsarbeit im Felde, im Walde oder auch in der Dorfschenke auf, strebte
durch Mitteilung von bereits Bekanntem und durch Fragen, die sich auf Lokalitäten
bezogen, Anknüpfungspunkte und dadurch zugleich das Interesse der Erzähler zu
gewinnen, und hatte in den meisten Fällen die Genugthuung, alles, was ihhen zu
Gebote stand, rückhaltlos gegeben zu sehen. War z. B. in der Schenke irgend
einer erst so weit gebracht, dass er erzählte, so wirkte dies in der Regel wie ein
Zauber auf alle Anwesenden. Schlafende Erinnerungen wurden bei dem und jenem
geweckt. Dieser erzählte das, der andere jenes, was er von Eltern und Gross-
eltern gehört. Die eifrigsten Spieler legten oft ihre Karten nieder und sammelten
sich als Erzähler oder Zuhörer um den Verfasser, der dann freilich auch manches
Unbrauchbare geduldig mit in den Kauf nehmen musste. Ehe er jedoch eine
der gewonnenen Sagen in seine Sammlung aufnahm, hat er sich durch strenge
Prüfung zu überzeugen gesucht, ob die Sage dort auch wirklich im Volke lebe
oder gelebt habe, indem er dieselbe noch andern an Ort und Stelle wohnenden
Leuten andeutete und von ihnen nochmals erzählen liess." — So sind die Wucke sehen
Sammlungen entstanden. Der Forscher wird an ihnen, vor allem an der von
Ullrich besorgten Ausgabe, nicht achtlos vorüber gehen dürfen.
U. Jahn.
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Bücheranzeigen. 229
Philo Tom Walde: Die Dorfhexe. Bauernkomödie mit Gesang in drei
Akten. Mit einem Nachworte. Orossenhain und Leipzig, Baumert
und Ronge. (1891). 119 S. 8^
Philo Yom Walde, d. i. Johann Reinelt, ist als schlesischer Dichter (Aus der
fleemte. 1883. — A Schläsches Bilderbüchel. 1884. — A Singvägerle. 1886.
— Vagantenlieder. Hochdeutsche Lieder und Gedichte) so wie als Sammler und
Herausgeber Schlesischer Yolksüberlieferungen (Schlesien in Sage und Brauch.
1884) Torteilhaft bekannt. Mit der vorliegenden Bauemkomödie hat er den Über-
gang zur Bühne versucht Wir haben hier keine ästhetische Kritik zu üben und
weisen daher nur darauf hin, dass die Dorfhexe für Gebräuche und Aberglauben
eine g^te Fandgrube ist und dass Denk- und Sprechweise des schlesischen Land-
volkes im nördlichen Vorlande des mährisch-si hlesischen Grenzgebirges treu wieder-
gegeben sind. Denn dass kleinere lautliche Eigenheiten zu Gunsten besserer Ver-
ständlichkeit geopfert wurden, verschlägt nichts, indem hier keine Vorlage für die
jetzt auftauchenden Grammatiker einzelner Dörfer gegeben werden sollte. Ein
Dichter wird immer gut thuu, das Allgemeine seines Dialekts geschickt zu be-
nutzen, wenn er in demselben dichten will. So hatte R. v. Holtei mit Bewusst-
sein sich ein Schriftschlesisch gebildet, das echt-schlesisch ist und doch zugleich
in weiteren Kreisen verstanden ward. R. Weinhold.
A. de Coek. Volksgeneeskunde in Vlanderen. Gent, J. Vuylsteke.
1891. Vn, 368 S. 8^ (3 Mk.)
Pur dpnjenigen, der sich mit der Entwicklung der wissenschaftlichen Begriffe
in den unteren Schichten der Gesellschaft beschäftigt, ist die Volksmedizin eins
der wichtigsten Fächer der Volkskunde. An ihn richtet sich die kürzlich er-
schienene Volksgeneeskunde in Vlanderen von De Cock. Die Ausländer werden
bedauern, dass das Buch in einer wenig gelesenen Sprache verfasst ist, und wirk-
lich ist diesmal der des Niederländischen Unkundige im Nachteil, denn dieses Buch
ist das wichtigste, welches bis jetzt über jenen Gegenstand vorhanden ist. Im
ganzen folgt es dem Plan von Fessel s bekannter Arbeit, und da sich erwarten
lässt, dass der für Volksmedizin sich Interessierende dieses Buch zur Hand habe,
kann ich auf eine Inhaltsgabe hier verzichten. De Cock leistet aber mehr, er er-
gründet den Gegenstand tiefer als seine Vorgänger, namentlich als Fessel und
Lammert. Er versucht die Grundvorstellxmgen in der Volksmedizin zu erforschen,
und thut das vorzüglich auf historischem Wege. Einerseits vergleicht er die Volks-
medizin in Flandern mit der der Nachbarvölker, namentlich der Wallonen und
Deutschen; andererseits sucht er nach der gemeinsamen Quelle; darum forscht er
in dem Animismus der sogenannten wilden Völker der Gegenwart. Er untersucht
femer die Verbindung der Volksheilkunde mit dem Heiligenkultus, wobei manche
Verschiedenheiten je nach der Gegend hervortreten, sich aber im allgemeinen wichtige
Beobachtungen für die Volkslogik ergeben. Vielfach stammen die Heilmittel aus
der Pflanzenwelt, und hier hat De Cock nicht unterlassen, auch die alten Botaniker
auszubeuten.
Dieser Teil der Volkmedizin ist gewöhnlich nicht auf ein Volk beschränkt,
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230 Jahn:
sondern über den ganzen Westen von Europa verbreitet, da er meist nur ein Rest
der mittelalterlichen Therapie ist und teilweise von da in das wissenschaftliche
Corpus der Medizin überging. — De Cooks Buch ist mit gesundem kritischem
Sinn [und klarer Einsicht in den Gegenstand geschrieben und vielfach auf un-
mittelbare persönliche Forschungen gegründet. Ein genauer nützlicher Index
macht den^Schluss.
Ch'arleroi in Belgien. Aug. Gittee.
Aus den
Sitzungs-ProtokoUen des Vereins für Volkskunde.
Berlin, Freitag, den 23. Janaar. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung
und legt in grossen Zügen Zwecke und Ziele des neu begründeten Vereins dar.
Sodann erteilt er das Wort Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. A. Meitzen zu dessen
Vortrag über Land und Leute in den Saalegegenden. Da derselbe sich im
wesentlichen mit den Ausführungen Herrn Meitzens über denselben Gegenstand
in diesem Hefte deckt, können wir auf unsere Zeitschrift S. 129 — 138 verweisen. Als
dritter Vortrag stand auf der Tagesordnung „Die Trachten der Vierländer,
mit Demonstrationen". Der Vortragende, Herr Dr. U. Jahn, gab zunächst
an, dass die vorgeführten Sammlungen von ihm persönlich im Laufe des Jahres 1890
an Ort und Stelle zusammengebracht und dann in den Besitz des Herrn Banquier
Alexander Meyer Oohn zu Berlin übergegangen seien, um gelegentlich dem
Bestände des Museums für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Haus-
gewerbes einverleibt zu werden. Die Trachten sind komplett und gehören einer
Braut, einer Frau in Abendmahlstracht, einem Mädchen in Tanztracht, einem
Bräutigam und einem Bauer in alltäglicher Kleidung. Zur Veranschaulichung
waren die Trachten fünf lebenden Modellen angezogen; als 6. Figur kam ein
Blumenmädchen hinzu, in dem Anzug, welcher heute von den mit Blumenhandel be-
schäftigten Vierländerinnen in grossen Städten, wie Hamburg und Berlin, getragen
wird. Der Vortragende äusserte sich des weiteren über den Schnitt der Trachten,
die Ornamentik der Stickereien und Strickarbeiten, den Schmuck, den Kopfputz
(zumal der Braut) und kam, nachdem vergleichsweise die Altländer, Nordfriesen,
Propsteier und die Jamunder bei Cöslin herangezogen waren, zu dem Resultat^
dass wir in den Vierländern Repräsentanten eines friesischen Stammes zu erblicken
haben. — Im Anschluss an den Jahnschen Vortrag legte Herr Stadtrat E. Friedel
eine von seiner Ehefrau nach einem modernen schwedischen Muster kürzlich ge-
fertigte Stickerei, Kreuzstich in buntem Gara auf weissem leinenen Grunde, vor.
In der Mitte erhebt sich der Maibaum in Kreuzgestalt, die Mrttelstange mit der
schwedischen Flagge geschmückt, an den beiden Kreuzarmen hängend je ein mit
Bändern ausstaffierter Blumenkranz Zum Muifest tanzen 5 Bauernburschen und
6 Bauerndir nen, sich mit den Händen fassend, in malerischer Nationaltracht, einen
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Protokolle. 281
Rmgeltanz um den Maibanm herum. Seitwärts links, etwas höher, steht der Dorf-
geiger und fidelt zum Tanz. Das ganze Stickereiwerk, etwa 1 m lang und V4 ^
hoch, nimmt sich recht eigenartig und geschmackvoll aus, lässt sich auch besonders
als Wandschmuck verwenden, zeigt also, wie die gelehrten Forschungen des Vereins
praktisch und entsprechend für Haus und Stube gelegentlich ganz zweckmässig
werden und Anwendung finden können. — Den letzten Teil der Sitzung bildeten
^e Wahlen für Vorstand und Ausschuss, deren Resultate seiner Zeit besonders
mitgeteilt worden sind, ebenso wie das Verzeichnis der bis zum 23. Januar dem
Verein beigetretenen 143 Mitglieder.
Freitag, den 27. Febrnar. Neu beigetreten sind dem Verein: Prof. Dr.
Fr. Paulsen-Berlin; Magister Axel Olrik- Kopenhagen; Dr. Otto Doberentz-
Naumburg a. d. S.; Prof. J. Ammann-Krummau i. Böhmen; Regierungsrat Dr.
Franz Ilwof-Graz i. St.; Sanitätsrat Dr. Br. Florschtitz-Wiesbaden; Prof. Dr.
W. Creizenach-Krakau; Prof. Dr. P. Pietsch- Greifs wald; H. Lampson-
Berlin; Dr. M. Lewin-Berlin; Rechtsanwalt Dr. H. Simon-Berlin; Leopold
Lesser-Berlin; Sanitätsrat Dr. J. Blumenthal-Berlin; Kgl. Bayerische Hof-
und Staatsbibliothek-München; Freiherrlich C. von Rothschildsche
öffentl. Bibliothek-Frankfurt a. M.; Gymn.-Lehrer Dr. F. Ritter-Emden; Dr.
Herrn. Ullrich - Chemnitz; Lehrer Christian Jensen - Oevenum auf Föhr;
Franz Lipperheide-Berlin; Direktor Dr. L. Lindenschmit-Mainz; Geh.-Rat
Dr. G. Freytag-Wiesbaden; Dr. M. Sachse-Berlin; Amin Maarbes, Lektor
am oriental. Seminar, Berlin; Dr. Heinrich Thiessen-Berlin; K. K. deutscher
Konsul Dr. Job. Mordtmann-Salonik; Senator Dr. K. Egger s-Berlin; Verlags-
buchhändler Dr. 0. Löwenstein- Berlin; Custos am mark. Museum R. Buchholz-
Berlin. — Es erhält das Wort Herr Prof. Dr. M. Lazarus zu seinem Vortrag
„Über Volkskunde als Wissenschaft". Derselbe wird vollständig im „Magazin
für Litteratur" erscheinen; wir können uns deshalb hier auf das notwendigste
beschränken. Nachdem Lazarus das Verhältnis des neuen Vereins zu dem
für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte klargelegt und hervorgehoben
hatte, dass wir nicht scheiden, sondern unterscheiden wollen, geht er
auf die Volkskunde im besonderen über. Allein in der Erkenntnis des Wesens
und der Leistungen eines einzigen Volkes liegt die Gewähr dafür, dass man
durch diese Aussonderung zum Erkennen sowohl dieses Volkes selbst, als
auch der andern Völker gelangt. Unsere Aufgabe ist es also, die Volkskunde
in erster Linie als die eigene, die deutsche, mit der allergrössten Genauigkeit zu
.betreiben, während es nicht ausgeschlossen ist, überall Teilungen vorzunehmen
und Vergleichungspunkte mit den übrigen Völkern zu suchen. Die Volkskunde
muss die Gesamtheit im Auge haben; sie muss das, was Gegenstand ihrer Forschung
ist, nicht im Individuum, sondern im Volke, in Gesamtkreisen, finden. Vor allen
Dingen muss der grösste Nachdruck auf die Thatsachen gelegt werden. Es
darf sich aber nicht um ödes und blödes Sammeln handeln. Und wenn noch so
viele Gegenstände vorhanden sind, damit ist die Sache nicht gethan; sie müssen
gedeutet werden. Es dürfen also nicht bloss die Thaten, sondern in der That
muss immer der Gedanke gesucht werden. Nachdem der Vortragende den Nach-
weis geführt hatte, dass Deutschland zwar in der Errichtung von Museen und in dem
Zusammenbringen grosser öffentlicher Sammlungen früher hinter den übrigen
Kulturstaaten zurückgeblieben sei, dass es aber dafür den Ruhm in Anspruch
nehmen dürfe, während jene nur von einer Unmenge von Thatsachen Kenntnis hatten,
in dieselbe die Gedanken hineingelegt zu haben, geht er auf das Verhältnis der
Volkskunde zur Geschichte über. Die Geschichte habe es mit dem Wandelbaren,
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%,
232 ^<^:
die Volkskunde mit dem Ständigen und Zuständigen zn thun. Sie sei eine Statistik
des Geistes, sozusagen eine Statistik ohne Zahl, ähnlich wie die Moralstatistik.
Die letzte und wesentliche Ursache für den Lauf der Geschichte bleibe der Volks-
geist und der Volkscharakter selbst. Mit ihm habe sich die Volkskunde zu be-
schäftigen und nach ihm Torzugsweise ihren Gesichtskreis zu erweitem. Seine
Sehnsucht sei stets eine Geschichte des deutschen Volksgeistes gewesen. Diese
Sehnsucht habe ihn vermocht, gemeinsam mit seinem Freunde Steinthal die
Zeitschrift ftlr Völkerpsychologie herauszugeben, und diese Sehnsucht sei nicht ab-
geschwächt in dem Verein für Volkskunde. Er wünsche, dass alle, die hier ver-
sammelt seien, Mitarbeiter würden an der Schöpfung einer Geschichte des deutschen
Volksgeistes. — Geh. -Rat R. Virchow legte als Erwiderung auf den L.:
Vortrag in kurzen Zügen die Entwicklung der deutschen anthropolo-
gischen Wissenschaft und die verschiedenen Forschungsgebiete dieser und
der Volkskunde dar. — Es sprach darauf Herr Dr. C. Nörrenberg über den
Wenkerschen Sprachatlas. Mit beredten Worten schilderte der Vortragende
die unendliche Mühe, welche G. Wenker verwandt hat, um in den Besitz des
umfangreichen Materials zu gelangen, über welches er zur Zeit verfügen kann.
Seine Methode war folgende. Er liess viele Tausende von fliegenden Blättern in
alle Welt gehen, welche eine Reihe von alltäglichen Sätzen enthielten; daran
knüpfte sich für den Empfänger die Bitte, diese Sätze in die in seinem Wohnort
übliche Mundart zu übertragen. Tausende von Empföngern, fast durchweg Volks-
schullehrer, gingen auf die Wünsche Wenkers ein, und nach diesen Eingängen
ist dann von ihm für jedes Wort eine Karte gezeichnet, in welcher durch ver-
schiedene Farben angegeben ist, wie man dasselbe in den verschiedenen Dörfern
ausspricht. So enstand eine eigentümliche Grammatik in kartographischer Form,
welche die überraschendsten imd, nach der Ansicht des Vortragenden, durchaus
zuverlässige Resultate zeitigt. Leider konnte wegen vorgerückter Zeit' auf eine
Diskussion nicht eingegangen werden. — Den Schluss der Sitzung bildete ein
Vortrag des Herrn Stadtrat E. Friedel, über die sogenannten Vivatbänder
und Ähnliches. Man versteht, wie Herr Friedel des näheren ausführte, unter den
Vivatbändern lange, schmale, gewöhnlich seidene Bänder, welche Inschriften,
Vignetten, teils eingewirkt, teils aufgedruckt tragen. Diese Bänder wurden zur
Erinnerung an Gedenktage gefertigt und unter Freunde und Bekannte als Ge-
schenke verteilt, nicht nur bei Siegen, sondern auch bei Hochzeiten, Begräb-
nissen u. s. w. Man sollte sie deshalb anstatt Vivat- besser Erinnerungsbänder
nennen. Nachzuweisen ist die Sitte dieser Bänder etwa von 1740 an bis ziun
Anfang dieses Jahrhunderts; das Gebiet ihrer Verbreitung war besonders das
Königreich Preussen. Aus dem Märkischen Museum, sowie aus Privatbesitz war
von dem Vortragenden eine reiche Sammlung dieser zum Teil sehr kunstvoll und
zierlich ausgearbeiteten Bänder ausgestellt, die mit lebhaftem Interesse gemustert
wurde.
Freitag, den 20. März. Neu beigetreten: Hofphotograph F. Leyde-Berlin;
Banquier F. Behrens-Berlin; Dr. John Meier^Halle a. S.; Wilhelm Rubiner
(Gerhard Stein)-Berlin; Julius Lappe-Neudietendorf bei Gotha; Dr. Richard
Ehrenberg, Sekretär des Kgl. Commerz. Collegiums, Altena; William Stein,
Fabrikbesitzer, Stettin; Rektor a. D. H. Frisch hier- Königsberg i. Pr.; Pfarrer
H. F. Feilberg-Pastorat Darum bei Bramminge in Dänemark; Oberlausitzische
Gesellschaft der Wissenschaften- Görlitz. — Es spricht Herr Prof. Dr.
M. Roediger über die Sage von Ermanrich und Schwanhild. Der Vortrag
wir(^ im 3. Heft dieser Zeitschrift erscheinen.
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Protokolle. 233
Den zweiten Vortrag des Abends hielt Herr Prof. Dr. Alex. Brückner über
Mittelalterliche latein. Predigten als Quelle für Volkskunde. Der Vor-
tragende wies darauf hin, wie mangelhaft das reichhaltige vorhandene Materia]
an Predigten aus dem späteren Mittelalter (Brückner hat polnische Verhältnisse
im Auge) ausgenützt würde; und doch seien gerade sie für den Forscher auf
kulturhistorischem Gebiete von höchster Wichtigkeit. Er unterscheidet zwei Arten
von Predigten. In den ' einen hatte der Prediger ein geistig höher stehendes
Publikum vor sich. Um demselben die langweiligen Ergüsse seiner Weisheit
angenehmer zu machen, flocht er allerhand Märlein in den Gang der Rede ein,
Stoffe, die ihm aus der reichen Schwanklitteratur des Mittelalters bekannt geworden
waren. Daher, nach Brückner, die merkwürdige Übereinstimmung vieler Ge-
schichten und Schwanke, die noch heute im Volksmunde gehen, mit den Ge-
schichten Boccaccios. Von dieser Art Predigten will Brückner für diesmal ab-
sehen ; er geht auf die zweite Art über, in denen der Geistliche, um seinen Reden
Reiz zu verleihen, die heidnischen Untugenden seiner Gemeindeglieder geisselt.
Da zeigt sich nun, dass die spärlichen Nachrichten, welche uns über die slavische
Mythologie, speciell über die polnische, überkommen sind, durch diese Predigten
in überraschender Weise erläutert werden. Ein paar besonders interessante Proben
bewiesen die Wahrheit dieser Behauptung schlagend. Im Anschluss an den mit
grossem Beifall aufgenommenen Vortrag wurde von Herrn Prof. Zupitza ein
Osterbrauch, das Besenbrennen, mitgeteilt, der noch in seiner Kindheit in der
Gregend von Oberglogau in Oberschlesien geübt wurde und der sich ganz den
von Brückner aus seinem Predigtmaterial hervorgeholten und als heidnisch an-
gegebenen Osterbräuchen verglich. Auch von anderer Seite wurden aus dem
heutigen Volksbrauch Parallelen geboten, und allgemein wurde der Wunsch laut,
dass der Vortragende sich bald noch einmal über den Gegenstand äussere. — Der
Vortrag des Herrn Dr. ü. Jahn über den Piligranknopf in seiner Entwicklung
wurde auf die nächste Sitzung verschoben, da neues Material zur Veranschaulichung
des Vortrags in Aussicht steht und dessen Eintreffen abgewai'tet werden soll.
Statt dessen sprach der Vorsitzende, Geh. Reg.-Rat Wein hold, über die Gebot-
zeichen, indem er auf den alten und allgemeinen Gebrauch dieser in Krieg und
Frieden gebrauchten uralten Mittel zum Aufgebot der Volks- und der Gemeinde-
genossen hinwies und die Anwesenden ersuchte, ihm bei Sammlung des Stoffes
bierfür behilflich zu sein.
ü. Jahn.
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234
Back:
Litteratur des Jalires 1890.
Von Dr. Friedrich Back.
(Fortsetzung.)
Volkskunde im Allgemeinen.
Zeitschriften.
Nachträge.
Folk-Lore^ a quaterly review . London.
D. Nutt. (Vgl. S. 116.)
I. 4. Abercromby, Mairiage Customs
of the Mordvins. — Kowalewsky, Marriage
among the Early Slavs. — Stewart Lock-
hart, The Marriage Ceremonies of the
Manchus. — Clouston, TheStorj of the Frog
Prince. — Folk-lore Congress 1891. — Not^s
and News. — Correspondence. — Miscellanea.
— Folk-lore Bibliography. — Index to Ar-
ticles. Index to Bibliography.
Reyne des traditions popnlaires. Paris.
J. Maisonneuve. (Vgl. S. 119.)
V. 12. Hardouin, Traditions et super-
stitions siamoises (suite) 4. ö. — Bubbens,
Prejug^s en Louisiane. — Tiers ot, La fille
d6guis6e en dragon. — Bourchenin, Cou-
tume de mariage (suite). -- Sebillot, Les
traditions populaires et les ^crivains franQais
(suite). — Beauregard, Proverbes et dictons
malays. — Morin, Contes troyens 1—3. —
Sichler, Bau et les filles des flots. —
Blanchard, Traditions et superstions de la
Tooraine (suite). — Certeaux, Faceties
suisses. — Sebillot, Seconde vue (suite).
— Bibliographie. Notes enquetes.
La Tradition. Direction: £. Blemont et
H. Carnoy. Paris. E. Lechevalier. IV.
1890. (VgLS. 119).
IV. Avril. Davidson, Le Folklore en
Angleterre. IV. - Seit er, La ronde du
mariage. — Kr oh n, Histoire du traditionniiime
en Finland. I — Harou, Les mat^riaux dans
les constructions. IL — H C, Le mois de
mai. XII. — Echaupre, Complaiute de
Saintonge. — Cunisset-Carnot, L'arbre de
Älirabelle. — de Nittis Berceuses des onvirons
de Naples. — Petitot, Contes et tradition
des Esquimaux. I. — Sinval, Les Busses
chex eux. VIL — Carnoy, A propos d'un
article de M. H. Gaidoz. — Bibliographie. —
Le mouvement traditionniste.
V. Mai. Harou, le folklore de la Bel-
gique. I. — Blemont, Hymne antique. —
Brnnet, L'äne dans les proverbes pro-
vengaux. I. — Davidson, Le folklore en
Angleterre. V. — Carnoy, La fuite en Egypte.
Chanson picarde. — Plantadis, Le sabre
de Koland. — Carnoy, Les rites du mariage.
I. — Nicolaides, Palladiums et talismans
des cites. IL — S altes, L'Auseralhe et Ion
Coucou. — - Zmigrodzki, Le Folklore po-
lonais IL 1. — Warloy, Acousmates et chasse^
fantastiques. IL — Blemont, Les Conciles
et les synodes de M. Fr. Ortoli — Vacquerie,
Futura et la legende de Faust. — Vicaire,
L'heure enchant^e. — Bibliographie.
VL Juni. Grün, Chansons populaires
de la Camiole. — Colson, Formulettes en-
fantines IV. — Plantadis, Des usages de
prelibation et des coutumes de mariage en
France I. — Ortoli, Po^sies semi-populaires.
— Dulaure, La th^orie de Dulaure en my-
thologie I. — Brunet, L^&ne dans les pro-
verbes proven^jaux. I. — Harou, Le folklore
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Litteratur des Jahres 1890.
235
de la Belgiqne (Suite). — Echaupre, Aubade
du printemps. — Traditions de la Bretagne.
— Correspondence. — Bibliographie. — Le
monvement traditionniste.
VII. Juillet. Dulaure, La th^orie de
Dalaore en mjthologie. — H. C, Vieux pro-
Terbes fran^ais. — Carnoy, Formulettes
enfantines. — Gautier, La m^decine au
TiDage. — Prato, Les anciens conteurs. —
Zmigrodzki, Le folklore polonais. IL —
Blemont, La tradition dans V. Hugo. —
Brunet, Contes populaires du Bocage nor-
mand. I. n. — Sali es, Le vendredi. —
Bibliographie.
VIII. Aoüt. SchischmanovajLesnoces
du Soleil. — Dragamancj, Remarques sur
le conte. — Carnoy, Esth^tique de la tra-
dition. - Harou, Le Folklore de la Bel-
gique. Vin. — Chansons populaires de la
Camiole. — Stiebel, Moyen de retrouver
le Corps d'un noy6. — Nicolaides, Legende
turque, — De Colleville, Devinettes et
enigmes populaires. — Hugounet, Apologue
chinois. — Blemont, Nains et Pygmöes. I.
— Burtin, Le Folklore au Canada I. —
Berenger-Ferand, La pluie d'oreillettes.
— Suria, Chansons populaires de la Bour-
gogne. De Nittis, Traditions de la Beauce.
Sinval, Les Kusses chez eui. Vill. —
De Warloy, Glanes traditionnistes. — H C,
Le mouvement traditionniiste.
IX. X. Septembre. Octobre. Prato, For-
mnies initiales et finales des coutes popu-
laires grecs. — Colson, Chansons de Wal-
lonie. L — Brunet, L'ane dans les proverbes
proven<jaux IL — Plantadis, Des usages
de pr61ibation. IL — Chevalier, Le mo-
nastere d'Antony. — Fremine, Les animaux
metamorphoses daus les traditions de la
Chine. — Parmentier, Le petit Poncet en
Belgiqne. — Brunet, Contes populaires du
Bocage normand III. — S alles, VieiUe
chanson. — Lemoine, Les amours popu-
laires en Wallonie. — De Colleville, An
printemps. — Becker, Le monde enchant^. I.
— Zmigrodzki, Le folklore polonais. III.
— De Launay, La legende du moustier de
Juniville. — Ortoli, Poesies semi-populaires.
— Van Elven, üne lögende beige des
Nutons. — Demetrius, Les septs Dormants.
— Dulaure, Le culte des eaux.
XL Novembre. Lang, La vie sociale
chez les Sauvages. — Becker, Croyances
et superstitions des Lapons. — Börenger-
Ferand, Conte provencjal. — Harou, Folk-
lore de la Belgiqne XI. — Prato, Proverbes
rölatifs ä la mer. IV. — Grün, Monströs et
geants. VIII. — Carnoy, Chansons popu-
laires de la Picardie. -—Brunet, Contes popu-
laires du Bocage normand IV. — Bibliographie.
XII. Decembre. Zmigrodzki. Le Folk-
lore polonais. III. — H. C, La littörature
liegeoise. — Demo tr ins, S. Gerasimus et
le lion.'— Plantadis, Des usages des pre-
libation IIL — Brunet, L'äne IIL — E. B ,
Les vieilles chansons populaires. — Ortoli,
Moyen de retrouver le corps d'un noye IL
— Brunet, Contes popul. du Bocage nor-
mand. V. — Chaboseau, Proces contre les
animaux. — Duprin, Chanson de Briolage.
— De Colleville, Proverbes ni^'ois. — Le
mouvement traditionniste.
Tolksknnde* Tijdskrift voor Nederlandsche
folklore onder redactie van Pol de Mons
en Aug. Gittöe. 3« Jaargang. Gent.
Ad. Hoste. 1890.
1. Veckenstedt,De slapende Jongeling.
Die einzelnen Völlcer und Länder.
Niederlande'^.
I. Zeltschriften.
Vermast, Vertelsels. Onze oude liederen.
Boekbeoordelingen. Vragen. Boersche grap-
pigheid.
2. P. de Mont, Onze Vlaamsche Com-
ponisten ofte liedjeszangers. I. II. Kinder-
spelen. Boekbeoordeelingen enz.
1) Mit Unterstützung der Herren Aug. Gittee in Charleroi und J. B. Vervliet in
Antwerpen.
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236
Back:
3. Gittöe, Het heidenwerpen. Liederen.
4. P. de Mont, Onze Vlaamsche Com-
ponisten IIT. Boekbeoordeelingen. Vragen.
5. Onze vlaamsche Componisten. Ver-
telsels. enz.
6. Gittee, Over de studie van het Volks-
lied. Sprookjes. Vragen. Verklaringen van
natuurverschijningen. Toedrinken.
7. Gittöe, De Humor in de taal. P. de
Mont, Onze vlaamsche Componisten. IIL
Boekbeoordelingen.
8. Gittee, De Humor in de taal. II.
Sprookjes en Prijsboeken. Vragen. Volks-
benamingen.
9. P. de Mont, De stoet der Reuzen
te Brüssel. Vertelsels. Sagen. Boekbeoor-
deling enz.
10. Gittee, Volkshumor in geestelijke
Zaken. I.
11. Gittee, Volkshumor in geestelijke
Zaken. II. P. de Mont, Onze vlaamsche
Componisten. Vertelsels. enz.
12. Gittee, Zeden en Gebruiken. Bijm-
dicht over de konst van't rekenen. Volks-
liederen : Liefdeproet Boekbeoordelingen.
Vragen en Aanteekningen.
0ns Volksleven, Antwerpsch - Brabantsch
Tijdskrift voor Taal en Volksdichtveer-
digheid, voor oude Gebruiken, Wangeloof-
kunde, enz. onder leiding van J. Corne-
lissen te S. Antonius-Brecht en J. B. Ver-
vliet te Antwerpen. 2«*^ Jaargang 1890.
Te Brecht bij L. Braeckmans. 12. Nom-
mers van twelf bladzijden in 8**.
1. Volksgebruiken. Bijdrage tot den diet-
schen taalschat Weervoorspellingen en boc-
respreukses. Sagen. Boekbespreking. Nieuw-
skes. Vragen en Aanteekeningen. Inhoud van
Tijdschriften.
2. Vertelsels. Dierenvertelsels Kwel-
vertelselkes. Kerst- en nieuwjaarsliedekens,
Wangeloof-Liederen. Grafschriften. Spotge-
dichten.
3. Volksgebruiken. Bijdrage tot den diet-
schen Taalschat. Vertelsels. Gezelschaps-
spelen. Volkstelling in 1526.
4. Bouwstoffen gebruikt bij het stiebten
van kerken, kasteelen, enz. Bijdrage tot den
dietschen taalschat. Vertelsels. Grafschriften.
Sagen.
5. De üitvinding der Her. De Vogelen
in het volksgeloof. Vertelsels. Spotzegsels.
Bigdrage tot den dietschen taalschat.
6. Levende spraakkunst. Over de be-
naming Pagnot. De vogelen in het volksgelooL
Vertelsels. Bijdrage tot den dietschen taalschat.
7. De vogelen in het volksgeloof. Volks-
geloof. Sprookskes en vertelsels. Vragen en
Aanteekeningen.
8. Levende spraakkunst. Rivleren, putten,
fonteinen, brennen, ondiepten enz. Liederen.
Vertelsels.
9. Rivieren putten enz Kinderrijmen.
Sagen. Bijdrage tot den dietschen taalschat
Raadsels. Nieuwskes. -
10. Rivieren, putten enz. Sagen. Vertelsels.
Bijdrage tot den dietschen Taalschat. Lie-
deren. Vragen.
11. Volksgebruiken in de Kempen. Ri-
vieren enz. Vertelsels. Een woord over de
gilden.
12. Sagen. De vogelen in het volks-
geloof Over de gilden. Nieuwskes. Boek-
bespreking. Narede.
Volk en Taal. Maandsschrift over Gebruiken,
Geschiedenes, Taalkunde enz., uitgegeven
door de Zantersgilde van Zuid-Vlaan-
deren. Ronse, A. Courtin. 2<'<! Jaargang.
3<ie Jaargang.
n. n 6. Over de zuid-vlaamsche uitgangen
ie en ies, hie en hieds. Bijdrage tot den
nederlandschen taalschat. Sint Nikiaas liedjes.
Spotzegels. Raadsels. Jaakskeemet zijnfluitje.
Van smidje Smee. Soldaten Knevelarijen.
Spotrijmkes. — n. 7. Kersttijd-gebruike. Bij-
drage tot den Nederl. taalschat Koekebak.
Nieuwjaarliederen. Drij koningen. Sterre-
liedje. Van den vos en den beer. Kruis-
gebruiken. — n. 8. Lichtrais. Bijdrage
tot den nederl. taalschat. „Zei** spreuken.
Ditjes en Datjes. Van Magriendelke en Ma-
greindelke. Weervoorzeggingen. — n. 9.
Bijdrage tot den nederl. taalschat. De Gastel-
of Kasteldag. Maria die moeste naar Beth-
leengaan. Raadsels. Wit Karlientje en Zwart
Karlientje. — n. 10. Paaschen. Bydr. tot d.
nederl. taalschat Volkswijsheid. Een pak
slagen. üit Ooike. Van den voerman (lied).
— n. 11. De uü in het volksgedacht. B^dr.
tot d. nederl. taalschat. Meiavond. Uit de
beesten wereld. Van't meetje en sinksenavond.
De Jongen en zijn boone. — n. 12. Bijdr. t
d. nederl. taalschat. Vlaamsche beleefheid.
Taalbegrippen uit den ouden tijd. „Zei*
spreuken. Liederen. Tel-of Lotrijmkes. Sint
Martens Omgang te Asper. — - III. n. 1. Bijdr.
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Litteratur dee Jahres 1890.
237
tot d. nederl. taalschat. Uit de kinderwereld.
Eraisgebruiken. Ewelspreoken. Sprookjes.
Van den Tier gebroeders. Volkswijsheid. —
n. 2. Bijdr. t. d. nederl. taalschat Einder-
speL SlijÜiedekes. Raadsels. Van Duimke
— n. 3. Bijdr. t. d. nederl. taalschat. Van't
Meetje en Sinte Pieter. Koeiersroepen. —
n. 4. Verteilen. Topspel. Raadsels. Eabou-
termannekes. — n. 5. Bijdr. t. d. nederl. taal-
sebat. Klaasdag. Van den wever en den
duTeL Rijmelarij op namen van steden.
sZei** spreoken.
t Dachet in den Osten. Limburgsch Tijd-
schrift Yoor alle liefhabbers van Taal-en
andere Wetensweerdigheden. Hasselt, M.
Ceysens, 6^« Jaargang. 1890. 12. Aflev.
in 8.
1. Limburgsch Nederlandsch: 13. "Woor-
denzange. Spotzegsels. — 2. 8. Allerlei
Rijmpjes nit Oost-Ylaanderen. Einderspelen.
Vert^lsels. Oude Gebmiken. — 4. 5. Lim-
burgsch Nederlandsch: 14. Woorden«ange. De
Mei, de Meikoningin. Gebruiken. Raadsels.
Liraburgsche spreukes en spreekwoorden. —
6. 7. Limbnrgsche Eigenaardigheden : Wen V.
Was Wazen. Het slapen der R. Dertiende,
dertienste. Kinderlickens. Kinderzegels. Ver-
kleinvormen. Een ond Stuksken. Over die
en dien. Een broksken Waalsch. Oude Ge-
bruiken. Wangeloof. — 8. 9. Over de vers-
maat der Volksdichten. De Duivel met zijn
hesp De Wildeman. April-gek. - 10. 11.
Limburgsch Nederlandsch: 15. Woordenzange.
Taalkunde. Limburgsche dichtveerdigheid.
Sint Martens vuur. Limburgsche spreuken en
spreekwoorden.
IL Bücher and Aufsätze.
({vestionnaire de Folklore Wallon, Liege,
Imprim. BL Vaillant-Carmanne. (Ein Frage-
bnch über wunderbare Wesen, Thiemamen,
Landban, Pflanzen, Volksarzenei in etwa
10 Liefer. a 16 S., Vgl. Ons Volksleven: IL
S. 105. 138.)
Gitt^e, L'^tude du folklore en Flandre (Extr.
de la Revue de Belgique. BruxeUes 1890)
19 S.
Gltt^, Over de waarde van het populaire.
(Overgedr. uit de Tijdspiegel. 's Gravenhage
1890. 2.) 27. S.
PriBgsheini) Beiträge zur wirtschaftlichen
Entwicklungsgeschichte der vereinigten
Niederlande im 17. und 18. Jahrb. Leipzig
1890. Duncker A Humblot (120 S. 8°).
(M. 2,80.) (Staats- und socialwiss. Forschun-
gen, hsg. von Gust. Schmoller X, 8.)
de Roerery Over Vrijen en Trouwen, Haar-
lem, Bohn.
Qitt^y De Hand en de Vingeren in [het
Volksgeloof (Overgedr. uit Los en Vast
Leiden 1890. n. 3). 52 S.
Stoet L. A. J. W* Baron, De Planten in het
Gennaansche Volksgeloof en Volksgebruik.
's Gravenhage, Nijhoff.
YttE Bastelaar, Les ^pingles, les aiguilles
etles cloos dans les pratiques superstitieuses.
Bmxelles, Deprez. 15 S.
Claeysy Sint Maarten. Thielt, P. Pokel-
Dooms. 248 S.
Alberdingk^Thym, De Faustsage in de neder-
landsche letteren. Gent, Siffer. 58 S.
Vercoiillie, Beknopt etymologisch woorden-
boek der nederlandsche taal. Gent, Vujl-
steke. XXIV. 320 S.
De Bo, Westvlaamsch Idioticon, uitgegeven
door Jos. Samyn. 1« deol (A— 0). Gent,
Sififer. 700 S.
Ratten, Bijdragen tot een Haspengouwsch
Idioticon, uitgegeven door de Zuidneder-
landsch. Maatschappij van Taalkunde. Ant-
werpen, Jan Boucherij. XVI. 318 S.
De Seyn-Verhongstraete, Het bargoensch
van Roeselare. Een bijvoegsel aan Js.
Teirlincks woordenboek van bargoensch.
Roeselare, De Seyn-Verhougstraete. 20 S.
Claes, Eenige volksuitdmkkingen verdedigd
en aanbevolen. Gent, Siffer. 27. S.
BampSy Recherches sur le Mej-liedje (Chant
de Mai), hymne populaire hasseltois attri-
bue au XVII« siecle. Hasselt, Klock. 8 S.
Amaaty Vertelsels van het Vlaamsche volk.
Gent, Siffer. 1889. 2« reeks. Thielt, P.
PoUet. 1890. 190 S. 12^
Popp Caroline^ Recits et legendes des Flan-
dres. 4« ^dit. BruxeUes, Lebegne. 270 S.
Witteryck; Oontes populaires; Goutnmes re-
ligieuses (Annales de la Societe d'emulation
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238
Back:
pour Tetude de l'histoire et des antiquites
de Flandre. Sdr. V. Tome 1.).
Antwerpsche KeldennondverteDingen, door
J* B* Tan Antwerpen. Antwerpen, A. de
Koninckx. 192 S. 12«.
BrandeSf Drei Sammlungen mittelnieder-
Iftndscher Reimsprüche (Zeitschr. für deut-
sches Alterthum. XXXIV. Bd. 47—55 S.)
Amaat, Raadsels van het Ylaamsche Yolk.
Gent, Leliaert, Siffer.
England, Schottland, Irland.
Oünther« Englisches Leben im 14. Jahrhundert
Dargestellt nach ,the vision of William C'>n-
ceming Piers the Plowman' by William
Langland 8**. 62 S. Leiprig. Diss.
Safflingy History and legends of the Broad
District, with a Glance at its Folk-Lore,
Gbosta, Churches, etc. (lU.) 8^ 216 8.
London, Sarrold.
Seebohm, The English Village Community
examined in it^ Relations to the Manorial
and tribal Systems: and to the Common
and Open - field Systems of Huebaudry
4. edit. 8^ 460 S. London, Longmans
16 6.
Gommey The Village Community. With
special reference to the Origin and Fonn
of its Survivals in Britain. (111) 8«. 299 S.
(Contemporary Science Series.) London.
W. Scott. 3 8. 6 d.
Nicholson, Folk-Lore of East Yorkshire. 8«.
186 S. Hüll, Brown. 3 s. 6 d.
Parkinson, Torkshire Legends and Traditions,
as told by her Ancient Chroniclers, her
Poets and Journalists. 2 nd series. 8^
54 S. Simpkin. 1 s.
Uartland, English Fairy and other Folk-
Tales. Selected and edited, with an Intro-
duction. 12 ^ 306 S. (Camelot Series.)
W. Scott. 1 s.
Child Lore. A Selection of Folk- Legends
and Rhymes. 138 S. Glasgow. Bryce. 1 s.
Jacobs, English Fairy Tales. 111. by John
D. Batten. 8^ 253 S. London. David
Nutt.
KIngre, Geschichte der englischen Sprache.
Mit einer Dialekt-Karte. (Grundrissd germ.
Philologie, hsg. von H. Paul I, 5, 780-930.)
Wright, Englische Mundarten (ebenda I, 5,
975—981) 1891.
I The English and Scottish populär Ballads,
edited by Francis James Child, VIL
Boston, Boughton, Mifflin and Co. (1890.)
4". 254 S.
Baring-Gonld and Sheppard, Songs and
Ballads of the West: a Collection made
from the months of the People. Harmonised
and arranged for Voice and Pianoforte by
Rev. H Fleetwood Sheppard. 4 parts.
Mothuen. 3 s. each.
Campbell, Populär Tales of the West High-
lands, orally collect«d, with a Translation.
New edit (under the auspices of the Islay
Association). VoL L 8^ 490 S. London.
A. Gardner. 7 s. 6 d.
Beside the fire. A collection of Irish Gaelic
folk stories. Edited, translated and anno-
taded by Douglas Hyde, with additional
notes by Alfred Nutt London. David
Nutt 1890. LVn. 203 S.
Blind, Ein schottisches M&rchen vom Aschen-
puttel und seinem Gold- und Glasschuh
(Deutsche Revue. Febr.).
I Haeckel, Das Sprichwort bei Chaucer. 8^
I 77 S. (Erlanger Beiträge zur engl. Philologie.
Hgb. von Vamhagen. Heft 8). M. 1,80.
I Block, Die englischen Markenspiele. (Neu-
I philologisches Centralblatt IV. 4.)
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LitteratuT des Ji^es 1890.
239
Skandinavien (einschl. Island).'^
1. Allgemeines.
Nyare bidragr tili kftnnedoin om de Svenska
landsmälen ock Syenskt folklif. — Tid-
skrif ütgifven pä nppdrag af Landsmälsföre-
niogama i Uppsala, Helsingfors ock Lund
genom J. A. LundeU. Stockholm, Samson
& Wallin. 8«.
39de h. 1890. A. Gustaf Billing, Äs-
bomilets Ijudlära, akademisk afhendling.
Med en Karta.
40de h. 1890. B. S. Thomasson,
Visor uppt^cknade i KyrkhuUs socken i
Bleking. — L. T. Reavall, Aländsk folk-
tro, skrock ock trolldom. — S. öberg,
Nagra bilder frän Härjedalens f&bodar.
Daiiia« Tidsskrift for folkemäl og folkeminder.
üdgivet for nniversitets-jobilaBets danske
samfund af Otto Jespersen og Kri-
stoffer Nyrop. Bind I HaBfte 1. K«ben-
hayn. Lybecker og Meyer. 1890. 8°. 80 S.
— Kr. Nyrop Kludetraet. En sammen-
lignende nndersogelse. — 0. Jespersen
Danias Lydskrift. — Smäting og fore-
spörgsler.
Huld. Safo alp^dlegra Islenzkra frseda. Ut-
gefendnr; H. porsteinsson, J(5n porkelsson,
Ölafur Dayfdsson, Pälmi Pälsson, Valdimar
AsTnnndsson. I Reykjavik 1890. Sigurdur
Kristjinsson. (80 S. 8».)
Sanfandet för Nordiska Museet« Främjande
1888. Meddelanden, utgiftia af Arthur
Hazelius. Stockholm. 1890. 8«. (148 S.)
Kftlnndy F. Skandinavische Verhältnisse
(Grundriss der germanischen Philologie, her-
ansg. von Paul, II. 2. S. 208—252).
Ponioppidany Folkelivingsskildringer II.
(Dansk Folkebibliothek Nr. 109.) 16 ^ 80 S.
Nyt dansk Forlagskonsortium. 25 Ore.
T. Feilitzeiiy Spridda drag ur svenska folk-
lifvet. Teckningarna af Jenny Nyström.
8°. Stockholm, S Flodin.
E. W. B., Strödda bidrag tili Västerbottens
aldre kulturhistoria I — II (Historisk Tid-
skrift utg. af Svenska Historiska Föreningen
genom E. Hildebrand X 1—2.)
Bidrag tili Södermanlands äldre kulturhistoria,
pa uppdrag af Södermanlands fomminnes
förening utgifna af J. Wahlfisk. 7e. h.
8^ 151 S. Stockhohn, Samson & Wallin.
Kr. 2.
Feübergy Dansk Bondeliv, saaledes som det
i Mands-Minde fortes, navnlig i Vestjylland.
Med 49 Figurer. Kbhvn. 1889. 394 S. 8«.
Landbyskomageren Jonas Stolts Optegnelser
Frit efter et Haandskrift i .,Nordiska Mu-
seat*. Af R. Mejborg. Med 62 Bilder.
Kjobenhavn. I komission hos G. E. C. Gad.
189(^>. 166 S. 8^
FabricinSf Island und Grönland zu Anfang
des 17. Jahrb., kurz und bändig nach wahr-
haften Berichten beschrieben. In Orig. und
üebers. herausg. und mit geschieht!. Vor-
bemerkungen versehen von Karl Tannen.
8^ 47 S. Bremen, Silomon. M. 1,60.
2. Äusseres Leben.
Af büdningar af föremal i Nordiska museet,
äfvensom af nordiska ansiktstyper, kläde-
dräkter och byggnader, af hvilka teckningar
forvaras i Nord, museets arkiv. Utg. af
A. Hazelius. 4^ Stockholm, Nordiska
museet 1. Smaaland. 1888. 2 och 3 Is-
land. 1890. 20 pl, med text af R. Arpi.
Kr. 3.
Taltyr OndmandssoDy Privatboligen pä Is-
land i sagatiden samt delvis i det 0vrige
norden. Kjebenhavn Host og son. 1889.
8^ 270 S.
Nationaldragter, danske. Tegnede af F. C.
Lund. Med Text af V. Bergsoe. 2 det
Oplag. Kjebenhaven. Nyt dansk Forlags-
konsortium. Heft 1—4.
3. Inneres Leben.
Koreeiiy Ett nytt uppslag i frkga. om den
nordiska mytologien (Nordisk tidskrift för
yetenskap, konst och industri. Nr. 3).
Steffen, De nyaste forskningama i nordisk
mytologie (Ny Svensk Tidskrift 2-3).
Weinhold) Ueber den Mythus vom Wanen-
1) Mit Unterstützung der Herren K. v. Maurer in München und Kr. Nyrop in
Kopenhagen.
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240
Back: Litterainr des Jahres 1890
krieg (Sitzungsberichte der Ednigl. Prenss.
Akademie der Wiss. zu Berlin XXIX). 15 S.
Wesselofski, Tggdrasill (Archiv für slavische
Philologie XHI, 1).
Ehni, Der nordische Mjthas des Yama, ver-
glichen mit den analogen Typen der per-
sischen, griechischen und germanischen
'Mythologie. 8^ 216 8. Strassburg, Trübner.
M 5.
Petersen^ Hypothesen om religiöse Offer- og
Votivfond fra Danmarks forhistoriske Tid
(Aarbeger for Nordisk Oldkyndighed og
Historie V, 8).
Cederschiöld^ Kalfdrapet och V&npröfhingen,
ett Bidrag tili Kritiken af de Isländska
Sagomas Trovärdighed. 8^ 41 S. Lund,
Gleerup. Kr. 0,85.
Henzen^ Ueber die Tr&ume in der altnor-
nordischen Saga - Litteratnr. 8^ 89 S.
Leipzig, Fock. M. 2. •
Islftndische VoU^ssagen. Aus der Sammlung
von Jon Amason ausgewählt und aus dem
Isländischen übersetzt von M. Lehmann-
Füh^s. 8<». Berlin, Mayer A Müller (1. Bd.
1889). Neue Folge, ebd. 1891.
Mikkel Skrndders Historier. Udgivne af
E. T. Kristensen. Viborg. I kommission hos
Gyldendalske Boghandel i Kjebenhavn.
72 8.
DraehmaDDy Troldt^j. Folkesagn i Nutidsliv.
1-4 de Hefte. 4^ Bojesen.
Bang) Kirkehistoriske Smaastykker. Kristiania
1890 (darin Beiträge zur Geschichte des
Aberglaubens in Norwegen).
Swedish Baptismal Folk-lore. Irish
Variant of St. Swithin. Mother Hubbard:
Notes and Queries. G.September.
Danmark« gamle FolkeTiser, udgivne af
Svend Grundtvig. 5 Dels. 4. HsBfld.
Efter Forarbojder af Svend Grundtvig ud-
givet af Axel Olrik. Kbhvn. Forlagt af
Samfundet tu den danske Literaturs Fremme.
4^ (Schluss von S. Grundt^ig^ grosser
Yolksliedersammlnng; Bd. 1 erschien 1853).
Steenstrnp, Vore Folkeviser fra Middelaldren.
Kbhvn 1891.
Ibseiiy Skandinavische Heldenlieder und ihre
Bedeutung für die Kunstpoesie (autoris.
deutsche Obersetzung des 1857 im lUu-
streret Nyhedsblad. Christiania No. 19
erschienenen Artikels) SonntagsbeiL N. 27.
28. z. Voss. Zeitung 1890.
Tibftrg) S&gner pa Roslagsmal fran Yalö
socken (Svenska Fomminnes foreninges
Tidskrift Vn (1888—90) p. 177-191).
Lnndell) Scandinavische Mundarten (Grund-
riss der germ. Philol., hrsg. von H. Paul,
I, 5, 945-959). 1891.
Feilberg, Bidrag til en Ordbog over Jyske
Almuesmil (bis jetzt 6 Hefte).
F»rösk Anthologie med litteraerhistorisk og
grammatisk Inledning samt Glossar ved
y. U. Hammershaimb. 5. Haeflet. Kbhvn.
1890 (erscheint seit 1885).
Nordlander, Anteckningar om n4gra norr-
ländska ortnamn (Svenska Föreningens
Tidskrift VII (1888-1890), p. 164—176).
Kristensen, Danske ordsprog og mund-
held, skjsemtesprog, stedlige talemider, ord-
spil og samtaleord. Trykt med offentlig
understöttelse. 2 haefter (400 8. + 274 S.)
8*^. Kolding 1890.
Peder Lalos ordspr^ och eu motsvarande
Svensk samling. I.Texter utgivna af Axel
Kock och Carl af Petersens. Kjebenhavn.
2.H»ft. 1890. (L.H8Bftl889). (Ostnordiska
och latinska medeltidsordsspräL Herausgeg.
vom Samfund til Udgivelse af gammei
nordisk Litteratnr).
Köbke, Om Runeme i Norden 2. Udgave.
Kbhvn 1890.
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Verlag von A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den Linden 13.
Bastian, A, Religious -philosophische Probleme auf dem Forschungs-
gebiete buddhistischer Psychologie und der vergleichenden Mythologie.
In 2 Abteilungen. X, 190 und 112 Seiten in einem Bande gr. 8.
1884. geh. M. 9 —
Behla, Bobert. Die vorgeschichtlichen Rundwälle im östlichen Deutsch-
land. Eine vergleichend-archäologische Studie. Mit einer prähistori-
schen Karte im Maassstabe von 1 : 1 050 000. X und 210 Seiten gr. 8.
1888. geh. M. 6,50
Joest^ Wilhelm, Tätowiren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Ein
Beitrag zur vergleichenden Ethnologie. Mit 1 1 Tafeln in Farbendruck,
I Liichtdrucktafel und 30 Zinkätzungen nach Originalzeichnungen von
O. FDfSCH, CL. JOEST, J. KUBARY und P. PREISSLER, nebst
Original -Mitteilungen von O. FINSCH und J. KUBARY. X und
112 Seiten Folio. 1887. In Halbleinewandband. M, 40 —
Joesty Wilhelm, Spanische Stiergefechte. Eine kulturgeschichtliche Skizze.
113 Seiten. Mit 3 Lichtdrucktafeln gr. 8. 1889. geh. M. 3 —
Schroeder^ Leopold von. Die Hochzeitsgebräuche der Esten und einiger
anderer finnisch-ugrischer Völkerschaften in Vergleichung mit denen
der indogermanischen Völker. Ein Beitrag zur Kenntnis der finnisch-
ugrischen und der indogermanischen Völkerfamilie. VUl und
265 Seiten gr. 8. 1888. geh. M. 5 —
Tirchow, Budolf. Das Gräberfeld von Koban im Lande der Osseten,
Kaukasus. Eine vergleichend archäologische Studie. 1 Band Text,
157 Seiten mit zahlreichen Holzschnitten, 4, geh. und ein Atlas von
II Lichtdrucken, folio, in Mappe 1883. M. 48 —
'Verlewg' '^oaa. Oetrl r'leaaaaÄiÄg* ian CHogra.'o.,
Tttiske-Laiii dir arischen Sfiniim unii Götter Urbeinat.
Erläuterungen zum Sagenschatze der Veden, Edda, Ilias und Odyssee.
Von Dr. £ni8t Kraose (Carus Sterne).
Mit 76 Abbildungen im Text und einer Karte.
Gross 8"*. XII und 624 Seiten. £legant geheftet 10 Mark.
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Verlag der J. 0. Cotta^schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart.
Soeben erschien:
BrundzDge einer PMIosophie der Tracht
(mit besonderer Berücksichtigung der Negertrachten)
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Dr. phil. Heinrich Schurtz.
Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen.
8^ 140 Seiten. Preis greheft^t 3 M. 60 Pf.
Zu beslehen durch die meisten Bnchhandlaiiicen.
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Soeben erschien:
Catales 47: Oeei^raphiet Bthnesraphie, Anthrepelofi^ie ete«
CataloK 48: IH'ieiitalla, üpraehwissensehalt.
Dieselben stehen grratiB und franeo zu Diensten. Angebote ganzer Bibliotkeken,
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Richard ttattlers Antiquariat, Braonschweifl:.
In unserem Verlage erschien:
Ferdibaminer. ProlegomeHa zur Mythologii als Wissrnscbaft Hiii
Lexikon der Mytiieiispraclie. Preis 5 Marli.
Haeseler'sche Bacbhandlang (Eckardt & Breymann) in Kiel.
Verlag von A. ASHER & Co. in Berlin W., Unter den L inden 13.
Zeitschrift für Ethnologie.
Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie
und Urgeschichte.
Redactions-Commission: A. Bastian^ E. Hartmann, R. Virchow, A. Voss,
Mit zahlreichen Text-Illustrationen und Tafeln.
Erscheint 6 Mal jäJirlich. — Preis des Jahrganges M, 24y —
He bis jetzt erschienenen 22 Jahrgänge und die Supplemente sind theilweise zu
herabgesetzten Preisen zu haben.
Als Ergänzungsblätter zur „Zeitschrift für Ethnologie" erscheinen seit 1890:
lacliriGliten Dlier deutsclie Mtertbumstunile.
Mit Unterstützung des Königl. Preuss. Ministeriums der geistlichen, Unter*
richts- und Medicinal- Angelegenheiten herausgegeben von der Berliner
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschiehte,
unter Redaction von
R. Virchow und A. Voss.
Jährlich 6 Hefte. — Preis M, 5, —
Nachrichten über Kaiser -Wilhelms -Land
und
den Bismarck -Archipel.
Herausgegeben tou der Neu- Guinea -Kompagnie zu Berlin.
Erster Jahrgang 1885 (4 Hefte) . M. 5,— Vierter Jahrgang 1888 (4 Hefte) . M. ö,95
Zweiter Jahrgang 1886 (4 Hefte) . M. 3,75 Fünfter Jahrgang 1889 (2 Hefte) . M. 4,50
Dritter Jahrgang 1887 (5 Hefte) . M. 7,05 , Sechster Jahrgang 1890 (2 Hefte) M. 3,—
Beiheft zu 1889: K. Schumann u. M. Hollrung, Die Flora von Kaiser-Wilhelms-Land M. 4,ö0.
Diese Zeitschrift erscheint in zwanglosen Heften,
Druck von Gebr. Unger in Berliu, Schöuebergerstrtsse 17«.
Diesem Hefte ist ein Prospekt der Verlagfsbuchhandlung Oeorge Westermaim in
Braunschweig betreffend ^FltigePs Englisch - deutsches und deutsch - enirllBches
Wörterhuch" beigefügt
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ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Neue Folge der Zeitsch'iß für VöUcerpsycholor^ie und Sprachimsenschaft,
begründet von JU, Lazai^vs und //. SteinthaL
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl Weinhold.
Erster Jahrgang. ^^^Wc v^lHfll^ 1^91- Heft 3
Mil TalVl II. III.
BERLIN.
Verlag von A. A s ii i-: k & Co.
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In halt
Seite
Die Sage von Ermenrich und Schwanhild. Von Max Roediger . 241
Die ethnographischen Arbeiten der Slaven, vornehmlich Oskar Kolbergs.
I. Von Wl. Nehring 250
Volkstümliche Schlaglichter. IL Von Wilhelm Schwartz . . . 279
Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone beim bayerischen Volk.
Von Dr. M. Hoefler in Toelz 292
Volkssegen aus dem Böhraerwald. 11. Von J. J. Amm ann in Krummau 307
Segen und Heilmittel aus einer Wolfsthurner Handschrift des XV.
Jahrhunderts. (Schluss.) Mitgeteilt von Oswald von Zingerle 315
Moderne chinesische Tierfabeln und Schwanke. Mitgeteilt von
0. Arendt 325
Jamund bei Cöslin. j\Iit Berücksichtigung der Sammlungen des
Museums für deutsche Volkstrachton und Erzeugnisse des Haus-
gewerbes zu Berlin. (Schluss.) Von Ulrich Jahja und Alexander
Meyer Cohn. (Hierzu Tafel H u. III). ........ 335
Kleine Mitteilungen:
Über Bielensteins neues Werk: Die Grenzen des lettischen Volksstammes und der
lettischen Sprache. S. 344. — Mons. Joseph Zingerle. S. Mi,
Bücheranzeigen:
Oskar Brenner und August Hartniann, Bayerns Mundarten. S. 345. —
Edw. Sidney Hartland, The science of fairy tales, an inquiry into fairy mythologie.
S. 845. ~ Richard Androe, Die Flutsagen. S. 34G. — P. Basilius Schwitzer,
Tirolische Geschichtsquellen III. S. 346.
Aus den Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. S. 347.
Bibliographie. (Fortsetzung.) S. 352.
Wir machen darauf aufmerksam^ dass der Verein für Volkskunde
(Sitz in Berlin), dessen Organ diese Zeitsclirift ist, nickts gemein hat
mit der Deutschen Gesellschaft tur Volkskunde des Dr. E. Veekenstedt
in Halle a, S.
Beiträge für die Zeitschrift, bei denen um deutliche Schrift
auf Quartblätt(3rn mit Rand geboten wird, Mitteilungen im
Interesse des Vereins, Kreuzbandsendungen, beliebe man an
die Adresse des Herausgebers, Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
K. Weinhold, Berlin W., Hoheiizollernstr. 10, zu richten.
Bücher für Besprechung in der Zeitschrift wolle man an die Verlags-
buchhandlung A. Asher & Co., W. Unter den Linden 13, senden.
Beitrittserklärungen zum Verein nimmt der Schriftführer Dr. ü. Jahn,
Berlin NW., Perlebergerstr. 32, entgegen.
Schatzmeister des Vereins ist Banquier Alexander Meyer Cohn,
Berlin W., unter den Linden 11.
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Die Sage von Ermenricli und SchwanMld^l
Von Hax Roediger.
Die Yomehmste Person der ostgotischen Heldensage ist nächst Dietrich
irou Bern König Ermenrich. Er lebte sowohl in der Sage der festländischen
als auch der nordischen und britannischen Germanen, ist aber im Grunde
historisch. Die älteste Nachricht über ihn und sein Ende, woran die Sage
▼on Schwanhild sich knüpft, erhalten wir durch Ammianus Marcellinus
31, 3, 1. Es handelt sich um den Einbruch der Hunnen im Jahre 375
Hfiu^hdem sie die Alanen zum grossen Teil erschlagen hatten, fielen sie mit
dem Beste vereinigt über die weiten und fruchtbaren Lande Ermenrichs
lier, eines sehr kriegerischen Königs, der sich durch viele Heldenthaten
seinen Nachbarn furchtbar gemacht hatte. Seine Herrschaft war zwar fest
genug begründet, um diesem plötzlich hereinbrechenden Unwetter Stand
zu halten, aber da das allgemeine Gerücht die Grausigkeit der ihn schon
nahe bedrohenden Feinde vergrösserte, so machte er seiner Furcht vJr
der schwerwiegenden Entscheidung durch freiwilligen Tod ein Ende. Da
Ammian ein Zeitgenosse der Begebenheit und seine Darstellung davon
einfach und unanstössig ist, dürfen wir ihm Glauben schenken.
Ganz anders klingt kaum zweihundert Jahre später (551) der Bericht
des Jordanes in den Getica § 116 — 130. Den Hunnen wird hier nach alter
Sa^ (ut referi antiquitas) eine Abkunft von gotischen Zaubrerinnen
(^haUw'unnae^ got. hcUjarunSs, ahd. hellirund, ags. hellerünan) und unreinen
Geistern der Wüste zugeschrieben; eine Hindin weist ihnen den Weg
durch das Azowsche Meer. Wie ein Wirbelwind reissen sie die jenseitigen
Völker mit sich und unterwerfen nach vielen Kämpfen auch die Alanen.
Das erschreckliche und über die Massen hässliche Äussere der Hunnen,
ihre Gewandtheit im Reiten und Bogenschiessen werden auf das lebhafteste
und anschaulichste geschildert. Die Goten ergreift Angst vor ihnen. Ihr
König war damals der kluge und tapfere Hermanaricus, der vornehmste
1) Der folgende Aufsatz entspricht im wesentlichen einem Vortrag, der am 20 März 1891
im Verein für Volkskunde gehalten wurde. Seine Entstehung wird es erklären, dass
Litteraturangaben fast gänzlich fehlen, doch möge man Heinzel in seiner Ostgot. Helden-
sage 8. 1 ff. und etwa noch Kanischs Dissertation „Zur Kritik und Metrik der nampismäP
vergleichen.
Zeittclirift d. Vereini C Volkskunde. 1891. 16
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242 Roediger:
aus dem königlichen Geschlecht der Amaler, der sich die finnischen Stämme
bis über den Ural hinaus, die Heruler am Azowschen Meer, die Slaven
und Eisten unterworfen hatte und überhaupt alle Völker Scythiens und
Germaniens beherrschte. Mit Recht konnte man ihn Alexander dem
Grossen vergleichen. Als die Hunnen aber heranrückten, befand er sich
in übler Lage. Denn der treulose Stamm (oder Familie?) der Rosomoni,
der ihm Heeresfolge zu leisten hatte, liess ihn bei dieser bedenklichen
Gelegenheit im Stich. Er hatte nämlich die Sunilda, ein Weib aus dem
genannten Stamme, wütend über den betrügerischen Abfall ihres Gemahls,
an wilde Pferde binden und zerreissen lassen. Ihre Brüder Sarus und
Ammius hatten, um den Tod der Schwester zu rächen, einen Mordanfall
auf Hermanaricus gemacht und ihn verwundet, und durch diese Wunde
war er siech und schwach geworden. Der Hunnenkönig Balamber nutzte
diesen Umstand zu einem Angriff auf die Ostgoten aus, Hermanaricus aber,
der die schmerzende Wunde und die Einfälle der Hunnen nicht mehr er^
tragen konnte, starb hochbetagt im 110. Jahre seines Lebens.
Hier liegt deutlich Sage vor, die, abgesehen von den Angaben über
die Entstehung und den Einbruch der Hunnen, aus dem ungeheuren Um-
fang des Reiches und dem überhohen Alter des Hermanaricus spricht.
Nicht minder daraus, dass er eines natürlichen Todes stirbt. Selbstmord
ist eine Seltenheit bei den Germanen. Es nimmt sich wohl jemand das
Leben, weil er nicht auf dem Krankenbette sterben will, oder der Be-
siegte, weil er der Schmach der Gefangenschaft entgehen möchte, oder ein
Weib, um mit dem vorangegangenen Geliebten wieder vereint zu werden;
aber ein Selbstmord aus Feigheit, aus Furcht vor der Entscheidung ist
ungermanisch und schien bei einem so tapferen und mächtigen Herrscher
wie Ermenrich völlig unglaublich. Ja selbst seine Besiegung durch die
Hunnen konnte man nur begreifen, wenn besonders ungünstige Umstände
den König am vollen Gebrauch seiner Macht hinderten, und da lag es vor
allem nahe, ihn sich nach einem so thatenreichen Leben als greisenhaft
und krank vorzustellen. An diesem Punkte hat die Weiterentwickelung
der Sage eingesetzt. An den Selbstmord glaubte man nicht, er verschwand
aus dem Gedächtnis, mit ihm sein historischer Anlass, der Hunneneinfall.
Aber von einer schweren Krankheit des Ermenrich erzählt sogar noch die
pidrecssaga und das mittelhochdeutsche Epos, wenn sie ihr auch eine
andere Ursache zuschreiben, und die Angaben über Ermenrichs Tod ins
Schwanken geraten sind.
Es ist selbstverständlich ostgotische Sage^ die wir aus dem knappen
Berichte des Jordanes kennen lernen. Nur die Eroberungen und die
Macht des Hermanaricus malt er breit und mit Wohlgefallen aus, ohne
eine Spur der ungünstigen Ansicht, die sich später allerwärts vom Charakter
Ermenrichs findet und die gerade in seinen lobenswerten Eigenschaften
ihren Grund hat. Dona aus dem kriegerischen Eroberer und mächtigen
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Die Sage von Ennenrich und Schwanhild. 243
Grewalthaber war ein zwar nicht minder mächtiger, aber auch treuloser,
grausamer, hab- und ländergieriger Tyrann geworden, wozu gewiss das
Begebnis mit Schwanhild beigetragen hat. Dass aber bereits zur Zeit des
Gassiodor diese Meinung im Schwange gewesen sei, möchte ich bei der
Begeisterung des Jordanes für ihn, mag- sie nun aus Cassiodor stammen
oder nicht, als unbedingt sicher nicht hinstellen. Müllenhof f schliesst
das (Zs. f. d. Altert. 12, 254) aus dem Schweigen Cassiodors über Ermenrich
an jener Stelle, wo er Amalasuintha mit ihren Vorfahren vergleicht. Aber
welches tertium comparationis hätte sich ihm zwischen jener und einem
Eroberer bieten sollen? Sogar die grausame Bestrafung der Schwanhild
motiyiert Jordanes ausdrücklich mit einem nur zu begreiflichen Zorn-
snsbruch des Königs. Das frühste Zeugnis für seinen bösen Charakter
gewährt der 9. Vers des Widsidliedes, und wenn es auch mit seinen ältesten
Bestandteilen ziemlich nah an Jordanes heranrückt, so liegt doch immer
noch die Möglichkeit vor, dass in der Zwischenzeit das Bild Ermenrichs
sich verdüstert hatte, wenn nicht gar darin die Auffassung eines fremden
Stammes sich ausprägt.
Ausführlicher liegt unsre Sage in der nordischen Überlieferung vor,
die sich in einen norwegisch-isländischen und dänischen Zweig spaltet.
Ersterer wird repräsentiert durch die beiden eddischen Lieder Hampismal
und Gudrunarhvot, wozu die Ragnarsdrapa Bragis des Alten und An-
spielungen in andern skaldischen Gedichten treten, welche beweisen, dass
spätestens vom 9. Jahrhundert an die Sage im ganzen Norden bekannt
war. In Proöa erzählen sie die Volsungasaga Kap. 40 — 42 und die SkalH-
skaparmal Kap. 42. Sie stimmen alle im grossen Ganzen überein und wir
können sie daher zusammenfassen.
Eine Abweichung von Jordanes fällt sogleich ins Auge: die weibliche
Hauptperson heisst nicht Sonarhildr, was dem Sunilda des Jordanes ent-
spräche, sondern mit einem weit gebräuchlicheren Namen Svanhildr. Svan-
hild soll die Tochter des Sigurd und der Gudrun, also unseres Siegfried
und unserer Krierahild sein, doch ist diese Herkunft lediglich nordische
Erfindung, von der man anderwärts ebensowenig weiss, als davon, dass
Kriemhild ausser Siegfried und Etzel noch einen dritten Gemahl, den
Jonakr, seinem Namen nach (vgl. slaw. jonakü, junakii Jung") einen
Slaven, gehabt habe. Strebte man aber durch Svanhild die Nibelungen-
tmd Ermenrichssage zu verbinden, so ist sehr wahrscheinlich, dass sie in
eine von ihnen bereits hinein gehörte und der Sunilda des Jordanes ent-
spricht, nur ist der seltene, aber aus der Sage sich erklärende Name in
einen alltäglichen, ähnlich klingenden verändert worden. Ebenso ihre
Stellung. Will man den Jordanes , nicht zu einem kläglichen Stammler
machen, so kann man unmöglich seine Worte: y^dum quandam muUerem
Sunäda nomine . . . pro mariti fraudtdento discessu rew . . . per dicersa dt-
telU praecipisaet^ (§ 129) mit Wilh. Müller in der Mythol. der deutschen
16»
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244 Roedigerr
Heldens. S. 164 so auffassen^ dass sie bestraft vrorden sei, weil sie ihren
Gemahl, der König Ermenrich selber war, verlassen hatte! Sie ist viel-
mehr die Gattin eines uns unbekannten vornehmen Mannes — aber nicht,
wie man unter Hinzunahme einer an sich schon dunkeln BeowulfstöUe be-
hauptet hat, des Becca oder Bikki — , fiir dessen Abfall sie büssen muss.
In der nordischen Überlieferung jedoch ist Svanhild in der That Jormunreks
Gemahlin oder Braut
Sie wächst bei Jonakr auf und bekommt zwei Brüder, den Ham|)ir
und Sprli. Dazu tritt in der Gudrunarhvot und den Prosaerzählungen nodi
ein dritter, Erpr, der aber nach den Hampismal nicht von Gudrun, sondern
einer andern Mutter geboren, also der Stiefbruder jener beiden ist. Mit
der durch Schönheit ausgezeichneten Svanhild will sich der mächtige König
Jormunrekr vermählen. Er schickt zu Jonakr als Werber seinen Sohn
Randver und seinen Ratgeber Bikki. Die Werbung wird angenommen
und die beiden geleiten die Braut heim. Unterwegs rät Bikki dem Randver,
die dem Vater Bestimmte für sich zu gewinnen, da das junge, schöne
Weib für ihn besser passe, als für den alten Gebieter. So geschieht es,
doch zu Haus angelangt verrät Bikki dem König den Betrug. Randverr
wird gehenkt und Svanhild soll von Pferden zertreten werden. Doch als
sie am Boden liegend die Augen aufschlägt, wollen die Hengste sie nicht
treten. Da lässt ihr Bikki einen Sack über den Kopf ziehen und nun
verliert sie ihr Leben.
Als Gudrun vom Tod ihrer Tochter hört, reizt sie ihre Söhne Ham|)ir
und Sorli an, die Schwester zu rächen. Nur ungern willigen sie ein, da
sie ihren Untergang voraussehen. Gudrun stattet sie (nach den beiden
prosaischen Quellen) mit undurchdringlichen Rüstungen aus; nach den
Skaldskaparmal befiehlt sie ihnen auch, den Jormunrek bei Nacht an-
zugreifen, was befolgt wird. Als die Brüder sich auf den Weg gemacht
haben, treffen sie ihren verhassten Halbbruder Erp. Auf Befragen sagt
er ihnen seine Hilfe zu, dennoch kommt es zum Streit und sie erschlagen
ihn. Bei Jormunrek aber fehlt er ihiien, denn sie vermögen zwar dem
Könige Hände und Püsse, aber nicht den Kopf abzuhauen, sodass er, wenn
auch verstümmelt, am Leben bleibt. Sie selbst werden, weil man ihnen
nicht anders beikommen kann, mit Steinen überschüttet und gehen so zu
Grunde.
Der dänische Zweig der nordischen Überlieferung liegt im 8. Buche
des Saxo Grammaticus vor (S. 408 ff. ed. Müller). Seine Erzählung bietet
für die Ermenrichssage im allgemeinen ein paar beachtenswerte Züge dar
— ich meine das Auftauchen der im Norden sonst nicht nachweisbaren
Harlunge, die Erwähnung der prächtigen Burg des Ermenrich oder Jar-
mericus, den Versuch, Biocos Treulosigkeit zu motivieren, was auch der
piärecssaga und der Vorrede zum Heldenbuch notwendig schien — , hat
sie daneben aber, wie es Saxoa Art ist, pliantastisch ausstaffiert, namentlich
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Die Sage von Ermenrieh und Schwanhild. 245
durch eine abenteuerliche Jugendgescbichte des Jarmericus, und willkürlich
umgemodelt Jarmericus ist natürlich in die Reibe der Dänenkönige ge-
steckt, Bicco ist ein livländischer Prinz, Swavilda eine Hellespontierin —
was wohl weiter nichts heissen soll als Tochter eines Seekönigs — und
ihrer Brüder sind nicht zwei oder drei, sondern vier; benannt werden sie
nicht Jarmericus' Sohn, der hier Broderus heisst, wird von Bicco wie in
der pidrecssaga zu Unrecht beschuldigt, entgeht glücklich dem Galgen und
wird seines Vaters' Nachfolger. Die Swavilda wollen auch bei Saxo die
Rosse nicht zertreten, weil sie sich scheuen, ihre schönen Glieder zu ver-
letzen. Der König sieht darin ein Zeichen ihrer Unschuld, aber Bicco
erklärt es für Zauberei und lässt sie aufs Gesicht legen, sodass sie dennoch
zerstampft wird. Bevor die Hellespontier den Jarmericus angreifen, haben
sie in einem Streit um anderwärts gemachte Beute einen grossen Teil
ihrer Leute getötet und können daher nur mit Unterstützung einer Zaubrerin
Gnthruna in Ermenrichs Burg eindringen. Guthruna schlägt Jarmericus
Mannen mit Blindheit, aber Othinus giebt ihnen das Augenlicht zurück
und heisst sie die Hellespontier, die durch Zauber gegen WafiFen gefeit
waren, mit Steinwürfen töten. GuSrun tritt hier noch deutlich genug hervor,
von Erp jedoch haben vrir nur noch einen schwachen Widerschein in den
getöteten Untergebenen der Hellespontier. Ein Eingreifen Odins kennt
auch die Volsungasaga, die es aus einer dunkeln Stelle der von ihr be-
natzten Hampismal erschlossen hat. Gerade ihr ist ja das Auftreten Odins
in bedeutsamen Momenten geläufig.
Im ganzen bestätigt Saxo, was uns in reinerer Gestalt die älteren
nordischen Quellen lehren, nähert sich aber in anderen Punkten der
pidrecssaga. Sie, die sonst für die deutschen Heldensagen unschätzbar ist,
fällt für die unsrige am wenigste» ins Gewicht. Da sie eine der Mitte des
13. Jahrhunderts angehörende Aufzeichnung von Erzählungen deutscher
Kauf leute aus Bremen, Münster und Soest in altnordischer Sprache enthält,
so repräsentiert sie die niederdeutsche Sagenform. Sie zeigt uns Kap. 276 ff.
Erminrik als den mächtigen Oberkönig in Rom, dem der grösste Teil
Europas gehorcht, und als seine rechte Hand seinen Ratgeber Sifca, den
oberdeutschen Sibeche. Er trat aus der ebenfalls mit Ermenrieh ver-
knüpften Harlungensage, in der er eine ganz analoge Rolle spielt, in die
von Schwanhild über und hat Bikki verdrängt. Seine verderbliche Thätig-
keit hat die pidrecssaga gesteigert, indem nicht nur ein, sondern drei
Söhne Erminrics durch seine Ränke umkommen. Sie hat auch, wie ich
schon erwähnte, seine Untreue motiviert, indem er sie aus Rache übt, als
Erminrik seine Gattin geschändet hat Dass diese Begründung eine junge
Weiterbildung der Sage ist, die ihr Entstehen dem Bedürfnis einer Er-
klärung von Sifcas Charakter und Handlungsweise verdankt, liegt auf der
Hand, und man sollte um so weniger Schwanhild — Sunilda zur Gemahlin
des Sifca— Bikki — Becca haben machen wollen. Schwanhild ist vielmehr
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246 Roediger: '
hier ganz verschwunden und Erminriks Sohn, den die Sage Samson nennt,
wie Erminriks Vater, leidet unschuldig. Denn nur um ihn zu verderben
und den Vater auch seines letzten Sohnes zu berauben, klagt Sifca diesem,
Samson habe seiner Tochter Gewalt anthun wollen, und bittet den König,
das zu strafen. Man reitet, als Sifca diese Mitteilung macht, gerade auf
die Jagd. Erminrik sprengt zornig auf seinen Sohn zu, reisst ihn an den
Haaren vom Pferde und des Königs Ross tritt ihn zu Tode. Der Vater
gerät also in äusserste Wut über ein Verbrechen, dessen er sich doch
früher selbst schuldig gemacht hatte — Beweis dafür, dass die Motivierung
von Sifcas Tücke nicht zutreffen und nicht altüberliefert sein kann, wenn
sie auch in der Vorrede des Heldenbuches wiederkehrt. Dass dieser Sohn
aber der echte und ursprünglich einzige ist, verrät die Bemerkung, er sei
zwar der jüngste gewesen, doch hätten sich an ihn die grössten Hoffnungen
geknüpft. Wie sehr die Sage hier zerrüttet, brauche ich im einzelnen
nicht zu erörtern, wie es denn auch selbstverständlich ist, dass der Rachezug
bei dieser Gestalt fortfallen musste. Gerade ihn dagegen und zwar ihn
allein haben uns die Quedlinburger Annalen aus dem Anfang des 11. Jahr-
hunderts noch bewahrt. Sie berichten, dass der Gotenkönig Ermanaricus
von den drei Brüdern Hemidus, Serila und Adaccarus durch Abhauen der
Hände und Füsse getötet worden sei, aber nicht weil er ihre Schwester,
sondern weil er ihren Vater ermordet hatte. Von Schwanhild giebt es
eben im Süden nach Jordanes keine Spur mehr, ausser der verblassten
in der pidrecssaga. Immerhin würde sie beweisen, dass man auch hier
einst die Verführung der Stiefmutter durch den Stiefsohn kannte, wenn
dies nicht schon aus der Erwägung folgte, dass die Nordleute ihre Sagen-
form nur von den Sachsen, Friesen oder Angeln erhalten haben können.
Von Wert ist das Zeugnis für einen dritten Bruder, der dem nordischen
Erp entspricht, den Namen des historischen Odoacer aber natürlich mit
Unrecht trägt. Den wahren kannte der Annalist nicht oder setzte Odoacer
dafür ein, weil ihm, wie andere Stellen seines Werkes lehren, dessen Ver-
hältnis zu Dietrich von Bern oder Theodorich dem Grossen aus der Ge-
schichte und Dietrichs Verbindung mit Ermenrich aus der Sage bekannt
waren. Auch Ermenrichs einzigen Sohn und dass er vor dem Vater ge-
storben, erwähnt er, aber nicht, auf welche Weise er seinen Tod fand.
Er nennt ihn Friedrich, wie auch die süddeutsche Sage durchweg, die
seinen Tod aber nicht mehr mit einem Weibe verknüpft. Die Würzburger
Chronik schreibt die Quedlinburger Annalen aus. Eckehart von Aura be-
nutzt wiederum die Chronik, aber daneben den Jordanes, weshalb er nur
zwei Brüder gelten lässt, den Sarius und Ammius, die das Volk Sarelo
und Hamidiech lieisse. Mit dieser Angabe erlischt die Kunde von der
Rache der Brüder, und doch geben sie allein uns die Möglichkeit, die
mythischen und historischen Bestandteile, welche in dieser wie in jeder
andern Heldensage sich paaren, zu sondern.
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Die Sage von Ernkenrich* und Schwanhild. 24?
Von Tornherein dürfen wir in unsrer Erzählung als historisch nur
in Anspruch nehmen, was Ammian überliefert, also den Tod des kriegerischen
und mächtigen Goteukönigs Ermenrich beim Einbruch der Hunnen, und
zwar den Tod durch Selbstmord. Weshalb letzterer und wie er von der
Tradition ausgeschieden werden konnte, habe ich erörtert. Weiter aber
als bis zu der Wahrscheinlichkeit, dass der König bei seinem Tode nicht
mehr in voller Kraft gestanden habe, vermochte man durch blosse Kom-
bination nicht zu gelangen. Die Gründe seiner Schwäche hätte man ge-
radezu erfinden müssen, wenn nicht ein Mythus, der, wie mehrfach, durch
einen Namen seinen Zusammenhang mit den geschichtlichen Thatsachen
zu beweisen schien, willkommene Hilfe geboten hätte.
Müllenhoff hat in der Zs. f. deutsches Altert. 30, 222 die Vermutung
ausgesprochen, dass der Mythus von Schwanhild und ihren Brüdern eher
dem Gott Irmintiu als dem König Ermenrich angehört habe, und hat dort
an der Sage von den Harlungen, den NeflFen des Ermenrich, gezeigt, dass
sie eigentlich vom Himmelsgott und seinen Söhnen, den Dioskuren handelt,
welche beschuldigt werden, der Gemahlin des Gottes nachgestellt zu haben
imd den gleichen Tod wie Randverr und Broderus erleiden. Die Ver-
wandtschaft mit unserer Sage entging ihm also nicht und er stellt auch
die Frage, ob der Tod des Henkens und die Beschuldigung, die ihn ver-
anlasst, auf Übertragung aus der Harlungensage beruhen könne. Ich hoffe,
zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist, so wenig wie das umgekehrte.
Auf den Ausgangspunkt der Hypothese von der Verknüpfung des
Ermenrich und Irmintiu hat sich Müllenhoff nicht eingelassen, den Beweis
nämlich, dass Irminrich ein Beiname des Tiu, des Tiwaz der Germanen
war. Belegt ist der Name nirgends, aber passend ist er durchaus für
Tiwaz. irmin bedeutet in Zusammensetzungen „erhaben, allumfassend,
ohne gleichen", germ. Ermanartkaz wäre also „ein König über alle und
alles, ein König ohne gleichen". Tiwaz war ein solcher: er war der uralte
Gott des lichten Tages und Himmels, der, bevor ihn Wodan verdrängte,
an der Spitze des Götterstaates stand, der irmingo% wie das Hildebrands-
lied ihn zu nennen scheint, der den Beinamen Irmin trug, der Gott, welchen
der Kern der Germanen nach Tacitus' Germania Kap. 39 als regnator
ornntum d. h. eben JEt^manartkaz, Ermenrich verehrte und dem die Sachsen
eine Irminsul, eine universalis columna nach der Übersetzung des Rudolf
von Fulda, errichtet hatten. Seine Gemahlin als Gottes des alles über-
wölbenden und bedeckenden Himmels war die Erde, als Gottes des lichten
Tages die Sonne. Letzterer muss Svanhild entsprechen, und ihre Schönheit
und leuchtenden Augen heben die nordischen Quellen genugsam hervor.
Ja die eddische SigurSarkvida HI sagt Str. 55 von ihr „Sie wird weisser
»ein als der heitre Tag, Svanhild der Sonnenstrahl". Doch könnten die
leuchtenden Augen ihr als Weisungin angeboren sein und jedes hervor*
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248 Eoediger:
ragend schöne Weib von einem begeisterten Dichter also gepriesen werden.
Deshalb lege ich mehr Gewicht auf folgendes.
Wenn der Gott des Tages sich, um den Gipfel seiner Macht zu er-
reichen, mit der Sonne vermählen will, wird sie ihm nach den indischen
Mythen 'von den ÄQvins zugeführt. Sie sind ein rüstiges und reisiges
Jünglingspaar, angethan mit leuchtenden Rüstungen, die Dioskuren, Söhne
des Dyäus, Zeus oder Tiwaz. Ihnen entsprechen die ebenfalls mit Rüstungen,
und zwar zauberischen, undurchdringlichen, ausgestatteten Brüder der Su-
nilda oder Svanhild Sarus und Ammius. Die Rüstungen sind so charak^
teristisch für sie wie für die A^vins, denn sie heissen danach: Sarus gehört
zu got. Barwa (Plur.) „Bewaffnung, Rüstung^, Ammius statt Hanmiius zu
got. ^kama^ ahd. hämo „Kleid"^, im Namen eines Mannes selbstverständlich
so viel als „Kriegskleid". Gotisch würden die Namen Sarws und Hamjü
lauten, wovon nord. Sprli = ahd. Sarulo^ Quedlinbg. Ann. Serüa^ got. *Sar-
wüa Koseform, nord. Hampir = ahd. Hamideo Hemidio eine Weiterbildung
durch Zusammensetzung ist, die einen jungen Mann im Kriegskleid be-
zeichnet. Die Namen des Jordanes aber sind weder zusammengesetzt noch
aus componierten gekürzt — sonst müssten sie auf -a ausgehen — , und
solche einfachen Namen deuten immer auf mythische Träger. Der dritte
Bruder führt im Norden einen auf die Farbe seiner Haare oder seines
Gesichtes gehenden Namen: JErpr, andd. Erpo, ahd. Erpho (wovon Erpes-
oder Erphesfurt „Erfurt**) ist der braune, dunkle, als welchen ihn auch die
Brüder in den Hampismal bezeichnen. Sie selber sollen nach den Skald-
skaparmal wie alle Nibelunge rabenschwarzes Haar gehabt haben. Erpr
unterscheidet sich also scharf von ihnen. Die beiden echten Brüder hat
man auf das Zwielicht gedeutet und die Erläuterung unsrer Sage wird
diese Zurückführung bestätigen.
Nicht immer walten die A^vinäu treulich ihres Amtes als Brautführer:
es geschieht auch, dass sie die dem Vater bestimmte Braut mit deren Ein-
willigung für sich behalten. Dann straft sie der Himmelsgott mit dem
Tode durch den Strang, der schon zu Tacitus' Zeit den Verrätern und
Überläufern bestimmt war (Germ. 12. J. Grimm, Rechtsaltert, 682 f.).
Er trifft die Dämonen des Zwielichts, wenn der helle Tag anbricht und
die Sonne am Himmel emporsteigt Aber auch die treulose Braut wird
bestraft, nur dass die Rache sie erst am Abend ereilt. Vielmals werden
die Rosse als Wolken gedacht: ich erinnere nur an Odins achtfüssiges graues
Pferd und an die der Valkyrjen, von denen Tau und Hagel auf die Erde
niederfällt. Wenn nun die Abendwolken die Sonne bedecken oder sie in
Streifen aufzulösen scheinen, dann wird Sunilda von den Rossen zertreten
oder zerrissen, dann ist sie die Hild, welche zur Sühne, wie ihr echter
Name besagt (got. *«<j7ia, ahd. suona)^ für ihr Vergehen oder nach Jordanes
das ihres Gemahls {pro mariti fraudtdento discessu) umkommt.
Doch wenn die Sonne untergeht, wird das Zwielicht wieder lebendig
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Die Sage von Ermenrich und Schwanhüd. 249
tmd rächt sich am Tagesgott. Bei Anbruch der Nacht (vgl. die Skaldska-
parmal) überfallen die Brüder ihn und yerstümmeln ihn, finden aber auch
selbst Yon neuem ihren Untergang, sobald die tiefe Finsternis der Nacht
den abendlichen Dämmerschein verdrängt. Unter Steinen müssen sie ge-
wissermassen begraben werden, weil sie als Lichtwesen unverwundbar sind,
und nur das Dunkel ihre Kraft zu brechen vermag. Ebenso wenig können
sie allein dem Tage den Garaus machen: es wäre ihnen nur mit Hilfe
ihres braunen, dunkelen Stiefbruders gelungen, in dem wir einen Dämon
des Dunkels finden dürfen. Dass er schon in der ursprünglichen Form
des Mythus die helleren Brüder ergänzte, nicht etwa erst ein nordischer
Zusatz ist, wird dadurch bewiesen, dass auch die südgermanischen Qued-
linburger Annalen einen dritten Bruder kennen. Er wird einst als Sohn
des Tages und der Nacht aufgefasst worden sein.
Dieser alte Dioskurenmythus, der den Tod des himmlichen Ermanarikaz
darstellte, wurde an den historischen Airmanareiks geknüpft, um sein un-
begreifliches Ende zu erklären. Bei dieser Yermenschlichung des Mythus
aber mussten sich notwendig einige Änderungen einstellen.
Unmöglich wurden die Brüder, die beide in Eintracht um dasselbe
Weib sich bewerben: sie mussten zu einem Sohne des Königs zusammen-
schwinden. Dass dieser eine Neuschöpfung, sieht man noch daraus, dass
sein Name in jeder Gruppe von Überlieferungen ein anderer ist. Nur in
dem norwegisch - isländischen Randver, dem „Mann mit dem Schilde"
könnte noch allenfalls eine Erinnerung an den gerüsteten Dioskuren auf-
tauchen. Dieser Sohn findet seinen Tod gleich den beiden im Mythus;
weil aber die Verwandtenrache für den Mord des Weibes nach germanischer
Anschauung nicht fehlen durfte, treten bei ihr die Dioskuren als angebliche
Brüder der Getöteten wieder hervor. Der schlimme Ratgeber in der nor-
dischen Gestalt der Sage verkörpert die bösen Gedanken des Sohnes, ent-
lehnt jedoch ist er jener Anschauung von Ermenrich, die in ihm <len
grausamen, treulosen, habgierigen Tyrannen erblickte : für diese schlimmen
Eigenschaften war Bikki das lebendige Bild. Sein Name hat die Form
einer kosenden Bezeichnung; erklärt ist er noch nicht.
Habe ich mit meiner Deutung der Sage recht, so ergiebt sich, dass
sie uns bei Jordanes in unvollkommener Gestalt vorliegt. Von dem Sohn
ist keine Bede, Sunilda ist nicht Gemahlin des Hermanaricus, sondern
eines andern, ohne Zweifel vornehmen und bedeutenden Mannes, auf dessen
Beistand der König in seiner bedrängten Lage grosse Hoffnungen gesetzt
hatte. Die schreckliche Strafe an seinem zurückgelassenen Weibe spricht
hierfür, bezeugt vielleicht auch, dass Hermanaricus sie für mitschuldig er-
achtete, da sie ja aus der — noch unerklärten — Rosomonoi^um gens infida
stammte. Wir könnten in der Erzählung des Jordanes einen zwar nicht
mehr historischen, aber der Geschichte doch noch einigermassen nahe
liegendoi Bericht erblicken, wenn nicht gerade die Namen der drei Ge-
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250 Nehring:
schwister schon ihrer Bildung nacii mythische waren. Die Worte des
Jordanes so zu pressen, dass man in dem Verräter des Königs Sohn, in
seiner Gemahlin die dem König entzogene Braut finden wollte, empfiehlt
sich gewiss nicht. Lieber nehme ich an, dass durch Jordanes oder schon
durch seine Quelle Cassiodorius die Yolkssage verunstaltet ward.
Berlin.
Die ethnographischen Arbeiten der Slaven,
vornehmlich Oskar Kolbergs.
Von Wl. Nehring.
I. Was man heutzutage Volkskunde im engeren Sinne nennt, ist bei
den Slaven sehr alt; so weit man die wissenschaftliche Litteratur darüber
übersehen kann, gehören slavische Gelehrte zu den ersten, welche über
Erscheinungen des heimischen Volkswesens und Volksgeistes schrieben. In
Kussland wurden Sammlungen von Volksliedern und Volkssitten schon im
vorigen Jahrhundert besorgt; die mächtigste Anregung zu ähnlichen Sanun-
lungen und Studien des eigenen Volkes in Wort und Brauch brachte bei
den anderen Slaven die Bewegung am Ende des vorigen und im Anfange
des gegenwärtigen Jahrhunderts, welche slavische Kritiker mit Wieder-
geburt, Wiedererwachen des nationalen Geistes bezeichnen. Bei der Zer*
splitterung der slavischen Völker und Stämme und bei den verschieden
gearteten politischen Verhältnissen derselben ist es selbstverständlich, dasa
der Gewinn der ethnographischen und ethnologischen Arbeiten der Ge-
lehrten verschiedener slavischer Volkszweige ein durchaus verschiedener
war, je nach den wesentlich oder zufällig abweichenden günstigen oder
ungünstigen Bedingungen; eines aber kann behauptet werden, dass die
Bestrebungen der slavischen Forscher auf dem Gebiete der Volkskunde
bei den verschiedenen slavischen Völkern, mit geringen sehr günstigen
Ausnahmen, sich mehr unabhängig von den gleichen Bestrebungen bei
anderen Völkern und unter Umständen planlos entwickelten, ohne doch
hinter diesen weit zurücksfübleiben : das weite Gebiet mit seinen ver»
schiedenen Zielen der Altertumskunde, des Studiums des Volkstums und
der Förderung des Nationalbewusstseins überhaupt bot Baum zu den ver-
schiedensten Arbeiten.
Wenn ich es nun unternehme, diesen Bestrebungen in einer gewis^ieLU
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 251
Übereinstimmung mit den Gesichtspunkten dieser Zeitschrift zusammen-
zustellen, so geschieht es, da das ganze weitschichtige, vielsprachliche und
sehr zerstreute Material selbst in den bevorzugten wissenschaftlichen
Centren in Russland kaum zugänglich ist, mit dem ausdrücklichen Vor-
behalt, dass die hier gegebene Übersicht gewiss nicht erschöpfend sein
kann; die Vollständigkeit liegt auch schon wegen der Reichhaltigkeit des
Stoffes nicht in der Absicht des Unterzeichneten (die anthropologische
Seite musste unberücksichtigt bleiben); ich wünsche vielmehr zu zeigen,
dass das Interesse für slavische Volkskunde bei den Slaven sehr alt ist,
dass dieses Interesse von den besten und vornehmsten Forschem bekundet
und dass auf diesem Gebiete von slavischen Schriftstellern schon Bedeutendes
geleistet worden ist; spätere Ergänzungen können dieses Bild im Einzelnen
TervoUständigen.
In Russland trugen die politischen Verhältnisse seit jeher dazu bei,
die Eigenart des Volkes zu erhalten und die Aufmerksamkeit auf dieselbe
ununterbrochen zu lenken: zunächst der Gegensatz gegen die benachbarten
Lateiner, sodann die kirchlichen, vornehmlich aber politischen von Peter
dem Grossen ausgehenden Reformbestrebungen, welche die Altgläubigen
und die Altrussen an dem Überlieferten starr festhalten Hessen, schliesslich
die vielen Bestrebungen um die Wahrung des Russentums gegen das
Abendländische und um die Befreiung des Volkes von der mittelalterlichen
Unfreiheit und Leibeigenschaft, welche selbst in unsere Zeiten hinein-
ragen; bekanntlich haben die lokalen statistischen Comites zur Entscheidung
der Emanzipationsfrage viel statistisches und ethnographisches Material
gesammelt, welches auch wiederholt bearbeitet wurde. Der Mittelpunkt
dieser Strömungen, zum Teil gegen die in Petersburg sich geltend machende
Hinneigung zur fremdländischen Kultur war seit dem vorigen Jahrhundert
Moskau: hier bildete sich, schon zu Katharinas IL Zeiten, ein Verein zur
Aufklärung des Volkes durch Herausgabe von Volksbüchern u. s. w.;
hier bildeten sich später Vereine zum Studium der russischen Altertümer
und des nationalen altererbten Volksgutes, wie z. B. die mit der Universität
verbundene Gesellschaft der Freunde russischer Geschichte und russischer
Altertümer (seit 1846), ein Verein der Freunde der Volkslitteratur, ferner
der Gräflich Uvarovsche Altertumsverein; später entstand der Verein für
Natorwissenschaften, Anthropologie und Ethnographie; hier wirkten Ka-
Iajdovi6, Kireevskij, Bodjanskij und andere Altertumsforscher; hier
regten sich die ersten Keime der Bestrebungen der Slavophilen und Pan-
slayisten. Aber auch Petersburg folgte dem gegebenen Antriebe, und
überall fanden die auf das Sammeln und Studium der Altertümer und der
Volkskunde gerichteten Bestrebungen das grösste Entgegenkommen der
Regierung, besonders seit der Regierung Alexanders 11. In Petersburg
entstand in den 60 er Jahren die mit grossartigen Mitteln ausgestattete
Geographische Gesellschaft, deren ethnographische Abteilung für ein ein-
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252 Nehring:
gehendes Studium des Volkswesens von Anfang an in überaus erfolgreicher
Weise thätig ist, sowohl durch systematisch an Ort und Stelle von Be-
auftragten und Expeditionen unternommene Forschungen als auch, durch
Förderung von Einzelarbeiten; eine besondere Abteilung wurde mit der
Erforschung der südwestrussischen Landesteile beauftragt und war seit jeher
sehr thätig; eine besondere Abteilung hat ihren Sitz in Kiew und ver-
öffentlicht seit 1873 wertvolles Material; eine andere Kommission in Wilna
für die ethnographische Erforschung Weissrusslands war schon seit den
60 er Jahren thätig. In Moskau wurde eine Gesellschaft der Freunde der
Naturwissenschaften, der Anthropologie und Ethnographie mit drei Ab-
teilungen begründet, von denen die zwei letzt genannten die russische
Volkskunde durch hervorragende Veröffentlichungen förderten. Ausserdem
war bei jeder Gubernialregierung seit vielen Jahrzehnten eine statistische
Abteilung thätig, Materialien für Statistik, Altertümer und Volkskunde zu
sammeln und zu veröffentlichen. Zahlreiche Gelehrte lieferten auch ausser-
halb der genannten Vereine schätzenswerte Beiträge zum Studium des
russischen Volkswesens; die verschiedenen Veröffentlichungen fanden im
Lande rasche Verbreitung und das Publikum wendete den Ergebnissen
derselben, wenn auch nicht allgemein, ihre Gunst und ihr Interesse zu. —
Ein gewisser Teil des reichhaltigen ethnographischen Materials ist von
Ausländern geliefert worden. Das russische Volk ist nämlich seit früher
Zeit Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit von Fremden gewesen nach
der Seite seines Glaubens, seines Aberglaubens und seiner Sitten: seit
He rb er Steins Rerum Moscovitarum commentarii von 1517 und 1525, heraus-
gegeben 1549, bis zu solchen Büchern, wie Barrys Russia und Ivan at
home in unserer Zeit, zieht sich eine Reihe von schätzenswerten Be-
richten Fremder über Russland und die Russen, wie Olearius 1647,
Beauplan u. a., deren Zahl durch die Aufzählung in Bestu^evs Russischer
Geschichte in dem Abschnitt „Skazanija inostrancev" nicht erschöpft ist.
In Serbien wandte man sich ebenfalls sehr früh und zwar infolge
der Befreiungskriege dem Studium des Volkswesens, vornehmlich der
Hebung des Schatzes des Volksgeistes in Wort und Sitte zu. Die ersten
Publikationen der serbischen Volkslieder (die erste vom Jahre 1814), der
Sitten, Gebräuche u. s.w. des serbischen Volkes von Vuk Stephanovic
KaradiSic, welche in Europa, vornehmlich in Deutschland, unter anderen
von J. Grimm mit unbedingtem Beifall und mit Bewunderung aufgenommen
wurden, lenkten auf die eigenartigen, im serbischen Volksmunde und Volks-
leben seit Jahrhunderten erhaltenen Schätze die Aufmerksamkeit der
Serben selbst und regten zahlreiche, dem Beispiele Vuk s folgende Sammler
und Forscher an, die schätzbares, indess noch nicht zum Absohluss gelangtes
Material lieferten und wissenschaftlich beleuchteten, um so schätzbarer, da
mit Ausnahme der Belgrader Gelehrten - Gesellschaft und der Agramer
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Die ethnographischi^n Arbeiten der Slaven. 253
Akademie der Wissenschaften die mähe- und Verdienstvollen Arbeiten von
oben wenig unterstützt wurden.
Auch in Böhmen und in der Slovakei ist das Studium der heimischen
and slavischen Volkskunde sehr alt. Die ersten Bestrebungen in dieser
Richtung gingen zum Teil von Männern aus, deren Wiege in der Slovakei
gestanden hatte. Der wissenschaftliche Trieb, zunächst zur Altertums-
forschung, wurde in Böhmen von dem bekannten, ebenfalls in Ungarn ge-
borenen Slavisten Dobrovsky angeregt und teilte sich dann, wie Scheide-
münze, weiteren gelehrten und nicht gelehrten Kreisen mit, die das Sammeln
sich angelegen sein Hessen und unter denen Namen sich befanden, wie
Hanka, Jungmann, Safaf ik u. a. Noch zur Zeit Dobrovsk^s (f 1829),
mehr noch in den dreissiger Jahren war Prag thatsächlich der Mittelpunkt
der slavischen Wissenschaft. Hier erschienen die bedeutendsten Werke,
betr. Geschichte und Altertümer Böhmens und der Slaven überhaupt:
hierher wanderten junge russische, polnische und kroatische Gelehrte und
trugen die im Verkehr mit Öafal-ik, Hanka, Palaeky u. a. gewonnene
Liebe zu den slavischen Altertümern in ihre Heimat zurück, um dort
Sinn und Interesse für das Volk und das Volkstum zu wecken und zu steigern,
denn das Interesse für das Volk, seine Vergangenheit, seine Sagen,
Sitten u. s. w. stellte sich damals in den Dienst der slavischen Altertümer.
Auch von Seiten der Obrigkeit wurde schon sehr früh Interesse für das
Volkstum bethätigt: wir erfahren jetzt, dass gegen 1820 die Kreisbehörden
in Böhmen und Mähren amtlich aufgefordert wurden, für die Sammlung
von VolksliedeiTi zu sorgen.
Auch in Polen ist das wissenschaftliche Interesse für heimische und
slavische Volkskunde sehr alt: der bekannte H. Kollontaj (KoUqtaj)
machte schon 1802 auf die Notwendigkeit aufmerksam, das Volk in seiner
physischen Erscheinung, seiner Sprache, Tracht, Sitte u. s. w. zu studieren :
der Dichter Woronicz lenkte gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf die
Volkspoesie; in den Jahren 1814 und den folgenden durchwanderte Zorjan
Ohodakowski, ausgestattet mit ansehnlichen russischen Regierungsfonds,
die polnisch-russischen Länder und sammelte Volkslieder, besuchte sagen-
umsponnene Erdaufschüttungen, ohne die Herausgabe seiner umfassenden
Materialien zu erleben. Das von ihm gegebene Beispiel fand begeisterte
Nachahmung, besonders Wojcickis und Gol^biowskis; seit 1830 war
ftlr die polnische Volkskunde der Weg geöffnet.
Auch bei den anderen slavischen Völkern fand sich schon früh In-
teresse und Liebe für das Studium des Volkstums, wenn auch mehr ver-
einzelt
n. Der Hauptanteil an den slavisch-ethnographischen Studien fällt
den Russen zu. Bei ihnen sind die frühesten und zahlreichsten Arbeiten
zu verzeichnen. Volkslieder wurden schon in der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts gesammelt; eine Sammlung von Culkov, freilich auch mit Liedern
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254 • Nehring:
aus beliebten Opern, ist 1770^ sodann im vorigen Jahrhundert noch zwei
Mal erschienen.
Die Zahl der in demselben Jahrhundert erschienenen Lieder-
sammlungen ist ziemlich bedeutend, auch die sonstigen auf die tradi-
tionelle Volkslitteratur bezüglichen Arbeiten vor 1800 sind nicht un-
bedeutend: hier seien vor allem ältere und neuere genannt, die allgemeiner
Natur sind und teils auf mehrere Teile der russischen Volkskunde, teils
auf andere slavische Völker sich beziehen. Obenan stehen die Arbeiten
der schon erwähnten Petersburger Geographischen Gesellschaft mit ihren
Abteilungen, vornehmlich mit der ethnographischen Abteilung, welche seit
1867 Zapiski (Denkschriften) der geographischen Gesellschaft herausgiebt,
mit Arbeiten von Lamanskij, Majkov, Saveliev, 0. Miller, Hilte-
brandt u. a. Die seit dem Jahre 1860 geplante Expedition nach Südwest*
russland zur Erforschung des kleinrussischen Volkes kam unter Hiltebrajadt,
Cubinskij u. a. erst 1870 zu Stande und veröffentlichte seit 1872 ihre
zum Teil grundlegenden Arbeiten in Trudy etnografiöesko-statistiöeskoj
expedicii v jugüozapadnom krae. Eine Abteilung für Weissrussland gab
schon seit 1853—1864 Etnograficeskij Sbomik (Ethn. Sanmil.) heraus; eine
besondere Abteilung mit dem Sitz in Kiew giebt seit 1873 heraus Zapiaki
ju^uozapadnago otdela imper. russkago geografiöeskago obsöestva (Denk-
schriften der südwestl. Abteilung der Geogr. Gesellsch., von Öubinskij,
Dragomanov, Kupöanko u. a.). Die Moskauer Gesellschaft für Natur-
wissenschaften, Anthropologie und Ethnographie, insbesondere die letzte
Abteilung veröffentlicht Trudy etnografi($eskago otdela (Arbeiten der ethn.
Abteilung u. s. w.) mit Beiträgen von Vs^v. Miller, Janöuk, Anuöin u. a.;
ihr Organ ist seit 1889 die Zeitschrift Etnogr. obozrenije unter der Re-
daktion von Janöuk. Die in Moskau in dem Kumjancovscheu Museum
befindlichen ethnographischen Sammlungen, darunter die stattliche Keihe
von ethnographischen Darstellungen in Wachsfigurengruppen von Vertretern
verschiedener Kussland und die slavische Welt bewohnender Stamme in
ihren heimischen Trachten, ihren Wohnungen, ihrer häuslichen Geschäftig-
keit u. s. w. hat Prof. Vsev. Miller (Direktor des Museums) beschrieben
in Sistematideskoe opisanie kollekcii Daskovskago etnografiöeskago Muzea,
Mosk. 1887; es ist nur sehr zu bedauern, dass dieses gelungene ethno-
graphische Mannekin-Museum nicht durch Abbildungen bekannt gemacht
wird. Derselbe Gelehrte giebt seit 1885 heraus periodisch wiederkehrende
Sammlungen für russische Ethnographie (Sbomik materialov-po etnografii
izdavaemyj pri Daskovym Muzee), wo neben nicht russischen Stämmen
auch mitunter russische und slavische berücksichtigt wurden, z. B. in Bd. L
in der Arbeit über das Eherecht der Bulgaren, Hocbzeitsgebräuche der-
selben u. 8. w. Beiträge zur russischen und slavischen Volkskunde bringen
die Schriften der Petersburger Akademie der Wissenschaft (11. Abteilung),
die Zeitschrift des Aufklärungsmini steriums (^urnal ministerstva narodnago
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 256
pro6ye§6enija) DreTnosti (Altertümer) des üvarovschen Vereins in
Moskau u. a.; ausserdem berücksichtigen die statistischen Comites bei den
Gnbemialregierungen in ihren Yeröffentlichungen auch sorgföltig die ethno^
graphischen Verhältnisse. — Den gesamten Niederschlag der poetischen
Naturanschauungen der Slaven in Liedern, Märchen, Sprüchwörtem u. s. w.
verwertete Afanasiev in Poetideskija vozzrenija Slavjan na prirodu
3 Bde. M. 1869, trotz aller Mängel doch wertvoll; ebenso O. Miller die
Anschauungen und Kundgebungen des russischen Volkes in Opyt istorid.
obozrenija russkoj narodnoj slovesnosti, Mosk. 1866, wozu eine Chrestomathie
gehört; in anderer Weise TereSßenko in Byt naroda Vusskago 7 Bde.
1848. Vor allem verdient an dieser Stelle genannt zu werden die ältere
Arbeit von Sacharov Skazanija russkago naroda 1840, welche zu zwei
grösseren Bänden gediehen ist und Sitteuschilderungen, Feste, Lieder,
Sprüchwirter u. s. w. enthält. — Über slavische oder russische Volkspoesie
haben geschrieben ausser Bodjauskij (O narodnoj poezii slavjanskich
pleroen M. 1837), L. 8tur(0 nar. pisn. i pov. slov. Prag 1853), Kostomarov
(Ob istor. znacenii russkoj nar. poezii. Chark. 1843, später 1871), ausser
Vsev. Miller u. a. in Uvarov's Drevnosti, vornehmlich Jagic in Gradja
(Materialien) za istorijn slovinske narodne poezije 1876 (Rad jugoslav.
Akademie Bd. XXXVTI). In einer Abhandlung über die Erwähnung und
Bedeutung des Flussnamens Dunaj in den slavischen Volksliedern (Archiv
f. slav. Philol. I) verwertet derselbe Gelehrte den gesamten Liederschatz. In
früherer Zeit hat Buslaev in Istoriöeskie oßerki russkoj nar. slovesnosti i
iskustva M. 1861 sich über die traditionelle Volkslitteratur geäussert; ausser-
dem hat Chalanskij im Warschauer Russkij filologiceskij vestnik (seit 1871)
Stadien über russische und serbische Volkslieder geschrieben *). Auf
Überlieferungen aller Völker beruht die Abhandlung von Sumcov (in
Änm. minister, nar. prosv. 1880. Novbr.) slavjanskich narodnych
vozzrenijach na novoro2dennago rebenka (Volksanschauungen über ein neu-
geborenes Kind). Über die Aufgaben der russischen Ethnographie haben
gehandelt Pypin 1885 (in Vestn. Evropy) und Anuöin in der Mosk.
ethnog. Ztschr. Etnog. obozr. Bd. I. 1889. Ein wertvoller Festkalender
ist das Buch von Hanu§ Bajeslovn^ Kalendär slovansky Prag 1860.
So wie das Interesse für Volkspoesie in Russland sehr früh erwacht
ist, so ist die darauf bezügliche Litteratur auch sehr reich. Die Samm-
lungen sind sehr zahlreich: im Jahre 1838 zählte Sacharov deren 126;
die Zahl derselben, welche freilich alle erreichbaren russischen Lieder
um&ssen, mit oder ohne Musik, zum Singen bestimmt oder nicht, volks-
tümlich oder nur beliebt und verbreitet, ist seitdem sehr gewachsen; hier
■ollen nur die bekanntesten Sammlungen genannt werden. Der Sammlung
von Öulkov von 1770 folgte die reichhaltige (einige 2000 zum Teil aus
1) Die Schrift Laboulayes: Chansons popul. des Slaves, Par. 1864 ist mir nicht
bekannt.
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256 Nfhring:
Culk. abgeschriebene Lieder, meist auch beliebte Opern- und sonstige
Arien enthaltende) Sammlung^ von Novikov 1780 und 1871, darunter auch
etwa 300 Volkslieder; wenige Jahre später (1790) erschien in St Peters-
burg eine Sammlung beliebter volkstümlicher Lieder (Molodöik s molodkoja)
und andere, z. B. von Pratsch 1790, von Strachov (Hochzeitslieder)
1835. Mit dem Jahre 1804 beginnt die Veröffentlichung der russischen
epischen Lieder, byliny, deren Hauptgruppe die byliny des Wladimirschen
Cyclus sind. Im genannten Jahre erschien nämlich die später unter dem
(falschen) Namen KirSa Danilov bekannte Sammlung Drevnija russkija
atichotvorenija, unter welcher sich alte (die Sammlung geht in die Mitte des
XVni. Jahrhunderts zurück) Lieder und byliny von den Haupthelden der
Wladimirschen Tafelrunde befinden; die Sammlung ist 1818 von Ka-
lajdovic von neuem herausgegeben worden. In der Regierungszeit
Alexanders II. erschienen die umfassenden Sammlungen der byliny; zu-
nächst die des bekannten Mosk. Gelehrten Eireevskij, ausser bis dahin
gedruckten viele neu gesammelte enthaltend, seit 1860 in einzelnen Heften,
besorgt von Bezsouov, mit vielen Erläuterungen und Bemerkungen (2. Ausg.
1868 ff.). Ferner erschien gleichzeitig die Sammlung von Rybnikov
(Pesni sobrannyja Rybnikovym), meist epische aus dem Gouvem. Olonec
in 4 Teilen 1861—67; zuletzt die des bekannten Altertumsforschers Hil-
ferding One^skija byliny 1873. — Die bekanntesten und wichtigsten
Sammlungen grossrussischer, vornehmlich lyrischer Volkslieder sind ausser
den von Kalajdovic (1818), Sacharov, Kireevskij und Rybnikov ver-
öffentlichten die von Öein, Russkija narodnyja pesni I. M. 1870 und
Melgunov Russkija pesni neposredstvenno s golosov naroda u. s. w. mit
Erklärungen M. 1879. Ausserdem verdient genannt zu werden die Samm-
lung von Daniil Kasin, Russkija nar. pesni sobr. i izdannyja dlja penij
i fortepiano M. 1833—34, wegen der Melodien von grossem Wert. —
Geistliche Volkslieder sammelten Kireevsky 1848, sodann V. Varencoy
(Sbornik russkich duchovnych stichov) Pet. 1860, Jakuskin (Russkija
pesni iz sobranija JakuSkina) P. 1860, Bezsonov (Kaleki perechoÄie,
wandernde Bettler) in 6 Heften 1861—64 und Barsov (Duchovnye stichi
geistliche Verse) in Bd. IV der Zapiski der geogr. Gesellschaft. 1871. Die
folgenden Sammlungen bieten einen irgendwie beschränkten Kreis von
Liedern: Golovackij, Svadebnyja pesni (Hochzeitslieder) in den Mosk.
Ötenija 1864, Barsov, Pricitanija (Totenklagen) sevemago kraja 1882 — 85,
Eochanovskaja, Bojarskija pesni, Earencov, Sbornik Samarskago kraja
•1862, Mo^arovskij, Svjatocnyja pesni, igry i gadanija Kazaüskoj gubemii
Kaz. 1873, Chalanskij, Lieder aus dem Gouvem. Kursk, Ömutov ans
Belozersk in Russkij filol. vestn. II, ebenso Lieder aus dem Perm'schep
Gouvernement.
Die wissenschaftliche Bearbeitung des reichhaltigen Liederschatzes hat,
obgleich mehr in den Anfängen begriifen, schon erfreuliche Resultate ge-
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 257
zeitigt Selbstverständlich sind die Heldenlieder (byliny) nach Inhalt,
Form und ihrem Ursprung Gegenstand eingehender Forschungen ge-
wesen. Genannt sind schon die allgemeinen Arbeiten Yon Buslaey und
Jagi6 Gradja, wo das hohe Alter der byliny wahrscheinlich gemacht
wird; erwähnt ist auch schon Bezsonov als Interpret der von Kireevskij
gesammelten Lieder. Der Erforschung der byliny widmeten eingehende
Studien vor allem V. Stasov und Or. Miller, von denen der erste in der
Abhandlung: proizchoÄdenij russkich bylin (Vestnik Evropy 1868) zu
zeigen suchte, dass die byliny in den natürlichen Verhältnissen, in dem
Verhalten der Helden und ihrem Leben u. s. w. ein matter Abklatsch
asiatischer, meist mongolischer Märchen, Lieder und Erzählungen seien,
der andere aber im Gegensatz dazu in seinem ausführlichen (über 800 Seiten)
Werke Dja Muromec 1869 durch weitschichtige Vergleichungen den my-
thischen Ursprung und Kern zu beweisen suchte. Keine dieser Ansichten
fand bleibende Anerkennung, vielmehr machte sich die Forschung zur
Aufgabe, dem Ursprung der byliny auf historischem und vergleichendem
Wege nachzugehen: schon 1863 erschien Majkovs bylinach Vladim.
cykla, wo die historischen Bestandteile ermittelt werden, ferner zeigte
Jagic im Arch. f. slav. Phil. I, dass in den byliny in christlicher Zeit her-
gewanderte Motive die dichtende Phantasie des Volkes beeinflusst haben,
der Akademiker A. Weselovsky zeigte in einer Reihe von Abhandlungen
(im Arch. f. slav. Phil., in 2um. min., in Zap. Akad. u. s. w.), dass die
Beziehungen zu den byzantinischen und südslavisehen Überlieferungen auf
die Entstehung der byliny in Südrussland führen; femer beschäftigten sich
mit den byliny Majkov „Nochmals über Zaone^er byliny" in Buss. fil.
vest. XIV, Chalanskij ebenda, Kvaänin-Samarin schrieb über die
Sammlung von Hilferding in Buss. vest. Bd. 113. Mit den Studien über
byliny hängt auch zusammen die vergleichende Arbeit von Sozonovic
über die Heldin-Frau: Pesni o devuäke-voine i byliny o Stavre GodinoviÖe
(Warsch. 1880). Es fehlt auch nicht an Einzelforschungen über andere
Helden der älteren byliny, so Da§kevi6 Byliny ob Ale§e Popovice, Kiev
1883, mit einem eingehenden Nachweis des geschichtlichen Kerns und der
Wanderung desselben von Rostov nach Moskau, und Damberg, Versuch
einer Geschichte der russischen Dja-Sage, Helsingfors 1887 (deutsch). In
fremden Sprachen handeln über die byliny ausser der soeben genannten
Dissertation, ausser Bistrom in Zeitschrift für Völkerpsychologie, Bd. VI,
vor allem W. Wollner, Untersuchungen über die Volksepik der Russen,
1879, Rambaud, La Russie epique, 1876, und Ralston, welcher in den
Songs of the russian people, 1872, den ganzen Liederschatz des russischen
Volkes mit vieler Sachkenntnis bespricht. — Über die geistlichen
Lieder hat vor allem A. Weselowskij in Razyskanija v oblasti duchov-
nych stichov, über wandernde Bettler in Vest. Evropy, 1872, No. 4, vor-
nehmlich über Barsovs Klagelieder, in Russ. Revue HI gehandelt; über
Zeltschrift d. Vereins f. Voliukunde. 1891. X7
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258 Nehrmg:
wandernde Pilger siehe Sreznevskij Zapiski der Akademie, 1862. Die
vielgestaltigen und weitverbreiteten Volkslieder von dem Land und Wege
Russlands säubernden und sichernden Egorij Chrabryj im Vergleich mit
St. Georg hat Kirpicnikov in systematischer und erschöpfender Weise
behandelt (Sv. Georgij i Egorij Chrabryj Pet. 1879); Chalanskij hat
nach dem Vorgange von Kostomarov den Charakter der klein- und gross-
russischen Volkspoesie verglichen (Russ. fil. vest HL, vgl. Arch. I, 324).
Der überaus grosse Reichtum der kleinrussischen Volkslieder (in
Südrussland, Galizien und in Nordostungam) wurde seit dem dritten Jahr-
zehnt unseres Jahrhunderts fleissig gesammelt und auch mit vieler Vor-
liebe behandelt. Nachdem der Fürst Certelev schon 1819 in seinem
Opyt sobranija starinnych malorusskich pesen auf kleinrussische alte Lieder
aufmerksam gemacht hatte, gab der bekannte Litteraturhistoriker und
Ethnograph Maksimovic in seinen jungen Jahren 1827 eine Lieder-
sammlung heraus, später 1834 in vermehrter Auflage und mit einem Com-
mentar, welche dann 1849 zu dem bekannten Sboniik ukrainskich pesen
erweitert wurde. Li jener Zeit erschien auch die Sammlung von Waclaw
z Oleska (eigentlich Zaleski) Piesni ruskie w Galicyi 1833 und die
Zaporo^skaja Starina von dem bekannten Slavisten Sreznevskij mit
historisch und inhaltlich erklärten dumy (kleinruss. histor. epische Lieder).
Diese Sammlimgen wurden ihrem Wert nach übertroffen nur durch die
von Metlinskij Narod. ju2norusskija pesni K. 1854. Es folgten dann
noch Sammlungen von Kulis 1856 — 57 (siehe unten), von Mordovcev
1856 (aus Saratov), Kostomarov 1862 und Artemovskij, Narod.
ukrainskija pesni K. 1868; in jener Zeit ist auch die Sammlung von klein-
russischen Liedern, Sprichwörtern u. s. w. von Zakrevskij erschienen 1860
bis 1861 in 3 Teilen (Starovetskij bandurista, malor. pesni, poslov. zagad-
ki etc.). Mit dem Anfange der 70 er Jahre, seit der Begründung der Kiever
Abteilung und seit der Expedition der Geograph. Gesellschaft nach den
südwestrussischen Ländern beginnt eine rege Thätigkeit auf dem Gebiete
der kleiurussischen Volkskunde: Lisenko Zbomik ukrainskich pisen 1872 f.;
Öubinskij veröffentlichte in Trudy 1874 (siehe oben) die reichhaltige
Liedersammlung Pesni Ijubovnyja, semejnyja, bytovyja i Sutocnyja, Kupcanko
Pesni Bukovinskago naroda, gesammelt von Kupcanko, herausgegeben
von A. Lonacevskij in Zapiski (siehe oben) 1875, Rudcauko öumackija
narod. pesni (Lieder der ukrain. Fährleute) 1874, femer J. Th. Golovackij
Narod. pesni, 3 Teile, 1878 ff. (nicht in den Zap.), Dumy i pesni ispolnjae-
myja Verezaem (Zap. I); über diesen blinden kobzar (Volkssänger) Verezaj,
der ukrain. dumy und andere Lieder auch in Petersburg im Kreise von
Freunden der Volkskunde vortrug, schrieb Russe v eine Abhandlung, Kiev
1874 (vgl. Lisenko 8 Schrift über die musikalischen Eigentümlichkeiten
der dumy und Lieder von Ostap Verezaj). Zuletzt ist zu erwähnen Jancuks
Malorusskaja svad'ba v Kornickom prichode Sedleckoj gubemii (Hochzeit
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Die ethnographischen Arbeiten der Slayen. 259
in der Pfarrgemeinde Komik u. s. w.) M. 1 884, mit von Melodien be-
gleiteten Liedern; vor allem verdient Beachtung das Werk von Antonovic
und Dragomanov Istoriceskija pesni malorusskago naroda, 2 Bde., K.
1874 — 75, mit sehr eingehenden historischen und kritischen Erklärungen.
Lieder der ungarischen Russinen veröffentlichte De Vollan, Ugorskija
narod. pesni Pet. 1885 (mit einer ethnographischen Karte), in Zapiski etn. XIII.
Über den Charakter der südrussischen Volkspoesie im Allgemeinen
hat sich Kostom arov wiederholt ausgesprochen, so in Vestn. Evropy
1872, vornehmlich aber in dem Buche Istoricoskoe znacenie juzuorusskagö
narodn. pesennago tvorcestva; Dragomanov schrieb in Zapiski U von dem
Wiederhall der ritterlichen Poesie und die politischen ukrainischen Lieder
von 1764—1880 (Novi ukrain^ki pisni pro groniadni spravi, Genf, 1881).
Die Arbeit Ja§curcinskijs Malorusskija svadebnyja pesni (Kleinrussische
llochzeitslieder) in Kussk. fil. vestn. lU berührt einen der wichtigsten
Punkte des ukrainischen Volkstums, vor allem aber sind zu nennen die
ausführlichen Abhandlungen Potebnjas über eine Reihe von Gruppen
kleinrussischer Lieder und deren Motive, insbesondere die über Bilder
and Vergleiche (ib. VEI ff.) und die vergleichend gehaltene Abhandlung
über Weihnachtslieder (Koljadki i scedrovki) in derselben Zeitschrift
Bd. XVII f., womit zu vergleichen ist Naucno izucenie Koljadok i
Scedrovok K. 1886 von Sumcov. — Auch die weissrussischen Volks-
lieder sind wiederholt gesammelt und besprochen worden. An die Spitze
ist zu stellen die Sammlung von Hiltebrandt in Sbomik pamjatnikov
narodnago tvorcestva v severozapadnom krae, Wilna 1866, leider mit ge-
fälschten Liedern. Von den anderen weissrussischen Gelehrten unternahm
Bezsonov Volkslieder aus dem gesamten Gebiete von Weissrussland zu
sammeln (Belorusskya pesni 1871) mit sehr eingehenden Schilderungen
und Erklärungen; der Verfasser kam aber über den ersten Band nicht
hinaus. Aus einzelnen Teilen von Weissrussland sind die Lieder in den
Sammlungen von Sein 1874 (aus dem Gouvernement Witebsk) und No-
sovic (aus der Minsk'er Gouv.), beide in Band V der ethnogr. Abteilung
der Petersburger Geographischen Gesellschaft; aus dem Gouv. Mohilov
stammen die Lieder in der Sammlung von Roman ov (Beloruss. sbornik:
pesni, poslovicy, zagadki) K. 1886, im Anschluss an das Buch von Dem-
boweckij über das Gouv. Mohilev (siehe unten). Vom höchsten Interesse
sind die ebenso reichhaltigen wie sorgfältigen Sammlungen weiss- und
kleinrussischer Lieder der Zeneida Radc'enko aus dem Bezirk Gomel, wo
neben der weissrussischen Bevölkerung auch Kleinrussen wohnen, Peters-
burg 1888.
Die hier genannten Sammlungen russischer Volkslieder bieten ein sehr
reichhaltiges, obwohl noch nicht erschöpfendes Material zur russischen
Volkskunde, bieten aber auch für die wissenschaftliche Forschung manche
Unbequemlichkeit: zunächst fehlen meist Angaben über die engere Heimat
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260 Nehring:
der Lieder, bei vielen auch darüber, bei welcher Gelegenheit und in welcher
Jahreszeit sie gesungen werden, ob sie rituelle Festlieder oder harmlose
Privatlieder sind; vor allem fehlen Hinweise auf inhaltlich gleichartige
Lieder, wenigstens der nächsten Umgebung. Diesem Umstände ist es wohl
auch zuzuschreiben, dass, mit schon hervorgehobenen beachtenswerten
Ausnahmen, wenige Forscher sich Untersuchungen der russischen Volks-
lieder nach bestimmten Gesichtspunkten haben angelegen sein lassen.
Nächst der Sammlungen von Volksliedern und der Litteratur über
dieselben nimmt die beschreibende, auf Sitten, Gebräuche, Wohnung etc.
des russischen Volkes bezügliche Litteratur eine bevorzugte Stelle ein.
Die Wichtigkeit der russischen Volksfeste erkannte man zuerst in Moskau
(Snegirev, Vasiljev, Makarov, Glagoljev u. a.); der bedeutendste Sammler
in dieser Beziehung war Snegirev, welcher zuerst 1827 und 1828 in
M. Vestnik mit programmatischen Abhandlungen über einzelne Volksfeste
auftrat, später (1837 und 1838) Busskija prostonarodnyja prazdniki i sue-
vernyja obrjady in 4 Bänden veröflFentlichte, von denen der erste Band
(Einleitung) jetzt wohl die geringste Bedeutung hat; beachtenswert sind
Einzelschilderungen, frisch und lebendig geschrieben und belehrend in
Bezug auf die geographische Verbreitung der einzelnen Gebräuche, im
übrigen beeinträchtigt durch gelehrte Vergleichungen; Sacharov fusste
auf dieser Vorarbeit. Das Werk von TereScenko ist schon genannt
worden. In allgemeinem Rahmen gehalten ist das Buch von Dal Novyja
kartiny russkago byta, in zweiter Auflage von 1880; auf die rituellen
Gebräuche, Hochzeiten u. s. w. beschränkt sich das fleissige Buch von
Zabylin Russkij narod, jego obrjady etc. 1880. Die Zahl der auf einzelne
Gegenstände oder Gegenden beschränkten Arbeiten ist sehr gross; es seien
hier genannt: Sumcov svadebnych obrjadach preimuäcestvenno russkich
Charkov' 1881, worin in den jetzigen Hochzeitsgebräuchen historische
Lagerungen: Raub, Kauf, Vertrag erkannt werden (vgl. Grosspietsch
Hochzeitsgebr. des russ. Volkes, Russ. Revue X ff.); Diev, Nravy i obycai
Nerechotskago uezda Kostromskoj gubemii in Ötenija 1846, Volksgebräuche
aus Gegenden des Wladimirschen Gouv. in Russ. fil. vest. FV, ethnograph.
Materialien aus dem Gouv. Archangelsk in Mosk. Trudy V, 1878, eine
Sammlung (sbomik) des statist. Comites des Gouv. Ni^nyj Novgorod 1870.
Sehr belehrend sind die Arbeiten von Barsov über Gebräuche bei der
Geburt und Taufe der Kinder im Gouv. Orel in M. Trudy 1877 und
Sumcov Chlob v obrjadach (Getreide und Brot bei Gebräuchen) 1885.
Dass russische Jahresfeste meist in mythischem Sinne gedeutet wurden,
ist natürlich; in dieser Beziehung zeichnet sich durch Gelehrsamkeit und
Gründlichkeit aus Potebnjas Buch mificeskom znaöenij nekotorych
obrjadov M. 1865 (aus M. Ötenija); das Buch Chudjakovs Materialy dlja
izucenija narodnoj slovesnosti ist mir nicht bekannt.
Die allermeisten dieser Werke enthalten ebenfalls Lieder oder deren
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 261
Brachstücke, doch nur als Beweismittel, entnommen aus mehr oder weniger
bekannten Sammlungen. Das Gleiche gilt auch von den vielen Arbeiten,
welche das kleinrussische Volksleben betrefifen. Vor allem nenne ich die
Arbeit des bekannten ukrain. Dichters Euli§ über die kleinrussischen Lieder
im allgemeinen: Zapiski o juinoj Rusi (Aufzeichnungen von Südrussland)
2 Bde. 1856 — 57, meist nur Lieder enthaltend, und die Arbeit von Hilto-
brandt über die Kleinrussen und Polen in Klein- und Südwestrussland in
Trudy VLI. Ln allgemeinen Rahmen ist auch gehalten das Buch des poln. Ge-
lehrten Nowosielski (eigentlich Marcinkowski) Lud Ukrainski (das ukr.
Volk) 2 Bde., Wilna 1857, weil hier die wichtigsten Gebräuche der ukrain.
Russen besprochen sind, nur muss man sich die tiefsinnigen (mysterioso-
phischen) vergleichenden Erörterungen wegdenken. Ein anderer polnischer
Grelehrter, Rulikowski beschrieb in eingehender Weise den Kreis Wasylkow
1853. Von besonderer Bedeutung ist die kalendarische Übersicht der für das
•Volksleben wichtigen Zeiten (Dni i mesjaci) von Maksimoviö und der
von Cubinsky besorgte und von Kostom arov herausgegebene Volks-
kalender (Narodnyj dnevnik) in Trudy lU 1872, ebenso der IV. Bd. von
1874, worin Kostomarovs Schilderungen der Sitten und Gebräuche bei
der Geburt, Taufe, Hochzeit u. s. w. sich finden. Über die Hochzeits-
gebräuche handelt ein Unbekannter in der bekannten Zeitschrift Osnova
(Russinski vessillja) 1862, No. 4, und Jankuc, Malorusskaja svad'ba v
Sedleckoj gubemii 1884 (Lieder mit Noten); Sumcov suchte den griechisch-
kirchlichen und den westeuropäischen Einfiuss auf die kleinrussischen
Hochzeitsgebräuche zu ermitteln (K voprosu o vlijanii greöeskago i rimskago
avadebnago rita) 1886. Der bekannte Gelehrte Golovackij (siehe oben)
beschrieb oder besprach die Tracht der galizischen und ungarischen
Russinen (O narodnoj ode2de i ubranstvre Rusinov v Galicii i Wengrii
8t Pet. 1877. Die wichtigste Abhandlung Potebnjas über die Weihnacht-
gebräuche ist schon bei den Liedern genannt worden; andere Arbeiten
ähnlicher Art, wie Pietrus zewicz über das Weihnachtfest (Kraöun-Korocun)
1876 müssen übergangen werden (im einzelnen vergl. Pypin Vest. Evr. 1886).
Das Weissrussische Volk ist vornehmlich in dem Wilnaer Etno-
graficesky sbomik (siehe oben) und von Zenkoviß geschildert worden, der
den Volksglauben und die Bräuche der Weissrussen in Trudy beschrieben
hat Im Jahre 1882 erschien Opyt opisanija Mohilevskoj gubemii (Be-
schreibung des Gouv. Mohilev) von S. A. Dembowecki nach Auf-
zeichnungen von Beamten und Lehrern mit reichen Sammlungen vom Ver-
fasser selbst und seinen Freunden, mit vielen vergleichenden Hinweisen
und Varianten; beigegeben sind auch grossrussische Lieder Altgläubiger;
dann folgte das für das Studium des weissrussischen Volkes, seiner Sitten
Gebräuche, seines Pühlens und Handelns wichtige Werk von Öein: Ma-
terialy dlja izuöenya bytai jazyka severozapad. kraja I. Bytovaja i semejnaja
ihn Belorussov v obqadach i pesnjach, St. Petersburg 1887, ein wohl-
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262 Nehring:
geordneter Festkalender. Eine sehr lesenswerte Studie ist die von Go-
lovackij Öerty domaSnjago byta Podljasan, Warsch. 1888, ebenso ein
Volkskalender von Krackovsky, Byt zapadnorusskago seljanina in den
Mosk. Ötenija 1873, und ein anderer speziell aus der Gegend von Oämiana
in den Pet. Geogr. Zap. V, 1873.
Von den übrigen zerstreuten und schwer zugänglichen Aufzeichnungen
von Kundgebungen des russischen Volkes in Glauben, in Sprichwörtern,
Märchen u. s. w. seien hier zunächst die Märchensammlungen genannt,
vor allem die grosse Sammlung von Afanasiev, Skazki naroda russkago,
3 Bde., 1872*, ferner Chudjakov Velikorusskija skazki in 3 Teilen, M.
1860—63, sodann Erlenbein Narodnyja russkija skazki M. 1863, denen die
englische Sammlung (Übersetzungen) von Ralston (Russian folk-tales), Lon-
don 1873, folgte. — Über den reichen Märchenschatz äusserten sich Weso-
lowskij und Suchomlinov (in den Schriften der Petersb. Akademie), be-
sonders aber Buslae v in Russkij vestnik. 1872 bis 1874 (vgl. Russ. Revue V)?
Auch die kleinrussischen Sagen und Märchen wurden fleissig ge-
sammelt, von Rudcenko (Narod. juznorus. skazki 2 Teile. K. 1869—70),
Öubinsky und Hiltebrandt (Malorusskija skazki in Trudy IL P. 1878),
vor allem von M. Dragomanov in Malorusskija narodnyja predanija i
razskazy, K. 1876 (Ausg. der Kiev. Abt. der Geogr. Ges.) aus eigenen
Sammlungen und aus einem reichhaltigen Material, welches schwer zu-
gänglichen Zeitschriften und Büchern entnommen oder der Kiever geogr.
Abteilung mitgeteilt worden ist. — Der Volksglaube des russischen
Volkes und seine verschiedenen Äusserungen („Aberglaube" etc.) war
wiederholt Gegenstand der Aufmerksamkeit: ausser den schon genannten
allgemeinen Arbeiten von Snegirev, Sacharov, Terescenko u. s. w.
sind für den grossrussischen Teil aus älterer Zeit Culkov (Slovar russkich
suevery 1782), aus neuerer Zeit Dal poverijach, sueverijach i pred-
razsudkach russkago naroda 1880 zu nennen, für den kleinrussischen Teil
die sorgfältige Zusammenstellung von Maksimovic (Obycai i poverija
Malorossijan, K. 1860) und die von Markevic (Obycai, poverija, kuchnja
i napitki Malorossijan, K. 1860), vor allem die Sammlung von Hilte-
brandt, Verovanija i sueverija, zagadki i poslovicy in Bd. I, Heft 1 der
Trudy, 1872 und Heft 2, 1877.
Die Sprichwörter, Rätsel, Beschwörungsformeln der Russen, deren
Wichtigkeit wegen ihres Reichtums und ihrer Eigenart seit jeher anerkannt
ist, wurden schon sehr früh gesammelt. Als die älteste, besondere Samm-
lung darf wohl gelten die von Bogdanovic (Poslovicy I) vom Jahre 1785;
zu den älteren Sammlungen gehören auch die von J. Snegirev: Russkie
V. svoich poslovicach, M. 1834, Russkija narod. poslovicy i pritci, M. 1848;
eine neue Sammlung erschien M. 1857. In den allgemeinen Werken von
Sacharov u. a. sind die russischen Sprichwörter mit Vorliebe berück-
sichtigt; in neuerer Zeit erschien die Sammlung von Chudjakov (Veli-
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 263
korusskija zagadki) 1861, vonMajkov (Velikoruss. zaklinanija) Pet. 1869
und von Dal (Poslovicy russk, naroda, eine sehr umfassende Sammlung,
in der allerlei Sprüche, Rätsel, abergläubische Äusserungen u. s. w. ent-
halten sind) M. 1863 und 1879. Besonders wichtig sind die Untersuchungen
über die russische Bevölkerung im Gouv. Archangelsk, über Schwüre, Be-
schwörungsformeln u. s. w. in M. Trudy V, 1878 (vgl. Alt mann, Russ.
Sprichw. im Jahrb. f. slav. Litt. 1853—54). Für das Studium der klein-
russischen Sprichwörter sind besonders wichtig ausser Nomis (ükrainski
prikazki, prislivja Pet. 1864) und ausser den schon genannten
Werken, wie Trudy I, 1872 von Öubinsky, vornehmlich Sementovsky
Malorusskija zagadki 1872 f. und Hiltebrandt Poslovicy, zagadki, Kol-
dovstvo in Trudy (südwestl. Abteil. 1877). Galizische Sprichwörter und
Rätsel sammelte Ilkevic 1841, galizisch- und ungarisch-russische sind ge-
sammelt in Trudy. etn. II, P. 1869; weissrussische sind gesammelt in Sbomik
belorusskich poslovic Pet. 1874 und von Nosovic, Sbornik belorusskich
poslovic in Zap. etn. I und II, 1867 — 69, später noch in dem Sbomik der
Pet. Akad. Bd. XII, Pet. 1875.
Die juridischen Volksanschauungen und Gebräuche, die bei den Kroate-
Serben ßogisic systematisch studierte, fanden auch bei den Russen ihre
Aufzeichner: Jakuskin, Obycnoe pravo I. Materialy etc. Jaroslav 1875,
Efimenko, Juridiceskoe znaki über äusserliche Rechts- und Gerichts-
zeichen in J^um. minist, nar. prosv. 1874 11. f.; die kleinrussischen sind
gesammelt worden von Cubinskij, herausgegeben von Hiltebrandt
(Narodnye juridiceskie obycai in Trudy VI) 1872. Bogisic hat diese und
ähnliehe russische Aufzeichnungen in einer zusammenfassenden Abhandlung
gewürdigt: Apercu des travaux sur le droit coutumier en Russie, Paris 1879.
— Dass man in Russland sich auch ethnographische Studien über andere
slavische Völker angelegen sein lässt, wenn auch mehr nur in vorgezogenen
Kreisen, beweisen viele Publikationen, z. B. Rodnoe plemja, M. 1876, über
die Serben; in den Drevnosti finden sich einige Artikel dieser Art; Bu-
dilovic schrieb über Montenegro u. s. w.
ni. Das serbisch-kroatische Volkstum (Serben und Kroaten sind
ein Volk) erfreute sich seit früher Zeit einer grossen Aufmerksamkeit.
Auch hier in Serbien war es das \olkslied, welches bei der Sammlung
mid Aufzeichnung der geistigen und materiellen Besitztümer des Volkes
im Vordergrund stand. Bekanntlich besitzen die Serbokroaten neben zahl-
reichen lyrischen auch epische Heldenlieder, welche unter Begleitung eines
einfachen Musikinstrumentes, der einsaitigen gusle, noch heutzutage ge-
sungen werden; bekannt ist auch, dass die Sorben diesen Vorzug der
Volksepik nur mit den Russen und Bulgaren teilen, ein Vorzug, der da-
durch noch sich steigert, dass diese Heldenlieder (pjesme junacke) ihrem
Ursprünge nach bis ins XIV. Jahrhundert sich verfolgen lassen. Die erste
sorgfältige Sammlung serbischer Volkslieder von Vuk Stefan ovic Ka-
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264 Behring:
rad^ic (siehe oben), Mala srbska pesmarica 1814, der ein zweites Bändchen
1815 folgte, erschienen in der denkbar günstigsten Zeit des Wiener Con-
gresses, wurde wie ein Ereignis begrüsst: kein geringerer zeigte, nachdem
Kopitar zuerst in den Wiener Jahrb. 1815 sich geäussert hatte, diese
erste Sammlung Vuks an, als J. Grimm in den Gott. Gel. Anzeigen 1819,
dann nach dem Erscheinen einer neuen Sammlung von 1823 ff., Lied und
Volk der öffentlichen Sympathie empfehlend. Andere folgten; der neu-
gehobene Volksliederschatz fand auch über Deutschland hinaus ungeteilte
Sympathie. Ermuntert von Grimm und anderen Freunden und Gönnern,
bereiste Vuk die serbisch-kroatischen Länder, sammelte alles, was das
Volk an gesprochenem und gesungenem Schatz noch besass, und gab dann
noch die grosse bis auf 6 Bände gediehene Liedersammlung von 1840 ff.
in mustergiltiger Weise heraus. Er schrieb auch das bekannte serbische
Wörterbuch 1818 (1852") mit einer Fülle von kurzen Schilderungen ser-
bischer Sitten, eine wahre Fundgrube von heimischen Sittenschilderungen;
sodann eine einer deutschen Bedaktion zur Verfügung gestellte ethno-
graphische Schilderung des Volkes von Montenegro (XL Lieferung der
Reise- und Länder-Beschreibungen der älteren und neueren Zeit, Stuttgart,
1837); femer eine Schilderung verschiedener Volksgebräuche der Serben aller
drei Bekenntnisse u. d. T. Kovceiiö (Schatzkästlein) 1849; im Jahre 1836
erschienen seine serbischen Sprichwörter (Srpske nar. poslovice), 1853 die
serbischen Märchen (Srpske nar. pripovijedke). —
Vuk war der erste, der serbische Volkslieder aus dem Volksmunde
systematisch sammelte (nur ausnahmsweise aus älteren Aufzeichnungen,
wie das Lied von der Frau Hasan Agas, schriftliche Aufzeichnungen reichen
zurück in das XVII., ja XVI. Jahrhundert). Er war der eigentliche Ent-
decker der serbischen Volkslieder, denn Fortis hatte 1774 das bekannte
Lied von der Frau Hasan Agas aus einer Handschrift des XVIH. Jahr-
hunderts, nicht aus dem Volksmunde mitgeteilt, und Ferid 1794 nur eine
lateinische Übersetzung einiger Lieder geliefert; andere haben nur einzelne
Lieder mitgeteilt, Mioäiö-Kacic aber nur in volkstümlicher Weise nach-
gedichtet. Für die späteren Sammler bildeten die Werke Vuks den Aus-
gangspunkt und das kaum erreichte Vorbild in Bezug auf Genauigkeit
und Zuverlässigkeit; auch hat Vuk schon das Beste und Schönste ver-
öffentlicht. — Von den Nachfolgern Vuks veranstaltete sehr erwünschte,
ergänzende Sammlungen der bekannte Milutinoviö (Pevanija cmogorska
i hercegovacka sabrannija Öubr. Cojkoviöem, Öojk. ist ein Pseudonym)
Ofen 1833; *u. d. T. Ogledalo srpsko veröffentlichte der Vladika Peter
Petrovic Heldenlieder 1845 und u. d. T. Monten. gusle J. Popovid
1857 serbische Volkslieder; die 1858 erschienenen Narodne pjesme bosanske
i hereegovacke, gesammelt von den Patrioten Jukic und Martic, heraus-
gegeben von Jukid, ist eine der schönsten serbischen Volksliedersammlungen.
Im Jahre 1867 ff. erschien die vortreffliche Sammlung von Petranovid
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 265
in 3 Abteilungen (die zweite enthält Heldengedichte) mit einer Vorrede
von St. NoTakoviö, bemerkenswert durch die Sorgfalt und dadurch, dass
sie zahlreiche Lieder aus Bosnien und Herzegovina umfassen, wo Vuk
selbst nicht gesammelt hatte. Es seien noch genannt die Sammlungen von
Marjanovid 1864, Bogisic, Kuhaö und Miklosich; der Zeit nach ist
von den drei letzten die älteste die von Miklosich: Beiträge zur Kenntnis
der slavischen Volkspoesie I, die Volkspoesie der Kroaten (Wiener Ab-
handlungen phil.-hist. kl. 1870). Es sind etwa 30 ältere epische Volks-
lieder aus drei handschriftlichen Aufzeichnungen vom ausgehenden XVil.
and aus dem XVIII. Jahrhundert mit schon früher von kroatischen Dichtem
(Hektorovi6 und Barakoviö im XVI. und XVEI. Jahrhundert) be-
nutzten serbischen epischen Volksliedern, in einem eigenartigen Versmass
(15 — 16 Langzeilen), welches Miklosich kroatisch nennt. Solche Volks-
lieder können füglich bugarstice (blgarstice) genannt werden, und solche
epische Lieder (etwa 160) veröffentlichte Bogiäiö aus älteren Quellen
und Aufzeichnungen vollständig: Narodne pjesme iz starijch najvise pri-
morskih zapisah L Belgrad 1878 mit einer ausführlichen Vorrede über
Inhalt, Wesen und Form der bugarätice. Von ganz anderen Gesichts-
punkten ging Kuhaö aus in seinem vierbändigen Werk in Q: Ju^no-
slovjenske narodne popjevke, auch u. d. T. Chansons nationales des Slaves
du sud, Agram 1878 ff., etwa 1600 meist kroatische Lieder, bekannte und
unbekannte, Helden- und Prauenlieder durcheinander, mit Schilderungen
der Feste, Spiele und sonstigen Gelegenheiten, bei denen sie gesungen
werden, mit genauer Angabe der Heimat und mit Melodien; der Verfasser
hat eine zusammenfassende Broschüre über die Bedeutung dieser Lieder
geschrieben, welche aber leider selten und unzugänglich ist. In der letzten
Zeit sind erschienen Davidovic, Srpske narodne (^enske) pjesme iz
Bosne (Frauenlieder aus Bosnien), Panöevo 1884 und Kosta Hör mann,
Narodne pjesme Muhamedovaca u Bosni i Hercegovini, Sarajevo 1888.
Serbische Lieder aus Altserbien sind enthalten in Jastrebovs Sitten und
Lieder der türkischen Serben (Oby6ai i pjesni Tur. Serbov), Pet. 1886
(siehe unten), die kroatischen in Ungarn gesammelt von dem vortrefflichen
Volkskenner Fr. Kurelac (Jacke ili narodne pesme puka hrvat. na ügrih
1871. Ausserdem hat Dr. Fr. Krauss in neuerer Zeit in Zeitschriften
wiederholt unbekannte serbische Lieder veröffentlicht, zum Teil mit Helden,
die unß aus den Liedersammlungen von Jukic 1858 und Marjanoviö
1864 als Feinde der christlichen Serben bekannt sind. — Die Zahl der
Übersetzungen serbischer Volkslieder ist eine sehr grosse: in Deutschland
sind bekannt (abgesehen von der Übersetzung des Liedes von der Frau
Hasan Agas von Goethe (in Herder' Stimmen der Völker in Liedern),
die von Talvj (Volkslieder der Serben), 1825, W. Gerhard (Tila. Serbische
Volkslieder), 1828, Kapp er (Gesänge der Serben), 1852, Ida v. Dürings-
feld (Prag 1851). —
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266 Nehring:
Es war natürlich, dass die epische Volkspoesie der Serben seit jeher
viel mehr die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich lenkte, als die
lyrische. Nachdem der Moskauer Gelehrte Bodjanskij in seiner Disser-
tation: O narodnoj poezii slavjanskich pleraen 1837 und Preiss in der
Schrift: epiceskoj poezii Serbov 1845 über die serb. Volkspoesie mehr
allgemein gesprochen hatten (der letzte machte nachdrücklich darauf auf-
merksam, dass die „älteren" Heldenlieder mit den neueren in Darstellungs-
weise und Sprache übereinstimmen), gaben Hilferding, Rovinskij und
Grigorovic eingehende Berichte über ihre Reisen und Eindrücke in
Serbien und Bulgarien; Bezsonov beschäftigte sich in seiner Sammlung
bulgarischer Volkslieder (Bolgarskija pesni iz sbomikov Venelina, Katra-
nova i drugich) M. 1855 auch eingehend mit der serbischen Volkspoesie.
Die eigentliche kritische Litteratur beginnt in der letzten Zeit und zwar
vornehmlich bei den Serbokroaten selbst; sie knüpfte zunächst an einen
Cyclus von Liedern von der Kosovoschlacht (1389) und suchte die praktisch
wiederholt mit mehr oder weniger gelungenen Versuchen (zuerst des
Dichters Mickiewicz in den Pariser Vorlesungen, sodann Kapp er s,
d'Avril's: La bataille de Kosovo 1868, Novakovic: Kosovo, srpske narod.
pjesme o boju na Kosovu, zuerst 1871) gelöste Frage zu erörtern, ob die
jetzt vorhandenen Kosovolieder Bruchstücke eines in Stücke zerfallenen
grossen Centralliedes oder selbständige von einander unabhängige Lieder
seien; auch andere Fragen kamen in Betracht, z. B. die poetische Form,
Vergleichung mit geschichtlichen Aufzeichnungen eines Cerva, Orbini etc.
Zum Teil sind diese Fragen in rascheren Fluss gekommen durch die neue,
auf Grund älterer Aufzeichnungen aufgestellte Behauptung Miklosichs,
die Kroaten hätten auch epische Volkspoesio mit einem eigenartigen Metriun
gehabt. Diese und ähnliche Fragen sind in gründlicher Weise behandelt
von Pavic, der ein ursprüngliches Centrallied wiederherstellen wollte
(Narodne pjesme o boju na Kosovu 1877), im anderen Sinne und er-
schöpfender von Novakovic (zuerst im Arch. f. slav. Phil. III, 1879:
Die serbischen Volkslieder über die Kosovo-Schlacht) und von Jagi6 (in
Gradja, siehe oben, und Archiv IV: die südslavische Volksepik vor Jahr-
hunderten). Während diese Gelehrten von der wohlbegründeten Voraus-
setzung ausgehen, dass Heldenlieder, speziell Kosovolieder schon im
XIV. Jahrhundert vorhanden waren, will Maretic solche erst ins XV. Jahr-
hundert versetzen (Kosovski junaci 1889). Über begarstice (langzeilige
epische) Lieder hat am ausführlichsten Bogisic gehandelt in der Ein-
leitung zu Narodne pjesme 1878 (siehe oben), nach ihm Ghalanskij in
der Warschauer Zeitschrift Kuss. fil. vest. Bd. VIH; Novakovic hat
Spuren feudalen Rittertums in den serbischen epischen Liedern nach-
gewiesen (Zeitschrift Otadzbina 1883). Auch über die Lieder von Klraljevic
Marko ist Verdienstliches geschrieben worden; hier soll die Biographie
dieses Helden von Jagic nach Liedern im Archiv V, 439 ff. erwähnt
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 267
werden. Über die Form handelte nach Miklosich (siehe oben) Professor
Zima in Rad. jugoslov. Akad. Bd. 48 und 49, Jagi6 in der oben ge-
nannten Abhandlung, W. Wollner im Areh. f. slav. Phil. IX und — last
not least — Kuba 6 in dem oben besprochenen Werke, der durch seine
Schilderungen der Feste, Spiele, der verschiedenen Formen dos Kolotanzes
und durch die Melodien die kroatischen Volkslieder unserem Verständnis
sehr nahe gebracht hat (derselbe Gelehrte schrieb auch über serbische
Musikinstrumente in Rad Akad. Band 38 ff. 1877). Bog. Sulek schrieb
auf Grund slavischer, vornehmlich südslavischer Volkslieder eine Ab-
handlung über die Verehi*ung der Linde bei den Slaven (Za sto Slaveni
postuju lipu) in Rad Bd. 43 von 1878; in derselben Zeitschrift, Bd. 30
von 1875, findet sich eine Abhandlung von Jurkovic über die weiblichen
Gestalten der serbischen Volkslieder. Über serbische Volkslieder in Alt-
serbien handelt Jastrebov 1886 (vergl. oben, siehe unten), über kroatische
in Ungarn Fr. Kurelac 1871 (siehe oben). — Orientierend für deutsche
Leser ist das Büchlein von Singer, Beiträge zur Litteratur der kroatischen
(serbischen) Volkspoesie 1882.
Bei dem grossen Interesse für sorbische Volkspoesie erregten die
serbischen Sitten und Gebräuche, die schon Vuk bei verschiedenen
Gelegenheiten beschrieben hatte, die wärmste Sympathie, der man durch
Weiterverbreitimg der Vuk sehen Nachrichten und durch Vervollständigung
derselben Rechnung zu tragen suchte; einheimische Zeitschriften und fremde
Reisende vermehrten die vorhandenen Nachrichten. Sehr wichtige Schil-
derungen des Volkslebens aus einzelnen Gegenden enthalten die Bücher
von L. llic, Narodni slavonski obycaji 1846, S. Ljubic, Narodni obycaji
kod Morlaka (aus den Küstengegenden) 1846, Medakovi6, Äivot i obycaji
Crnogoraca, Neusatz 1861; T. Kovacevic beschrieb Bosnien und Herze-
govina 1865, Petranovic die Volkssitten in Bosnien, in der serbischen
Zeitschrift Glasnik von 1870 und 1871; das ganze heutige Königreich
Serbien umfassen die geographisch-statistischen Bücher von Milicevic
mit vortrefflichem ethnographischen Material: Kne^evina Srbija 1876, mit
der Ergänzung nach dem serbisch-türkischen Kriege Kraljevina Srbija 1884,
wo Bewohner, Lebensweise, Kleidung, Gebräuche, Sprüche u. s. w. reich-
lich und in zuverlässiger Weise geschildert werden; Vrcevic schilderte
die Volksspiele in Srpske narodne igre, Belgr. 1868; das Volkswesen in
Altserbien schildert Jastrebov in Obycaji i pesni Tureckich Serbov
Petersb. 1886, vornehmlich Hochzeitsgebräuche, das Fest Slava, das Weih-
nachtfest, den Georgitag u. s. w. (Milojevic Pesme i obycaji ukupnog na-
roda srpskog 1870 mit Schilderungen und Texten aus denselben Gegenden
enthält vieles Apokryphe.) Milicevic hat auch das Leben des Land-
mannes beschrieben (J^ivot Srba seljaka in Glasnik 1867, 1873). — Die
Grundlage der hauptsächlichsten Feste, wie z. B. des Slava-(krsno ime-)
Festes, nämlich die Hausgemeinschaft, zadruga, beschrieb nach der juridischen
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268 KehriDg:
Seite vortrefiFlich Ogn. Utje§enovi6, Die Hauskommunionen der Süd-
slaven, Wien 1859, die zadruga ist in den Grundlinien auch gezeichnet
im Arch. f. slay. Phil. X, 56 fif. Das gesamte Gewohnheitsrecht studierte
und zeichnete auf in eingehender und systematischer Weise Bogi§i6 zuerst
in Pravni obycaji u Slovena 1867, sodann in seinem grundlegenden Haupt-
werke Zbomik sadasnjih pravnih obycaja u juiinih Slovena, auch u. d. T.
CoUectio consuetudinum iuris apud Slavos meridionales etiamnum vigen-
tium I: Gradja u odgovprima iz razliönih krajeva slovenskoga juga
(Materialien in Berichten aus den verschiedenen südslavischen Ländern)
Agram 1874, eine Arbeit, deren Verdienst nicht hoch genug angeschlagen
werden kann; einen recht übersichtlichen Auszug daraus lieferte F. De-
meliö in dem Buche: Le droit coutumier des Slaves meridionaux d'aprfes
les recherches de M. V. Bogisic, Paris 1877. Die mit der ursprünglichen
Geschlechtsverfassung in Verbindung stehende Sitte der Blutrache unter-
suchte Fr. Miklosich in der Abhandlung: Die Blutrache bei den Slaven
(Denkschriften der phil.-hist. Abt. der Wiener Akad. d. W.), Wien 1887;
die Abhandlung ist allgemein und vergleichend gehalten, beschäftigt sich
aber meist mit der Blutrache bei den Montenegrinern. — Auf den Arbeiten
Bogi§ics fusst das sehr umfassende Werk von Dr. Fr. Erauss, Sitten
und Brauch der Südslaven, Wien 1885, doch hat der Verfasser in seiner
dankenswerten Arbeit das reichhaltige Material früherer Sammlungen und
Aufzeichnungen und seine eigenen bei Reisen in serbischen Ländern ge-
machten Aufzeichnungen verwertet. Aus den vielen Schriften über serbische
Familien- und Volksfeste (wie umfassend die Litteratur, z. B. über die
Hochzeitsgebräuche der Serben sind, sieht man aus der bibliographischen
Zusammenstellung in Krauss' Sitten u. s. w. zum Abschnitt XVII, ergänzt
von Jagic im Arch. VIII, 623 ff.) seien hier hervorgehoben Vrcevic: Tri
glavne narodne svecanosti (das Weihnachtfest, das Slavafest und die Hoch-
zeit), Pancevo 1883, und Kulakovskij Prazdnik Slave (in Russkij vestn.)
1883. — Unter den von Deutschen über Serbien geschriebenen Werken
verdienen vornehmlich genannt zu werden: Kanitz, Serbien 1860 in Q.,
sehr umfangreiche Reiseberichte über Land und Volk, und Gop6evi6,
Serbien und die Serben 1888; Makedonien und Altserbien, Wien 1890;
beide Werke mehr eine wenig geordnete Sammlung von Materialien. —
Den serbischen Märchenschatz erschloss zuerst Vuk Stef. Kara-
dzic, dessen Narodne srpske pripovijetke, Wien 1821, dann vermehrt 1853
und 1870; die nächste bekannte Sammlung ist von A. Nikoli6 (Nar.
srpske pripovedke) in 2 Teilen, Belgrad 1842 und 1843. Professor Valjavec
sammelte Märchen des kroatischen Volkes und solche aus den angrenzenden
slovenischen Gebieten; jene erschienen in Grosswardein 1858. In der um-
fassenden Sammlung von Volkserzählungen und Volksliedern von Stoja-
novic (Pucke pripoyjedke i pjesme. Agram 1867) befindet sich eine Anzahl
von Märchen; fast gleichzeitig erschien die Sammlung von Vojinoviö
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 269
(Srp. nar. prip.), Belgrad 1869. In dem folgenden Jahrzehnt wurden ver-
öffentlicht serbische Märchen: die Sammlungen von Dj. K. Stefanovic
(Srp. nar. prip.) in Neusatz, 1871 und die Sammlimg kroatischer Märchen
und Lieder vom Küstenlande (Nar. prip. i pjesme iz hrvatsk^ga primorja),
1876; die letzte bekannte Sammlung kroatischer Märchen ist von R. Stroh-
hai (Hrvat. nar. prip.) Teil I, 1886; ausserdem verzeichnet Jagi6 (im
Archiv I, 269) eine Reihe von serbischen Märchen, welche in Zeitschriften
veröffentlicht wurden. Die zweite Sammlung der serbischen Märchen von
Vuk wurde von seiner Tochter ins Deutsche übersetzt: Volksmärchen der
Serben, mit einer Vorrede von J. Grrimm, Berl. 1854; in neuerer Zeit
hat Dr. Fr. Krauss serbische Märchen ins Deutsche übersetzt und heraus-
gegeben: Sagen und Märchen der Südslaven. Leipz. 1883, 84, 2 Bde. —
Das Gebiet der serbischen Märchenforschung ist sehr vernachlässigt, grössere
Untersuchungen sind nicht bekannt. Beachtenswert sind die Verwertung
einer Reihe von serbischen Märchen zur Vergleichung mit entsprechenden
anderer Völker, so namentlich Märchen aus den Sammlungen von Voji-
novi6 und Vuk, welche von Reinh. Köhler mit Varianten versehen
sind (Jagiö im Archiv I und D) und einige Studien von Krauss, so
fiber Pestsagen 1883 und über das Bauopfer bei den Südslaven 1887.
Serbische Sprichwörter, Rätsel und ähnliche Gedankenäusserungen
sammelte systematisch zuerst Vuk (Narodne poslovice, Cettinje 1836), der
schon frühere Aufzeichnungen benutzte; vor ihm sammelte schon serbische
Sprichwörter J. Muäkatirovic (Pritce ili poslovice), Wien 1787 (1807*);
grössere bekannte Sammlungen sind, ausser von Stojanovi6 (Kroat.
8pr. 1866) und Öolakov, die von Hilferding, Starinnyj sbornik serbskich
poslovic, Petersburg, in Zap. etn. ü, Pet. 1869, Danicic (Srp. nar. poslov.).
Agram 1871. Von der grössten Wichtigkeit ist die Sammlung von (etwa
5000) serbischen Rätseln (Srpske narodne zagonetke, Belgrad 1877), von
St. Novakovi6 zusammengetragen aus schwer zugänglichen Zeitschriften
und Büchern, alphabetisch geordnet nach den Auflösungsworten; sorgfältig
zusammengetragen ist auch eine Sammlung von Sprichwörtern, Rätseln
und Liedern aus Bosnien von Mehmed Kapetanovi6 Ljubdak (Nai'odno
blago), Sarajevo 1887.
IV. Das Interesse für das Volksleben und die Volkskunde war bei
den Czechen, Mähren und Slovaken (der ethnische und sprachliche
Zusammenhang wurde vornehmlich in der Zeit des nationalen Wieder-
erwachens festgehalten, zum Teil auch von den katholischen Slovaken)
seit den zwanziger Jahren, bei den Slovaken schon früher, Gegenstand der
Begeisterung und zugleich auch eines unbewusst empfundenen Bedürfnisses,
als Hebel des nationalen Bewusstseijis. Dieses, aus tiefer Erstarrung
wieder ins Leben gerufen, nahm seinen Ausgangspunkt von der Pflege
der Sprache und dem Streben, das öechische Volkstum vor dem selbst
vonDobrovsk^ als unvermeidlich angesehenen Untergange zu bewahren;
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270 Nehring:
die vlastenci (Patrioten), meist aus dem Volke hervorgegangen, wandten
sich fast ausschliesslich an die gesellschaftlichen Schichten, die mit dem
Volke in nächster Berührung standen, an die Geistlichen imd den kleinen
Bürgerstand. Die Liebe zu dem vererbten, in Wort und Sitte fortlebenden
Nationalgute konnte nicht wirksamer geweckt und gesteigert werden, als
durch Vertiefung in das Volkstümliche und durch sorgfältiges Sammeln
alles dessen, was im Volk sich erhalten hatte, von der unverfälschten
Sprache bis zu den äusseren Erscheinungen des Volkswesens: Volkslieder,
Märchen, Sprüche, Rätsel wurden fast mit gleicher Liebe gesammelt, und
zwar zum Teil schon in sehr früher Zeit, unter den Sammlungen alt-
cechischer Lyrica, welche von fahrenden Schülern im XV. Jahrhunderfc
besorgt wurden (siehe Feifalik, Altcechische Leiche, Lieder u. s. w. Wien
1862), befinden sich Volkslieder oder volkstümlich gehaltene Lieder; aus
jener Zeit stammen auch die zwei Sammlungen von Sprichwörtern, welche
Hanka in der Musoalzeitschrift 1829 erwähnt, noch älter ist die Sammlung
Proverbia Flasconis; in der Slovakei wurde eine Sammlung von Sprich-
wörtern bei der böhmischen Grammatik von Doles^al 1746 (ed. Bei)
gedruckt (Bernolaks Grammatik mit Sprichwörtern 1790 ist ein Wieder-
abdruck), und Volkslieder sammelte schon um die Mitte des XVllL Jahr-
hunderts M. Holko. Auch in diesem Jahrhundert ging kurz vor der Zeit,
in welche die Anfänge der neuen cechischen Poesie fallen, die erste An-
regung zur Sammlung von Volksliedern von Slovaken aus. zunächst von
Bohusl. Tablic, Verfasser der vier Bände Poezie 1806, der in der Vor-
rede zu seinen Dichtungen auf altertümliche Volkslieder und darauf auf-
merksam macht, dass alte geistliche Lieder nach nationalen Melodien ge-
sungen werden. Hier in der sanglustigen Slovakei sammelte Safal^ik,
dessen Wiege auch dort gestanden, in seiner Studentenzeit auch heimische
Volkslieder, von denen einige in der Zeitschrift Hromadkos in Wien, in
Prvotiny 1817, erschienen sind. Die erstere grössere Sammlung cechischer
Volkslieder ist die von dem bekannten Dichter und Professor Fr. L. Cela-
kovsk^^: Slovanske narodni pisne sebrane Fr. L. Gel. (Slavische Volks-
lieder) in 3 Teilen, Prag 1822 — 27; sie enthält, wie der Titel besagt, auch
Volkslieder anderer slavischer Völker; die cechischen, mährischen und
slovakischen befinden sich in allen drei Teilen. Gleichzeitig wurde auch
die Sammlung slovakischer Volkslieder von Safafik und seinen Freunden
von dem für sein Volk und für das Slaventum begeisterten Dichter
J. Kollar herausgegeben: Pisne svetske lidu slovenskeho v UhHch (Welt-
liche Lieder des slovakischen Volkes in Ungarn; die Slovaken nennen sich
selbst Slovenen) in 2 Teilen, Pesth. 1823 und 1827, mit einer Vorrede
Safariks zum 2. Teile (auf dem Titelblatt steht der Name des Heraus-
gebers nicht, daher diese Sammlung auch unter dem Namen Öafaf iks an-
geführt wird, indess nennt Safarik selbst in der Bibliographie slavischer
Volkslieder in Öasopis ceskeho Musea 1838 J. Kollar als Herausgeber.
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 271
Kollär, der schon als Knabe in seiner slovakischen Heimat Volkslieder
sammelte, gab eine sehr reichhaltige und geschätzte Sammlung heraus:
Narodni zpevanky cili pisne svetsko Slovakuv v UhHch u. s. w. in 2 Teilen
ßuda. 1834 — 35, worin die Sammlung von Holko und auch sehr viele in
den gebildeten Kreisen beliebte Lieder Aufnahme fanden, mit vielen
schätzenswerten Bemerkungen und Erläuterungen. Inzwischen war 1825
eioe Sammlung Öeske narodni pisne in Prag erschienen, welche deutsche
und eine ansehnliche Anzahl czechischer gesellschaftlicher Lieder mit Me-
lodien und Tänzen enthielt, welche aber als eine wenig vollständige und
wenig sorgfaltige auch wenig geschätzt wurde. Eine kleine Sammlung
von slovakischen, aus dem Munde wandernder Slovaken aufgezeichneter
Volkslieder hat der bekannte Slavist Sreznevskij gesammelt und in
Charkov 1832 herausgegeben; bald darauf erschien die Sammlung von
J. Langer: Öeske prostonärodni obyceje a pisnö (Böhm. Volkrfsitten und
-Lieder) Prag 1834: (in Öas. ces. Mus.). Diese kleine Sammlung von
Hochzeits- und sonstigen Gebräuchen scheint veranlasst zu sein durch
einen ausführlichen Artikel von Öafarik, in welchem er die serbischen
Volkslieder von Vuk nach der 2. Sammlung, die von Milutinovic und die
polnischen und russinischen von Waclaw z Oleska anzeigte (in Öas. ces.
Mus. 1833). In jener Zeit erschien die erste vortreffliche Ausgabe mäh-
rischer Volkslieder von Susil: Moravske narodni pisnö, Brunn 1835,
mit mehreren lithographierten Melodieen und mit Hinweisungen auf ent-
sprechende Lieder, zweite Ausgabe 1862 mit Melodien, nochmals 1872;
in jener Zeit fing auch der bekannte Dichter und Altertumsforscher
Erben an, cechische Volkslieder zu sammeln, und trat mit seiner Samm-
lung auf: Pisnö narodni v Öechäch, 3 Bde., Prag 1842 ff.; die Volksmelodien,
besorgt von P. Martinovsk^, sind besonders 1844 erschienen; die zweite
Auflage 1852 ff., die dritte mit Sprichwörtern 1862; Erbens Balladen sind
volkstumlich gehalten und einige von ihnen in Böhmen so populär ge-
worden, wie Bürgers Lenore in Deutschland. — In der unruhigen Zeit
der vierziger Jahre und auch in der Folge wurde für weitere Sammlungen
nichts unternommen, erst nach der Begrüdung der slovakischen Matica
wurden heimische Volkslieder wieder eifrig gesammelt und zum Teil auch
herausgegeben in Sbornik narodnich piesni i povesti, prislovi u. s. w. in
Turoc St. Marton; es scheinen nur zwei Bände erschienen zu sein (1870
und 1874). Nach der Auflösung der Matica (1874) begründete Sasinek
eine Zeitschrift für Geschichte, Altertum und Ethnologie (Letopis); eine
weitere, sehr reichhaltige Bereicherung der slovakischen Volkslieder ist
Slovenske spevy in Turocz St. Marton seit 1880, mit Melodien. Seit dem
Anfange des 8. Jahrzehnts sammelte (unter der Leitung von Professor Ge-
bauer) in Prag die Gesellschaft Slavia methodisch und sorgfältig Volks-
lieder, Märchen u. s. w. und gab sie 1873 heraus, später (1877 und 1878)
sind weitere Veröffentlichungen erfolgt, darunter auch ein Heft Narodni
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272 Nehring:
pisnö 1877. Zu den besten Sammlungen gehören die des um die mährische
Volkskunde sehr verdienten Professor Barto§, zuerst Nove narodnf pisnfe
mit Melodieen, Brunn 1882, als Ergänzung zu SuSil, sodann Moravske nar.
pfsnä 1889, wo über 1000 mährische Volkslieder dem Inhalte nach ge-
ordnet sind. Deutsche Übersetzungen cechischer Volkslieder sind: J. Wen-
zig, Slavische Volkslieder 1830 (böhmische, sloyakische, russische u. a.
nach Öelakovsk^), gleichzeitig erschienen auch in Hormayrs Archiv
für Geographie, Historie u. s. w., Jahrgang 1830, böhmische Volkslieder,
übersetzt von Schoen, und einzelne Lieder von Ida von Düringsfeld
in den Übersetzungen slavischer Volkspoesie, Prag 1851.
Bei den Studien über das cechische Volkslied kommt die nächst-
liegende Frage der Zusammenstellung von Parallelen und Ermittelung des
Hergewanderten sowie des Heimischen (SuSil ausgenommen) wenig in
Betracht^ die Untersuchungen sind Charakteristiken, selten Einzelforschungen.
Abgesehen von L. &tur, der auf Grund der Grünberger und Königin-
hofer Handschrift der cechischen Poesie den Vorzug der ältesten Volksepik
unbedingt vindizierte, und Öafarik, welcher in dem oben erwähnten Auf-
satz 1883 in den slavischen Volksliedern eine tiefe Kulturstufe, daher un-
geschriebene Litteratur des Volkes erblickte, nenne ich allgemein gehaltene
Aufsätze über die Volkslitteratur, zunächst einen Aufsatz in der Zeitschrift
Vöela 1835 (No. 125 flf.), von dem Kunstkritiker Zvonai^ in mehreren Zeit-
schriften, vornehmlich in Dalibor 1860, über Volksgesänge und vonV. Brandl
in Gas. Matice Moravske 1876. Die Abhandlung von Lud w. v. Rittersberg,
Urheimat des slav. Gesanges 1846, in welchem aus geographischen und
klimatischen Gründen die nördlichen Karpathenländer in Beziehungen ge-
bracht werden zu Eigentümlichkeiten des slavischen Gesanges, wurde kaum
beachtet. Einzelne Motive der ßechischen Volksdichtung behandelten
Kvfet in dem Aufsatz über den Naturkultus in den böhmischen Liedern
(in Prager Krit. Blättern) 1858, Bratranek in der Abhandlung über
mährische Volkslieder (in österr. Revue 1865), worin die Bezüge auf die
dem Volke beliebten Pflanzen besprochen werden, und Gebauer, der in
Listy filologicke I, 1874 ff., über gewisse Eigentümlichkeiten der Volks-
lieder, besonders der slovakischen sprach, z. B. über Metaphern, Parallelismen,
Gleichnisse, über die in Volksliedern beliebten Anfänge u. s. w. Der be-
kannte Herausgeber der Zeitschrift Svetozor, Primus Sobotka hat um-
fassende Studien über die Pflanzenwelt und ihre symbolische Bedeutung
in der slavischen Volkspoesie geschrieben: Rostlinstvo a jeho v^znam v
närod. pfsnech, povestech etc., Prag 1879 (Pflanzenwelt und ihre Be-
deutung u. s. w.); eine ähnliche Studie ist die über die symbolische Be-
deutung verschiedener Tiere in der traditionellen Volkslitteratur (in der
Zeitschrift Kvety 1883), über die Vögel in den Überlieferungen der Slaven
(in Svetozor 1881). In Kvety 1879 handelte auch Dunovsky über die
fremden, insbesondere deutschen Einflüsse in slavischen Liedern und über
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 273
die slavischen Eigentümlichkeiten und Nachklänge in slavischen, ger-
manisierten Ländern gesungenen. Schliesslich sei noch eine Abhandlung
von Bartos über Volksmelodien, Musik und Tanz vornehmlich in Mähren
(in Gas. Matice Moravske 1879) erwähnt.
Gegen die Sammlungen des gesungenen und gesprochenen Wortes
treten Schilderungen des Volkslebens zurück; man vermisst ungern eine
ethnographische Schilderung des cechischen Volkes auf dem gesamten
Gebiete; auch Schilderungen einzelner Gegenden oder Gebräuche sind
selten, die mehr archäologische Forschung, Vielehe sich auf die Vergangenheit
bezieht, herrscht vor. Viel Material enthält das fleissige, aber kritiklose
Werk des begeisterten Altertumsdilettanten Krolmus (so ist Sumlork zu
lesen): Staroceske povesti, zpevy, hry, obyceje, slavnosti u. s. w. in 3 Bdn.
1845—51, indess ist es mehr aus Büchern, als aus dem Leben geschöpft
und dient den gelehrten Ansichten des Verfassers. Das Buch K. Preuskers:
Blicke in die vaterländische Vorzeit 1841, in welchem u. a. das Frühlingsfest
beschrieben vrird, ist mir leider nicht bekannt. In jener Zeit hat der bekannte
Altertumsforscher Hanns in seiner „Wissenschaft des slavischen Mythus",
Lemberg 1842, sehr viele rituelle Feste und Gebräuche beschrieben; in
gleicher Weise hat V. Petr&v (siehe unten) Reste der heidnischen Fest-
gebräuche der Slaven behandelt (in der Budweiser Zeitschrift Budivoj vom
Jahre 1867); J. Langer hat in der oben erwähnten Abhandlung Öeske
prostonar. obyceje u. s. w. in Öas. ces. Mus. 1834 die Hochzeitsgebräuche
beschrieben; Beneä Kulda hat über denselben Gegenstand geschrieben:
Svadba v narode cesko-slovenskem, svadebni obyceji f'eci etc., Olniütz
1862 (sodann 1866 und 1875); Land und Volk sind in lebendiger Dar-
stellung geschildert in der Zeitschrift „Ost und West" 1862; in der neuesten
Zeit hat Fr. Barto§ in Lid a närod, 2 Bde., 1883-85 sehr wertvolle Bei-
träge zur cechischen, speciell mährischen Volkskunde geliefert, und Zibrt
hat veröffentlicht Staroceske obyceje, povery, slavnosti a zabavy, Prag 1889,
eine freilich nicht erschöpfende Zusammenstellung der Familien- und Volks-
feste in alter Zeit aus Chroniken und anderen geschichtlichen Quellen, ge-
ordnet nach dem christlichen Kalender. Über das Leben der Kinder,
ihre Spiele u. s. w. schrieb Bartos: Nase deti, jejich zivot v rodine, mezi
sebou a v obci, jejich poezii, zabavy a hry i präce spolecne, Brunn 1887.
Böhmische Märchen, Erzählungen und Sagen (der gewöhnliche
czechische Ausdruck für Volksmärchen ist bachorka und pohädka, für Er-
zählung und Sage povest; povidka ist ein mehr allgemeiner Ausdruck)
wurden schon früh, in der Zeit der ersten nationalen Bestrebungen, von
dem bekannten Erzähler, rührigen dramatischen Dichter und begeisterten
Patrioten J. Kaj. Tyl veröffentlicht (Drobnöjsi povidky prostonarodni:
Kleine Volkserzählungen), worauf bald Jak. Malys Narodni ceske pohadky
a povösti 1838 folgten; derselbe verdiente Schriftsteller (Historiker der
cechischen „Wiedergeburt") veröffentlichte dann noch eine vermehrte
Zeitschrift d. Vereins L Volkskunde. 1891. X3
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274 Nehring:
Sammlung: Sebrane bäehorky a povesti 1848. In den vierziger Jahren
sind die meisten Märehen- und Volkserzählungen gesammelt und heraus-
gegeben worden: ausser der genannten Sammlung von J. Mal]f vornehm-
lich die reichhaltige und treffliche Sammlung slovakischer Märchen und
Erzählungen von dem bekannten Begründer der slovakischen Matica Janko
Rymavskjf (Francisci): Slovenske povesti, Leutschau 1845, eine Samm-
lung der beliebten Erzählerin Bozena Nemcova: Narodni bäehorky a
povesti 1845 (dann noch 1858 und 1890) und drei Sammlungen von
Mikäicek: Sbirka povesti moravskych i slezskych, Olmütz 1844, Narodni
bäehorky 1845 und mährische Volkserzählungen: Pohädky a povidky,
Brunn 1847. Der als Volksfreund verdiente Ben es Kulda veröffentlichte
die interessanten mährischen Märchen aus der Gegend von Rosenau 1854
(dann noch in dem allgemeinen Werke über das mährische Volk, Prag
1874 — 75); nicht ohne Wert ist die Sammlung von J. K. z Radostova:
Narodni pohädky, 2 Bde., Prag 1856 (dann noch 1872 **), indess scheint die
Sprache nicht echt volkstümlich zu sein; dagegen sind ganz ausgezeichnet
die slovakischen Sagen imd Volkserzählungen, gesammelt und herausgegeben
von Dobsinsk^ und ^kultety: Slovenske povesti 1858 ff., unter dem
Gesamttitel: Povesti prastarych bajecn^ch cas&v.
Nach einer längeren Unterbrechung stellte sich wieder die Sammellust
ein, zunächst in der slovakischen Matica (siehe oben unter Liedern die
Veröffentlichung vom Jahre 1870). Hraäe, der unbekannte Märchen
zunächst in Zeitschriften veröffentlichte, gab 1873 Povidky naseho lidu
heraus; in derselben Zeit veröffentlichte die Gesellschaft Slavia ein Heft
Narodni pohädky, pisne a obyceji, später Narodni pohädky a povesti 1878,
und Vrana veröffentlichte die treffliche Sammlung Moravske narodni po-
hädky a povesti 1880, besonders treu in sprachlicher Hinsicht. Erben
veröffentlichte 1863 Sto prostonärodnich pohädek, hundert ausgewählte
slavische Märchen, alle in der Sprache des Volkes, aus dessen Munde sie
aufgezeichnet worden sind. Das wiederholt citierte Buch J. Enders:
„Volkssagen aus dem Kuhländchen und der mährischen Wallachei, Neu-
titschen 1861", ist mir nicht bekannt. — Die cechischen Märchensammlungen
in deutscher Übersetzung von Wen zig (in Westslavischer Märchenschatz
1857), von Alf. Waldau, Böhmisches Märchenbuch 1860 und von Groh-
mann, Sagenbuch von Böhmen und Mähren 1863, mit der Tendenz der
Verwertung der Märchen für slavische Mythologie, dürften bekannt sein.
— Dieser reiche Volksschatz harrt noch der wissenschaftlichen Unter-
suchung. Der Artikel in der Prager „Politik" 1868 No. 97 über böhmische
Sagen hat einen archäologischen Charakter; Dobsinsky hat in den
üvahy o slov. pov. 1872 über die slovakischen Volkserzählungen im all-
gemeinen geschrieben.
Die ältesten Sammlungen cechischer Sprichwörter sind oben schon
erwähnt worden, es sei noch erwähnt, dass Javornicky cechische Sprich-
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 275
Wörter durch Erzählungen zu erklären gesucht hat in Hromadkos Wiener
Zeitschrift Prvotiny 1815. Für die slavische, speciell cechische Sprich-
wörterlitteratur ist besonders verdienstlich das Buch von Hanus: Literatura
pHslovnictvi Prag 1853, wo auch deutsche Sprichwörter berücksichtigt
sind, und die Arbeiten von Fr. L. Öelakovskjr, der schon 1839 in Öas.
ces. Mus. über die vergleichende Methode der Sprichwörterforschung schrieb
and zugleich eine Sammlung von Beispielen anführte mit der Ankündigung
eines später erschienenen Buches über die Volksphilosophie der slavischen
Sprichwörter: Mudroslovi näroda Slovanskeho v pHslovich, Prag 1852;
ein Jahr früher veröffentlichte derselbe Gelehrte in öas. 6es. Mus. eine
Sammlimg slavischer Rechtssprichwörter. Die Sammlung der slovakischen
Sprichwörter ^Prislovia a porekadla" in dem Sbomik I der Matica von
1870 ist schon oben (unter Liedern) erwähnt worden; in der letzten Zeit
veranstaltete die Zeitschrift Krok eine Sammlung cechischer Sprichwörter
mit entsprechenden deutschen und altklassischen (die Sammlung beginnt
in dem Jahrgange DI vom Jahre 1890). Von der höchsten Wichtigkeit für
Rechtsanschauungen ist die Sammlung von A. Rybieka: Pravidla,
prislovi a povödeni etc., Prag 1872, mit Nachträgen in der Zeitschrift
Svötozor 1886.
Von Äusserungen des czechischen Volksglaubens (Aberglaubens)
habe ich wegen des zerstreuten und wenig zugänglichen Materials ausser
den oben schon genannten Werken, welche auch Berichte über Volks-
glauben enthalten, leider nur wenig zu berichten. Eine reiche Sammlung
böhmischen Aberglaubens lieferte Houska in Gas. ces. Mus. 1853; in
derselben Zeitschrift, 1860, teilte Erben eine Reihe von Krankheits-
beschwöningen mit; V. Petruv hat in der Zeitschrift Budivoj 1867 über den
Aberglauben des Volkes um Budweis ausführlich gehandelt. Viele Mit-
teilungen aus diesem Gebiete enthalten die vielen Zeitschriften.
V. Die bulgarische Nationalität, durch die lange Türken- und
Phanariotenherrschaft niedergehalten und fast erdrückt, trat für Europa
erst in unserem Jahrhundert aus dem Dunkel hervor: Vuk Stef. Karadzic
veröffentlichte zuerst in seiner Pesmarica zweitem Bändchen vom Jahre 1815
einige bulgarische Lieder und ergänzte im Jahre 1822 in gleicher Weise
durch Veröffentlichung bulgarischer Sprachproben das Petersburger ver-
gleichende Wörterbuch, welches unter Katharina 11. besorgt worden war
Dann folgte Safaf ik in seiner slavischen Ethnographie (Narodopis slo-
vansk^) vom Jahre 1825, indem er das Bulgarische, auch durch Volks-
lieder, näher charakterisierte. Bald darauf durchwanderte Venel in, durch
die russische Regienmg unterstützt, Bulgarien, sammelte und veröffentlichte
Altertümliches und Ethnographisches in dem Werke vom alten und neuen
Bulgarien, Mosk. 1829 ff. und in dem Buche über bulgarische Volks-
lieder 1835; andere folgten dem gegebenen Beispiele, einzelijes von dem
bulgarischen Liederschatz dem Drucke übergebend, wie B'lgarski narod.
18»
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276 Nehring:
pesue i poslovice (Pesth 1842) vouBogorov, von Grigorovic in der ser-
bischen Zeitschrift Kolo 1847, Slavejkov (Bolgarskija pesni), Petersburg
1855. Diese und andere Liedersammlungen verwertete in einem grösseren
Sammelbande der bekannte russische Gelehrte Bezsonov: Bolgarskija
pesni iz sbornikov Veuelina, Katranova i drugich, Moskau 1855, mit einer
ausführlichen Abhandlung über die bulgarischen Volkslieder im Vergleich
zu den serbischen. Als eine erwünschte Ergänzung zu dieser Sammlung
durfte betrachtet werden die Sammlung von Verkoviö, Narodni pesnie
makedonski Bulgara I, Belgrad 1860, welche nur Frauenlieder enthielt,
aber gegenwärtig wegen der vielbesprochenen Frage nach der Nationali tat
der Makedonier (bekanntlich streiten jetzt Bulgaren und Serben um sie)
von Wichtigkeit ist, weil sie die (dem Bulgarischen sehr nahe stehende)
Sprache dieses Volkes richtig wiedergiebt (die von demselben Altertums-
beflissenen herausgegebene Publikation: Veda Slovenska, Petersburg 1881,
mit angeblich altertümlichen Liedern der Pomaken in Rhodopegebirge von
der Wanderung der Bulgaren aus dem Hindustan, von Orpheus u. s. w.
werden mit Recht als apokryph bezeichnet). Auf Makedonien beziehen
sich die trefflichen Aufzeichnungen von Jastrebov: Obycai i pesni turec-
kich Serbov, welche 1889 schon in zweiter Auflage erschienen sind (siehe
unten). Das ganze Gebiet der Bulgaren, auch der makedonischen, umfasst
die Sammlung des durch ihren tragischen Tod berühmt gewordenen
Bruderpaares Miladinovci: Bulgarski narodni pesme, Agram 1861, ebenso
die Sammlung des französischen Consuls Dozon; Chansons populaires des
Bulgares, Paris 1875, und Colakov, B'lgarski naroden sbomik I, Belgrad
1872, in welchem neben Volksliedern vornehmlich Sprichwörter gesammelt
sind. Sehr zuverlässig ist die Sammlung bulgarischer Lieder von Drinov
und Karanov in der Zeitschrift Periodicesko spisanie: B'lgarski narodni
pesne 1876; sehr wichtig für die Ethnographie der Makedonier ist die
Sammlung von Kacanovskij, Sbomik zapadno-bolgarskich pesen, Peters-
burg 1882, mit einer recht belehrenden Abhandlung über Volksgebräuche.
Eine Verwertung der bulgarischen epischen Lieder fand in Jos. Holeceks
Poesie svötova u. s. w.: Junacke pisnö näroda bulharskeho s pfipojenim
pisni milostn^ch (Bulgarische Heldenlieder, mit Hinzufügung von Liebes-
liedem), Prag 1875 statt; für deutsche Leser ist recht brauchbar das Buch
von G. Rosen: Bulgarische Volksdichtungen, ins Deutsche übersetzt von
G. Rosen, Leipzig 1879. — Dieser Liederschatz ist meines Wissens bis
jetzt noch wenig untersucht worden. Bezsonov hat sie mit der serbischen
in Parallele gestellt (siehe oben); in der neueren Zeit sind die Lieder
des Makedonien und Altserbien bewohnenden Volkes und die auf den
auch von den Bulgaren in Liedern verherrlichten Kraljevic Marko be-
züglichen Gegenstand grösserer Aufmerksamkeit geworden; vor allem ist
hervorzuheben, dass bulgarische Festlieder mit genau geschilderten Fest-
lichkeiten in Verbindung gebracht werden, besonders von Kacanovskij
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Die ethnographischen Arbeiten der Slaven. 277
(siehe oben), Rakovski und Jastrebov (siehe unten bei den Sitten-
schilderungen). Chalanskij, der bekannte Kenner russischer und süd-
slavischer Volkspoesie, hat über eine Gruppe bulgarischer Lieder von der
Heirat des Sonnenprinzen (Bolgarskija pesni o zenitbo solnca etc.) in
Russkij filol. vestnik, Bd. XIX, geschrieben.
Sitten, Gebräuche und im allgemeinen das Volkswesen der Bulgaren
fanden einen begeisterten Beobachter und eifrigen Berichterstatter in
RakoYski, der in Pokazalec ili rqkovodstvo, kak se iziskvijt i izdirji|t
najstari crti naäego bytija I, Odessa 1859 (Wegweiser zu Untersuchungen
der ältesten Merkmale unseres Volkes) die ersten Linien zu Studien über
das bulgarische Volk zeichnete. 'Karavelov bot in Pamjatniki narodnago
byta Bolgar (Denkmäler des Volkswesens der Bulgaren, russisch geschrieben),
Moskau 1861 schätzenswertes ethnographisches Material. In der neueren
Zeit werden Volksgebräuche recht eingehend geschildert, so von dem
russischen Gelehrten Kacanovskij in Sbornik (siehe oben), welcher
einen recht belehrenden Abschnitt über bulgarische Volksgebräuche schrieb,
von A. T. Iljev in Sbornik ot narodni umotvorenija, obycai u. s. w. I,
Sofia 1889, der einen wahren Schatz von „Volkserzeugnissen", vornehmlich
Sitten und Gebräuchen aus verschiedenen Gegenden von Bulgarien bietet,
vor allem Jastrebov in dem russisch geschriebenen Buch Obycai i pesni
tureckich Serbov (Sitten und Gebräuche der türkischen Serben, d. h. der
Makedonien und Altserbien bewohnenden Slaven, die eine Mittelstellung
zwischen Bulgaren und Serben einnehmen, den ersteren aber viel näher
stehen), St. Petersburg 1886, zweite Auflage (vermehrt durch neue Texte)
1889. Hier sind zunächst die Hochzeitsgebräuche äusserst sorgfältig und
einzelne Volksfeste, z. B. das Slavafest, Weihnachtsgebräuche, Ostern u. a.
recht eingehend geschildert, mit Hinzufügung der dabei gesungenen Lieder.
Schilderungen des Volkslebens aus den ethnographisch sehr interessanten
Gebieten des Rhodopegebirges bietet das Buch: Äivot na Bülgarite v
srednja Rodopa von J. N. S., Plovdiv (Philippopolis) 1886. Vieles, ebenso
wie Lieder, ist in Zeitschriften enthalten, z. B. Periodicesko spisanie,
Nauka u. a.; hier wurden in neuerer Zeit die bulgarischen Hochzeits-
gebräuche beschrieben. Daraus ist der Stoff entnommen worden zur Dar-
stellung des genannten Gegenstandes in Sbornik der Moskauer Daskovschen
Gesellchaft Bd. I (siehe oben). An dieser Stelle mag eine überaus wichtige
Publikation des bulgarischen Unterrichtsministeriums genannt werden :
Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i kniznina I, Sofia 1889, mit vielen
ethnographischen und anthropologischen Aufzeichnungen von Volksliedern,
Sagen, Sprichwörtern, Rätseln, Volksspielen u. s. w., mit Abhandlungen,
wie z. B. über das Opfer des eigenen Kindes nach slavischen Sagen, oder
Untersuchungen, wie Verzeichnung von Parallelen zu den Volksliedern in
der Sammlung der Brüder Miladin. Auch findet sich hier eine Ab-
handlung über Ethnographie, ihre Bedeutung und Aufgabe. Es ist sehr
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278 Nehring.
auzuerkeimen, dass das Ministerium wenigstens teilweise für die Ver-
breitung dieser wichtigen (über 800 Seiten umfassenden) Veröffentlichung
gesorgt hat; ein zweiter Band folgte schon 1890. Ein sehr umfassend an-
gelegtes, auch für Ethnographie wichtiges Werk ist das dreibändige Werk
von Kanitz: Donau-Bulgarien und der Balkan, I. 1879 und 1882", ü. 1877.
III. 1879, welches ausführliche Reiseberichte des bekannten Verfassers
enthält.
Bulgarische Märchen sind gesammelt in Rakovskis Pokazalec
1859 (siehe oben), Karavelovs Pamjatniki 1861 u. a. In der neueren
Zeit lieferte eine Sammlung aus Makedonien Sapkarev in B'lgarski
narodni prikazki i verovanija, Plovdiv 1885, ausserdem sind bulgarisclio
Märchen, mit Nennung der Bezugsquelle, verzeichnet von Syrku im Archiv
f. slav. Phil. VI, 130 ff.
Bulgarische Sprichwörter finden sich in L. Karavelovs Pamjat-
niki narodnago byta Bolgar, M. 1861 (enthält vornehmlich Lieder und
Sprichwörter) und Colakovs Narodni B'lgarski sbomik, Belgrad 1872.
Nach dem Vorgange und Beispiel Bogisics sammelte bei den Bulgaren
Majnov juridische Vorstellungen und Bräuche: Juridiceskij byt Bolgar,
Petersburg 1871, in Band IV der Ethnographischen Abteilung der Geo-
graphischen Gesellschaft. Zuletzt seien Rätsel genannt, deren über 700
gesammelt und veröffentlicht hat Marinov: B'lgarski narodni gatanki,
Sofia 1879.
VI. Das slovenische Volk ist durch die Dichtungen und Bestrebungen
Vodniks (f 1819) und seiner Zeitgenossen zum nationalen Bewusst^ein
wieder erwacht; einige der vom Volksgeist durchhauchten Gedichte Vodniks
sind zu beliebten Volksliedern geworden. Einer seiner Zeitgenossen,
Stanko Vraz, der dann später sich der von Ljutevit Gaj eingeleiteten
„illyrischen", d. h. kroatisch-serbischen Bewegung anschloss, schrieb anfangs
slovenisch und ist auch einer der ersten, der Volkslieder seines Volkes
liebe- und verständnisvoll sammelte: seine Sammlung Narodne pesni
ilirske, koje se pevaju po Stajerskoj, Kranjskoj i zapadnoj strani Ugerske
(Illyrische Volkslieder aus Steiermark, Krain und Westungarn) I, Agram
1839, ist wohl immer noch die beste; vor ihr wurden slovenische Volks-
lieder in dem 1830 gegründeten periodischen Sammelbuche Kranjska cbe-
lica (Krainer Biene) in seinen fünf Jahrgängen veröffentlicht. Stanko
Vraz übte auf seine jüngeren Zeitgenossen einen grossen Einfluss aus:
bald nach seiner Sammlung erschien die von E. Korytko: Slovenske
pesmi kranjskiga naroda (Slovenische Volkslieder aus Krain), fünf Hefte
1841 — 44, dann folgte die treffliche Sammlung von A. Janeziö: Cvetje
slovanskega naroda. Slovenske narodne pesme, prislovice in zastavice
(Slavische Volksblüten. Slovenische Lieder, Sprichwörter und Rätsel) I.
Klagenfurth 1852. Schätzenswert ist auch die Sammlung von M. Valjavec
aus der Heimatsgegend des Herausgebers: Narodne pesni iz Predvorske
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Volkstümliche Schlaglichter. 279
fare in der Zeitschrift Kres vom Jahre 1884, und die umfangreiche Samm-
lung von Volksliedern der Kämthner Slovenen: Narodne pesni koroSkih
Slovencev von J. Scheinigg in Laibach 1889. Viele Volkslieder wurden
in Zeitschriften veröffentlicht. — Das Volksleben, die Sitten und Gre-
bräuche der Slovenen sind nicht erschöpfend genug in dem Buche von
Suman: Die Slovenen (in der Reihe von Darstellungen u. d. T. Öster-
reichische Völker) 1881, eingehender in dem Aufsatze von Dr. Lecie jewski
über die Slovenen (z ^ycia Stowiericow) in der Warschauer Zeitschrift
Ateneum 1888 dargestellt. Von bedeutendem Werte ist die fleissige Arbeit
von Josip Pajek: Örtice iz du§evnega zivota Stajerskich Slovencev (Schil-
derung des Geisteslebens der steirischen Slovenen) aus verschiedenen Zeit-
schriften und Blättern zusammengetragen, Laibach 1884. In der neuesten
Zeit beschrieb Ötepisnik die Hochzeich tsgebräuche der Slovenen aus
dem Windisch-Peistritzer Kreise; ausserdem finden sich einzelne Schil-
derungen in Zeitschriften, wie z. B. in Kres 1881, 1882 und in Letopis
Matice Slovenske, wo in den Jahren 1877, 78 sich ein Aufsatz über slavische
Sitten aus alter und neuer Zeit findet. — Märchen und Volks-
erzählungen sammelte M. Valjavec: Narodne pripoviedke 1858, Narodne
pripoviesti iz susjedne Varazdinu Stajerske 1875, dann noch in Kres
1884 ff., und B. Krek: Slovenske narodne pravljice in pripovedke, Mar-
burg 1885. — Slovenische Sprichwörter sind gesammelt von Ant. Ja-
neilic in dem oben erwähnten Buche Cvetje u. s. w. 1852.
Breslau.
(Schlnss folgt.)
Volkstümliche Schlaglichter.
Von Wilhelm Schwartz.
n. Von der yolkstäiiiliclieii Naturkenntnis mit einem Exkurs über
die deutschen Pflanzennamen.
Man geht gewöhnlich von der Ansicht aus, als kenne der Mensch die
Natur, in der er sich bewegt, nicht bloss genau im einzelnen, sondern habe
auch für alles in derselben typische und gemeinsame Bezeichnungen, als
sei überhaupt die Naturkenntnis gleichsam ein gemeinsames, bestimmt
fixiertes Volksbesitztum. Und doch ist dies ein grosser Irrtum. Denn auch
auf diesen Gebieten ist das Erkennen und Wissen von den Dingen, schon
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280 Schwartz:
wie es sich zunächst in der Bezeichnung der einzelnen Objekte mit be-
stimmten Namen bekundet, erst allmählich aus kleineren, lokalen
Volkskreisen erwachsen und dann schliesslich erst bei einer sich ent-
wickelnden gemeinsamen Kultur einheitlicher und immer mehr wissen-
schaftlich typisch fixiert und zusammengefasst worden.
Das volkstümlich Individuellere ist auch hier, gleich wie die
Dialekte auf dem Gebiete des Sprachlichen, das Frühere, und meist über-
all treten in demselben, wo es noch hindurchbricht, Verschiedenheiten
und Schwankungen hervor, die erst durch den Verkehr sich zum Teil
zu einer gewissen Gemeinsamkeit in den Hauptmomenten entwickelt
haben.
Wenn man dies verkennt, so wird dies hauptsächlich dadurch hervor-
gerufen, dass unsere Kenntnis bei den Kulturvölkern auch auf diesem Ge-
biete meist erst da beginnt, wo schon litterarische Zeugnisse eintreten, also
jener Prozess sich schon aus den individuell lokalen Gestaltungen mehr
zu der Phase eines gemeinsamen geistigen Lebens auf dem Boden der
Litteratur erhoben hat und die Verhältnisse so schon einen gewissen
Charakter des Fertigen, Abgeschlossenen erhalten haben.
Lehrreich für eine richtige Anpassung werden auch hier entsprechende
Studien in den volkstümlichen Kreisen des eigenen Volkes bei
ihren mannigfachen lokalen und ethnologischen Besonderheiten, indem
trotz alles Einflusses, den die Litteratur und die Schulen in dieser Hinsicht
seit langer Zeit geüb* haben, doch noch immer der natürlichen, aus der
Unmittelbarkeit des Lebens ressortierenden Verhältnisse sich genug erhalten
bezw. erneut haben, um ein annäherndes Bild von den Grundlagen und
Prinzipien des betreffenden Entwicklungsprozesses, wie er überall in ähn-
licher Weise stattgefunden hat zu geben.
Wenn ich schon bei meinen kulturhistorischen Wanderungen in früheren
Jahren auch auf dahin schlagende Betrachtungen gekommen bin, so war
namentlich im Jahre 1888 bei einem längeren Sommeraufenthalt in Friedrichs-
rode imgünstiges Wetter speziell die Veranlassung, direkter einmal darauf
einzugehen, und im folgenden Jahre hatte ich in Sassnitz auf Rügen und
im Jahre 1890 in Flinsberg auf verschiedenen Gebieten Gelegenheit, Ein-
zelnes noch weiter zu verfolgen.
Ja das Landvolk kennt die Natur besser als der Städter und
beobachtet sie im Einzelnen schärfer und eingehender, aber nur
das in der Natur, was zu seinen L ebensbedürfnissenin irgend
welche Beziehung tritt, das Andere bleibt ihm mehr oder minder
beiseit liegen. ^Die Pflanze kenne ich"*, sagte mir ein sehr verständiger
Bauer in Sassnitz, als ich ihn nach einer Waldpflanze, die mir auffiel,
fragte, „aber ich weiss nicht, wie sie heisst; ich glaube, sie hat auch
gar keinen Namon.*^
Das Leben hatte den Mann nicht in Beziehung zu derselben gebracht.
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Volkstümliche Schlaglichter. 281
es war weder eine Futter- noch eine heilbringende oder giftige Pflanze, —
und in seiner Naivität dachte er, die anderen Menschen hätten auch
kein Interesse an derselben und kein Bedürfnis, sie zu benennen. Der
Naturmensch und der demselben in gewissem Sinne nahestehende Land-
mann bekundet eben in seinem Verhältnis auch zu der ihn umgebenden
Natur meist nur einen einfach praktischen Standpunkt, kümmert sich
nur um das, was er von derselben braucht, und verfolgt nun dieses weiter,
gerade wie der Mann der Wissenschaft, der die Entwicklungsphasen und
die Gesetze in dem Geschaffenen vor Allem erforscht, wenn er sich so
mehr theoretisch der Natur gegenüber stellt, alles andere umgekehrt als ir-
relevanter ansieht, in der Flora z. B. die Kräfte und Wirkungen der einzelnen
Pflanzen, in der Fauna bei den Vögeln die Verschiedenheit in den Farben
des Gefieders, den Gesang und dergl., was dem Naturmenschen bei der
praktischen Unmittelbarkeit seiner Betrachtung vor Allem und fast allein
zunächst in die Augen fällt.
Ist so bei aller Schärfe der Auffassung im Einzelnen der Horizont
der sich entwickelnden Naturkenntnis im Volke seinen Motiven nach
schon ein begrenzter, je nachdem die Lebensweise als Jäger, Hirt,
Ackerbauer u. s. w. auf dies oder jenes besonders die Betrachtung lenkt,
80 wird er durch den individuellen Charakter der Lokalitäten,
in denen der Mensch sich bewegt, auch noch von Anfang an bedingt und
in gewissem Sinne, einer allgemeineren Naturkenntnis gegenüber, einseitiger.
Denn abgesehen davon, dass schon jeder Himmelsstrich mehr oder minder
eine eigene Flora und Fauna aufweist, so schaffen auch in demselben
Lande schon die verschiedensten Höhenverhältnisse mannigfachen Wechsel
und Besonderheiten in dieser Hinsicht und begrenzen wieder in den ein-
zelnen volkstümlichen Kreisen die Naturkenntnis, welche nur dann Schule
und Litteratur zum Teil erweitert.
Überall wird man daran erinnert. Aus der Unmittelbarkeit des Lebens
war es z. B. zu erklären, — um nur ein paar bezeichnende kleine Bei-
spiele anzuführen, — wenn in Friedrichsrode die „Golddrossel" (Pirol)
sowie die „Nachtigall" und zum Teil auch der „Storch" in der Jugend
und dem Teil der Bevölkerung, der nicht viel über den Ort hinaus-
kam*), weniger bekannt war, da Golddrosseln gar nicht, Nachtigallen nur
1) Wenn Bernhard Schmidt in seinem „Volksleben der Neu- Griechen, Leipzig
1871 S. 18** den geringen Verkehr der unteren Stände auf dem Lande in Grie-
chenland mit der städtischen Bevölkerung als Grund angiebt, dass ererbte Sitten, Ge-
bräuche, sowie die Dialekte in jenem Teil des Volkes sich so erhalten, und als ein charak-
teristisches Beispiel anführt, er habe in dem Dorfe Pissinonda eine junge Frau kennen
gelernt, welche noch kein einziges Mal in ihrem Leben die kaum zwei Stunden entfernte
Stadt besucht habe, so hat zwar in Deutschland der gesteigerte Verkehr und namentlich
die Eisenbahn die Verhältnisse in der neueren Zeit vielfach geändert, aber in den Jahren
von 1837—1849, in welche Kuhns und meine kulturhistorischen Wanderungen im nörd-
lichen Deutschland fielen, war es auch hier ähnlich so. Fast jedes Dorf führte in
▼oller Zurückgezogenheit ein mehr oder weniger isoliertes Dasein. Die täg-
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282 Schwartz :
gelegentlich im nahen Reinhardsbrunn, Störche erst ein paar Stunden
bergab zu nisten pflegten und dergl. mehr^).
So hat jede Gegend, jeder Lebenskreis in den ihm speziell näher
tretenden Verhältnissen mehr oder weniger einen eigenen individuellen
Horizont und baut unter Umständen denselben auch in der Benennung
der Objekte der Natur eigentümlich aus. Erst gemeinsamere Bezie-
hungen in homogeneren Volkskreisen weiten auch hier die Grenzen, und
so erscheinen dann auch auf diesem Gebiete geographisch-ethnolo-
gische Gruppierungen in der Benennung der Dinge event. in immer
grösseren Kreisen des Volkstums. Es reflektiert eben auch auf das Gebiet
der Naturkenntnis derselbe Prozess, der in der Sprache sich in dialektischen
Bildungen und einer daraus schliesslich erwachsenden gemeinsamen Volks-
spraclie bekundet.
Gelten die für die Urzeit gezeichneten Entwicklungsphasen in gleicher
Weise von allen Gebieten der Natur, so lässt es sich noch immer jetzt an-
nähernd besonders in Bezug auf die Pflanzen- und Vogel weit ver-
folgen, wo die volkstümlichen Auffassungen noch am meisten ihren eigen-
tümlichen Charakter bewahrt haben. Dass es einst weitere Kreise zog,
zeigt aber überall noch die Volkssprache in allerhand dialektischen Über-
resten der Art, die wie einzelne Torso einer, all es umfassenden individuellen
Namengebung in einzelnen Landstrichen sich erhalten haben.
Selbst in betreff des Himmels und der an ihm hervortretenden Er-
scheinungen, die meist zuerst in gleichartigen typischen Namen allgemeiner
Volksbesitz geworden sind, tritt dies noch hervor. Während z. B. das
Wort „Himmel" den Goten und alten Nordländern, den Schweden und
Dänen wie allen übrigen Deutschen in verschiedenen Nüanzierungen gemein-
sam ist, so sind daneben dem sächsischen Volksstamm eigentümlich zwei
andere Ausdrücke: alts. „heblian", „hevan**, ags. „heofon", engl, „heaven**,
noch jetzt in Niedersachsen und Westfalen „heben", ^heven", „häven",
„häwen." „Ich habe", sagt J. Grimm, Myth. 661 „die Grenze zu er-
mitteln gesucht, bis zu welcher sich diese Benennung erstreckt. Unter den
Friesen war sie nicht gangbar, denn noch die heutige west- und nord-
friesische Volkssprache kennt nur den „Himmel". Auch die niederlän-
liche Arbeit des Lebens nahm die Leute so in Anspruch, dass nur höchstens der Jahr-
markt der nächsten Stadt oder ein FamiHenereignis in Verwandten-Kreisen der Nachbar-
schaft für Einzelne einmal die Veranlassung war, die Grenzen ihres Dorfes zu über-
schreiten. Dies erklärte die sonst schwer zu verstehende Macht der Familientradition auf
allen Gebieten, wie sie das Land in so charakteristischer Weise zeigte.
1) Derartige Einzelheiten treten unter anderen Verhältnissen oft in der über-
raschendsten Weise hervor. Als ich im Jahre 1839 z. B. in Venedig war, staunte das Volk
ein Pferd, das sich ein Engländer hatte hinüber bringen lassen, lun auf einer der Inseln
der Stadt täglich etwas spazieren zu reiten, wie ein fremdes Tier an. In der Inselstadt
Venedig gab es eben keine Pferde. Ein ähnliches Verhältnis entwickelt sich jetzt in Berlin
in betr. der Schlachttiere, Rinder u. s. w., die nicht mehr in die Stadt kommen, sondern
vor den Thoren in den Schlachthäusern abgethan werden.
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Volkstümliche Schlaglichter. 283
dische Mundart hat sie nicht; sie findet sich aber in Westfalen, Xieder-
sachsen, bis nach Holstein und über die Elbe hinaus in Mecklenburg und
Pommern." Ich füge noch die Mark Brandenburg hinzu, denn hier heisst
es auch in dem bekannten Volksspmch:
Kukuk von'heven,
Wi lange soll ik leven?
Elbenso sondern sich landschaftlich noch Bezeichnungen für die Ge-
wittererscheinungen. In der Mark nennt man eine grosse Gewitterwolke
einen Mummelack, in Süddeutschland Pöpel, indem beide auf ein Wesen,
was sich in der Wolke (wie in einer Tarnkappe) einmummt oder einpuppt,
hinweisen. In Pommern und auf Rügen bezeichnet man ein solches dickes
Regen- und Donnergewölk mit einer alten, theriomorphischen Auffassung
als „Bullkater". — Während ferner für den Wirbelwind der altmythische
Ausdruck „Windsbraut" sich noch zum Teil allgemeiner erhalten, spricht
man in Schlesien wie in der Oberpfalz von der „Windin". Aus Westfalen
fuhrt Kuhn (Westf. Sagen, Leipzig 1859, 11. S. 92) nicht mehr als acht
weitere Versionen für den Namen des Wirbelwindes an, ein Beweis, wie
überall eine individuelle Entwicklung in der Namengebung hindurchbricht
Um noch ein paar Beispiele anderer Art anzuführen, so sagt man in der
Oberpfalz wieder für Blitzen, „Leuchten", „an Furklara, einen Kreuz-
leuchter thun." Das Wort „leuchten" steht zu Got „lauhatjan", sagt
Schönwerth (aus der Oberpfalz, Augsburg 1858, 11. S, 124) indem er
obiges anführt: ^diesem entspricht genau die Form „laychtn", wie sie hinter
Neuenhammer auf der böhmischen Grenze gebraucht wird." — Für die
Milchstrasse haben Kuhn und ich 15 Namen in Westfalen und Ostfriesland
in den verschiedenen Gegenden aufgefunden, von denen einzelne wie
„kaupat", „wägenpat", „ssünpät" noch mythologisch anklingen^ andere wie
Kölnsche, Frankfurter und Aachener Strasse aus der lokalen Richtung der
Milchstrasse nach den betreffenden Orten benannt sind'). Überall geo-
graphische Sonderung, so dass man z. B. im Saterlande in Ramslohe
„Molksträle", in Scharrel „ssunpät''. in dem nahen Baltmm „wägenpat"
sagt u. s. w.
Das sind alles individuelle Ansätze von besonderen Anschauungen und
Namen volkstümlicher Art bei denen es nur von zufalligen Umstanden
abhing, ob sie sich nur in landschaftlicher Begrenzung hielten oder
weitere Kreise zogen, wie z. B. zum Teil ^heven" und in vollstem Maa^se
das Wort „Windsbraut^.
In Betreff der grösseren Tierwelt herrscht eine gewisse Überein-
stimmung, nur für den Wolf führt Dähnert in seinem Wörterbuch der
Pommerschen und Rügischen Mundart vom Jahre 1781 noch als eigentüm-
1) Kahn und Schvartz, Norddeutsche Sa£^-D 187I*. S. 457. Kuhn, W*>rtfäli>che
Sagen. II, S. 85.
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284 Schwartz:
liehen Namen „Znbbelke" S. 562 an. In bezug auf das Schwein hat
Mecklenburg noch gewisse Eigentümlichkeiten. Der Zuchteber heisst
hier auch Kempe, Bir oder Ber; in Westfalen und Niedersachsen, auch
in Schlesien, heisst der Eber geradezu Bär, was zu Verwechselungen mit
dem Bär (ürsus) Veranlassung gegeben (Schiller, zur Tier- und Kräuter-
kunde 1861, n, S. 7). In Schlesien heisst der Bulle „Stammochs".
Noch mehr Sonderheiten haben sich aber in den Namen der Würmer
erhalten. So wird in der Mark, Pommern und Mecklenburg „Imme" für
„Biene**, Mire (engl. Mire, schwedisch Myra) für Ameise gesagt (selbst in
Berlin ist volkstümlich: „Mirenspiritus" und „Mireneier" ^); in Mecklen-
burg, Pommern und Rügen heisst es „de Snake" von einer kleinen
Schlange u. dergl. mehr.
Besonders aber, wie schon angedeutet, bekundet sich noch heutzutage
die landschaftliche Verschiedenheit und Eigentümlichkeit des volkstüm-
lichen Charakters der Naturkenntnis in BetrefiP besonderer Namen-
gebung in bezug auf die Vogel- und Pflanzenwelt, zumal bei der hin-
zukommenden Verschiedenheit der Gegenden selbst").
Dass in Friedrichsrode u. A. die Golddrossel (Pirol) den gewöhnlichen
Leuten unbekannt war, oder wer sie kannte, sie wie ein fremdes Tier
ansah, habe ich schon erwähnt. Auch noch andere Vögel fielen beim
Nachforschen aus. Von eigentümlichen Namen fand ich aber dort: Kähl-
rötchen (Rotkehlchen), Ackermännchen*) (weisse Bachstelze), Witscherling
oder Wiesenvogt*), (eine Art Würger), Grienitz (Kreuzschnabel), Pikter-
wik (Wachtel), Strumpfweber oder Zischen (Zeisig), Schwarzkopf oder
Lübig (Dompfaff), Tannrutscher (Klettermeise). Neben der Feldlerche
kennt man auch eine Trülerche (wohl die Heidelerche).
Was die Bekanntschaft mit den Vögeln überhaupt anbetrifft, so waren
dabei besonders massgebend, wie zunächst eine statistische Aufnahme in
der Schule ergab, die lokalen und sonstigen Lebensbeziehungen. In erster
1) Die Miereneier — welche zum Vogelfatter dienen — gewinnt man auf verschiedene
Weise. Charakteristisch ist insbesonders folgende. Auf einem breiten Waldwege macht
man eine Anzahl flacher, circa einen Fuss im Durchmesser habender Löcher. Über das
Ganze breitet man ziemlich dicht Kiefemzweige. Dann fegt man einen Ameisenhaufen,
den man seiner Eier entledigen will, in einen Sack und schüttet diesen auf der erw&hnten
Kiefemlage aus. Die Ameisen beginnen sofort, die Eier auszusuchen und in die Gruben
zu ti-agen und nehmen so die unangenehme Arbeit den Menschen ab, die nur nötig haben,
die Zweige hernach beiseit zu schieben, um sich dann der sauber ausgelesenen Eier in den
Gruben zu bemächtigen.
2) So z. B. auch in betreff der Fische, je nachdem in einer Gegend Fischerei, nament-
lich an Seen, getrieben wird, oder nicht.
3) Sogenannt, weil, wie auch Grube in den Biographien aus der Naturkunde an-
führt, sie dem pflügenden Bauer in der feuchten Ackerfurche nachfolgt und emsig die
blossgelegten Würmchen sucht.
4) Den letzteren Namen führt der Vogel, weil er gern Gebüsche auf Wiegen zu seinem
Aufenthalt w&hlt, wo dann jeder sein eigenes Revier hat, in welchem er keinen anderen
seiner Art duldet.
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Volkstümliche Schlaglichter. 285
Linie standen neben dem „Spatz" (Sperling) die Vögel, die auch in den
Stuben in einem Bauer gehalten wurden, nämlich Rotkehlchen, Zeisig,
Stieglitz und Fink, sowie der Kreuzschnabel, dem man die Kraft zuschreibt,
gut gegen Rheumatismus zu sein. Dann kamen die, welche in die Gärten
kommen, namentlich die, welche zuerst im Frühling auftreten, wie der
Staar, dann die, welche auf den Wiesen und auf dem Felde ihr Wesen
treiben; endlich die im Walde. Grundsätzlich fragte ich, wenn ein Vogel
in letzterem sich vernehmen Hess, einen Vorübergehenden nach dem Namen
des Vogels. Traf ich auf einen Holzfäller oder Förster, der kannte natür-
lich die Vögel des Waldes, für die übrigen gab es in der Regel drei
Kollektivbezeichnungen. Die kleinen Vögel waren Meisen; klang heller
Vogelschlag, dann war es ein Fink oder eine Amsel, seltener eine Drossel.
Ahnlich waren meine Erfahrungen in Flinsberg, nur dass hier, weil
der Wald überall den Häusern näher rückt, die Waldvögel mehr in den
Vordergnmd traten. Daneben fehlte es auch nicht an Sonderheiten. Auf
dem Iserkamm, wo das Getreide schwindet, tritt selbst der Sperling nicht
in den Horizont der Menschen und bleibt so den Kindern, die dort auf-
wachsen, zunächst unbekannt.
In Sassnitz und sonst auf Rügen tritt auch der Horizont der Bevölkerung
in dieser Hinsicht verschieden hervor, je nachdem die Örter am Strande
liegen und das Sinnen der Leute sich mehr auf die See richtet, oder land-
einwärts und besonders in der Nähe von Wald. An provinziellen Bezeich-
nungen notierte ich mir hier: „Markward" oder „Marquard" als Namen des
Hähers, „Dubenklemmer" für Habicht, „Qweckstart" für Bachstelze, in
demselben Sinne, wie man sie sonst „Wackelschwanz" oder „Wippstart"
nennt (Wepstart bei Reuter, Hanne Nute, Volks-Ausgabe, Bd. 4, S." 63,
194). Geelgos in Bergen, Gellegaus in Sassnitz wurde mir als Bezeichnung
der Amsel angegeben. Mein Kollege, Herr Dr. Matthias, machte mich
darauf aufmerksam, dass wohl eine Verwechselung mit der Goldammer
stattgefunden habe, die auch bei Reuter, Hanne Nute, Bd. 4, S. 37, 43
Gelgaus genannt werde. Auch Grümbke, die Insel Rügen, Berlin 1819,
S. 127 nennt, wie ich nachträglich sah, die Goldammer das „gelbe
Gänschen" und Schiller „Zum Tier- und Kräuterbuche des mecklen-
burgischen Volkes", Schwerin 1861, S. 13 ebenfalls, indem er noch eine
interessante Topographie für den Namen giebt: um Rostock: Gälgensiken,
sonst in Mecklenburg: gele Gösslichen oder gele Gesichten, in der Prov.
Preussen: Geelbanch, in der Altmark: Gälgäsk gerst, gälgatsch, in der
Uckermark: Gelbgüssel, in der Grafschaft Mark: Geäle Gaus, in Waldeck: .
Gelgaus, im Ditmar. : Gelmöschen oder -göschen, in Schleswig aber Leck-
schit. Üähnert hat Geelgöschen: ein Grrunfink. Wie dem aber auch sei,
jedenfalls zeigt es, wie leicht Schwankungen und Übergänge bei einer nur
auf mündlicher Tradition beruhenden Kenntnis eintreten können, hat doch
im vorliegenden Falle auch die Amsel einen orangegelben Schnabel, der an
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286 Schwartz:
die Gans eriuneru konnte. — Für Staar führen Dähuert, Müllenhoff
und Grümbke „Sprehn" an, einen uralten deutschen Namen, der altnieder-
deutsch schon im 10. und 11. Jahrhundert auftritt und auch sonst noch in
Nieder- und Mitteldeutschland sich findet (s. Weigand, deutsches Wörter-
buch 1876 unter: die „Sprehn"^), Müllenhoff Glossar zum Quickborn 321).
In noch höherem Grade aber variieren und schwanken die Namen in
der Flora, sobald man das volkstümliche Gebiet betritt. In betreff der
Nadelhölzer, um von den Bäumen nur ein Beispiel zu geben, unterscheidet
mtin im allgemeinen bekanntlich in gebildeten Kreisen Norddeutschlands
Fichte und Tanne, je nachdem die Nadeln rund um die Zweige oder
in doppelter Reihe zu beiden Seiten des Zweiges wie die Zähne eines
doppelten Kammes in einer Reihe stehen; von der ersteren sondert man
dann die Kiefer (Kienföhre) ab, welche paarweis verbundene Nadeln wie
meist paarweis stehende Zapfen hat. In Pommern aber, wo die Kiefer
überwiegt, gebraucht man nun volkstümlich meist ohne Unterschied Kiefer
und Fichte für alle gewöhnlicheren Nadelhölzer, Tanne für eine seltener
vorkommende Art. In der Mark ist es ähnlich, nur dass man meist statt
Kiefern und Fichten den Ausdruck „Kienen" anwendet, und die ersteren
beiden Bezeichnungen nur vereinzelter zur Anwendung kommen. Man
spricht von „Kienholz", vom „Kienwald" ; gewöhnlicher freilich heisst es hier
statt Wald „Heide." „Man holt Holz aus der Heide", „fährt in die Heide«
und dergl. mehr, weil ursprünglich, ehe die Kultur auch hier Änderung
schuf, es meist nur unbebaute, mit Heidekraut bewachsene Strecken
waren, in denen nur stellenweise Nadelholz sich fand. Hat sich in dieser
Hinsicht die Bezeichnung doch auch noch typisch in der Lüneburger, der
Torgauer, der Görlitzer, Bunzlauer Heide u. s. w. erhalten.
In Mittel- und Süddeutschland entwickeln sich die Begriffe nun aber
fast umgekehrt, indem die Tanne vorwiegt, und so zur allgemeineren Be-
zeichnung für Nadelholz geworden ist, und alles Besondere dann unter dem
Namen „Fichten" zusammen gefasst wird, der Name „Kiefeni" fast ganz
ausfällt.
Zeigen sonst die grössern Bäume in Deutschland fast überall denselben
Namen, so brechen doch bei kleineren noch immer volkstümliche Varianten,
je nach Zeit und Ort, hindurch. Vom Holunder (Sambucus nigra) führen
z. B. Pritzol und Jessen ^Die deutschen Volksnamen der Pflanzen,
Hannover 1882" fast ca. 90 an, z. T. ganz anderen Stammes als das
Wort Holunder, z. B. Kissekenbaum oder die Püsseke in Göttingen, Keil-
kenbee (Colikbeere) in Ostfriesland, Schetschken in Schlesien, Schotschken
in Anhalt und dergl. mehr.
Auch die Namen der Beeren wechseln landschaftlich. Vaccinium vitis
1) Der Sperling heisst auf Rügen ^Sparlink", während er in Lübeck, Holstein, Bremen,
Ostfriesland wie im grössten Teile Westfalens .Lüning**, „Lünne** „Dach-", „Huslünk'- u. s. w.
genannt wird. Schiller, Zum Tier- und Kräuterbuche II, Schwerin 18(>1, S. 15.
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Volkstümliche Schlaglichter. 287
idaea L. heisst, um nur einige Namen anzuführen, in der Mark wie in
Graubündten: Preisseibeere, von Schlesien bis Elsass: Preusselbeere, in
Mecklenburg: Knafvelbeer, an der Unterweser, N.-Hannover, Pommern und
der Altraark: Kronsbeere, in Baiern, Tirol, Kärnten und Steiermark: Grauten,
inOesterreieh: Grandelbeer. Wenn die Mecklenburgischen, Oldenburgischen
and Schleswig-Holsteinschen Namen: Tutabeer, Tutjebier, Tüttebär an das
Dänische Tyttebär erinnern, so lehnt sich das Vorpommersche Linjon an
den schwedischen Namen der Pflanze: Lingon.
Treten in dem letzteren ethnologische Bezüge neuerer Zeit hervor,
80 haben wir in der Mark und zwar speciell im Barnim ein sehr charakte-
ristisches Beispiel, wie sich aus der Zeit der Slavenherrschaft, also über
7 Jahrhunderte, ein solcher Name vereinzelt in den Familientraditionen
erhalten hat, nämlich das Wort Malineken für Himbeere*). Denn in der
Lausitz heissen sie noch auf wendisch „Maline".
Wie verschieden aber die Namen der Pflanzen auch sind, immer
haben sie auch einen bestimmten lokalen Hintergrund, ein bestimmtes
Terrain.
Aus der Urzeit freilich sind nur wenige Namen zu uns herüber ge-
kommen, bei denen dies nachweisbar ist. Vor allem sind bedeutsam in dieser
Hinsicht die Mistel und überhaupt dann die schmarotzerartigen Auswüchse
an Bäumen, die, an sich schon merkwürdig, durch die sich daran schlies-
senden abergläubischen und sagenhaften Beziehungen in der Tradition
vielfach mit altertümlichem Namen festgehalten wurden. Stimmt der
Name Mistel zu der altnordischen und englischen Bezeichnung, so heisst
sie in der Schweiz: Donner- oder Hexenbesen, in Holstein und Mecklen-
burg: Marentaken, in Schwaben gleichfalls Marentocken, d. h. Zacken oder
Rute des gespenstischen Mahr, wozu sich dann die Alprute stellt, was auch
ebenso wie Alpkraut (im Elsass) wieder ein Name für das „Donnerkraut"
ist und auf den Alb sowie auf Donar zurückgeht.
In dem „Indogermanischen Volksglauben", Berlin 1885 habe ich an
verschiedenen Stellen, namentlich S. 74 und 102, von den mythischen
Beziehungen dieser Ruten und struppig verwirrten Schmarotzerpflanzen
zur „Blitzrute" und dem „Blitzzickzack" des ausführlicheren gehandelt,
indem man in dem am Himmel im Gewitter „aufblühenden" Wetter- oder
Wolkenbaum in jenen Erscheinungen „leuchtende" Zweige desselben oder
Schmarotzerpflanzen an demselben in der Luft sich entwickelnd wähnte
und diesen nun allerhand zauberhafte Bezüge zu den unter Umständen
„totlichen" wie „heilsamen" Wirkungen des Gewitters beilegte, welche der
Aberglaube dann später in der Tradition mechanisch auch auf ihre irdischen
analogen Substitute übertrugt).
1) Meine Sammlung der Sagen der Mark Brandenburg S. 84.
2) Schon im Ursprung der Myth. 18(iO S. VIII hatte ich auf die Vorstellung des
Himniels als eines paradiesischen, zauberhaften Wolkengartens hingewiesen. Ich wieder-
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288 Schwartz:
Bei dieser Gelegenheit habe ich auch Bezug genommen auf den nach
Finn Magnussen in Schweden lokal auftretenden Namen für die Mistel,
nämlich Ve-Spelt, d. h., wie jener sagt, sacrum sive sacri ignis planta aut
frutex, und auch hierin eben wie in ähnlichen Zügen anderer Sagen einen
Bezug auf die angeblich im Qewitter am Himmel in der Luft aufblühende,
oben geschilderte, himmlische Mistel gefunden. An diesen Namen Ve-Spelt
klingt nun wunderbar an der Name der Mistel , wie ich ihn bei
Pritzel und Jessen jetzt noch als den Siebenbürgern eigentümlich finde,
die ja so vieles Altertümliche sich in ihrem Sonderleben bewahrt haben,
nämlich „Waspelt." Ist da wie bei den Malineken ein alter Zusammen-
hang, etwa ein Nachklang alter gemeinsamer Bezeichnung?
Doch kehren wir nach dieser Abschweifung zur allgemeinen Charak-
teristik der Pflanzennamen in Deutschland zurück, so ist deren Mannig-
faltigkeit fast erdrückend. Jessen giebt in seiner Vorrede an, dass sein
Werk etwa 24000 derartige gebe. Freilich haben daran Jahrhunderte in den
verschiedensten Volkskreisen bis in die neueren Zeiten gearbeitet, und neben
der individuellen Namengebung aus unmittelbarer Anschauung oder
anderen, den Pflanzen angeblich eigentümlichen Gründen, hat die Über-
tragung imd Umgestaltung unendlich vieler, auch aus den klassischen
Sprachen stammender Namen dazu beigetragen, die Namenfülle unendlich
zu mehren, zumal gerade hierin kein von der Literatur getragenes System
sich geltend machte, sondern wieder lokale Individualisierung und Ver-
schiebungen, dann auch allerhand Volksetymologien, um sich den unver-
ständlichen Namen näher zu bringen, so dass die Unbestimmtheit und
Flüssigkeit in der Sprache sich nur mehrte.
Ein Beispiel von der Verwirrung, die bei der Namengebung nach
äusseren Accidentien in den verschiedenen Volkskreisen eintrat je
nachdem mehrere Arten von Pflanzen dieselben zeigten, bietet z. B. das
Wort „Butterblume''.
Dasselbe bezeichnet nach Pritzel und Jessen bei Toxites (16. Jahrh.)
die sogenannte Hundskamille, Anihemis arvemis L,, bei Tabernaemontanus
(aus ders. Zeit) Ranunculus acet', den sogen, scharfen Hahnenfuss. So noch
hole die Stelle, wie sie auch Gubernatis an die Spitze seines Werkes: Mythologie des
Plantes, Paris 1878 gestellt, da sie kurz den Hintergrund zeichnet. „Bald ist der Himmel",
sagte ich, „ein aufblühender Blumengarten, den der Glaube in den sich entwickelnden
Wolkenbildungen fand, bald schienen gewaltige, feurigblitzende, zauberhafte, feurig
oder golden leuchtende Blumen, bald volle Wolkenbäume mit leuchtenden Blüten und
Früchten am Himmel zu entstehen ; in allen möglichen Spielarten schienen diese Pflanzen,
diese Bäume zu schillern, je nachdem diese oder jene Himmelserscheinung ein Analogon
bot. Dort am Himmel erblühte im Gewitter u. A. der Narkissos mit seinen hundert
Dolden, den die (Sonnenjungfrau; Persephone brechen wollte, der Himmel und Erde mit
seinem „betäubenden'* Duft erfüllt hatte, dort die Blumen, welche die Sonnenrosse weideten:
dort liess Zeus den Hesperidenbaum mit seinen goldenen Äpfeln entstehen, als er sich
der Hera im Gewitter nahte. Dort entstand des Zeus .prophetische" Eiche, in Analogie
zu der finnischen Himmelseiche, welche Sonne und Mond verbarg u. s. w."
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Volkstümliche Schlaglichter. 289
jetzt in Wangeroge, Ostfrieslaud, am Erzgebirge und bei Zürich. In Thü-
ringen und Schlesien nennt man so Ranuncultis aui^omus^ in letzterem
auch Ran. polyanihemos ebenso wie Calendula officinalü L. und Chiysosplenium
altemifolium. In der Mark (incl. der Altmark), Mecklenburg und Bremen
heisst so fast allgemein Leontodon Taraaacum^ in der ersteren auch, wie
mir Herr Dr. Matthias mitteilt, gelegentlich Hypochoeris radicata und
fflabra. Von Ostfriesland bis zur Altmark und in Schlesien führt auch
Caüha palustris^ die sogenannte Sumpfdotterblume jenen Namen, in Kärnten
im MöUthal: Troüius europaeus L. u. s. w. Charakteristisch ist bei allen,
die mehr oder weniger Frühlingsblumen sind, eine gelbe, in der Blüte
prononciert herrortretende Farbe, die an die im Frühling gewonnene,
frische, sogen. Maibutter erinnert, so dass offenbar in dieser Parallele der
Ursprung des Namens gesucht werden muss, der eben überall für analoge
Verhältnisse in gleicher Weise aus der Unmittelbarkeit des Eindruckes
hervorgegangen ist*).
Von den Schwankungen und Verschiebungen, welche bei Übertragung
gelehrter Namen in das Volk entstanden, gab mir bei meinem Sagen-
sammeln der Name „Orant" ein sehr charakteristisches Beispiel. In betreff
desselben, der in Verbindung mit dem „Dost", gegen Hexen und Teu-
feleien aller Art für wirksam galt, hatte schon J. Grimm, Myth.', S. 1164
bemerkt, Dost sei origanum (gewöhnlich d8r wilde Majoran), Dorant oder
Orant Antirrhinum (Löwenmaul) oder nach Einigen marrubium (Andorn).
In Pechüle bei Jüterbock hörte ich nun einst eine Sage, wo Nicker eine Frau
im Kjndbett angeblich fortschleppen; wie sie aber im Garten an blauen
Orant kommen, sie jene müssen fallen lassen (Nordd. Sagen. 1849 Nr. 106.).
Nach Pritzel und Jessen stammt der Name orant aus dem Orontium
des Galenos, und Antirrhinum orontium mit massig grossen, rosafarbenen
Blüten wird schon bei Gesner, Catalogus plantarum lat. graec. germ.
Basel 1541, S. 8 als orant aufgeführt und gilt als solcher für Hessen. Da-
neben wird aber auch Antirrhinum arvense (ohne Ortsbestimmung), ein kleines
Ackerpflänzchen mit hellblauen, ziemlich kleinen Blüten, speziell als
blauer Orant aufgeführt. Ebenso kommt Antirrhinum minus L., ein kleines
Ackerpflänzchen mit hellvioletten Blüten, als Orant (ohne Ortsbestim-
mung bei Pritzel) vor, daneben in Thüringen Antirrhinum maju^^ die
bekannte Gartenpflanze, das sogenannte ,^osse Löwenmaul^ als grosser
Dorant.
Nun begegnete mir auf Sassnitz der Orant in der Schilderung meines
1) Irrtumhch hehanptet man, dass der Name „Butterblume'*' daher stamme, weil man
mit den betreffenden Blumen gelegentlich die Butter färbe oder die Frühlingsbutter eine
besonders schöne gelbe Farbe erhalte, wenn das Vieh mit diesen Kräutern gefuttert werde.
Das sind gelehrte und gesuchte Deutungen. Auch der analoge Name Dotter- oder Eier-
blame für dieselben oder ähnliche gelbe Blüten bestätigt, dass einfach in der Farbe der
Ursprung des Namens zu suchen ist.
Zeiuehrift d. Vereint f. Volkskunde. 1S91. 19
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290 Schwartz:
Wirtes unter der Form Uranken wieder^), aber als eine Pflanze ganz
anderer Art, mit angeblich weisser Blüte und einem betäubenden Geruch.
„Im Hochsommer blühe sie", erzählte mein Wirt; „er wäre einmal als
Junge in die Stubbnitz gelaufen und gerade wie er die schönsten Uranken
sich gepflückt, da hätte es plötzlich in den Bäumen geknistert und ge-
knastert, als wenn der Nachtjäger vorüber gezogen u. s. w." Weitere Unter-
suchungen ergaben dann, dass es hier Orchia bifolia L, = Piatanthera bifoUa
Rchb, war, die hier wie in Mecklenburg jenen Namen führt und eine stark
nach Vanille duftende Blutentraube hat*).
Aber auf diese Varietäten beschränkt sich die Sache nicht einmal, son-
dern, wie mir gleichfalls Herr Dr. Matthias feststellte, gilt in der Mark
wie im Elbthal Aster salicifolius als Orant, in der Altmark speziell als
„Witten Oranf Achülea ptarmica L, In Thüringen wie in Schlesien wird
sogar Origanvm vulgare L, als Orant bezeichnet (in Schlesien Organ ge-
nannt). Und in Bocks Kreuterbuch vom Jahre 1530 und Lonicer Kreuter-
buch, Frankfurt a. M. 1587, sowie inRuppius, Flora Jenensis, Frankfurt
1718 ist Reseda luteola L. als Orant aufgeführt.
Auf Rügen lernte ich auch für Kornblume (Centaurea cyanus L.)
noch den eigentümlichen Namen Trems (Träms) kennen, der auch, wie
Pritzel und Jessen angeben, als „blagen Trems" in Mecklenburg, als
Trembsen in Pommern, unter der Form Trampst aber in Münsterland und
als Tremse in Göttingen auftritt. Onkel Bräsig erwähnt die Tremsen bei
Reuter, Stromtid I. (Volksausg. Bd. 6 (1878) S. 258) unter verchiedenen
anderen Pflanzen, denn als Frl. Fidelie von Rambow ihn fragt, wo sie
Kornblumen finde, sagt er: „Die will ich Ihnen weisen, dass es 'ne wahre
Lust ist; hier ganz dichting bei aufs Gürlitzer, da stehen Tremsen un
Feuerblumen un witten Wesel un Distelköpp, kurzum die ganze Plantasch.*
Auch ins Hochdeutsche hat sich der Name gelegentlich verirrt. So spricht
Voss in der „Louise" von Thremsen und Tremissen, Chamisso von
Trempen, Fr. imd K. Eggers betitelten ihre plattdeutschen Dichtungen
Tremsen; dies ist aber isoliert geblieben und hat nicht weitere Nach-
ahmung gefunden. In der Altmark heissen sie übrigens „Hungerblomen",
in Westfalen „Qwast", in Schwaben und Schlesien „Sichelblumen" u. s. w.
Doch genug der Beispiele! Nun noch ein paar kurze Bemerkungen zum
Schluss.
Wenn bei der bunten Mannigfaltigkeit in den Namen der Pflanzen, nach
den verschiedenen deutschen Landschaften, namentlich bei den vielfachen
Gegensätzen zwischen Nord und Süd, den fast überall hervortretenden Schwan-
1) Die Endung entspricht der Wandlang z. B. des Namens Walpnrgis, wenn man auf
Rügen statt Walpemabend „to Wolbrechten" oder „Wolbrekken" sagt
2) Vergl. Pritzel und Jessen, sowie Potoni^, Illustrierte Flora, Berlin 1886 S. 170
3/0, wo es heisst: Platantbera wird Waldhyacinthe, Nachtschatten und Orant genannt
{OrchU bifolia L).
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Volkstümliche Schlaglichter. 291
kungen und Verschiebungen in betreff der Namen so wie der Pflanzen die
wissenschaftliche Botanik nichts damit anfangen konnte und meist nur mit
den üblich, gleichsam offiziell gewordenen lateinischen Namen arbeitet, so
ist auch ebenso der einzelne Pflanzenname oder die durch ihn bezeichnete
Pflanze für den Eräuteraberglauben und die sogen. Pflanzensagen zunächst
fast wertlos und nichts daraus abzuleiten. Nur die Verfolgung der in eigen-
tümlich gruppenartiger Weise mit ihren Accidentien sich zusammen-
stellenden Pflanzen wie z. B. der erwähnten Schmarotzerpflanzen kann
eine Grundlage zu einer entsprechenden wissenschaftlichen Betrachtung
geben, welche Rolle eine Pflanze und weshalb sie selbige gespielt; in
Schlussfolgerungen aus Einzelnheiten geht man leicht fehl.
Eine Geschichte des Pflanzenaberglaubens in diesem Sinne soll erst
noch geschrieben werden. Sie wird zeigen, dass seine Hauptmasse zunächst
von mythischen Traditionen ausging. Schon eine Zusammenstellung
der hauptsächlichsten zauberhaften Wirkungen, wie sie namentlich bei
den Indogermanen jenen Wunderblumen beigelegt werden, dass z. B. ge-
wisse Pflanzen, bezw. Zweige von Sträuchem und Wurzeln, gegen Unwetter,
namentlich gegen Hagelschaden, böse Geister (Hexen u. dergl.) schützen^),
unverwundbar (stich-, hieb- und schussfest) machen*), zauberhaft ein-
schläfern oder aus dem Totenschlaf wieder erwecken*), durch ihre Be-
rührung oder den Schlag der Rute Berge öfinen*), Schätze oder Wasser
anzeigen u. dergl. mehr, weist darauf hin, dass, trotzdem sich diese Vor-
stellungen Jahrtausende hindurch bei den betreffenden Völkern in den
Traditionen erhalten haben und noch z. T. erhalten, sie nie einen realen,
sondern nur gläubigen Hintergnmd gehabt haben, der aus alten mythischen
Vorstellungen entstanden, wie sie auch in den Göttersagen noch mannig-
fach für sich reflektieren.
Verschiedene, den wirklichen Pflanzen innewohnende, bedeutsame,
namentlich narkotische Kräfte, welche der Naturmensch allmählich kenneu
lernte, waren einst die Brücken für die Vorstellung angeblich zauber-
hafter Wirkungen auch der himmlischen Pflanzen gewesen, welche dann
1) Wagner hebt mit Recht in seiner „Malerischen Botanik^ Leipzig 1872 II, S. 248,
als er yon den Hexenkräutern, dem AUermannshamisch u. s. w. spricht, hervor, dass es
meist Kräuter der harmlosesten Art seien. Farbe, Genich und dergl. hat sie eben nur zu
Substituten ihrer mythischen Prototypen gemacht
2) Z. B. bei den Griechen das aus dem Blut des Prometheu» entstandene <#>a^/uaxov
Ugofiridttoy^ bei den Deutschen im Mittelalter die aus Drachenblut angeblich entsprossene
Trachante, dann der AUermannshamisch (in Baiem, Salzburg, Graubündten Allium victo-
natu L, in Kämthen Convallaria polygonatum L., in Mecklenburg Oladiolus communis).
3) 8. meinen Indogerm. Volksgl. an verschiedenen Stellen.
4) Damit hängt der Name der landschaftlich sehr variierenden sogen. Schlüsselblume,
Himmelschlüssel, des Yergissmeinnicht zusammen. In den Friedrichsrodaer Sagen, welche
ich m der Berl. Zeitschrift für Anthrop. Bd. XXII, S. 131 flf. mitgeteilt, tritt Amica mon-
teno, die sogen. Johannisblnme, als solche auf; oft wird sie auch einfach „Wunderblume^
ohne Speziabamen genannt.
19»
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292 Hoefler:
die Tradition auf die irdischen Substitute zurück übertrug, während da-
neben, auf reale Erfahrungen hin, sich allmählich auch ein eigener
selbständig begründeter Kräuterglaube in betreff aller möglichen
menschlichen Lebensverhältnisse bildete, so dass schliesslich ein Gewebe
entstand, das aus Dichtung und Wahrheit gewoben war, welches die Wissen-
schaft dann erst angefangen hat wieder aufzulösen und in seinen ein-
zelnen Teilen richtig zu stellen.
(Fortsetzung folgt)
Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone beim
bayerisclien Volk.
Von Dr. M. Hoefler in Toelz.
Die Behandlung der menschlichen Krankheiten durch Kultmittel reicht
in das höchste Altertum hinauf. In jenen Zeiten, in denen jeder Kranke
blos „schwach" (swak wahrscheinlich von suk : sink, sioh, siech) 'frar und imter
der „Siechheit" jeder genauere Krankheitsbegriff noch schlummerte, da
gab es wohl auch nur einen Krankheitsgott, der für dieses Schwachsein
half. Es wird der grosse Gott des Lebens, der Fruchtbarkeit gewesen .
sein, an welchen sich die Kranken um Hilfe wandten. Als man aber mit
zunehmender Erkenntnis die verschiedenen Siechheiten und Suchten son-
derte, teilte sich auch die Aufgabe des Kranheitsgottes. Durch das
Christentum und dessen Glaubensboten kamen neue Krankheitsanschauungen
in das Volk. Die verschiedenen Heilkünste konnten nicht alle auf einen
einzigen aus der grossen Menge der christlichen Heiligen übertragen
werden; viele der letzteren teilten sich in das von der Kirche übernommene
Inventar der volksüblichen Kulthandlungen aus der Heidenzeit.
Germanisches und römisches Heidentum, das Christentum der Klöster,
jener frühesten Pflanzschulen medizinischer Wissenschaft in unserem Lande,
und die Reste der mit der Naturverehrung zusammenhängenden Urreligion
finden sich so gewissermassen personifiziert in den volkstümlichen Krank-
heitspatronen, als welche verschiedene Kalenderheiligen vom Volke an-
gesehen wurden und noch betrachtet werden.
Je nach der Örtlichkeit sind die Patronate verschieden, auch je nach der
Art des Zweckes. Reformation und Gegenreform haben stark aufgeräumt,
und nur an besonders gehegten Plätzen fristen solche Anschauungen und
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Die Kalender-Heiligen als Krankheit»-Patrone beim bayerischen Volk. 293
Bräuche noch eine zum Teil üppige Existenz fort. Sie zu sammeln, ist
aber Aufgabe der Volkskundigen.
Januar.
6. Der heilige Dreikönigstag. Die drei Weisen aus dem Morgen-
lande tragen nach kirchlicher Überlieferung die Namen: Caspar^ Melchior,
Balthasar. Die drei Anfangsbuchstaben C + M + B werden mit Kreide
an Haus-, »Zimmer- und Stallthüren angeschrieben unter Ausräucherung
(Runen und Rauch zur Sicherheit vor Krankheitsschelmen). Das heilige
Dreikönigs-Wasser und -Salz dient wie der Königsrauch als ähnliches
Mittel. Der Aderlass fand an diesem Tage besonders gerne statt; die
Aderlasschüsseln hatten dabei die Unterschrift „Wisthum berathe (wegen
der drei „Weisen").
7. Valentin, Bischof von Raetia prima et secunda (Tirol, Ostschweiz,
Südbayem), dem der hl. Korbinian einen besonderen Kult, „Sankt Valteins-
Orden", gewidmet hat, ist wegen seines Namen Patron bei dem Vallenden-
Siechtum, St. Valentins Siechtum, dem hinfallenden Siechtum. Die
fallenden Leute (Epileptischen) besuchen St. Valentinskirchen. Valtl
(Deminutiv) oft gesprochen wie Vaitl, wird deshalb mit St. Veit (vergl.
15. Juni) vom Volke in Verbindung gebracht.
8. St. Erhard, Patron für Viehkrankheiten und Pestpatron. Husten-
zelteln „Erhard-Zeltele" in den Klosterapotheken (Fortsetzung des Thomas-
zuckers vergl. 21. Dezember), ursprünglich zur „Kraftgewinnung" be-
stinmite Honigkultspeise (Kraftzelteln). Erhardsbrunen sind nicht selten
in bayerischen Landen.
"20. St. Sebastian, der unter Kaiser Diocletian durch Pfeile getötete
römische Heilige wurde zum Pestpatron an Stelle des Pfeile tragenden
Apollo. (Sebastians Pestpfeile, vergoldet, versilbert, zinnern, verkauften
die Jesuiten zu München 1630.) Am St. Sebastianstage wurden 1520 in
Regensburg „8 Köpf" (kopfartige Trinkgeschirre) neuer Prankenwein,
„ab St Sebastians Pfeyl" getrunken. St. Sebastians Hirnschale in Ebers-
berg wurde mit den Sebastianspestpfeilen berührt:
„Die solche Pfeile tragen, — Nichts nach der Pest fragen" (1707).
Prozession zu St. Sebastians- (Pest-) Kapellen; freiwilliger Fasttag mancher
Dorfgemeinde „bis die Sterne eingehen". St. Sebastians Minnetrunk aus
der (angeblichen) Hirnschale dieses Heiligen. Am Sebastianstage geht
der Saft in die Bäume.
St. Sebastian ist der volksübliche Schützen- und Jäger-Patron wegen
des Pfeiles.
St. Fabian ist einer der sogen. „Plag-Heiligen." Fabians Plag-
Hunger.
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294 Hoefler:
Febraar.
2. Mariae Lichtmess. Anna Maria oder Anua-Mirl, Patronin der
Schwangeren.
3. St. Blas ins. Die Halskranken und solche, die sich vor dem
Halsweh sichern wollen, werden „eingeblaselt", d. h. kreuzweise werden
vor das Gesicht und Kinn brennende Kerzen, das „Blasilicht" vom
Geistlichen gehalten (man legt auch gegen Halsweh Kerzentalg auf den
Hals). Das Gebet dabei ist gegen infirmitates gulae, guttnris et uvulae
et aliorum membrorum suorum. Es gab auch „Blasibrunnen** und
„Blasiwasser", sowie „Blasiwein", die als heilsam galten.
5. St. Agatha, Patronin für Feuersbrunst. Agathazelteln für Husten;
Agathabrod.
9. St. Apollonia. mit der Zange. Patronin der Zahnleidenden.
ApoUonienwurz (auch Teufelswurz genannt) Aconitum Napellus. ApoUo-
nienkraut, das um St. Johannis gesammelt werden soll.
26. St. Castulus, der Patron gegen Wildfeuer (Blitz und Rotlauf).
Er ist der von den Schimmeldieben angerufene Heilige:
„0, heiliger St. Kastulus, du kreuzbraver Mann,
Beschütz' uns're Häuser, züud' andre dafür an." —
„Heiliger St. Kastulus und unsre liebe Frau!
Du wirst uns schon noch kennen, wir sind von der Hollertau.
Sollten unserer neun sein und sind nur unser drei.
Sechs sind beim Schimmelstehlen; Maria steh' uns bei!" —
Um diese Zeit ist auch der Funkensonntag (Dom. Quadrages.)
mit den Höhenfeuern, kalten Milchspeisen, Mehltrunk u. s. w.
M&rz.
6. St. Fridolin, der fromme Bauersmann, ein Wetterpatron.
12. St. Gregor. In den Schulen war früher das Virgatum „Gregory"
gebräuchlich, das Austreiben mit der frischen grünen Lebensrute. Schmeller,
Bayr. Wörterb. I*, S. 993.
15. St. Christoph (Christophorus) Pestpatron. Überlebensgrosse
Christophbilder wurden an Kirchen- und Häusermauem zu Pestzeiten an-
gemalt, denn wer St. Christoph erblickte, war an diesem Tage vor dem
jähen Tode gesichert; darum malte man ihn Allen sichtbar in Riesengrösse.
Das Christophskraut (Actaea spicata) war vermutlich ein Pestmittel.
St. Christophskirchen stehen meist an mittelalterlichen, viel besuchten
Verkehrswegen und deuten oft auf ein in ihrer Nähe bestandenes Pest-
oder Siechen-Haus.
17. St. Gertraud, die erste Gärtnerin, die Herbergspatronin, bei der
die Toten die erste Nacht schlafen, deren Kapellen meist vor den Stadt-
thoren in der Nähe von Spitälern sich befanden; ihr trank man früher die
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Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone beim bayerischen Volk. 295
Gertraudsminne. Die besten Eier werden in der Gertraudsnacht gelegt.
Bienenkörbe werden aufgestellt, und „die Wärme geht von der Erde auf."
— Gertraudskräuter zu den Mechthildskränzen verwandt und ins Sunn-
wendfeuer geworfen, Panzer, Bayr. Sagen und Bräuche I, S. 212.
18. St Joseph. Josephlilien (u. A. Lilium bulbiferum L.) und
deren Öl, namentlich der am St. Johannestag eingesammelten Lilien, die
an manchen Orten auch Donnerblumen, Donnerrosen, Peuerlilien, Rotlilieh
heissen, werdeii gegen Rotlauf (Erysipelas) und Hautverbrennungen u. s. w.
gebraucht. Das Josephikraut (Satureja hortensis, Bohnenkraut) ist ein
blosses Küchengewächs, das wie das Lilienöl aus Klöstern ins Volk kam
(Josephistaberl-Lilie).
19. St. Benedikt. Die Benediktenwurz (Geum montanum L.)'und
Benediktenkraut (Geum reptans L.), (an anderen Orten auch Blutwurz,
Petersbart genannt), vermutlich eirle von den Klosterapothekem so be-
nannte Kultpflanze, die mit der Frühlingsnachtgleiche einen Zusammenhang
hatte; deren volksmedizinische Verwendung konnte aber Verfasser nicht
in Erfahrung bringen, obwohl sie sehr wahrscheinlich ist. Benedictus-
Münzen, Schutzmittel gegen Zauberei und Krankheit.
April.
1. Judas der Erzschelm. Judasfeuer am Osterabende; Judasohf
(Fungus sambuci, Ruricularia sambucina) gegen „werkelnde" Augen ge*-
braucht.
5. St. Vincenz. Guter Heiraths-Tag (vincere); Patron der Salinen-
Hokknechte.
15. St. Anastasia. Die Anastasiahäuberln wurden den Kopfweh-
kranken aufgelegt.
24. St. Georg, der drachentötende Jörg, Irg, Irgl. Nach ihni sind
einzelne volksübliche Gesundbrunnen benannt; auch viele Berge und her-
vorragende Felsenspitzen tragen den Namen Georgstein. St. Georg ist
auch Wetterherr und Viehpatron (Felderumgänge und Schauerprozessiionen
zn St Georgskapellen); Gefangene verlobten sich zu ihm. Georgisegen
für Pferde; Georgiritt; Georgi-Laibbrode wurden gebacken und geschenkt;
kurzum Hauptcharakteristiken des Wodankultus haben sich hier wie bei
St. Michael, St. Oswald, St. Leonhard und St. Martin u. s. w. erhalten.
Der Billwitzschneider oder Wegelesschneider, der die Ähren mit seiner Sichel
(an den Füssen angebunden) strichweise abschneidet und auf einem Bocke
reitet, geht an diesem Tage um und macht den Bockschnitt. In diese Zeit
fällt auch der sogen. Bocksonntag, an dem die Rossdiebe und die ge-
fürchteten „alten Landrichter" zur Beichte gehen; letztere „gehen oft da
um", wo Wodans Erinnerungen haften, kopflose Schimmel z. B. Am St.
Georgstage sägen die Hirten den Kühen die Hornspitzen ab (Rest eines
Tieropfers).
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296 Hoefler:
25. St. Marcus. Regenbittgang. Marc! pän(i8) Eultbrod.
30. St. Catharina Ton Siena (am 25. Nov. wird die eigentliche hl.
Katharina von Alexandrien, Catharina V. et. M. gefeiert.) Da das Ka-
threinblümerl (Primula farinosa) eine Prühlingspflanze ist, so dürfte sie
mit der auf den Kathreintag zusammen fallenden Walpurgisnacht in
Zusammenhang stellen, ebenso vielleicht auch das Kathreinöl (Oleum ar-
nicae aeth.?).
St. Walpurgis ist auch Pestpatronin. Die Walpurgisnacht ist die
Trudennacht und der heidnische Hexensabbath. Jungfer Eathl - menstruatio.
Das Gürtelkraut, mit dem die Weiber ehemals ihre Gürtel füllten, ist eine
Maienfestblume (Artemisia abrotanum = Schmecker). Das Walpurgiskraut
(Botrychium Lunaria, Mondrauten, Peterschüssel) ist ein Abortivmittel und
ein Mittel der Senner für Milchabscheidung.
St. Quirinus (Kirein) fällt ebenfalls auf diesen Tag (30. April). Das
Quirinusöl (schon nach Apian ein petroleum praestantissimum tegurinum;
es entstammt in Wirklichkeit einer Asphalt- (i. e. Petroleum-) Quelle am
Tegernsee) dürfte a) mit dem Kathreinöl (Oleum petrae album s. rubrum,
Erdöl) identisch sein, ebenso b) mit dem Tyrschenöl, das durch die
Tyrscheler (Steinölträger) hausiert wurde und das Ichthyol der neueren
Therapie liefert (bei Seefeld) sowie c) mit dem Walpurgisöl. Uralter
Glaube kam somit in neuester Zeit zur Geltung. Es ist auffällig, dass
Katharina, Quirin, Walpurgis-Nacht auf diesen Tag fallen vor dem 1. Mai
und alle drei mit dem Erdöl in Verbindung stehen; dieses letztere muss
schon in sehr alter Zeit für wirksam gegolten haben.
Mai.
^ 1. Philipp und Jakob. Walpurgis. Maien-Milch und Bretzen für
die Kranken; Maienschmalz, Maien-Anken; Maibäder aus Regenwasser
und Thau; Maikuren; Maitanz; Maibaum setzen (Maien stecken); Mai-
büschel.
4. St. Florian, der Patron der Feuerarbeiter, oft auf Häusemiauem
als Schutz gegen Brand angemalt, oft in Gesellschaft von St ürban
(25. Mai).
16. St. Johannes Nepomuk, Patron der Flösser und Schiffer.
25. St. Urban, Patron der Schäffler und Winzer. Er gehört zu den
sogenannten Marterheiligen, die martern und plagen; dieser plagt mit Po-
dagra = „Urbansplag." Früher (17. Jahrh.) Urbanreiten mit dem sogen.
Gamsurbel (Possenreisser). Vergl. Panzer, Bayr. Sagen und Bräuche II,
S. 43 ff. Schmeller, Bayr. Wörterb. 2, S. 138.
Juni.
8. St. Medardus. Regen- und Wetterpatron, dessen Bildnis oft auf
Bauernhäusern zu finden ist.
«
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Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone beim bayerischen Volk. 297
13. Anton von Padua. Ehepatron, Patron der Verliebten, Helfer
bei Verlusten. Antonio del porco. Das Schwein wurde früher in Klöstern
des Ordens St. Prancisei gepflegt und durch die Stadt gejagt. Die „Antoni-
glocke" (Sauglocke), die das Schwein St. Antonii aus dem Boden auf-
gewühlt haben soll. St. Antonius plagt und martert mit Ignis sacer,
Herpeszoster = „Antoniplag**, „Antonirache", „Antonifeuer". Ob nicht
etwa eine Geschlechtskrankheit darunter gemeint ist? (Vergl. St. Monus-
Krankheit, 12. Juli.) „St. Antonibrunst" wurde von Fuchs (^das heilige
Feuer im Mittelalter") als Ergotismus gedeutet. Im Feld- Arzneibuch von
Gersdorf (1617) betet ein Mann, dessen rechter Fuss abgefallen und dessen
Hand angeschwollen und verunstaltet ist:
„0 heiliger Antoni gross,
Erwirb' uns Gnad' ohn' Unterloss.
Ablass der Sünden, Gottes Huld und Gunst,
Behuf uns vor deiner schweren Brunst."
Ein anderer, dessen Bein amputiert ist:
„Arm, Bein' abschneiden hat sein Kunst,
Vertrieben St. Antoni Brunst.
Gehört auch nicht einem Jeden zu.
Er schick sich dann, wie ich ihm thu."
15. St. Vitus (Veit). (Veitl kann auch im Dialekte Vaitl, Valtl,
Valentin [7. Jan.] sein). St. Vitus war ein grosser Exorzist, der zuletzt
in Öl gesotten wurde. St Veitsfeuer (Ignis sacer St. Viti) hiess und heisst
auch das Sonnenwendfeuer (vgl. 24. Juni). Am St. Veitstage ist Freiheit
für allen bösen Zauber, besonders für den Bilwitzschneider. Am St. Veits-
tage opferte man Hühner (St. Veit wird auch mit einem Hahn abgebildet)
für das Vergicht der Kinder (Eclampsia infani), eiserne Kröten für die
Eclampsia parturientium und sonstige Gaben für die Chorea St. Viti (Veits-
tanz). Man sieht demnach, dass ValtFs (Vaitl), Valentins Patronat mit dem
St. Viti (Veits) identisch ist und St. Valentin durch falsche Volksetymologie
zu seinem Patronate bei Epilepsie kam. Am St. Veitstage sind auch die
Kröten (Protzen), die durch „Selbstabsterben" getötet werden, zum Zwecke
eines Amulettes einzusammeln; das wilde Heer geht an diesem Tage um
unter dem Namen der „wilden Almerer". St. Veitsbohne. Veitpfennige:
am St. Veitstage geopferte Pfennige (als Vertreter eines lebenden Opfers).
21. St. Albanus, Patron für Ungewitter, Kopf- und Halsschmerzen,
Leibschaden, Harn und Gries, Epilepsie.
24. St. Johannes, der „Geburtstag" Johannes des Täufers (Feier seiner
Enthauptung), des „rauhen" Johannes (S. Johannestag zen Sunnewenden,
Sunnwenden, Summerwend). In der Nacht vor Sommerjohannis (Sunn-
wendabend) sind die Heilkräuter einzutragen: die Lilienwurz für das Lilienöl
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298 Hoefler:
ist zu stechen; die Schlüsselblume, die am Johannistage (noch) w&chst,
giebt die Schlüssel zum verborgenen Goldschatz ab; Kohlen werden zu
Gold. Die Heilkräuter sind besonders heilkräftig, z. B. Hyperricum per-
foratum oder Johanniskraut, die Kreuzwurz (Gent, cruciata), der Gürtler
oder das Sonnenwendgürtelkraut (Artemisia abrotanum, Eberraut, Stab-
wurz; Tanacetura Balsamita, Prauenblatt, Artemisia vulgaris s. nitida,
Rauten) dies sind die zum Füllen des Prauengürtels früher verwendeten,
wohlriechenden Kräuter („Schmecker"). Der Gürtler wird heute noch inB
Sonnenwendfeuer geworfen (als Rest eines Jungfrauschaftsopfers früherer
Zeiten?). Gürtelkrautwasser verzehrt das Rotz in dem Magen oder in dem
Gedärme, aus dem der Schleim wächst. Das aus dem Johanniskraut (Hyp.
perf.) mit kochendem Öle gewonnene rote Öl heisst Johannisblut. Die
Johanneswurz (Aronicum glaciale in Österreich, AUium victoriale im Salz-
burgischen; AUermannshamisch, Sieg- [Kraft-] Würz), deren Wurzelknollen
man aufgeschabt in blutende Wunden legt. Die Johannesbeeren (Baccae
s. fructus Ribis rubri); St. Johannesblüh, Linaria alpina im Pinzgau; Jo-
hannesbrot (die Prucht der Makrube, Ceratonia siliqua dulcis, Himmelsbrot);
Johanneskäferl (Coccinella septempunctata); Johanneswürmchen, Johaunes-
kühlein (Lampyris). Das Johanneswasser (von Weihbrunnen und Johannes-
brunnen) gilt ebenfalls als Heilmittel. Wein am St. Johannis, des Täufers,
Tag ist nicht gebräuchlich, dagegen am St. Johannistag des Evangelisten
zu Weihnachten. St. Johannesküchel, HoUerküchol, im Teige am Baume
gebackene HoUerblüh. Johannesfreitauz. Pfingstmaien (Birken) wurden
vor den Methsiederhäusem aufgestellt. Der Bilmees, Bilwitzschneider reitet
auf dem Bocke um. Peuersprung durchs Sonnenwendfeuer vertreibt Kreuz-
weh (den Plauen und Mädchen).
25. St. Eberhard. Viehpatron, dessen Grabes-Erde gegen Yieh-
seuchen schützt.
26. St. Johannes und Paul, aller Wetterherren-Tag.
27. St. Peter, der bärtige Mann, der Wolfspatron, dem viele Peters-
brunnen geweiht sind, an dessen Tag oder am Montage darauf die
Würmer ins Wasser gehen. Viele Berge heissen Petersberge; Peters-
feuer auf denselben. Viele gefiederte, haarige Blumen und Blumen-
samen tragen St. Peters Namen, z. B. Geum montanum; Anemone alpina,
Anemone vemalis : Petersbart. Die weissen Larven von Rhodites rosae L.
wohnen in den zottigen haarigen Auswüchsen der wilden Rosen (Rosa
canina alba); letztere heissen Petersbart, vulgo: Schlaf- oder Schlaf kienzl
(Kienzl = Knebelbart). Sie werden als Schlafputzer unters Kopfkissen gelegt
und sollen ein Mittel gegen Unfruchtbarkeit und ein Abortivum sein.
Die schon erwähnte Mondraute (Botrychium Lunaria L.) heisst Peters-
schlüssel und ist ebenfalls ein Abortivum. Primula Auricula, Peters-
stamm, galt als Blutreinigungsmittel (heisst darum auch Sanikel, wie
manche andere Blume); Primula hirsuta ist der eigentliche Petersstamm,
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Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone beim bayerischen Volk. 299
weil rauchhaarig. Peterskrant heisst auch das gemeine Mutterkraut (Ma-
tricaria s. Pyrethrum (Bertram oder Geiferwurz). Perchtram ist gut fürs
Rotz; es schwindet dasselbe und ist gut für anderes Siechtum des Mundes
und der Kehle (12. Jahrh.); heute nur mehr als Kaumittel (Wurzel) bei
Zahnschmerz gebräuchlich. Mit dem PetersschlOssel wurden Bisswunden
gebrannt.
JuU.
4. St. Ulrich, Patron gegen Epilepsie und gegen die Ratten, der
mit Prozessionen und Kapellenumritten gegen Mäusefrass und Ungeziefer
und bei Wassermangel angerufen wurde. „St. Ulrichs Segen — Gibt Regen."
Ulrichsminne; die Ulrichsbrunnen (Irchbrunnen, Urchbrunnen), die selbst
in den heissesten Sommern nicht versiegen, gelten häufig als Heil-
brunnen. Ulrichsäcker und Ulrichsfelder sind bevorzugte Felder. Den
hl. Ulrich anrufen = erbrechen, von schwerer Beängstigung sich befreien
wollen (Onomatopoietisch?). Mit dem Ulrichs-Schlüssel wurden die Biss-
wunden toller Hunde ausgebrannt.
5. St. Wendelin, der Viehpatron, dessen Bild auf Wetterfähnlein
oder in der Nähe der Viehstallungen angemalt wird.
7. St. Willibald. Brunnen sind öfters nach ihm benannt. Pferde-
rennen und Umritte um Willibaldkapellen finden statt. Pferdefleisch und
Würste wurden dabei gegessen.
8w St. Kilian. Berge tragen seinen Namen.
12. St. Monus oder Mannus, ein Irländer, mit der Sauglocke (nach
der Legende soll sein Schwein eine bronzene Glocke im Erdboden auf-
gewühlt haben) spielt dieselbe Rolle wie der Abbas Antonio del porco,
der (wie Freyr mit dem Eber) auch ein Ehepatron war, St. Monuskrank-
heit, Syphilis, bei der aber der hl. Leonhard als besonderer Patron galt.
15. St. Heinrich. Pelderumgang. Wallfahrtstag gegen Schauer-
schlag. Der gute Heinrich (Chenopodium bonus Henricus) ist ein häufiges
Senner-Mittel.
20. St. Wilgefortis (Weiberliendl) - hl. Kummerniss mit dem blin-
den Geigerlein; Patronin der Augenkranken und Ehepatronin. Kummernissl
Silene pumilis, auch Saupeterstamm genannt). Über die hl. Kummemuss
8. Bergmann in den Mitteilungen der k. k. Centralkommission. Wien 1856,
S. 132 ff. W. Menzel, Christi. Symbolik I, S. 535 ff. Panzer, Bayr.
Sagen H, S. 421 ff.
St. Magaretha, die vom Drachen befreite Jungfrau, nach der die
ganze Woche benannt ist, „Margaretenwoche**. Gretel hinter der Stauden
(Nigella damascena) heisst der schwarze, wilde (Alpen-) Kümmel (aucli
Teufel im Besehen); die rässe Gretel, scharf schmeckender Kümmel wie
das Rässnagerl (Gewürznelke).
St. Arnold, der Patron der Zithermacher.
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300 Hoefler:
22. St. Magdalena, die weinende Büsserin. Die thränenden Augen
sollen an diesem Tage an Heilbrunnen (Magdalenenquellen u. A.) mit dem
Goldfinger gewaschen werden. Wallfahrt der von der Ertrinkungsgefahr
Befreiten zu alten Kultorten. Magdalenenbilder werden unters Dach ge-
stellt gegen Unwetter.
25. St. Jacob. Wetterherr; Patron gegen alle Flüsse; Jakobs-
brunnen sind Heilbrunnen; Jakobsbeeren (Vaccinium Myrtillus) helfen
gegen Flüsse (Darmkatarrh). Jakobsstrasse (Milchstrasse) galaxia; Jakobs-
stab, „darin ein Schwert verborgen", himmlische Wehr. Jakobsfedem, Stroh,
das um Jacobi geschnitten wird; Jakobsbimen, die um Jakobi reifen; Jakobs-
kraut (Senecio jacobaea) ist ein Kranzlkraut. Jakobson = Milchmessen auf
der Alm zu St. Jacobi. Jackl (grosser Schmiedhammer): Den Jackel
schützen: eine wie ein Schmied angezogene Puppe schützen (d. i. prellen);
auch Liendlschutzen, durch die Schmied- und Hammerleute geübt Jackl
in: Pfingstjackel, Fastnachtjackel, Schmierjackel. Auch der Bilwitzscheider
geht um an diesem Tage.
St. Anna Maria, Mariandl, Patronin der Schwangeren. Annabrünnl
sind sehr häufig und weitverehrt.
31. St. Ignatius, Stifter und Hauptheiliger der Jesuiten. Ignatz-
bohnen (Igasus); Samen von Steychnos Ignatii, Ignatia amara, Heilmittel
gegen Epilepsie; Ignatziwasser, Heilmittel; Ignatzihäuberln wurden Kopf-
kranken aufgesetzt durch die Franziskaner. „Heiss, Natzi!" ruft der
gemeine Mann, wenn er sich verbrannt hat.
August.
5. St. Oswald, einer der 14 Nothelfer (Cod. german. monac 719 f.
55 b), mit Zügen, die an Wodan erinnern. Viehpatron, dessen Kapellen-
orte auf Höhen liegen. Die Alpenrosen heissen Oswaldstauden. Oswald,
der Herr der Schnitter und Mahder, erhält die Oswaldgarbe.' Oswald-
brunnen galten als heilsam.
Auf den gleichen Tag fällt Maria Schnee (Maria ad nives), die vor
Wassersnot bewahrt.
10. St. Laurentius, Lorenz, Lenz; Lorenzikohlen bewahren vor
Peuersbrunst. Herbsteinläuten.
16. St. Rochus mit der kranken Ferse, Pestpatron; Rochuskapellen;
Rochusspitäler; Rochusbecher aus Steinbockhom, das besonders stärkend
sein soll.
24. St. Bartholomäus. In der Nacht vorher gehen Reiter um.
Barthlkapellen mit Schimmelsegen. Häufiger Jahrmarktstag. Ende der
Almenankehrzeit. Bartlbrunnen sind öfters Heilquellen nach dem Volksr
glauben.
28. St. Augustinus, der Patron der Augenkranken (aus falscher
Yolksetymologie).
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Die Kalender-Heiligen als Krankh^its-Patrone beim bayerischen Volk. 301
September.
1. St. Aegidius (Egidi, Gidi; Gigl, Gilg). Der Bilwitzschneider
reitet auf dem Bock; Schneider (Bock!) und Schleifer (Scheere!) haben
ihren Jahrtag. Bocktanz. Keferloher Markt. „Der Gidi** ist an allem
schnld (in der Volkssprache), d. h. ein unbesonnener, übereilter Mensch
wird „Gidi" gescholten. „Den Gidi bekommen" verwirrt werden.
6. St. Magnus (Mang), der Drachenbesieger, Mäu^evertilger. Magnus-
stab wurde durch die Felder getragen gegen Schaden von Ungeziefer.
16. St. Wilpet, Pestpatronin. — (Die drei Jungfrauen S. Einbet,
S. Warbet, S. Wilbet, die zum Gefolge der hl. Ursula gehört haben sollen,
werden östlich vom Rhein bis Tirol [Meransen] verehrt, in Niederbaiern
in Schildthurn. Sie halfen Unfruchtbaren zu Kindersegen und standen
Gebärerinnen bei. W.)
27. St. Cosmas und Damian. Die Ärzte, Zwillingsbrüder (Castor
und Pollux) und Pestpatrone; in den romanischen Ländern, wo die ärzt-
liche Eimst schon sehr früh anerkannt wurde, werden dieselben mehr ver-
ehrt. Heilige Ärzte sind sehr selten; Heilige, die nebenbei arzteten, fast
unzählig.
28. St. Eberhard. Vieh- und Pestpatron. Von seiner Grabeserde
wird dem Viehfutter beigemischt. (Er ist ein einheimischer Heiliger, ein
Dorfhirte aus Tintenhausen bei Freising.)
29. St. Michael, sacer Mars Christianorum. Michelbrote (Wecken),
Kuchelmichel (Kultbrote). Der Michaeliwind hat das Vorrecht im ganzen
Jahr. Eröffnung der Wiesen zur Heimweide. Huhnopfer. Michelkraut
und Michelblumen. Gebirgsschützenaufzüge zu Michaelis. St. Michaels-
kapellen erhoben sich meist über heidnischen Kultorten.
Oktober.
13. St. Colomann, der einfache Pilger, der Patron für viele Wall-
fahrtskapellen geworden ist, die beim Volke seit alter Zeit in grosser Ver-
ehrung standen. Solche Kolomannskapellen sind erst spät oder gar nicht
kirchlich geweiht worden; sie stehen meist auf Höhen, „Betbergen", haben
meist gute Wetterglocken und heilkräftige Brunnenquellen. Kolomann ist
Pestpatron. Der Kolomannssegen wird über das Vieh gesprochen. Es
gibt eigene Kolomannssonntage. Einnehmetag (zum Brechen und Abführen)
als günstiger Tag für die Gesundheit. — Uralte Kultorte, wohin das Volk
aus Tradition wallfahrtete, wurden vermutlich in solche Kolomannskapellen
umgewandelt. Schwimmende, heilige Holzbilder, die beseitigt wurden,
kehrten immer wieder zurück zu solchen Kapellen. Mädchen, die einen
Mann wünschen, beten:
^jHeiliger Sankt Kolomann!
schenk' mir auch ein' Mann,
Aber nur kein' Roten I""
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302 Hoefler:
Bei Eolomannskapellen hört maii die Gehenkten schreien.
(Neben St. Leonhard ist dieser Heilige, dessen Legende dem Volke
am wenigsten bekannt sein dürfte, der in verschiedenster und ausgedehn-
tester Weise verehrte männliche Heilige.)
16. St. Gallus, der Speisespender. Gallistift, Zinstag.
18. St. Lucas; Lukaszelten für Husten.
20. St. Wendelin, Patron bei Viehkrankheiten, dessen Bild auf
Wetterfahnen oder in Viehstallungen anzutreffen ist.
24. St. Raphael, der Arztengel und Pestpatron.
18. St. Simon und St. Judas, Unglückstag; Wallfahrtstag. Wolfs-
segen:
„Heiliger Herr St. Simeon! — Mein Vieh soll das Jahr zu Holz und
zu Feld gohn, — Zu Weid' und zu Wasser, — Wie ihm's der lebendige
Gott hat geschaffen; — Nimm den Himmelsschlüssel — Und verschleuss'
allen Wölfen und Wölfinnen ihren Drüssel, — Dass es (das Vieh) gehe
als tierlos — Und als dieblos — Und als Übels los, — Als unser lieber
Herr unter dem hl. Kreuz war genosslos, — Und als unser Frau Sancta
Maria ist mannlos in Gottes Namen. Amen. (Wolfssegen aus Augsburg.)
30. St. Nothburga, die hl. Bauemmagd aus Tirol, Patronin für
Hausmägde und Kindsmenscher. Die Grabes-Erde- der Heiligen mit Wasser
angerührt, ist heilsam.
31. St. Wolfgang, der Wolfspatron; Wolfgangssegen über Hornvieh
und Ross. Der Helfer gegen das Bauchgrimmen. In St. Wolfgaugs-
kapellen kriecht man durch Erd- oder Steinlöcher zur Befreiung von
Kreuzweh. Wolfgangsbrunnen werden als heilkräftig angesehen. Wolf-
gangsrübeln (Cyclamen europaeum, auch Saubrot, Dorrübeln, Haselwurz
genannt); Wolfswurz, Aconitum Napellus. Wölfel-Zahnbeule. Wolf, der
beissende Intertrigoschmerz.
Wenn der Bauer sein Vieh auf die Alm trieb, so sprach er den Wolfs-
segen darüber. Ein solcher aus dem 15. Jahrhundert lautet: „Ich keib'
heut aus — In unser lieben Frauenhaus, — In Abrahams Garten. — Der
liebe Herr St. Märten, — Der soll heut meines Viehes pflegen und warten.
— Und der liebe Herr St. Wolfgang, — Der liebe Herr St. Peter, der
hat den himmlischen Schlüssel, — Die versperren dem Wolf und der Vohin
(Füchsin) ihre Drüssel, — Dass sie weder Blut lassen noch Bein schroten,
des helfe mir der Mann, — Der nie kein Übel hat getan, — Und die
heiligen fünf Wunden — Behüten mein Vieh vor allen Holzhunden.
V. pater noster et V. ave Maria. (J. Grimm, Deutsche Mythologie,
S. 1189 f., 2. Ausg.)
November.
6. St. Leonhard („Mannaliendl" im Gegensatz zum Weiberliendl =
hl. Kummemiss), Patron der Hammerleute; Erlöser der Gefangenen, Helfer
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Die KaleBder-Heiligen als Erankheits-Patrone beim bayerischen Volk. 303
der KinderwüDBchenden Weiber, der entbindenden Frauen und in vielen
Krankheiten, auch in Feuersgefahr; seit einigen Jahrhunderten erst Patron
über Viehkrankheiten. Seine Kapellen, gewöhnlieh in Wäldern und auf
Anhöhen, sind von Ketten umspannt (Leonhardsketten). Der Leonhardsnagel
wurde gehoben und geküsst. Dreimaliger Kapellenumritt von Männern
und Weibern im frühen Morgengrauen; Opferung eiserner kunstloser Tier-
bilder und Hufeisen; Peitschenknallen; Würdingerlupfen (vergl. Panzer,
Bayr. Sagen II, S. 33, 391); Mannaliedlschutzen und küssen (Jackelschutzen
auf Pfingsten). Brot und Salz wird gesegnet. Der wichtigste Heilige für
das oberbayr. Landvolk; sein Tag war früher, als das ganze Volk noch
Vieh- und Landwirtschaft betrieb, der Hauptfeststag nächst Ostern, Weih- •
nachten und Pfingsten; das Volk rechnet nach den Dedicationstagen der
Leonhardskirchen (in Lenherts Tagen =» im Juli). Patron gegen Feuers-
gefahr; Wind- und Wetterherr, vergl. Schmeller, Bayr. Wörterbuch I,
1481; Panzer, Bayrische Sagen und Bräuche H, S. 24—39; 390 bis 402.
11. St. Martin, der Schimmelreiter und Soldat mit dem blauen
Mantel. An diesem Tage opferten die Kinderbegehrenden Weiber schwarze
(alte) Pfennige (Stellvertretung einer eisernen Votivgabe). Martinsbrunneu
gelten als heilkräftig. Martinsgerte (Juniperus communis); Martel (Jimcus
campestris). Wolfspatron; Schweinchenstallsegen; Gänseopfer; Gänsebraten
(Martinigans); St. Martin loben (schmausen); Martinskrapfen (krallenförmiges
Gebäck); Martinsschnitten (Kultbrode); Bockhörndlbrode (Kultspeise);
Hühneropfer; Martinshaber (Schimmel); Schimmelkapellen sind meist Mar-
tinskapellen mit Schimmelsagen. Martinsritte. Wallfahrt der Hirten zu
St. Leonhardskapellen; Freitafel der Hirten. Martinsminne am St. Mar-
teinsabend (Wodan). „Schoen' und Staerke trinken.*'
17. St. Florianus, Patron gegen Feuersgefahr.
„Heiliger Sanct Florian,
Schütz' unser Haus, zünd' andre an."
Sein Bild kommt unter das Dach des Bauernhauses oder an die Haus-
mauern.
19. St. Elisabeth. Elsbeth-Kapellen im Walde.
22. St. Caecilia, die Patronin der Geigenmacher.
25. St. Catharina (von Alexandrien) mit dem Rade; an diesem Tage
darf kein Rad gehen (Mühlrad, Spinnrad, Schleifrad). „Kathrein stellt den
Tanz ein**, weil dieser Tag der letzte Tanztag vor den Adventen war. Meth-
tag, die Burschen führen ihre Mädchen zum Meth. „Habtag", an dem
sich die Geliebten „haben".
„Heut is Kathrein, — Hat ein Jeder die sein'.
Wer s net hat, — Der mag's net."
Schweinskopfgeld für die Siechen in den früheren Spitälern.
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304 Hoefler:
30. St. Andreas, der Gichtpatron. „Wer am Andreastage stirbt,
kommt vom Mund auf in den Himmel." (Über das Sterben in Oberbayem
8. Urquell 1891 Nr. 2). In der Andreasnacht träumt man von der zu-
künftigen Frau. Die Andreasnaeht ist die erste Klöpflesnacht, Glöekler-
abend; mit dem Hammer anklopfen an die Thüre der (Geliebten).
„Andreasschnee** thut den Kömern und Früchten weh (Fruchtbarkeitstag);
vgl. den folgenden Tag.
Dezember.
1. St. Eligius (Gilg), der Patron der Hammerleute (Schmiede);
Kinder begehrende Frauen opferten Gilgenkreuzer (Stellvertretung einor
eisernen Votivgabe).
4. St. Barbara. Patronin der Bergknappen und der Artilleristen.
Sie wird in der Todesstunde angerufen. Ein Kirschzweig (Barbarazweig)
an diesem Tage abgeschnitten und ins .Wasser gestellt, blüht in den Weih-
nächten. Barbarawurzel (Allium victoriale, Siegwurz, Kraftwurz) verleiht
Unverletzbarkeit (Aller mannshamisch).
6. St. Nikolaus, der Kinder liebende Bischof (Sannaklos, Niklo,
Nikolö, Klaubauf mit der Rute) ; Patron der SchiflFer und in Wassergefahren.
Lebkuchen in Gestalt von Bischof, Männlein, Hirfech, Hase (zwei Fruchtbar-
keitssymbole), Reitern und Spinnerinnen. Der St. Nikolaus geht besonders
in Flachsstuben um. Nikolöbimen; Klötzen-(Birn-)brot (Kultspeise); Niko-
lausumritte, Bergfeuer (Vorfeier der germanischen Wintersonnenwende);
Schweinskopfessen; Schweinnikel, Saunikel. Frauenthalergeschenke in den
Klöstern. PapierschifFchenspiel (SchöflFerln). St. Nikolaus hat im Bilde
drei Kinder in der Wanne und drei goldene Äpfel in der Hand (der Apfel
hat Bezug zur männlichen Fruchtbarkeit; Äpfel essen mögen (wie Adam) =
nicht impotent sein).
„Heiliger St. Nikolas! — In meiner Not mich nit verlass. — Kommt
heint zu mir und legt mir ein — In mein kleines SchifFelein, — Damit
ich Euer gedenken kann, — Dass Ihr seid ein braver Mann". (Aus
Tegernsee, 15.— 16. Jahrh. Schmeller, Bayr. Wörterb. I, 1722.)
12. St. Lucia (die leuchtende) und
St. Ottilia (Tudl), Patronin der Augenkranken. Dir Bild hat auf
einem Buche zwei Augen, die sie sich um ihren Vater ausgeweint hat.
Ottilienkraut [Consolida regalis, Rittersporn, Günsel ^ consol(ida)J Wund-
kraut. Ottilien brunnen; Haupttrudennacht.
17. St. Lazarus, von dem die Lazarete ihren Namen haben.
21. St. Thomas. Thomaszucker (Honigknltspeise), Honiglebzeltelu
in den Spitälern. Halter- oder Hirtensegen; Thomasschwein. Das wilde
Gejaid geht in der Thomasnacht um. Rumpelnacht. Heinzelbier für die
Armen. Pantoffelwerfen, Loesehi (Bleigiessen) mit einem Kreuzschlüssel.
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Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone beim bayerischen Volk. 305
Mao sieht in der Thomasnacht den Teufel und den Allerliebsten. Mädchen
sagen an diesem Tage:
„Strohsack, ich tritt dich,
Heiliger Thomas! ich bitt dich,
Lass mir heut Nacht erschein'
Den Herzallerliebsten mein."
Auch sprachen die Hausväter verschiedene Segen in der Thomas-
Nacht.
26. St. Stephanus (StöflFelstag), Patron für Pferdekrankheiten. Pferde-
aderlass (im 17. Jahrh. verboten, aber noch geübt). Umritte um Stefans-
kapellen. StöflFelsgroschen (Vertretung einer eisernen Votivgabe) wurden
in die StöflFels-Äpfel gesteckt und geopfert. Stöffelsmeth; Pferderennen;
Schweinskopfessen; Stöffelrausch (d'Letzt). — Stöffels-Körner (semen Sta-
phidis agriae von Delphinum off., Läusekörner). — Stephans-Kapellen und
Quellen sind meist uralte Kultorte.
27. St. Johannes Evangelista. (Winterjohanni. Steffel Nachi). —
Johannes- Wein, Johannessegen, der an diesem Tage in den Kirchen ge-
weiht und bei Trauungen vor dem Altar, wie beim von Antritt von Reisen
getranken ward — und hier und da noch getrunken wird. Eine lateinische
benedictio vini in die S. Joh. ev. bei Seh melier, Bayr. Wörterbuch I, 1206.
Vergl. J. Grimm, D. Mythol. 8. 54 f. 2. Ausg. Dazu Nachtrag in der
4. Ausg. m, 31.
Den Hintergrund des germanisch-heidnischen Kultus, auf dem die
aufgeführten Krankheits-Patrone und Volks-Heiligen stehen, bilden:
1. Alt verehrte Kultorte (Kapellen ohne Weihe).
2. Deren Lage auf Höhen oder mitten in Wäldern.
3. Umritte um dieselben und Höhenfeuer.
4. Benennung nahei* Berge nach solchen Kapellen-Heiligen.
5. Wallfahrten Kinderbegehrender Weiber oder geschlechtskranker
Männer zn solchen Kapellen.
6. Opfer von Pruchtbarkeits-Symbolen oder deren Stellvertretung.
7. Der am Kultorte haftende Glaube voa der Heilkraft der Grabeserde.
8. Sagen von Schimmelreitem, wildem Gejaid, Bilwitz-Schueider, von
lebendig begrabenen Pferden, kopflosen Gespenstern, umgehenden Tyrannen
oder alten Landrichtern etc., die bei solchen Kultorten bestehen.
9. Der Glaube an die Heilkraft naher Brunnen-Quellen.
10. Die Benennung mancher volksmedizinisch gebrauchter Pflanzen nach
solchen Volks-Heiligen.
11. Gute Wetterglocken solcher Kapellen.
12. Wind- und Wetterherrschaft des Heiligen.
13. Peuer-Patronat.
Z«itachrift d. Vereins f. Volkskunde. 1891. 20
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dB
306 Hoefler:
14. Hirten-Patronat.
15. Wolfs- und andere alte Segonsprüche, die den Heiligen namentlich
aufführen (Wund-, Wasser-, Wetter-, Holter-, Wurm-, Buckel-, Haus-
Segen z. B).
16. Aufwärtsschwimmende oder von weissen Ochsen gezogene Heiligen-
bilder, die immer wieder erscheinen am alten Kultorte.
17. Volksübliche Berechnung der Zeiten nach den Tagen solcher Kult-
Heiligen. Zusammenfallen altheidnischer Kultzeiten (Naturepochen) mit
letzteren; Zins-Termine an solchen Tagen.
18. Kultspeisen (Honig, Fladen, Kuchen, Zelten, Heilmittel etc.)
19. Schweinskopf-Essen, Schweinswurstessen etc.
20. Hühner-Opfer, Gänse-Opfer.
21. Schönheits- und Stärketrunk (Meth) für Frauen bez Männer.
22. (Früher) Minnetrunk.
23. Tanzzeiten, Habtag.
24. Geringe und nur partielle Congruenz der Heiligen-Legende mit
den üblichen Volks-Gebräuchen.
25. Verächtlich machende, spöttelnde Nameugebung für den betr.
Heiligen.
Aus' den Eindrücken, welche Krankheits- und Sterbefälle, wie alle
gewaltsamen Natur-Erscheinungen, auf den primitiven Menschen machen,
sind die ältesten Gottheitsbildungen hervorgegangen; letztere wichen den
christlichen Heiligen. Mit zunehmender Erkenntnis der Krankheits-Ur-
sachen bezw. mit der Vermehrung der die Begriffe angebenden Krank-
heits-Namen erweiterte sich in der Periode des mittelalterlichen Christen-
tums der Kreis der Krankheits-Patrone, die nach und nach in das Gebiet
der morbi animalium seu brutorum sich zurückzogen, um auch hier schon
den rationelleren Ärzten Platz zu machen. — Ein sittlicher Entwicklungs-
Gang, den auch die Kultopfer durchmachten vom egoistischen Opfer des
Nächsten-Lebens, vom Kinds-, Sklaven- und Tier-Opfer bis zum Kinds-,
Manns-, Weibs-, Tier-Bild in Wachs, Eisen oder Silber; vom stellver-
tretenden Geldopfer bis zur selbstlosesten Entsagung und Aufopferung des
eigenen Lebens zu Gunsten des Mitmenschen.
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Volkssegen ans dem Böhmerwald. 307
Volkssegen aus dem Böhmerwald.
Von J. J. Ammann in Rrummau.
IL Besehwörungs- oder Zauberformeln.
1. Einem „bcschrienen" Kind zu helfen (aus Rüben).
Wenn ein Kind keine bestimmte Krankheit hat, sondern bloss allgemein un-
wohl ist und nicht gedeiht, so glaubt man häufig, es sei „beschricn^. Mit einem
solchen Kinde stelle mian sich nun gegen den Aufgang der Sonne ') und spreche:
Sei mir willkommen Sonnenschein! — Wo reitest du hergeritten?
Hilf mir und meinem lieben Kind, — Gott, den himmlischen Vater bitten!
Hilf mir bitten den hl. Geist, — Dass er wolle geben
Meinem Kind sein Blut und Fleisch!
Im Namen Gott des Vaters u. s. w. Amen.
Vgl. Zs. f. deutsche Myth. IV, 110. R. Gwerb, Vych- u. Leuthbesägnen,
Zürich 1646. S. 139. 302. Mone, Anz. 1837, 449.
2. Gegen Biss der Wölfe oder Hunde (aus Lagau).
Wenn man gegen den Angriff oder Biss von Wölfen oder Hunden gesichert
sein will, so spreche man beim Verlassen des Hauses:
Es geschah an einem Feiertag,
Dass Gott der Herr wollte ausreiten.
Er reitet wohl über ein weites Feld,
Er hat weder Säckel noch Geld;
Er hat nichts als seine fünf Wunden,
Behüte uns Gott vor Wölfen und Hunden!
Er beschliesst den Wölfen und Hunden ihre Rüssel
Und gab sct. Feter den Schlüssel.
Im Namen u. s. w.
Vgl. MSD* IV, 3. Zu den Reimen dieser letzten Verse vgl. Meier Helm-
brecht 1205 und Grimm, Myth. Nachtr. . 1 028 ; ferner den Hirtensegen in Grimm
Myth. 1037. Anh.XVlII. Schönwerth III, 251. Zs. f. deut. Myth. IV, 122.
3. Gegen einen Feind (aus Krummau).
Sprich gegen einen Feind, sowie du ihn siehst, aber noch bevor er dich erblickt
hat, folgende Worte:
Ich sehe dich, — Ehe du mich.
Was du im Willen hast, — Das thu du nicht!
1) YgL Kuhn, WS. II, 194. Zs. f. Volkskunde von Veckenstedt II, 4, S. 161b.
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308 Ammann:
Der Vater mit mir, — Der Sohn mit dir,
Der hl. Geist mit uns allen beiden,
Er wolle nun beide iron einander scheiden!
Im Namen u. s. w.
Wenn man ein angethanes Leid auf den Beleidiger zurückkehren lassen will,
so spreche man bloss (aus Salnau):
Schür' Bartl, schür'! — Heut vierzehn Tag' ist's an dir.
4. Gegen einen heranschleichenden Feind (aus Rüben).
Naht sich dir ein unheimlicher Mensch, Mörder oder dergleichen in bedrohlicher
Weise, so sprich heimlich bei dir folgende Worte:
Mensch, ich durchschaue dich! — Gottes Allmacht und Kraft ist über dich,
Dass du mir jetzt und die Zeit meines Lebens — Keinen Schaden zufügen kannst.
Gott der Vater sei mit dir, — Gott der Sohn sei mit dir,
Gott der hl. Geist sei mit uns allen, — Dass du dein Herz musst lassen fallen.
Dies zähle ich dir zur Busse 0-
Im Namen u. s. w.
5. Reisesegen (aus Hohenfurt).
Heut steh' ich auf und neig' mich gegen den Tag,
In meinem Namen, den ich empfangen hab'.
. Der erste ist Gott der Vater,
Der zweite ist Gott der Sohn,
Und der dritte ist Gott der heilige Geist, '^
Der behüte mein Blut und Fleisch,
Mein Leib und Leben,
Welches mir Christus, Gottes Sohn, hat selber gegeben.
Also will ich gesegnet sein,
Wie der heilige Kelch und der heilige Wein,
Wie das heilige Himmelsbrot,
Das unser lieber Herr Jesus Christus selbst seinen 1 2 Jüngern bot.
Ich trete über das Geschwell, (Vgl. Zs. f. deut. Myth. IV, 126.)
Jesus t Maria f Josef, f die heiligen 3 Könige
Kaspar f Melchior f Balthasar sein meine Weggesell'n.
Der Himmel ist mein Gut, (Vgl. Grimm, Myth. Anh. L.)
Die Erden sind (?) meine Schuh'. (Vgl. MSD* Anm. S. 473).
Diese hl. 6 Personen begleiten mich und meine Gefährt'n,
Welche mir begegnen, die haben mich lieb und wert.
Dann helfen mir Gott der Vater u. s. w.
Jesus t Maria f Josef f Kaspar f Melchior f Balthasar.
Stehet mir bei in all meinem Thun,
In Handel und Wandel,
In Gehen und Stehen,
Es sei auf dem Wasser oder zu Land,
Vor Feuer und Brand,
Die wollen mich bewahren mit ihrer starken Hand.
Gott dem Vater ergeh' ich mich,
1) Vgl. Gegen Gicht I. B. 10 ain Ende.
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Volkssegen aus dein Böhmerwald. 309
Gott dem Sohn befehV ich mich,
In Gott den heiligen Geist versenk' ich mich.
Die heilige Dreifaltigkeit sei ober mir,
Jesus, Maria, Josef sei vor mir,
Kaspar, Melchior, Balthasar sei hinter mir
Jetzt und zu aller Zeit,
Bis ich komme zur ewigen Freud und Seligkeit.
Dazu helfe mir der Herr Jesu Christ. Amen.
Vgl. MSD« IV, 8. XLVir, 3 und S. 468 f. Grimm, Myth. Anh. XXI. Zs. f.
deut. Myth. IV, 135 f., wo manche Verse zu den obigen stimmen.
6. Gegen Neid. Besonders bei Kindern anzuwenden.
Der Besprecher legt dem betreffenden Kinde die Hände auf die Stirn, und
zwar in Krenzform übereinander gelegt. Dann spricht er:
Im Namen Gott des Vaters u. s. w. (ohne Amen).
Ich thu dir für Neid, — Dir und die allerheiligste Dreifaltigkeit.
Bist du anb'schrien, — So helf dir Gott und das übrige G'stim.
Hat dich anb'schrien ein Mann, — So triffts ihn selber an.
Hat dich anb'schrien ein Weib, — So kommts in ihren Leib.
Hat dich anb'schrien Knecht oder Dim, — So hilft dir Gott imd das übrige G'stim.
Hilft dir Gott der Vater u. s. w. (ohne Amen).
Darauf leckt der Besprecher dem Kinde dreimal die Stime ab und spuckt
dabei jedesmal aus. Dann reibt er unter Vaterunserbeten die Hände und macht
dem Kinde das Kreuzzeichen auf Stime, Mund und Brust.
Vgl. Aberglaube aus dem Altenburgischen von E. Pfeifer in Zs. f. Volks-
kaade v. Veckenstedt H, 4 S. 161c, wo die Varianten zeigen, wie solche dem
deutschen Volke gemeinsame Sprüche im Volke verändert werden, ohne doch ihi*e
eigentliche Natur einzubüssen. Schönwerth UI, 260 — 61. Dieser und die folgenden
Segen gegen Neid stammen aus Mistelholz, Krummau, Höritz, Christianberg, sind
aber fast aller Orten im Böhmerwald bekannt.
Gegen Neid. Beim Vieh anzuwenden.
Der Besprecher sagt:
Bist du anb'schrien, — So hilf dir Gott und das übrige G'stim.
Hat dich anb'schrien ein Mann, — So triffts ihn selber an,
Hat dich anb'schrien ein Weib, — So kommts in ihren Leib.
Hat dich anb'schrien Knecht oder Dim, — So hilft dir Gott und das übrige G'stim.
Der Besprecher legt dem betreffenden Stück Vieh beide Hände auf den Rücken
und fährt so während des Spmches dreimal von der Stime bis zum Schweif des
Tieres. Vgl. Kuhn H, 212 f. Wenn er am Ende angelangt ist, thut er immer,
als müsste er etwas auf den Boden hinunter streifen imd spuckt jedesmal dazu
aas. Darauf fasst er, die Hände über Kreuz, die Ohren des Tieres und betet so
ein Vaterunser und Avemaria ohne Amen. Dann spricht er: Helf dir Gott der
Vater u. s. w. und macht dabei dem Tiere dreimal das Kreuzzeichen auf die Stime.
Zaletzt spuckt er ihm in die Augen und reisst ihm über den Augen das sogenannte
Neidhaar aus (3—4 längere Haare über den Augen).
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310 Ammann:
Andere Formel bei sonst gleicher Behandlung.
Im Namen (Jott des Vaters u. s. w. ohne Amen.
Hat dir geschadet ein böses Ang, — So sind wieder sechs, die dir helfen.
Hat dir geschadet ein M4nn, — So helf dir Gott und die himmliche Krön.
Hat dir geschadet ein Weib, — So helf dir Gk)tt und die himmlische Freud.
Hat dir geschadet ein Knecht, — So helf dir Gott und das himmlische Recht.
Hat dir geschadet eine Dim, — So helf dir Gott und das himmlische G'stim.
Hat dir geschadet ein Bua, — So helf dir Gott und die himmlische Ruah.
Hat dir geschadet ein MadI (?), — So helf dir Gott und die himmlischen Hand'.
Darauf bete man 3 oder f) Vaterunser, während des Spruches verfahre mi^
wie beim früheren.
Auch bei Kindern kann diese Formel angewendet werden, bei Erwachsenen
aber nicht. Beim Kinde betet die Mutter die Vaterunser. Zuletzt leckt der Be-
Sprecher dem Kinde noch dreimal das „Him^ (Stime) ab und spuckt dabei
dreimal aus.
Andere Formeln gegen Neid ohne besondere Handlungen.
Wenn man glaubt, jemand leide an ii^nd einem Übel infolge Neides, so
spreche man dreimal folgende Formel über ihn:
Wer hat dich beschrien? — Dem gehts selber in die Niern.
Wer hat dich beschrien, Weib oder Mann? — Den gehts selber an.
Wer hat dich beschrien, Dim oder Knecht? — Dem gehts selber schlecht.
Oder dreimal folgende Formel:
Neid haut neun — Na, ist nicht wahr, haut nur 7 Neid, — Nn, ist nicht wahr,
haut nur 6 Neid, — Na, ist nicht wahr, haut nur 5 Neid u. s. w. herab bis ... .
Na, ist nicht wahr, ist nur 1 Neid, — Na, ist nicht wahr, ist kein Neid.
Oder dreimal folgende Formel:
Hat dir ein Mann geschadet, ~ So helf dir unser lieber Herr Gott.
Hat dir ein Weib geschadet, — So helf dir unsere liebe Frau.
Hat dir ein Knecht geschadet, — So helf dir unser lieber Herr.
Hat dir eine Dim geschadet, — So helf dir unsere liebe Frau.
Geh aus aus dem Mark und Bein, — Geh aus aus dem Fleisch und Blut,
Geh hin in eine wilde Flur (? Flut), — Geh hin, wo kein Glöckl klingt,
Geh hin, wo kein Vögerl singt! — Geh hin, wo kein Sonn' und Mond hinscheint *).
Ein Weib unter dein Volke ihre Stimme erhob und^ zu dem Herrn sprach:
„Selig ist der Leib, der dich getragen, selig sind die Brüste, die du gesogen^.
Dich segne Gott der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen.
Oder dreimal folgende Formel:
Ich thu dir für den Neid,
Für alle Leut'
Im Namen des Herrn;
Ich thu dir für den Neid,
Im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit.
1) Vgl. Zs. f. Volkskunde von Veckenstedt H, 11 S.489c,
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Yolkssegen aus dem Böhmerwald. 311
Oder aach folgende Formel:
Hat dich (man nennt den Namen) wer beschrien,
So geht es demselben ins Gestirn.
Hat dich wer beschrien, Weib oder Mann,
So geht es demselben an.
Hat dich wer beschrien, Dim oder Knecht,
So geht es demselben ins Geschlecht.
Es helfe dir Gott der 7ater u. s. w. ohne Amen.
Ich beschwöre dich fUr den Neid, Himmel und Erde mit Sonn' und Mond,
mit Gott und mit unserer lieben Frau und mit der allerheiligsten Dreifaltigkeit.
Im Namen u. s w.
Gegen Neid. Beim Vieh anzuwenden.
Man ziehe das Hemd umgekehrt aus, gehe damit in den Stall hinaus und
fahre dem betreffenden Tiere mit dem Hemde Yom Kopf über das Rückgrat bis
zum Schweif. Dies thue man dreimal, spucke jedesmal dabei aus und spreche dazu:
Ei-stens für Neid,
Zweitens fUr die schlimmen Leut,
Drittens zur allerheiligsten Dreifaltigkeit.
Im Namen Gott des Vaters u. s. w. ohne Rreuzzeichen.
Auch bei Kindern anzuwenden, wenn man denselben dabei dreimal die Augen
ausleckt und drei Ayemaria betet.
Gegen Neid. Beim Vieh anzuwenden.
Wenn z. B. eine Kuh irgend einen Namen hat, bei dem man sie zu nennen
pflegt, wie Kamper (eine braune), Bläser (mit Stern), Rückl (alte), Rückai (junge),
Scheckl . . ., so ruft man sie beim Namen und spricht:
Kamperl Wer hat dir geschadet?
Es sei Herr oder Frau,
Magd oder Knecht,
So geh er zurück auf dasselbe Geschlecht!
Helfe dir Gott Vater u. s. w. hl. Geist!
Von allen 72 Neid
Sei befreit!
Darauf bete man drei Vaterunser.
Oder man wendet auch folgende Formel an:
Kamper! hast du einen Neid, — So helfe dir der hl. Set. Veit.
Hat dieser Mann einen Mann (*?), — So helf ihm des Himmels Gebrand (?).
Hat dieser Mann einen Knecht, — So helf ihm des Himmels Geschlecht.
Hat dieser Mann eine Dirn, — So helf ihr des Himmels Gestirn.
Hat dieser Mann ein Kind, — So helf dir des Himmels Königin.
In Pramhof wendet man gegen Neid bei Rindern folgende Formel an,
die man über dreimal bekreuztes Brot oder über Hafer spricht, nachdem man
zuerst das Vieh beim Namen nach Geschlecht oder Farbe gerufen hat:
Es hat dich wer verschrien, «
Es sei Herr oder Frau, Magd oder Knecht,
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312 Ammann:
Das kommt auf dasselbe Geschledii
Es kommt an die Stirn und auf den Rücken
Und muss alles zugrunde richten.
Es helfe dir Gott der Vater u. s. w.
Brot oder Hafer wird nun dem Vieh gegeben, es muss aber alles auffressen,
damit nichts verloren gehe, sonst hilft es nicht.
Aus Polletitz ist folgende Formel gegen Neid und Augstall:
O du heilige Sommer- und Osterblume, o du heilige Ostcr- und Sommer-
blume, hilf mir vor allem Neid und Augstall ! Es giebt 9 Arten von Neid und
Augstall, es sind nicht 9, es sind nur 8 u. s. w. es ist nicht 1 Neid und Augstall,
es giebt keinen Neid und kein Augstall.
Gegen Neid. Beim Vieh anzuwenden.
Indem man dem Tiere mit entblösstem Arme über den Rücken fahrt,
spricht man:
Ich w^isch' dich weg! — Der wilde, hastige, garstige Neid
Ist in dich geflogen, — In dich g'schoben.
Und so geschwind, — Wie unsere Hebe Frau Sonn' ')
Über den Berg herein springt.
Mittel zur Prüfung, ob jemand „verneidet" ist und Hilfe gegen Neid.
Will man wissen, ob jemand „vemeidet" ist, so gebe man 9 Stück glühende
Kohlen in ein Gefäss mit Wasser. Sinken die Kohlen im Wasser unter, so ist
der Betreffende „verneidet", schwimmen sie aber oben auf, so ist er es Qicht.
Vgl. Grimm, Myth. Nachtr. zu 975.
Der „A^erneidete" kann sich nun folgendermassen vom Neid befreien: Zuerst
trinke er dreimal von diesem Wasser, dann tauche er die rechte Hand in das
Wasser und fahre mit den nassen Fingern vom Kinn aus aufwärts über die Nase
bis zur Stime, ebenso vom Kinn aus über die rechte Wange bis zur Schläfe und
so auch nach links. Das hat der „Vemeidete" selbst auszuführen; das Weib
aber, das gewöhnlich das Ganze an einer Person vornimmt, macht jetzt an beiden
Enden ihrer Schürze einen Einschlag, dass die Schürze in eine trichterförmige
Spitze zuläuft. Mit dieser Schürzenspitze *) fährt sie nun dem Vemeideten, wie
dieser früher selbst mit den nassen Fingern that, dreimal in denselben Richtungen
vom Kinn aus übers Gesicht nach Stime und Schläfe. Damit ist der „Vemeidete"
befreit.
Noch ein einfacheres Mittel gegen Neid ist folgendes, wozu man nie-
manden braucht: Wer an Neid leidet, nehme ein Messer und halte es gerade aus
vom Munde mit der Schneide nach oben und spucke dreimal über die Schneide
weg hinaus, so ist er vom Neide frei.
Bei einem „vemeideten" Schwein spuckt man demselben auch dreimal über
die Ohren hinweg und dasselbe ist vom Neid befreit.
Die mannichfache Art, wie sich das Volk im Böhmerwald gegen Neid zu
schützen sucht, rechtfertigt auch das hier beliebte Sprichwort:
Der Neid — - frisst Vieh und Leut'.
In anderen Formen konune ich auf den Neid noch beim Aberglauben zurück.
1) Vgl. zu „Frau Sonne — sptingt" Cirimm, Myth. 586 f.
2) Vgl. Schönwerth III, 240.
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Volkssegen aus dem Böhmerwald. 313
7. Gegen Gewitter (aus Krammau).
Es segne mich die Allmacht des f Vaters, es segne mich die GUtigkeit des f
Sohnes, es segne mich die Weisheit des f heiligen Geistes. Amen.
O heiliger Gott, heiliger, starker Gott, o heiliger, unsterblicher Gott, erbarme
dich unser! Jesus, Maria und Josef, stehet uns bei und die Kraft der allerheiligsten
Dreifaltigkeit sei bei uns und über unsl
Alsdann mache das heilige Kreuz gegen die Wolken und sprich: „Sieh das
Kreuz des Herrn, und fliehet, ihr widerwärtigen Parteien! Der Löwe aus dem
Geschlechte Juda, die Wurzel Davids hat überwunden. Hallelujah!^
Lies dann das Evangelium sct. Johannis: Im Anfange war das Wort u. s. w. und
küsse den Evangelianfang im Gebetbuche. Dazu sprich: Durch die Kraft dieser
evangelischen Worte bewahre mich Gott vor Ungewitter, Blitz und Erschlagen!
Gebet.
O Herr Jesu Christ, der du geboten hast dem Meere und den Winden, und
es war alsbald eine grosse Stille geworden ; der du am heiligen Kreuze deine Hände
und Arme weit ausgestreckt hast, die Luft zu reinigen und zu heiligen, wir bitten
demütig deine überfliessende Müdigkeit, du wollest die Wolken zerteilen und dies
Ungewitter vernichten, auf dass die Gewalt des Satans, welcher dasselbe vielleicht
erweckt hat, zuschanden und zerstört, dein heiliger Name aber gelobt und ge-
priesen werde, der du lebest und regierest in Ewigkeit. Amen.
Vgl. Grimm Myth. Anh. XXIIL
Eine andere Formel (aus PoUetitz).
Durch die Kraft des heiligen Evangeliums sollen zerstreut und vcrtiieben
werden alle Ungewitter. Im Namen u. s. w. Amen.
Gott Heloyen, Gott Tetragumentum, Gott Emanuel, Gott Hagios, Gott Otheos,
Gott Ischios, Gott Jehova, Gott Messia, Gott Alpha und Omega samt bei allen
Namen, Gottes des Vaters u. s w. wollen mich heut und alle Zeit stärken und
beschützen gegen alle meine leiblichen und geistlichen Feinde. Amen.
t Der unerschafTcne Vater, f der unerschaffene Sohn, -j- der ungebome Vater,
t der ungebome Sohn, f der aus beiden ausgehende Geist. Gott Vater -j- der
ErschafTer, Gott heiliger Geist f der Heiligmacher wollen mich jetzt und alle
Zeit von allem Ungewitter, Gespenst und Hexerei beschützen und bewahren.
Amen.
Christus Jesus überwindet, Christus Jesus herrschet, Christus Jesus gebietet,
Christus Jesus vertreibt alle Ungewitter, Zauberei und Teufelskunst durch die
Kraft seines bittem Leidens, durch die Kraft seines heiligen Kreuzes, durch die
Kraft seines rosenfarben Blutes und durch die seines heiligen Namens.
Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der vom Himmel herab-
gekommen und in dem Leib der seligsten Jungfrau Maria wegen des menschlichen
Heils Fleisch geworden, damit er den Teufel und alle bösen Geister vertreibe und
in die Hölle stürze, dieser wolle mich erlösen und mich entbinden von allem,
was der Teufel gebunden und durch seine vermaledeiten Werke verblendet hat.
Amen.
Durch das Zeichen des heiligen Kreuzes f erlöse mich o Gott von meinen
Feinden. Amen.
Ebenda suchen einige auch das Gewitter dadurch zu vertreiben, dass sie
fluchend um das Haus herumlaufen, nach dem Grundsatz, Übel könne nur wieder
durch Übel vertrieben werden.
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314 Ammann:
8. Gegen Reif und ähnliche Beachädignng des Getreides.
Um das Getreide Yor Reif zu schützen, nimmt man am Abend des heiligen
Dreikönigtages in Lagau und a. a. 0. das „Schaupbrennen^ vor. Vor hl. Dreikönig
geht man in den Wald und schneidet ein Tannen- oder Föhrenbäumchen, das
man im Romfeld in die Erde steckt. Darauf umgiebt man es mit ausgedroschenem
Komstroh (Schaup), das man mit einem Band um das Bäumchen befestigt. Am
Abend des Dreikönigtages wird nun das Bäumchen mit dem Stroh angezündet,
und während der Anzünder um das Bäumchen herumgeht, spricht er (beim ersten-
mal Herumgehen): König Kaspar, (beim zweitenmal) König Melchor, (beim dritten-
mal) König Balthasar!
Ich hab' euch alle drei genennt,
Damit uns das Korn nicht yerbrennt.
Darauf besprengt er den brennenden Schaup mit Weihwasser und spricht:
Im Namen u. s. w. Amen.
So bleibt das Korn yor Reif, Hagel, Melthau und dergleichen bewahrt.
Dies ist ein Segenspruch und Brauch, der sich auf den Feldbau bezieht.
Bräuche dieser Art ohne Formeln giebt es noch mehr im Böhmerwald. Davon
a. a. 0. Vgl. Grimm, Myth. 1035 f.
9. Beim Ablösen der Rinde vom Holze.
J. Grimm hat schon in Myth. 1038 — 39 den Zauberspruch, den die Knaben
des „oberen" Waldes (siehe bei J. Rank, S. 168) beim Loslösen der Rinde zu
Maienpfeifen hörsagen, aufgenommen, hier mögen nun die "Sprüche folgen, deren
sich die Knaben des „unteren^ Waldes bei solcher Gelegenheit bedienen. Man
unterscheidet zwischen „Rödai" (Röhrchen) oder „Pfoazai", wobei bloss die Rinden-
röhre plattgedrückt und ein schnarrender Ton hervorgebracht wiixi im Gegensatz
zur eigentlichen Maienpfeife. Im erstem Falle spricht der Knabe, während er auf
die Rinde klopft:
Rödai, Rödai (oder Pfoazai, Pfoazai) geh o(b),
Friss 'n Bauern 'n Kle o(b)!
Loss eam no a Schöpfai steh(n),
Doss er k6(n) i(n)s Wirtshaus geh(n)I
Süassi Milli, sauri Milli,
Buttamilli dobei,
Wonnst d' ma ned ohagehst.
Holt di da Schinta!
Bei Maienpfeifen dagegen:
A birene (birkene) Rindn —
Loss di schindn,
Loss di schiabn,
Loss da s' Häutl üba'n Köpf ausziagnl
Vgl. Grimm, Myth. 1038 und Nachtr. zu 1039. Bezüglich der Schreibung und
Aussprache der Mundart vgl. meine „Hochzeitsbräuche aus dem Böhmerwald in
Veckcnstedts Zs. f Volkskunde IL 10, 11, 12.
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Segen und HMlmitteL 315
Segen und Heilmittel
ans einer Wolfsthurner Handschrift des XV. Jalirliunderts.
Mitgeteilt von Oswald von Zingerle.
(Schiuss.)
Zu den Wundsegen leiten einige andere über.
Bl. 117c. Czu der nasen.
So ainem menschen die nase plütet oder wo er plutet, so soltu oberhalbn
schreiben mit dem selben plute ainen (117 d) kriechischen namen 0. P. E. W. E. N.
daz ist war vnd sprich ym in daz rechte ore: „Ich peschwer dich plut pey dem
yater vnd pey dem sun vnd pey dem heiligen gaist, daz du nicht fli essest, alz der
Jordan flos, da Cristus inne getauft wart^.
Bl. 126c. Plut verstellen.
Wiltu daz plut verstellen, so sprich: „Sta sangwis in te f sicut Jhesus stetit
in se f Sta sangwis *) in tua f sicut Jhesus* stetit in sua f Sta sangwis ') infixus f
sicut Jesus stetit crucifixus^.
Einem ähnlichen Segen dürfte an die stirne, so verstet daz plut,
womit Bl. 126a beginnt, angehört haben. Das vorhergehende
Blatt ist bereits vor der Paginierung entfernt worden — ohne
Zweifel aus demselben Grunde, der zur Vertilgung anderer
Blätter bewogen hat.
Yon der oben erwähnten Gattung ist am bekanntesten das,
Bl. 29b, eingetragene Stück, betitelt:
ain bewerter wassersegen.
Hye nach stett geschriben ain guetter bewerter wassersegenn, das do haylt
alle wunden, wie die ge (29 c) sheen ader werdenn, vnd hebt sich also an. Das
Wasser muss als woll gesegnat sein als der heilig Jordann, da gott selber in
getanfft wart. Ich segen dich, du vnvermalge ') wunde, mit den rechten karacteren,
das du dein reyssen vnd dein fliessen vnd dein schiessen lassest vnd dein sawrein ')
vnd dein faulen vnde alle vnkeush lasest, es sein fliegenn, spinnen ader wurm
ader welher vntugent das sey, die ich hie gesegnet honn mit dem warenn gott:
das ist wäre in gotes namen ammenn. Du gebeneyder Jhesu Christus, dein funff
1) Ms. sagwis. 2) unvermailigte, unbefleckte. 8) S&ure, Sch&rfe.
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316 Zingerle:
wunden die gesworn noch geswollen noch die rissenn noch die shossen nach sie
sawrtein noch sie faultein noch sie smecktein, do sluge auch nie kein yngeluck
zue; alzo muss zu diser wundenn thune, zu der ich diss wasser gesegnet hann
mit dem waren got, das ist war. In gotes nammenn amen.
Vnssers lieben hem Jhesu Crist sein haiig fun£P wunden, die hayltenn shier
vnd vaste vonn gründe, do slug auch nye kein vbell zu, alzo muess zu disser
wundenn thun, zu der ich das wasser gesegnet honn mit dem waren gott, das ist
war. In gotes namenn amenn. Crist wart geboren, Crist wart verloren, Crist
wart wider fundenn, do hailtein ym sein haiige wunden, also soll die sechste
thun in gotes namenn amenn. Vnd sprich iii pater noster vnd aue (29 d) maria,
also muss vns der almechtige gott behutenn.
Interessant wegen des damit verbundenen Ceremoniells ist ain
Wundensegen vnd mit tucheren hallen, wobei der Vermerk probatum
est sichere Wirkung erwarten lässt.
Bl. 10a. Sprecht disen segen V maU vber die wunden vnd als oft I pater
noster vnd ave maria got in sein heilig fünf wunden mit beden dawmen ge-
kreutzigt vnd all mall abgewexelt den vntteren vber sich. Der gleich segent die
tüchel zu den pflasteren wie die wunden vnd legt albeg V tttchel kreutzling vber
einander auf die wunden vnd als oft ein tttchel als oft im namen des v. s h.
geists.
Ist die wunden sorgfeltigk, so pindt sy dester offter vnd dut das lauter vmb
gotz willen